Papst Benedikt XVI.
hat an diesem Dienstag das Erdbebengebiet in den mittelitalienischen Abruzzen besucht.
Er versicherte den Opfern die Anteilnahme und Solidarität der Kirche und appellierte
an Institutionen und Unternehmen, zum Wiederaufbau der Region beizutragen. Die verheerenden
Erdstöße vom 6. April hatten insgesamt 296 Menschenleben gefordert. Rund 1.500 Menschen
wurden verletzt und mehr als 55.000 Personen obdachlos. Wegen starken Regens und Wind
legte er die rund 90 Kilometer von Rom aus mit dem Auto und nicht wie geplant mit
dem Hubschrauber zurück. Onna Um 10 Uhr 30,
eine Stunde später als geplant, traf das Kirchenoberhaupt in der Zeltstadt von Onna
ein. Das zu 90 Prozent zerstörte Dorf ist zum Symbol für die getroffene Gegend geworden,
40 der rund 280 Einwohner starben. Behutsam, abtastend machte Benedikt die ersten
Schritte in Richtung der wartenden Menschen. Beherzt ergriff er schließlich die Hände
einiger Helfer und Mitarbeiter des Zivilschutzes und ließ sich dann vom Pfarrer Onnas
zu den Einwohnern und durch die Zeltstadt führen. Nicht kraftvoll, sondern voll Mitgefühl
trat Benedikt XVI. in der Menge vor das Mikrofon: „Ich habe die Nachrichten
mit Sorge verfolgt. Ich teile eure Bestürzung und eure Tränen um die Toten, ebenso
wie eure bange Frage, wie viel ihr in einem Augenblick verloren habt. Jetzt bin ich
hier bei euch. Ich möchte euch voll Zuneigung umarmen, einen nach dem anderen. Die
ganze Kirche steht mit mir hier, ist euren Leiden nahe, teilt mit euch den Schmerz
um den Verlust von Angehörigen und Freunden und will euch helfen, Häuser, Kirchen
und Betriebe wieder aufzubauen…. Ich habe den Mut, die Würde und den Glauben bewundert,
mit dem ihr diese harte Prüfung auf euch genommen habt. Es war nicht das erste Erdbeben
in eurer Region, und wie in der Vergangenheit habt ihr nicht aufgegeben, habt den
Mut nicht verloren…. Mein Besuch bei euch soll ein greifbares Zeichen sein, dass der
gekreuzigte Herr auferstanden ist und euch nicht verlässt; er lässt eure Fragen nach
der Zukunft nicht unerhört, er ist nicht taub gegenüber dem besorgten Schrei vieler
Familien, die alles verloren haben.“ Keine Tribüne, kein Teppich trennte den
Papst von den Menschen. Das weiße Papstgewand stach aus dunklen Regenjacken und gelben
Sicherheitswesten hervor, Privatsekretär Georg Gänswein versuchte den Papst vor dem
Regen zu schützen, doch der scheute weder das Wetter noch den direkten Kontakt mit
Menschen in der Zeltstadt. Er segnete Kinder, umschloss wortlos die Hände trauernder
junger Frauen und gehbehinderter Greise. Beim Gebet für die Toten und dem abschließenden
Segen für die Überlebenden stahl sich die Sonne durch die Wolken. „Danke für euren
Mut, euren Glauben und eure Hoffnung“, sagt Benedikt da und geht weiter - ohne Rücksicht
auf Sicherheitspersonal und vorher minutiös festgelegten Zeitplan - von Kindern zu
Großeltern, von Frauen zu Männern. Bewegende Bilder, bewegte Menschen: „Das
ist wunderschön. Der Besuch ist einfach schön, ist eine innere Kraft und sagt ,L’Aquila,
geh weiter, schau nach vorn’. Er hat Mut gemacht, das Leben geht weiter. – Was sollen
wir tun? Wir sind in den Händen des Herrn. Wir hoffen natürlich, dass die Behörden
uns helfen und dass auch der Papst dazu drängt, dass uns geholfen wird. – Der Papst
hat magnetische Anziehungskraft. Wo er auch hinkommt, verbreitet er Enthusiasmus und
vor allem Hoffnung. – Diese Nähe ist es, die berührt, diese unendliche Menschlichkeit
und die Tatsache, dass er den großen Schmerz mit uns teilt.“
Basilika
von Collemaggio Am Rand der Regionshauptstadt L’Aquila besuchte das Kirchenoberhaupt
die romanische Basilika Santa Maria di Collemaggio. Die berühmte Kirche aus dem 13.
