Es ist mir eine große Freude, heute Abend mit
euch in der griechisch-melkitischen Sankt-Georgs-Kathedrale die Vesper zu feiern.
Herzlich begrüße ich Seine Seligkeit Gregorios III. Laham, den griechisch-melkitischen
Patriarchen, der aus Damaskus zu uns gekommen ist, den emeritierten Erzbischof Georges
El-Murr und Seine Exzellenz Yaser Ayyach, den Erzbischof von Petra und Philadelphia;
ihm danke ich für seine freundlichen Worte zum Willkommen, die ich gerne achtungsvoll
erwidere. Ich begrüße auch die Oberhäupter der anderen im Orient präsenten katholischen
Kirchen – Maroniten, Syrer, Armenier und Chaldäer – ebenso wie Erzbischof Benediktos
Tsikoras von der griechisch-orthodoxen Kirche. Ihnen allen wie auch den Priestern,
Ordensschwestern und -brüdern, Seminaristen und gläubigen Laien, die heute Abend hier
versammelt sind, drücke ich meinen aufrichtigen Dank aus, daß ihr mir diese Gelegenheit
gebt, zusammen mit euch zu beten und etwas von dem Reichtum unserer liturgischen Traditionen
zu erleben. Die Kirche selbst ist ein Pilgervolk, und als solches wurde sie im
Laufe der Jahrhunderte von den entscheidenden geschichtlichen Ereignissen und den
vorherrschenden kulturellen Strömungen geprägt. Leider hat es darunter Zeiten theologischer
Auseinandersetzungen oder auch der Unterdrückung gegeben. Andere Epochen waren dagegen
Zeiten der Versöhnung – wodurch die Gemeinschaft der Kirche in wunderbarer Weise gestärkt
wurde – und Perioden reicher kultureller Neubelebung, zu der die Christen des Ostens
wesentlich beigetragen haben. Die Teilkirchen innerhalb der Weltkirche bezeugen die
Dynamik ihrer irdischen Pilgerschaft und offenbaren allen Gläubigen einen Schatz an
geistlichen, liturgischen und kirchlichen Traditionen, die auf Gottes umfassende Güte
verweisen und auf seinen die ganze Geschichte hindurch sichtbaren Willen, alle in
sein göttliches Leben einzubeziehen. Der altehrwürdige lebendige Schatz der Traditionen
der Ostkirchen bereichert die Weltkirche und könnte nie einfach als ein passiv zu
bewahrendes Objekt verstanden werden. Alle Christen sind berufen, dem Auftrag des
Herrn aktiv nachzukommen und andere dahin zu führen, daß sie ihn kennen und lieben
lernen – wie es der heilige Georg der Überlieferung nach in dramatischer Weise getan
hat. Tatsächlich haben die wechselvollen Ereignisse der Geschichte die Mitglieder
der Teilkirchen bestärkt, diese Aufgabe mit Elan zu übernehmen und sich mit Entschiedenheit
den heutigen pastoralen Gegebenheiten zu stellen. Die meisten von euch haben alte
Verbindungen zum Patriarchat von Antiochien, und so sind eure Gemeinschaften hier
im Nahen Osten verwurzelt. Und genau wie vor zweitausend Jahren in Antiochien die
Jünger erstmalig Christen genannt wurden, so werdet auch ihr – kleine Minderheiten
in über diese Länder verstreuten Gemeinden – heute als Gefolgschaft des Herrn erkannt.
Die öffentliche Erscheinung eures christlichen Glaubens ist natürlich nicht auf die
geistliche Sorge umeinander und um euer Volk beschränkt, so wesentlich das auch ist.
Sondern eure zahlreichen Initiativen allgemeiner Nächstenliebe erstrecken sich auf
alle Jordanier – Muslime und Angehörige anderer Religionen – sowie auch auf die große
Anzahl der Flüchtlinge, die dieses Königreich so großzügig aufnimmt. Liebe Brüder
und Schwestern, der erste Psalm (103), den wir an diesem Abend gebetet haben, bietet
uns herrliche Bilder von Gott als dem freigiebigen Schöpfer, der aktiv in seiner Schöpfung
gegenwärtig ist, das Leben mit überströmender Güte und in weiser Ordnung erhält und
stets bereit ist, das Angesicht der Erde zu erneuern. Die Lesung aus dem Epheserbrief,
die wir eben gehört haben, zeichnet dagegen ein anderes Bild. Sie macht uns nicht
in bedrohlicher, sondern in realistischer Weise auf die Notwendigkeit aufmerksam,
wachsam zu bleiben, uns der Mächte des Bösen bewußt zu sein, die es darauf anlegen,
Finsternis in unserer Welt zu verbreiten (vgl. Eph 6,10-20). So manch einer
könnte versucht sein, das als einen Widerspruch anzusehen. Doch wenn wir über unsere
gewöhnliche menschliche Erfahrung nachdenken, sehen wir den geistlichen Kampf und
erkennen die tägliche Notwendigkeit, uns in das Licht Christi hineinzubegeben, das
Leben zu wählen, die Wahrheit zu suchen. In der Tat, diese Bewegung – uns abzuwenden
vom Bösen und uns mit der Kraft des Herrn zu umgürten – vollziehen wir in jeder Taufe,
dem Tor zum christlichen Leben, dem ersten Schritt auf dem Weg der Jünger des Herrn.
