2009-05-15 12:36:19

Ha’aretz: „Nicht jedes Papst-Wort auf die Goldwaage legen“
 
 


RealAudioMP3 „Israel sollte nicht jedes Wort (oder Nicht-Wort) des Papstes auf die Goldwaage legen“ – dazu rät ein Kommentar der linksliberalen „Ha’aretz“. Man müsse doch „daran erinnern, dass er auf seiner Reise in die Heimat die Synagoge von Köln und dort ausdrücklich vom Holocaust gesprochen hat. Noch wichtiger ist, dass er als Kardinal Ratzinger einen entscheidenden Einfluss hatte auf die Änderung der kirchlichen Haltung zu den Juden.“ Der Kommentar fährt fort: „Die Sensibilität von Holocaust-Überlebenden ist verständlich, aber sie sollten den Papstreden hier keine übertriebene Bedeutung beimessen. Es ist wichtiger, zuzuhören, was die Chameneis in Teheran so sagen.“

„Der Papst und ich“ ist ein Kommentar des Rabbiners und Autors Reuven Hammer überschrieben. Darin dankt er dem Papst ironisch dafür, „dass er meine zionistischen Überzeugungen gestärkt und meinen Israel-Patriotismus vergrößert hat“. Israel habe richtig gehandelt, als es 1948 „nach nur 1.900-jähriger Wartezeit“ seinen eigenen Staat ausgerufen habe: Dadurch sei es möglich geworden, dem Papst „von gleich auf gleich zu begegnen“. Schließlich stehe der Papst für eine Kirche, die Jahrhunderte lang Ressentiments gegen Juden genährt habe – auch wenn sie im Zweiten Vatikanischen Konzil davon abgerückt sei („eine Wende, die nicht weniger bemerkenswert war als der Zusammenbruch der Sowjetunion“). Die Gründung des Staates Israel sei sicher „eine bittere Pille für die Kirche gewesen“. Aber sie habe diese Pille geschluckt – das sei auf der Papstreise „dramatisch ins Bild gesetzt worden“. Wörtlich schreibt Rabbi Hammer: „Was für ein unglaublicher Kontrast zwischen diesen Bildern und der Art und Weise, in der Juden in vergangenen Jahrhunderten vor dem Papst kriechen mussten! Hier war der Papst unser Gast – er konnte die Heiligen Stätten nur besuchen, weil wir ihn dazu willkommen hießen.“ Benedikts Israel-Reise – auch der Auftritt in Yad Vashem – hätten öffentlich signalisiert, „welche Position Israel, das Judentum und das jüdische Volk heute haben. Nach allem, was Juden gelitten haben, u.a. durch die Kirche, können wir jetzt stolz darauf sein, dass wir überlebt und triumphiert haben!“

„Der Papst lässt viele enttäuschte Seelen zurück“, ist ein weiterer Kommentar des Blattes überschrieben. Vermutlich seien die Erwartungen im Vorfeld zu hoch gewesen; die Enttäuschung rühre nun „vom Missverständnis der Grenzen dessen, was der Gast tun konnte“, her. Israelis und Palästinenser hätten sich in Vereinnahmungsversuchen während der Reise gegenseitig überboten; die Autorin urteilt, dass in diesem Wettbewerb offenbar die Palästinenser gesiegt hätten.

