Israels Zeitungen
berichten ausführlich über den ersten Tag des Papstbesuchs in ihrem Land; Fotos auf
den Titelseiten zeigen Benedikt XVI. im Holocaust-Memorial von Yad Vashem. Doch die
Reaktionen auf die Papstrede dort sind verhalten bis rundheraus negativ: Die „Ha`aretz“
titelt „Überlebende verärgert über Benedikts lauwarme Ansprache“. Der Artikel erwähnt,
dass der deutsche Papst in Hitler-Jugend und Wehrmacht war, das aber in Yad Vashem
nicht einmal erwähnt habe. Auch von den Holocaust-Überlebenden, die dem Papst nach
seiner Rede kurz die Hand gaben, hätten einige „gemischte Gefühle“ geäußert. Die
„Ha`aretz“ bringt auf ihrer ersten Seite zwei Kommentare, die an Schärfe kaum zu überbieten
sind. Der erste trägt die Überschrift „Gleichgültigkeit und Banalität einer Rede“
und führt aus, man hätte vom Papst „einen intelligenteren Text erwarten dürfen“. Vielleicht
werde man „in 500 Jahren“ bei einer vatikanischen Archivöffnung verstehen, wie es
zu einer „so gezwungen wirkenden Ansprache“ kommen konnte. Dabei sei doch eigentlich
„nichts einfacher, als echten Horror auszudrücken, wenn man vom Holocaust spricht“.
„Wenn das nicht getan wird, dann, weil da jemand entschieden hat, das nicht zu tun.
Keine Kirchenglocke wäre gesprungen, wenn der Papst etwas über christlichen Antisemitismus
gesagt hätte… Was er über den Holocaust sagte, klang zu kalkuliert, zu diplomatisch
und professionell – er empfahl Mitgefühl, als wäre das eine Art Aspirin.“ Ein weiterer
Kommentar auf Seite eins ist etwas milder: „Er hat zu seinen eigenen Leuten gesprochen“,
heißt der Titel. Die Autorin meint, die Worte des Papstes hätten „noch vor zehn Jahren
als mutige Schritte angesehen werden können“. „Aber heute, nach diesem Vorgänger,
wirkt das wie too little, too late – zu wenig, zu spät.“ Erst auf Seite zwei geht
die Zeitung auf andere Aspekte der Papstreise ein. Der Artikel zum interreligiösen
Treffen ist unaufgeregt; der Titel heißt „Papst verlässt Konferenz, als Moslem Israel
des Mordes bezichtigt“. Wie andere israelische und übrigens auch palästinensische
Medien interpretiert „Ha`aretz“ den Abbruch des interreligiösen Treffens nach Tamimis
Rede als Protest Benedikts gegen die Rede des Scheichs. Eine Karikatur auf Seite vier
zeigt Verteidigungsminister Barak als Papst verkleidet, der entschlossen ein Weihrauchfass
schwenkt; im Hintergrund stehen einige israelische Politiker in der Uniform der Schweizergarde. Im
Vergleich zur „Ha`aretz“ wirkt die „Jerusalem Post“ viel gemäßigter: Ihr Titel
heißt „Papst vermeidet knapp eine Entschuldigung in Yad Vashem“. Der Untertitel gibt
Worte des Tel Aviver Oberrabbiners Meir Lau wieder: „Etwas hat gefehlt – wenn schon
keine Entschuldigung, dann wenigstens ein Ausdruck des Bedauerns.“ Im Artikel heißt
es, die Papstrede sei zwar „mit Bibelzitaten gewürzt, bezog sich aber nie auf die
Nazis und auf alle Streitfragen, die mit dem Holocaust zusammenhängen“. Ein kleinerer
Aufsatz auf Seite eins titelt dann: „Palästinensischer Geistlicher verdirbt päpstlichen
interreligiösen Abend“, und sehr ausführlich und positiv, mit zahlreichen Fotos, berichtet
das Blatt dann auf der zweiten Seite von der Ankunftsrede Benedikts und seinem Treffen
mit Präsident Shimon Peres. Ausführlich wird dann auch an anderer Stelle das Versprechen
des Papstes wiedergegeben, er werde sich für die Freilassung des entführten israelischen
Soldaten Gilad Shalit einsetzen. Ein kleiner Kommentar erwähnt, dass das Papstflugzeug