In Erinnerung an die Taufe Christi durch Johannes in den Wassern des Jordan betet
die versammelte Gemeinde, daß der Täufling, aus dem Reich der Finsternis befreit,
in den Glanz von Gottes Reich des Lichtes gebracht werde und so die Gabe des neuen
Lebens empfange. Diese dynamische Bewegung aus dem Tod in die Neuheit des Lebens,
aus der Finsternis ins Licht, aus der Verzweiflung in die Hoffnung – diese Dynamik,
die wir während des österlichen Triduums so dramatisch erleben und die mit großer
Freude in der Osterzeit gefeiert wird, sorgt dafür, daß die Kirche selbst jung bleibt.
Sie lebt, weil Christus lebt, wahrhaftig auferstanden ist. Belebt durch die Gegenwart
des Geistes, streckt sie Tag um Tag ihre Hand aus und zieht Menschen hin zum lebendigen
Herrn. Liebe Bischöfe, Priester und Ordensleute, liebe gläubige Laien, unsere jeweiligen
Rollen des Dienstes und der Mission innerhalb der Kirche sind die unermüdliche Antwort
eines Pilgervolkes. Eure Liturgien, die kirchliche Ordnung und das geistliche Erbe
sind ein lebendiges Zeugnis für die Entfaltung eurer Tradition. Ihr verstärkt das
Echo der ersten Verkündigung des Evangeliums, ihr verleiht den alten Erinnerungen
an die Taten des Herrn neue Frische, ihr laßt seine heilbringenden Gnaden gegenwärtig
werden und ihr verbreitet erneut den ersten Schimmer des österlichen Lichtes und die
zuckenden Flammen von Pfingsten. Auf diese Weise ziehen wir nach dem Beispiel Christi
und der alttestamentlichen Patriarchen und Propheten aus, um die Menschen aus der
Wüste zum Ort des Lebens zu führen, zum Herrn, der uns Leben in Fülle schenkt. Das
kennzeichnet euer ganzes apostolisches Wirken, dessen Vielfalt und Qualität hoch geschätzt
ist. Von Kindergärten bis zu höheren Bildungsanstalten, von Waisenhäusern bis zu Altenheimen,
von der Arbeit mit Flüchtlingen bis zur Musikakademie, zu medizinischen Kliniken und
Krankenhäusern, zum interreligiösem Dialog und zu Kulturinitiativen – überall ist
eure Gegenwart in dieser Gesellschaft ein wunderbares Zeichen der Hoffnung, die uns
als Christen auszeichnet. Diese Hoffnung reicht weit hinaus über die Grenzen unserer
eigenen christlichen Gemeinden. So oft entdeckt ihr, daß die Familien anderer Religionen,
mit denen ihr zusammenarbeitet und euren Dienst der universalen Nächstenliebe tut,
Sorgen und Nöte haben, die religiöse und kulturelle Grenzen überschreiten. Das wird
besonders deutlich in bezug auf die Hoffnungen und Bestrebungen von Eltern für ihre
Kinder. Welche Eltern oder welcher Mensch guten Willens könnte nicht besorgt sein
wegen der negativen, in unserer globalisierten Welt so sehr um sich greifenden Einflüsse,
einschließlich der destruktiven Elemente in der Unterhaltungsindustrie, welche die
Unschuld und die Sensibilität der schwachen und jungen Menschen so gewissenlos ausnutzt?
Doch wenn ihr eure Augen fest auf Christus richtet, auf das Licht, das alles Übel
vertreibt, die verlorene Unschuld zurückgibt und irdischen Stolz erniedrigt, werdet
ihr eine großartige Vision der Hoffnung aufrechterhalten für alle, denen ihr begegnet
und denen ihr dient. Ich darf schließen mit einem speziellen Wort der Ermutigung
an diejenigen unter den Anwesenden, die sich auf das Priestertum und das Ordensleben
vorbereiten. Geführt von dem Licht des auferstandenen Herrn, entflammt von seiner
Hoffnung und bekleidet mit seiner Wahrheit und Liebe, wird euer Zeugnis denen, die
ihr auf dem Wege trefft, reichen Segen bringen. Tatsächlich gilt dasselbe für alle
jungen jordanischen Christen: fürchtet euch nicht, euren eigenen weisen, wohl abgewogenen
und respektvollen Beitrag zum öffentlichen Leben des Königreiches zu leisten. Die
authentische Stimme des Glaubens wird immer Redlichkeit, Gerechtigkeit, Mitgefühl
und Frieden bringen! Liebe Freunde, mit dem Ausdruck großer Achtung euch allen
gegenüber, die ihr an diesem Abend mit mir zum Gottesdienst versammelt seid, danke
ich euch nochmals für euer Gebet für meinen Dienst als Nachfolger Petri und versichere
euch und alle, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, eines Gedenkens in meinem persönlichen
täglichen Gebet. (Offizielle Übersetzung des Heiligen Stuhles) (rv 09.05.2009 gs)