Abschied aus Israel: Papstansprache in voller Länge
Benedikt XVI. hat zum Ende seiner insgesamt achttägigen Reise ins Heilige Land den
Holocaust erneut scharf verurteilt. Unter einem „gottlosen Regime, das eine Ideologie
des Antisemitismus und des Hasses verbreitete“ seien Juden „brutal ausgetilgt worden“,
sagte der Papst an diesem Freitag während der Abschiedszeremonie am Flughafen von
Tel Aviv. „Dieses entsetzliche Kapitel der Geschichte darf nie vergessen oder geleugnet
werden!“ Gleichzeitig rief der Papst neuerlich in eindringlicher Weise Israelis wie
Palästinenser zu Frieden, Vergebung und Gewaltverzicht auf: "Keine Kämpfe mehr! Kein
Terrorismus mehr! Kein Krieg mehr!" Vor dem israelischen Präsidenten wiederholte Benedikt
sein Ja zu einem eigenen Palästinenserstaat und sagte, dass ihn der Anblick der „Mauer“
traurig gestimmt habe. Er bete „für eine Zukunft, in der die Völker des Heiligen Landes
in Frieden und Eintracht zusammenleben können, ohne solche Instrumente der Sicherheit
und der Trennung zu brauchen“.
Wir dokumentieren die ganze Ansprache in der
offiziellen Übersetzung des Heiligen Stuhls:
Herr Präsident! Herr Premierminister! Exzellenzen,
Damen und Herren!
Bevor ich mich zur Rückkehr nach Rom aufmache, möchte ich
einige der tiefen Eindrücke mit Ihnen teilen, die meine Pilgerreise in das Heilige
Land bei mir hinterlassen hat. Ich hatte fruchtbare Gespräche mit zivilen Autoritäten
sowohl in Israel wie auch in den Palästinensischen Gebieten und wurde Zeuge der großen
Bemühungen, die beide Regierungen unternehmen, um das Wohlergehen der Menschen zu
erhalten. Ich bin den Amtsträgern der katholischen Kirche im Heiligen Land begegnet
und freue mich zu sehen, wie sie bei der Sorge um die Herde des Herrn zusammenarbeiten.
Ich hatte auch Gelegenheit, die Oberhäupter anderer christlicher Kirchen und kirchlicher
Gemeinschaften wie auch die Führer anderer Religionen im Heiligen Land zu treffen.
Dieses Land ist wirklich ein fruchtbarer Boden für die Ökumene und für den interreligiösen
Dialog, und ich bete, daß die reiche Vielfalt religiösen Zeugnisses in der Region
in wachsendem gegenseitigen Verständnis und Respekt Frucht tragen wird. Herr Präsident,
Sie und ich haben einen Olivenbaum bei Ihrer Residenz am Tag meiner Ankunft in Israel
gepflanzt. Der Olivenbaum ist, wie Sie wissen, ein Bild, das vom heiligen Paulus gebraucht
wird, um die sehr engen Beziehungen zwischen Christen und Juden zu beschreiben. Paulus
führt im Römerbrief aus, daß die Kirche der Völker wie ein wilder Oliventrieb ist,
der in den edlen Olivenbaum des Bundesvolkes eingepfropft wurde (vgl. 11,17-24). Wir
werden von den gleichen spirituellen Wurzeln genährt. Wir begegnen uns als Brüder
– Brüder, die in unserer Geschichte gelegentlich ein gespanntes Verhältnis zueinander
hatten, die aber unter der festen Verpflichtung stehen, Brücken für eine beständige
Freundschaft zu bauen. Auf die Zeremonie beim Präsidentenpalast folgte einer der
feierlichsten Augenblicke meines Aufenthalts in Israel – mein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte
Yad Vashem, wo ich den Opfern der Schoah meine Ehre erwiesen habe. Dort traf ich auch
mit einigen Überlebenden zusammen. Diese tief bewegenden Begegnungen brachten mir
meinen Besuch vor drei Jahren im Vernichtungslager Auschwitz in Erinnerung, wo so