„Ende einer Pilgerfahrt“, titelt die „Jerusalem Post“ in ihrer Freitagsausgabe. Sie vergleicht in einem Artikel den „kalten, distanzierten Benedikt“ mit dem „päpstlichen Rock-Star Johannes Paul“ und zitiert den Rabbiner David Rosen, der sehr im Gespräch mit dem Vatikan engagiert ist. Nach seiner Auffassung habe „die negative Reaktion auf die Papstrede in Yad Vashem vor allem damit zu tun, dass der Mann keine emotionale Persönlichkeit ist; und was die Israelis wollten, war ein emotionaler Ausdruck, der auf jüdische Schmerzen reagierte. Die Kritik lässt eine unrealistische Erwartungshaltung durchschimmern, die mit dem Präzedenzfall Johannes Paul zu tun hat.“ Zu einem ähnlichen Eindruck kommt eine lange Analyse im Innenteil des Blattes; viele jüdische Religionsvertreter seien „von vornherein nicht dazu bereit gewesen, die Dialog- und Friedensgesten des Papstes zu akzeptieren“. Dass sich dennoch viele Rabbiner im Gespräch mit dem Christentum engagierten, habe einen ganz pragmatischen Grund: Sie hofften, dass sie dadurch bedrängten Juden in mehrheitlich christlichen Ländern helfen können. Eine als „gemäßigte, modern-orthodox“ beschriebene Rabbinergruppe nennt nach Auskunft des Artikels den Papstbesuch „einen Schlag ins Gesicht der Christenheit“. Jetzt, wo die „Ära des Messias“ näher rücke, seien die Christen „gezwungen, den Primat des Judentums anzuerkennen“ sowie „die Auserwähltheit des jüdischen Volkes“.

Eine politische Analyse der Papstreden in der „Post“ kommt zu dem Schluss, dass Benedikt vom israelisch-palästinensischen Konflikt einfach nichts verstehe. Schlimmer als seine Bemerkungen in Yad Vashem sei sein „ohrenbetäubendes Schweigen zu Iran“ gewesen. Viele in Israel gehen fest von einem bevorstehenden Konflikt zwischen ihrem Land und dem Iran aus.

Die palästinensische Presse räumt der Papstreise an diesem Freitag nicht mehr sehr viel Raum ein, doch alle Kommentatoren zeigen sich beeindruckt von der Messe Benedikts in Nazareth. Die palästinensische Nachrichtenagentur „Wafa“ bringt ein Interview mit dem Bürgermeister der Stadt, der sich von diesem Besuch ein starkes Friedenssignal für die ganze Region verspricht. Der Minister Ziad Bandak bekräftigt gegenüber der Agentur, Benedikts Worte in den palästinensischen Autonomiegebieten würden in die Geschichtsbücher eingehen. Die Tageszeitung „Al Ayam“ bringt die Schlagzeile: „Benedikt XVI. ermuntert in Nazareth zu friedlichem Zusammenleben von Moslems und Christen im Heiligen Land“; der Artikel zitiert lange Auszüge aus der Papstpredigt, vor allem seinen Appell, an den durch Jesu Leben geheiligten Stätten zu bleiben. „Al hayat al dschadida“ bringt die Schlagzeile: „Große Messe des Papstes in Nazareth – er ruft die Christen dazu auf, nicht zu emigrieren“. Die Homepage „Jughouruna“ gibt eine Äußerung des Lateinischen Patriarchen Fouad Twal wieder: Die Zahl der Christen im Heiligen Land sei seit 1970 von drei auf nur noch zwei Prozent zurückgegangen.
Al-Quds“ macht an diesem Freitag auf mit der Schlagzeile: „Papst beendet seinen Besuch mit einem Gebet am Heiligen Grab“. Der Artikel geht davon aus, dass Benedikt seine Visite mit Appellen zum Frieden und zum Zusammenleben der Völker und Religionen abschließen werde. Zum Treffen Benedikts mit Israels Premier Netanjahu notiert die Zeitung, Israel verweigere Priestern und Ordensleuten aus arabischen Staaten die Visa; das werfe immer mehr Probleme für die Kirche auf. Der Vatikan habe jetzt um Visa für 500 Priester aus arabischen Ländern gebeten – doch obwohl der Papst Netanjahu sehr ausdrücklich darauf angesprochen habe, verweigere Israel die Geste. Das könnte zu Spannungen zwischen dem Vatikan und Israel führen, glaubt (oder hofft?) „Al-Quds“.

(rv 15.05.2009 sk)








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