Italien/Deutschland: „Böse Geschichte in gute Erfahrung verwandeln“
Benedikt XVI. reist
am Dienstag zu einem Treffen mit Erdbebenopfern in die Abruzzen. Seine erste Station
ist der Symbolort des betroffenen Gebiets: Onna, ein Vorort der Regionshauptstadt
L’Aquila. Das Dorf wurde zu 90 Prozent zerstört, 45 von circa 280 Einwohnern wurden
getötet. Der deutsche Papst trifft dort auf eine besondere Geschichte: Im Juni 1944
hatte die Wehrmacht im Zuge des Rückzugs in Onna 17 unschuldige Zivilisten erschossen.
Deutschland will daher seine Wiederaufbauhilfe für die Erdbebenregion auf Onna konzentrieren.
„Wenn
Sie mit den Menschen vor Ort gesprochen haben, dann können Sie vielleicht etwas erreichen,
was man nur ganz selten erreichen kann: Man kann böse Geschichte in eine gute Erfahrung
verwandeln.“ Das sagte der deutsche Botschafter in Italien, Michael Steiner, gegenüber
Radio Vatikan. „Dieses Ereignis ist in Onna und in den ganzen Abruzzen
im kollektiven Gedächtnis haften geblieben. Das bedeuet, dass Onna zum zweiten Mal
von einem tragischen Schlag getroffen worden ist. Wir finden, das gibt uns Deutschen
eine spezifische Verantwortung, gerade hier zu helfen und unsere Hilfe auf diesen
Ort zu konzentrieren.“
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi
hatte Hilfe aus dem Ausland zunächst abgelehnt, doch die Menschen in den Abruzzen
und im ganzen Land nehmen die Solidarität und diese konkrete Initiative dankbar auf,
berichtet Steiner nach ersten Besuchen in der Region. „Ich muss sagen, die Reaktion
auf die deutsche Bereitschaft, sich auf diesen Ort zu konzentrieren, war fast Herz
zerreißend. Die Menschen haben ein solches Vertrauen uns gegenüber, auch eine – vielleicht
zu große – Erwartung, dass man hier einfach helfen muss.“
Die verheerenden
Erdstöße vom 6. April forderten in den Abruzzen insgesamt 296 Menschenleben. Rund
1.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 55.000 Personen obdachlos. Gerade von
Onna gingen Bilder in die Welt, die an einen Bombenanschlag erinnerten. Steiner versichert:
„Ich
habe im ehemaligen Jugoslawien vieles gesehen, in Kroatien, in Bosnien, im Kosovo...
Aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Da ist alles zusammengebrochen.“
In
dem Ort kennt jeder jeden, jede Familie trauert um tote Angehörige.
„Sie
können sich vorstellen, was das in den Köpfen und Herzen der Menschen anrichtet. Sie
leben jetzt in Zeltstädten am Rande des Ortes und sind natürlich immer noch unter
Schock. Aber ich muss sagen, diesen Menschen gilt mein tiefer Respekt, denn sie nehmen
diesen Schicksalsschlag – und es ist der zweite für manche, die das 1944 miterlebt
haben; da gibt es noch einige Überlebende – mit einer großen Würde.“
Zwar
könne Deutschland nicht den Ort wieder aufbauen, was überdies Jahre dauern wird, wolle
aber mittelfristig einen Beitrag leisten. Die Nothilfe wird weiter vom italienischen
Zivilschutz übernommen.
„Bundesaußenminister Steinmeier hat mit seinem italienischen
Kollegen gesprochen, dabei gesagt, wir werden uns auf die Kirche konzentrieren, aber
es ist auch Hilfe beim Wiederaufbau der Privathäuser notwendig. Die Caritas Deutschland
hat uns schon mitgeteilt, dass sie über die Schwesterorganisationen in Italien mitwirken
will. Wenn es uns gelingt, dass wir auch Private gewinnen, Institutionen gewinnen,
die uns mithelfen, dann können wir hier eine ganze Menge erreichen.“
Die
Deutsche Botschaft in Italien hat Spendenkonten eingerichtet, doch Steiner appelliert
besonders an die deutsche Wirtschaft, die in Italien präsent ist. Deutschland wolle
Italien nichts aufdoktruieren, jede Maßnahme soll zwischen der Bevölkerung, den Behörden
und der deutschen Botschaft abgestimmt werden.
„Der Bürgermeister von L’Aquila....,
der verliert sein Haus, sein Bürgermeisteramt in dieser Stadt mit rund 70.000 Einwohnern
und hat nichts mehr. Alles was ihm geblieben ist, ist sein Dienstwagen und ein Anzug.
Auch der sagte mir, er sei ganz begeistert über unser Projekt, denn es komme in einer
solchen Lage nicht nur auf die materielle Hilfe an. Es komme auch auf die spirituelle
Hilfe und darüber hinaus auf die psychologische Hilfe an. Er sagte mir, was die Menschen
in diesen Gebieten jetzt brauchen, – und natürlich gilt das insbesondere für Onna
– ist ein Zeichen der Hoffnung.“
Den Besuch des Papstes werden die Betroffenen
in der Erdbebenregion als Zeichen echter Solidarität werten, meint Steiner.
Geplant
sind neben Onna Stationen beim eingestürzten Studentenwohnheim in L’Aquila, dem Schauplatz
einer der größten Tragödien, und bei der zerstörten romanischen Basilika Santa Maria
di Collemaggio. Vor der Toren der Regionshauptstadt wird Benedikt auf dem Vorplatz
einer Kaserne den Bürgermeistern und Pfarrern der vom Erdbeben betroffenen Orte begegnen
und eine Ansprache an die Bürger und Hilfskräfte halten.