2009-04-24 15:34:41

„Pro Reli“: Für ein multireligiöses Berlin


RealAudioMP3 Was derzeit in Berlin geschieht, als „Kulturkampf“ zu bezeichnen, geht vielleicht noch etwas zu weit, doch in der Debatte um die Wahlfreiheit zwischen den Schulfächern Ethik und Religion ist ein echter Wahlkampf ausgebrochen. Berlin: Hauptstadt des Atheismus oder multireligiöse Großstadt?

Am Sonntag sind die Berliner aufgerufen, in einem Volksentscheid über die Einführung eines Wahlpflichtbereiches Ethik/Religion an den Schulen abzustimmen. Seit 2006 wird auf Betreiben des rot-roten Senats das Pflichtfach Ethik ab der siebten Klasse unterrichtet, Religionsunterricht kann zusätzlich freiwillig besucht werden. Bei einem Erfolg der Initiative „Pro Reli“, die von den großen Kirchen, dem Zentralrat der Juden und Muslimverbänden unterstützt wird, würden Schüler künftig zwischen Ethik und Religion wählen. Birgit Pottler berichtet:

„Freie Wahl“ prangt weiß auf roten Plakaten, dagegen laufen Anzeigenkampagnen, Politiker und Prominente debattieren seit Monaten über Pro und Contra. Die Hauptstadt, ihre Parteien und Gruppierungen sind gespalten.

Die beiden großen Kirchen in Berlin haben dazu aufgerufen, am Sonntag beim Volksentscheid über den Religionsunterricht mit „Ja“ zu stimmen. Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky und der Berliner evangelische Bischof Wolfgang Huber postierten mit meterhohen Buchstaben vor dem Brandenburger Tor und gaben sich bildhaft das JA-Wort.
Auch viele Eltern, die ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht schickten, glaubten, dass es eine Wahl zwischen den Fächern Religion und Ethik geben müsse, betonte Sterzinsky in einer gemeinsamen Pressekonferenz vor dem Volksentscheid. Mit Blick auf eine Äußerung des Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, er wolle die Kirchen als Partner nicht verlieren, erklärte der Kardinal: „Wenn die Kirchen Partner sein sollen, müssen sie es auf gleicher Augenhöhe sein.“ Seit 15 Jahren bemühen sich die Kirchen und ihre Bischöfe darum, dass Religion ordentliches Lehrfach wird.
Stefan Förner, Pressesprecher des Erzbistums Berlin, ergänzt im Gespräch mit dem Domradio:
„Die evangelische Kirche hat dies in ihrem Staatsvertrag mit dem Land Berlin ausdrücklich als abweichende Position festgehalten. Die katholische Kirche hat aus diesem Grund keinen Staatsvertrag mit dem Land Berlin geschlossen, weil sie gesagt haben, das muss erst geklärt werden. Wir wollen den Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach in einer Fächergruppe, in der man zwischen unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen wählen kann, verankert wissen. Dann können wir auch auf dieser Ebene Partner des Landes und der Politik sein.“
Der evangelische Bischof Wolfgang Huber hob hervor, der Respekt vor den Schülern gebiete es, dass der Religionsunterricht fair und gleichberechtigt behandelt werde. Der Hinweis des Senats, die Schüler könnten den Religionsunterricht ab der siebten Klasse zusätzlich zum Ethikunterricht wählen, verkenne die reale Situation an den Schulen, die schon so mit viel zu vollen Stundenplänen kämpften. Religion als ordentliches Lehrfach sei ein „zukunftsweisendes Modell“ und für die multikulturelle Stadt Berlin der richtige Weg, sagte Huber. Die Kampagne von „Pro Reli“ habe gezeigt, dass Religion in Berlin ein öffentliches Thema ist.
SPD, Linkspartei und die Grünen unterstützen zu großen Teilen die regierungsnahe Initiative „Pro Ethik“. Ethikunterricht soll ihrer Meinung nach verbindlich bleiben, damit alle Kinder eine gemeinsame Wertebasis vermittelt bekommen.

