Letzte Gebetsstation des pilgernden Papstes im Heiligen Land war die Grabeskirche
in Jerusalem. Wir dokumentieren seine Ansprache in einer Übersetzung des Heiligen
Stuhls:
Liebe Freunde in Christus!
Der Lobgesang, den wir soeben gesungen
haben, vereint uns mit den Heerscharen der Engel und mit der Kirche aller Zeiten und
Orte – „der glorreiche Chor der Apostel, der Propheten lobwürdige Zahl, der Märtyrer
leuchtendes Heer“ –, während wir Gott für das Werk unserer Erlösung preisen, das er
im Leiden, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi vollbracht hat. Vor diesem
Heiligen Grab, wo der Herr „des Todes Stachel bezwungen und denen, die glauben, die
Reiche der Himmel aufgetan hat“, grüße ich euch alle in österlicher Freude. Ich danke
Patriarch Fouad Twal und dem Kustos Pater Pierbattista Pizzaballa für die freundliche
Begrüßung. Ebenso möchte ich meine Dankbarkeit für den Empfang zum Ausdruck bringen,
den mir die Hierarchen der griechisch-orthodoxen Kirche und der armenisch-apostolischen
Kirche gewährt haben. Dankbar heiße ich die anwesenden Vertreter der anderen christlichen
Gemeinschaften im Heiligen Land willkommen. Ich grüße den Großmeister des Ritterordens
vom Heiligen Grab, Kardinal John Foley, wie auch die Ritter und Damen des Ordens,
die zugegen sind, und verbinde damit meinen Dank für ihr unermüdliches Engagement
zur Unterstützung der Sendung der Kirche in diesen Ländern, die der Herr während seines
irdischen Lebens geheiligt hat. Das Johannesevangelium hat uns einen sinnträchtigen
Bericht über den Besuch des Petrus und des Jüngers, den Jesus liebte, am Ostermorgen
am leeren Grab hinterlassen. Heute, nach ungefähr zwanzig Jahrhunderten, steht der
Nachfolger Petri, der Bischof von Rom, vor demselben leeren Grab und betrachtet das
Geheimnis der Auferstehung. Den Fußspuren der Apostel folgend, möchte ich aufs Neue
den Menschen unserer Zeit den festen Glauben der Kirche verkünden, dass Jesus Christus
„gekreuzigt wurde, gestorben ist und begraben wurde“, und dass er „am dritten Tage
auferstanden ist von den Toten“. Zur Rechten des Vaters erhöht, hat er uns den Geist
gesandt zur Vergebung der Sünden. Außer ihm, den Gott zum Herrn und Messias gemacht
hat, „ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet
werden sollen“ (Apg 4, 12). Wenn wir an diesem heiligen Ort stehen und
dieses wundersame Ereignis bedenken, wie können wir da nicht „mitten ins Herz“ getroffen
sein (Apg 2, 37) wie jene, die als erste die Predigt des Petrus am Pfingsttag
hörten? Hier ist Christus gestorben und auferstanden, und er stirbt nicht mehr. Hier
wurde die Geschichte der Menschheit entscheidend geändert. Die lange Herrschaft der
Sünde und des Todes wurde durch den Sieg des Gehorsams und des Lebens gebrochen; das
Holz des Kreuzes hat die Wahrheit über Gut und Böse aufgedeckt; Gottes Gericht erging
in der Welt, und die Gnade des Heiligen Geistes wurde über die Menschheit ausgegossen.
Hier lehrte uns Christus, der neue Adam, dass das Böse niemals das letzte Wort hat,
dass die Liebe stärker ist als der Tod, dass unsere Zukunft und die der ganzen Menschheit
in den Händen eines treuen und vorsehenden Gottes liegt. Das leere Grab spricht
zu uns von Hoffnung, von der Hoffnung, die uns nicht zugrunde gehen lässt, da sie
die Gabe des lebendigen Geistes ist (vgl. Röm 5, 5). Das ist die Botschaft,
die ich euch heute, am Ende meiner Pilgerreise ins Heilige Land, hinterlassen möchte.
Möge durch Gottes Gnade die Hoffnung in den Herzen aller Menschen, die in diesen Ländern
wohnen, stets neu aufsteigen! Möge sie in euren Herzen wurzeln, in euren Familien
und Gemeinschaften bleiben und in einem jeden von euch ein immer treueres Zeugnis
für den Friedensfürsten anregen! Die Kirche im Heiligen Land, die so oft das dunkle
Geheimnis von Golgota erfahren hat, darf niemals aufhören, ein unerschrockener Herold
der leuchtenden Botschaft der Hoffnung zu sein, die dieses leere Grab verkündet. Das
Evangelium beteuert uns, dass Gott alles neu machen kann, dass Geschichte sich nicht
wiederholen muss, dass Gedächtnisse geheilt werden können, dass die Bitterkeit von
Beschuldigung und Feindseligkeit überwunden werden kann und dass eine Zukunft der
Gerechtigkeit, des Friedens, des Wohlstands und der Zusammenarbeit entstehen kann
für jeden Menschen, für die ganze Menschheitsfamilie und in besonderer Weise für die
Menschen, die in diesem Land wohnen, das dem Erlöser sehr am Herzen liegt. Die
altehrwürdige Kirche der Anastasis legt ein stummes Zeugnis ab sowohl für die Last
unserer Vergangenheit mit ihrem Versagen, ihren Missverständnissen und Konflikten
als auch für die herrliche Verheißung, die weiterhin vom leeren Grab Christi ausstrahlt.
