2009-04-22 11:33:32

Naher Osten: „Exodus der Christen ist eine Katastrophe“


RealAudioMP3 Der Exodus der Christen aus einzelnen Ländern des Nahen Ostens ist eine „unglaubliche Katastrophe“ für die gesamte Region. Das sagt der Salzburger Kirchenhistoriker und Patristiker Dietmar Winkler. Vor allem die Lage der Christen im Irak gebe weiter Anlass zu großer Sorge, sagte Winkler am Dienstag in Wien. So spielten die Christen im Irak wie auch in anderen Ländern des Nahen Ostens eine zentrale Vermittlerrolle selbst zwischen rivalisierenden muslimischen Gruppierungen. Der interreligiöse Dialog der Region basiere zum großen Teil auf dem Engagement der Christen, so Winkler im Gespräch mit der Nachrichtenagentur „Kathpress“. Außerdem stelle auch der christliche „brain drain“ - die Abwanderung gut ausgebildeter Christen aus dem Nahen Osten - ein Problem dar. Die Fluchtbewegungen bedeuten einen „Aderlass an Intelligenz und Professionalität“, so Winkler, da die Christen zum großen Teil besser ausgebildet sind als die Muslime. Greifbar würden die damit zusammenhängenden Probleme etwa an der christlich-maronitischen Heilig-Geist-Universität Kaslik in der libanesischen Hauptstadt Beirut - oder an der traditionsreichen Sankt-Joseph-Universität der Jesuiten, ebenfalls in Beirut. Wenn diese Universitäten geschlossen werden müssten, würde dies auch die vielen Muslime treffen, die dort studieren, so Winkler.

In der Türkei, in der nur die griechisch-orthodoxe Kirche und die armenisch-apostolische Kirche offiziell anerkannt sind, stelle der Umgang mit den christlichen Minderheiten einen Testfall für die EU-Tauglichkeit dar. Es sei „völlig unverständlich“, so Winkler, warum die Türkei den „Aspekt der Multireligiosität nicht positiver bewertet“ und etwa das Ökumenische Patriarchat rechtlich anerkennt. Hier habe die Türkei „sicherlich noch Hausaufgaben zu erfüllen, wenn sie näher an Europa heranrücken möchte“, so Winkler. „Durchaus positiv“ beurteilt Winkler in diesem Zusammenhang den Besuch von US-Präsident Barack Obama in der Türkei. Auch wenn die Türkei bislang weitere offizielle Zeichen etwa in Richtung einer Wiedereröffnung des theologischen Seminars auf Chalki schuldig bleibe, gebe es doch auf inoffizieller Ebene vielversprechende Kontakte etwa zwischen Armenien und der Türkei.

Theologisch könne die westliche Theologie vom orientalischen Christentum durchaus vieles lernen, ist sich der Professor sicher. „Bei uns hat sich mit der Verbindung von biblischem Glauben und griechischer Philosophie und Hellenismus eine ganz spezifische Form des theologischen Denkens durchgesetzt, die man in der östlichen Theologie so nicht kennt“, so Winkler. Vor allem die theologische Adaption des Neuplatonismus habe in der Christologie zu einer Symbiose von Glaube und Vernunftdenken geführt, die von der östlichen Tradition her kritisch befragt werden könne. Die östliche Theologie betreibe Christologie stärker „von unten, vom Menschen Jesus her“, während die lateinische Tradition Christus „von oben, vom logos her“ denke.

Dietmar Winkler ist seit 2004 als einziger Laientheologe Mitglied der offiziellen Dialogkommission der katholischen Kirche und der altorientalischen Kirchen (die sich nach dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451 von der allgemeinen Kirche getrennt hatten). Darüber hinaus ist er Konsultor (Berater) des vatikanischen Einheitsrates.

(kap 22.04.2009 sk)








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