viele Juden – Mütter, Väter, Eheleute, Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern, Freunde
– durch ein gottloses Regime, das eine Ideologie des Antisemitismus und des Hasses
verbreitete, brutal ausgetilgt worden sind. Dieses entsetzliche Kapitel der Geschichte
darf nie vergessen oder geleugnet werden! Im Gegenteil, diese furchtbaren Erinnerungen
sollten uns in der Entschiedenheit stärken, enger zusammenzurücken als Zweige des
gleichen Olivenbaums, die von den gleichen Wurzeln genährt werden und in brüderlicher
Liebe geeint sind. Herr Präsident, ich danke Ihnen für die Herzlichkeit Ihrer Gastfreundschaft,
die ich sehr zu schätzen weiß, und ich möchte festhalten, daß ich in dieses Land als
Freund der Israelis zu Besuch gekommen bin, genauso wie ich auch ein Freund des palästinensischen
Volkes bin. Freunde verbringen gerne ihre Zeit miteinander, und es betrübt sie sehr
zu sehen, wie der andere leidet. Ein Freund der Israelis und der Palästinenser kann
nur traurig sein über die weiter bestehende Spannung zwischen Ihren beiden Völkern.
Ein Freund kann nur weinen angesichts des Leids und des Verlusts von Menschenleben,
die beide Völker in den vergangenen sechs Jahrzehnten erlitten haben. Erlauben Sie
mir, diesen Appell an alle Menschen dieser Länder zu richten: Kein Blutvergießen mehr!
Keine Kämpfe mehr! Kein Terrorismus mehr! Kein Krieg mehr! Laßt uns statt dessen den
Teufelskreis der Gewalt durchbrechen! Laßt bleibenden Frieden herrschen, der auf Gerechtigkeit
gründet, laßt echte Versöhnung und Heilung walten. Es möge allgemein anerkannt werden,
daß der Staat Israel das Recht hat, zu existieren und Frieden und Sicherheit innerhalb
international vereinbarter Grenzen zu genießen. Ebenso möge anerkannt werden, daß
das palästinensische Volk ein Recht auf eine souveräne, unabhängige Heimat, auf ein
Leben in Würde und auf Reisefreiheit hat. Die Zwei-Staaten-Lösung möge Wirklichkeit
werden und nicht ein Traum bleiben. Von diesen Ländern her soll sich der Frieden ausbreiten,
sie sollen als ein „Licht für die Völker“ (Jes 42,6) dienen und den vielen
anderen Regionen, die unter Konflikten leiden, Hoffnung bringen. Einer der traurigsten
Anblicke während meines Besuchs hier war für mich die Mauer. Als ich an ihr vorbeikam,
habe ich für eine Zukunft gebetet, in der die Völker des Heiligen Landes in Frieden
und Eintracht zusammenleben können, ohne solche Instrumente der Sicherheit und der
Trennung zu brauchen, sondern vielmehr in gegenseitiger Achtung und Vertrauen zueinander
sowie unter Verzicht auf alle Formen der Gewalt und Aggression. Herr Präsident, ich
weiß, wie hart es sein wird, dieses Ziel zu erreichen. Ich weiß, wie schwierig Ihre
Aufgabe ist, genau wie jene der palästinensischen Autonomiebehörde. Ich versichere
Sie jedoch meiner Gebete, und die Gebete der Katholiken in aller Welt begleiten Sie
in Ihren weiteren Bemühungen, einen gerechten und dauerhaften Frieden in dieser Region
zu schaffen. So bleibt mir nur, allen von Herzen zu danken, die auf so vielfältige
Weise zu meinem Besuch beigetragen haben. Der Regierung, den Organisatoren, den Freiwilligen,
den Medien, allen, die mich und meine Begleiter gastlich aufgenommen haben, bin ich
zu tiefem Dank verpflichtet. Seien Sie gewiß, daß Sie einen festen Platz in meinen
Gebeten haben. Ihnen allen sage ich: Vielen Dank! Der Herr stehe Ihnen bei. Shalom!