Dieser heilige Ort, an dem sich Gottes Kraft in der Schwachheit offenbart hat und
die menschlichen Leiden von der göttlichen Herrlichkeit verklärt wurden, lädt uns
ein, noch einmal mit den Augen des Glaubens das Antlitz des gekreuzigten und auferstandenen
Herrn anzuschauen. In der Betrachtung seines verherrlichten, vom Geist ganz verklärten
Fleisches erkennen wir noch mehr als selbst jetzt: Durch die Taufe „tragen wir das
Todesleiden Jesu an unserem Leib, … damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen
Fleisch offenbar wird“ (2 Kor 4, 10-11). Sogar jetzt ist die Gnade der Auferstehung
in uns wirksam! Möge die Betrachtung dieses Geheimnisses unsere Bemühungen als einzelne
wie auch als Mitglieder der kirchlichen Gemeinschaft anspornen, in dem Leben des Geistes
durch Bekehrung, Buße und Gebet zu wachsen. Sie helfe uns, jeden Konflikt und jede
Spannung in der Kraft ebendieses Geistes zu überwinden und jedes Hindernis innerhalb
wie außerhalb zu bewältigen, das unserem gemeinsamen Zeugnis für Christus und die
versöhnende Kraft seiner Liebe im Wege steht. Mit diesen Worten der Ermutigung,
liebe Freunde, beende ich meine Pilgerreise zu den heiligen Stätten unserer Erlösung
und Wiedergeburt in Christus. Ich bete, dass die Kirche im Heiligen Land stets neue
Kraft aus der Betrachtung des leeren Grabes des Heilands schöpfen möge. Sie ist gerufen,
in diesem Grab all ihre Angst und Furcht zu begraben, um jeden Tag wieder aufzustehen
und ihren Weg durch die Straßen von Jerusalem, Galiläa und darüber hinaus fortzusetzen
und dabei den Triumph der Vergebung Christi und die Verheißung neuen Lebens zu verkünden.
Als Christen wissen wir, dass der Friede, nach dem dieses von Streit zerrissene Land
sich sehnt, einen Namen hat: Jesus Christus. „Er ist unser Friede“, der uns mit Gott
in einem einzigen Leib durch das Kreuz versöhnte und die Feindschaft beendete (vgl.
Eph 2, 14.16). In seine Hände lasst uns dann vertrauensvoll all unsere Hoffnung
für die Zukunft legen, genau wie er in der Stunde der Finsternis seinen Geist in die
Hände des Vaters legte. Erlaubt mir, mit einem besonderen Wort brüderlicher Ermutigung
an meine Brüder im Bischofs- und Priesteramt sowie an die Ordensleute, die der geliebten
Kirche im Heiligen Land dienen, zu schließen. Hier vor dem leeren Grab, dem eigenen
Herzen der Kirche, lade ich euch ein, die Begeisterung eurer Weihe an Christus und
eures Engagements für den Liebesdienst an seinem mystischen Leib wieder zu entfachen.
Euch kommt das große Privileg zu, Zeugnis für Christus abzulegen in dem Land, das
er selber durch sein irdisches Leben und Wirken geheiligt hat. Ermöglicht in pastoraler
Nächstenliebe euren Brüdern und Schwestern und allen Einwohnern dieses Landes, die
heilende Gegenwart und die versöhnende Liebe des Auferstandenen zu spüren. Jesus fragt
einen jeden von uns, Zeuge der Einheit und des Friedens zu sein für alle, die in dieser
Stadt des Friedens wohnen. Als der neue Adam ist Christus der Quell der Einheit, zu
der die ganze Menschheitsfamilie gerufen ist, jener Einheit, für die die Kirche Zeichen
und Sakrament ist. Als das Lamm Gottes ist er der Quell jener Versöhnung, die zugleich
Gabe Gottes und heilige Aufgabe ist, die uns auferlegt ist. Als der Friedensfürst
ist er der Quell jenes Friedens, der alles Verstehen übersteigt, des Friedens des
neuen Jerusalems. Möge er euch in eure Prüfungen stützen, in euren Bedrängnissen trösten
und in euren Bemühungen stärken, sein Reich zu verkünden und zu verbreiten. Euch allen
und all jenen, denen ihr dient, erteile ich von Herzen als Unterpfand der Freude und
des Friedens von Ostern meinen Apostolischen Segen.