Auch Ethikbefürworter hätten gute Gründe, meint Bistumssprecher Förner.
„Sie sagen, wir müssen alle Kinder in einem Fach Ethik zusammenfassen, dass sie dort über unterschiedliche Begründungen ihrer Ethik, über unterschiedlich Gebräuche und Glaubensüberzeugungen miteinander ins Gespräch kommen.“
Das sei wichtig, aber: „Um überhaupt in Dialog treten zu können, muss jemand sprechen können. Das heißt, er muss über seine eigene Religion, seine religiösen Erfahrungen, seine Befindlichkeiten, über die Geschichte und womöglich auch über das, was kritisch an der eigenen Religion gesehen wird, sprachfähig sein. Er muss erst selbst diese Kompetenz erwerben. Deshalb soll es den Religionsunterricht nach Konfessionen getrennt geben. Das heißt jeder wird in seiner Konfession beziehungsweise der Konfession, die er gewählt hat – Freie Wahl ist ja das Motto – unterrichtet und kann dann mit all denen in Dialog treten, die einen anderen Hintergrund haben.“

Heftiger Streit war diese Woche nach Zeitungsanzeigen des Senats gegen „Pro Reli“ ausgebrochen. „Ethik für alle - Religion freiwillig“ war deren Titel. Der Vorsitzende der Initiative „Pro Reli“, Christoph Lehmann, bezeichnete die am Montag abgedruckten Anzeigen als „politischen Skandal“ und „schweren Rechtsverstoß“. Es sei juristisch nicht zulässig, Steuermittel für eine eigene Kampagne zu verwenden. Weitere Anzeigen sind jetzt verboten. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am Donnerstag Abend. Es gab damit einem Antrag der Initiative statt und änderte den Beschluss vom Verwaltungsgericht Berlin vom selben Tag. Der Senat hatte angegeben, am diesem Freitag weitere Anzeigen schalten zu wollen.

Ist Religionsunterricht intolerant? Oder macht er Schülerinnen und Schüler dazu? Wie hält er es mit der Sexualität? In einem Videospot im Internetangebot von „Pro Reli“ geht diese Frage unter anderem an Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit: „Das will ich nicht sagen, und das wird hoffentlich auch nicht der Fall sein. Aber wir wissen, dass es bei bestimmten Religionen entweder ein Tabuthema ist oder tatsächlich auch offen verfolgt wird, und dementsprechend muss man sich damit auch auseinandersetzen.“ Schüler berichten von der Vielfalt des Religionsunterrichts. Es kommt viel auf den Lehrer an, sagen sie und: Reli leistet einen wichtigen Beitrag zur Toleranz in der Gesellschaft überhaupt.


Auch deshalb unterstützt die jüdische Gemeinde die „Freie Wahl“ zwischen Ethik und Religion. Rabbinerin Gesa Edenberg: „Ich bin für die freie Wahl zwischen Ethik und Religion, weil nur ein eigener Standpunkt, der gelernt ist, der diskutiert ist und verstanden ist, die Grundlage ist für Toleranz und Gemeinschaft in dieser Stadt, für ein wirklich vielfältiges und vielfarbiges Berlin. Dafür sollten wir uns am Sonntag alle einsetzen.“


Damit das Schulgesetz geändert wird, müssen beim Volksentscheid am Sonntag rund 610.000 Berliner mit Ja Stimmen, das entspricht rund einem Viertel aller stimmberechtigten Berliner. Wird die Frage der Wahlfreiheit zwischen Ethik und Religion zum Gradmesser, wie mobil die Kirchen noch machen können? Bistumssprecher Förner:
„Es gibt wohl eine knappe Mehrheit in der Bevölkerung für das Modell von Pro Reli. Entscheidend wird sein, wie viele man mobilisieren kann, wie viele von denen, die diese oder jene Meinung haben, dann auch tatsächlich zur Wahl gehen. Zum Vergleich: 25 Prozent der Wahlberechtigten, das ist eine Zustimmung, die hat der Regierende Bürgermeister nicht hinter sich. Wenn man die Stimmen von SPD und Linkspartei bei der letzten Wahl zusammenzählt, kommt man nicht auf diese rund 610.000 Stimmen. Es ist also schon sehr schwierig, zu sagen, dass Pro Reli diese Zahl erreichen soll. Ich bleibe optimistisch, das ist meine persönliche Hochrechnung. Am Sonntag Abend werden wir das Ergebnis auswerten.“
 
(rv/dr/pm 24.04.2009 bp)







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