Jahrhundert wurde vom Erdbeben schwer beschädigt, große Teile des Chors und Teile
des Seitenschiffs stürzten ein. Der Schrein mit den Überresten des heiligen Papstes
Coelestin V. (1210-1296) konnte wenige Tage nach den Erdstößen unversehrt aus den
Trümmern geborgen werden. Benedikt XVI. betrat das Gotteshaus aus dem 13. Jahrhundert
durch die Heilige Pforte für den jährlichen Ablass - Höhepunkt des Glaubenslebens
in den Abruzzen. An der Urne Coelestins legte er ein Pallium als Zeichen der Verbundenheit
nieder, verharrte einige Augenblicke im stillen Gebet und segnete die verantwortlichen
Priester und Sicherheitsleute der Basilika. Begegnung
mit Studenten Der anschließende kurze Aufenthalt am eingestürzten Studentenheim
von L’Aquila lebte von der Begegnung mit einer Gruppe Studierenden. Benedikt XVI.
sprach einzeln mit einem Dutzend junger Männer und Frauen. Unter den Trümmern des
Betonbaus waren acht junge Menschen gestorben. Den Überlebenden der Erdstöße vom 6.
April werden der interessierte, wache Blick und das warme, zukunftsweisende Lächeln
des Papstes in Erinnerung bleiben - ohne Blick auf die Uhr, die Wolken und das Sicherheitspersonal.
Vor den weiterhin unbewohnbaren Häusern lauschte Benedikt statt dessen einem Feuerwehrmann
und dankte ihm stellvertretend für den noch lange nötigen Einsatz der Hilfskräfte.
Der
Studentenseelsorger Luigi Epicoco berichtet aus der Erdbebennacht: „Diese Nacht
war schrecklich, jeder hat versucht zu fliehen. Doch das Schöne war, dass die Menschen
den Instinkt der Solidarität bewahrt haben. Die Studenten suchten einander gegenseitig,
hatten, obwohl ja die Beben weitergingen, keine Angst, zurück in die Stadt zu gehen.
Sie suchten ihre Freunde und wühlten mit bloßen Händen in den Trümmern, haben zwei
Kinder unter deren toten Eltern lebend geborgen. Hier herrschte Aufregung und Chaos,
und doch habe ich dieses Verantwortungsbewusstsein erlebt. Ich denke, dass diese jungen
Menschen in einer Nacht um dreißig Jahre gereift sind.“ Zuspruch
an Bürgermeister, Priester und Menschen in Zeltstädten Vor den Toren der
rund 70.000 Einwohner zählenden Stadt L'Aquila sprach der Papst gegen Mittag mit den
Pfarrern und Bürgermeistern der vom Erdbeben betroffenen Orte. In einer Kaserne der
Guardia di Finanza wechselte er mit jedem einzelnen einige Worte. Draußen auf dem
Exerzierplatz hatten sich rund 2000 Menschen versammelt, stellvertretend für die rund
55.000 Menschen, die nach dem Erdbeben obdachlos geworden sind und die mehreren Tausend
Hilfskräfte von Heer, Zivilschutz und Feuerwehr. Nach einigen hundert Metern im offenen
Militärjeep steht das Kirchenoberhaupt anders als in Onna hier auf einer Tribüne.