beim Abflug aus Jordanien mit der Flagge des Vatikans und Israels verziert war: „Das
entsprach zwar dem Protokoll, war aber dennoch ein bemerkenswerter Anblick. Ein islamisches
Flugzeug fliegt den katholischen Pontifex in den jüdischen Staat.“ Die „Post“ bringt
ansonsten einen langen Aufsatz über einen britischen Holocaust-Forscher, der sich
sehr kritisch zum derzeitigen Stand der katholisch-jüdischen Beziehungen äußert: „So
wie die Juden versuchen, einen Zaun um die Tora zu ziehen, zieht der Papst anscheinend
einen Zaun um die Kirche.“ Der Forscher beklagt, dass man mit Richard Williamson „einen
Antisemiten in die Kirche wiederaufgenommen hat. Bei einem Priester, der eine Homo-Ehe
schließt, hätte man das nie gemacht.“ Das Massenblatt „Jedijot Achronot“
spricht von einer „Verpassten Chance des Papstes“. Benedikt habe nicht von „Ermordeten“,
sondern nur von „Getöteten“ gesprochen. Im israelischen Radio und Fernsehen kommen
Überlebende des Holocaust und Experten zu Wort, die sich verwundert oder enttäuscht
über den Papst-Auftritt in Yad Vashem zeigen.
Die palästinensischen Zeitungen
berichten hingegen eher positiv über den ersten Tag Benedikts in Israel und Palästina.
Dabei konzentrieren sie sich vor allem auf den „Eklat“ beim interreligiösen Treffen
im Notre-Dame-Zentrum. „Der Vatikan verurteilt die Blitz-Rede von Scheich Tamimi“,
heißt die Schlagzeile der arabischsprachigen „El-Quds“; der Moslemvertreter
habe zum Dschihad aufgerufen und Jerusalem als „ewige Hauptstadt Palästinas“ bezeichnet,
und zwar in „politischer, nationaler und spiritueller“ Hinsicht, schreibt das Blatt.
„Israelischer Ärger über die Worte Tamimis“ – das ist der Titel eines weiteren Aufsatzes;
er gibt an, dass das Großrabbinat den Dialog mit dem Islam für eine Weile boykottieren
werde. Auch das israelische Tourismusministerium habe in einer Stellungnahme die Brandrede
des Scheichs als inakzeptabel bezeichnet; Tamimi habe dem Einsatz für Frieden einen
Bärendienst erwiesen, indem er Angst und Hass zwischen Israelis und Palästinensern
sowie zwischen Angehörigen der verschiedenen Religionen geschürt habe. Das Blatt hofft,
dass sich der Papst am Dienstag bei seinem Besuch in Betlehem zum „Anwalt für Gerechtigkeit
und Freiheit“ machen wird, und unterstreicht wie auch andere palästinensische Medien
den Ruf Benedikts nach freiem Zutritt aller Gläubigen zu ihren Heiligen Stätten. „El-Quds“
berichtet aber auch über den Auftritt Benediks XVI. in Yad Vashem; der Artikel gibt
die Kritik und Enttäuschung wieder, die Tel Avivs Oberrabbiner Meir Lau zur Rede
des Papstes geäußert hat. „Al-Ayam“ legt hingegen den Akzent darauf, dass
Benedikt Antisemitismus verurteilt und Angehörige aller Religionen zum Dialog aufgerufen
habe; das Blatt zitiert Teile aus der Rede Benedikts am Flughafen, um dann den Kommentar
eines ultrarechten jüdischen Knesset-Abgeordneten wiederzugeben. Dieser ruft zum Boykott
der Visite auf, weil der Papst den Seligsprechungsprozess von Pius XII. vorantreibe.
Mehrere Schas-Politiker seien tatsächlich nicht zur Begegnung mit dem Papst im Präsidentenpalast
gegangen. „Al-Hayat al-dschadida“ titelt: „Papst fordert gerechte Lösung
für Schaffung eines Staates Palästina“. Der Artikel berichtet ausführlich über die
Schließung eines palästinensischen Pressezentrums, das aus israelischer Sicht illegal
eröffnet worden war. Wenn man israelische und palästinensische Zeitungen nebeneinander
hält, wirkt das manchmal wie Berichte aus zwei verschiedenen Welten. Oder von zwei
verschiedenen Papstreisen.