Mit Holzthron, Kerzen und Holzkreuz haben die Organisatoren des Papstbesuchs einen
Altar improvisiert, die geladenen Gäste sitzen vor ihm, Zaungäste aus der Region drängen
sich am Rand. Alle, die nach den verheerenden Erdstößen Hand bei der Soforthilfe
anlegten, beim Namen zu nennen, sei schwierig, so Benedikt XVI., doch an jeden Einzelnen
wolle er ein besonderes Wort der Wertschätzung richten.„Danke für alles, was
ihr getan habt. Danke vor allem für die Liebe, mit der ihr es getan habt. Danke für
das Beispiel, das ihr gegeben habt. Geht vereint und gut aufeinander abgestimmt voran,
damit es baldmöglichst wirksame Lösungen für die Menschen gibt, die jetzt in Zeltstädten
wohnen. Das wünsche ich von ganzem Herzen und dafür bete ich.“ Benedikt ließ
seinen Vormittag in der Region Revue passieren und versicherte, er trage alle Opfer
dieser Katastrophe im Herzen. „Während ich durch die Straßen der Stadt gefahren
bin, habe ich noch mehr begriffen, wie schwer die Konsequenzen des Erdbebens gewesen
sind.“ Die Kaserne in L’Aquilas Ortsteil Coppito wird Schauplatz des nächsten
G8-Gipfels sein, hier zelebrierte der Kardinalstaatssekretär am Karfreitag das Requiem
für die Erdbebentoten. Die Überlebenden sind dankbar für die Papstworte, doch wischen
sie in Erinnerung an die Ereignisse und die Probleme, die noch bevorstehen, wieder
Tränen aus den Augen. Stille liegt über dem Platz. „Nun bin ich hier auf diesem
Platz, an dem die Schule der Finanzpolizei liegt, die von Beginn an das Hauptquartier
war, an dem die Hilfsmaßnahmen koordiniert wurden. Dieser Ort ist vom Gebet und von
den Tränen um die Opfer geweiht. Er ist das Symbol für euren beharrlichen Willen,
nicht den Mut zu verlieren.“ Benedikt XVI. erinnerte an die zahlreichen Hilfs-
und Solidaritätsaufrufe und berichtete von Zuschriften und Spenden auch orthodoxer
Kirchenführer. Solidarität, die sich in diesen Krisenzeiten zeige, sei wie Feuer,
das unter der Asche verborgen war. „Solidarität ist ein höchst ziviles und christliches
Gefühl und zeigt die Reife einer Gesellschaft.“ In den vergangenen Wochen waren
erhebliche Mängel an mehreren Bauten in der Erdbebenregion festgestellt worden. Anti-Mafia-Beauftragte
überwachen jetzt den Wiederaufbau. Papst Benedikt nannte die Proteste nicht beim Namen,
appellierte jedoch an die Verantwortung von Gesellschaft und Institutionen. „Die
Zivilgesellschaft muss sich einer ernsthaften Gewissensprüfung unterziehen, damit
die Verantwortung in keinem Moment nachlasse. Unter dieser Bedingung wird L’Aquila
- zu deutsch: der Adler - auch wenn er verwundet ist, wieder fliegen können.“ Die
Holzstatue der Madonna di Monte Roio war zum Besuch des Papstes aus einer Wallfahrtskirche
der Region vor die Kaserne gebracht worden; Johannes Paul II. hatte bei seinem Abruzzenbesuch
1980 in der Kirche gebetet; Benedikt XVI. schenkte der Marienfigur eine Goldene Rose.
Diese besondere päpstliche Auszeichnung, auch Tugendrose genannt, gibt es seit rund
1000 Jahren, Benedikt verlieh sie zuletzt einigen Wallfahrtsorten, unter anderem Altötting.
Zivile Opfer und Militärangehörige sangen gemeinsam das Regina Coeli, noch eine
gute halbe Stunde später dankte der Papst Bürgermeistern und Hilfspersonal mit beiden
Händen und umarmte trauernde Überlebende. Benedikt XVI. hatte in den vergangenen Wochen
wiederholt für die Opfer gebetet und den Überlebenden seinen Beistand versichert.
Für die Begräbnisfeierlichkeiten am Karfreitag hatte das Kirchenoberhaupt die Sondergenehmigung
für eine Messfeier erteilt, sein Privatsekretär Georg Gänswein verlas in L’Aquila
eine persönliche Grußbotschaft. (rv 28.04.2009 bp)