Der Jesuitenpater Wendelin Köster begleitet im deutschsprachigen Programm von Radio
Vatikan durch die Fastenzeit 2009. Der 69-Jährige stammt aus dem Emsland, war zunächst
Jugendseelsorger, dann Leiter des Priesterseminars in Frankfurt/St. Georgen und anschließend
mehr als zehn Jahre lang deutschsprachiger Berater des Generaloberen der Jesuiten
in Rom. Vor kurzem wurde er zum Spiritual des Priesterseminars in Limburg berufen.
Zweimal pro Woche hören und lesen Sie hier seine Radioexerzitien. (rv)
Für
Karfreitag (10.04.)
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Der Karfreitag steht
ganz im Zeichen der Johannespassion. Die jetzige Betrachtung der Radio-Exerzitien
möchte Ihnen helfen, mit Aufmerksamkeit und innerer Anteilnahme das Geschehen zu verfolgen,
geistig dabei zu sein, wachend und betend.
Auf dem Ölberg, im Dunkel
der Nacht, fällt Jesus in die Hände seiner Feinde; am Mittag danach, auf dem Hügel
Golgatha, wird seine Hinrichtung vollzogen. Es ist die Stunde, in der man im Tempel
die Osterlämmer schlachtet.
Die Schilderung der Gefangennahme ist eindrucksvoll.
Jesus fällt dem Suchtrupp nicht in die Hände; er kommt auf die Bewaffneten zu, er
tritt ihnen entgegen und gibt sich zu erkennen. Sein Ich bin es wirft sie um.
Sie prallen an ihm ab und fallen zu Boden. Der Judaskuss ist nicht nötig. Jesus lässt
sich gefangen nehmen. Auf sein Wort hin können seine Jünger unbehelligt abziehen.
Petrus zückt das Schwert und trifft Malchus, den Knecht des Hohenpriesters. Die Attacke,
so lächerlich sie auch ist, hätte zu einem Handgemenge führen können. Aber Jesus weist
Petrus zurecht Es bricht keine Gewalttätigkeit aus.
Den Rest der Nacht wird
Jesus von der jüdischen Obrigkeit verhört. Was beim amtierenden Hohenpriester Kajaphas
geschieht, wird übergangen. Dafür bringt man Jesus zu dessen Schwiegervater Hannas.
Der war in seiner Amtszeit so mächtig, und das heißt auch so reich, dass er alle seine
fünf Söhne und noch seinen Schwiegersohn auf die Posten von Hohenpriestern bringen
konnte. In Hannas tritt also das Haupt einer Priesterdynastie in Erscheinung, die
noch immer sehr einflussreich ist und ihren Einfluss beim römischen Kaiser nicht verlieren
will. Jesus ist für sie eine tödliche Gefahr. Hannas hatte es erkannt und gesagt:
Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk stirbt (Jo 18,14).
Kurz
nach Sonnenaufgang wird Jesus an Pontius Pilatus, den römischen Statthalter, übergeben,
der im Prätorium seines Amtes waltet. Alle Juden wissen, dass dieser Pilatus ein Judenhasser
ist. Im Laufe seiner nun fünfjährigen Amtszeit hatte er die Juden mehrmals bis aufs
Blut provoziert. Die Hohenpriester und Ältesten hatten sich darüber beim Kaiser in
Rom beschwert und waren mit ihren Beschwerden teilweise erfolgreich gewesen. Pilatus
musste zurückstecken. Er war also angeschlagen. Der Wortwechsel zwischen ihnen und
dem Statthalter vor dem Prätorium zeigt, wie gereizt die Stimmung ist. Wird es ihnen
gelingen, Pilatus vor ihren Karren zu spannen?
Schon der Anfang ist ein dreister
Schachzug. Sie setzen einfach voraus, dass Pilatus weiß, warum sie Jesus an ihn übergeben.
Nach ihrem Gesetz sei er ein Verbrecher, der den Tod verdient habe, aber leider könnten
sie die Todesstrafe nicht verhängen. Dieses Recht hätten ihnen die Römer ja genommen.
Und unhörbar fügen sie hinzu: Du solltest dir gut überlegen, ob du noch einmal unser
Gesetz missachtest.
Und tatsächlich scheint Pilatus informiert gewesen zu
sein. Er fragt Jesus: Bist du der König der Juden? Jesus antwortet nicht mit
ja oder nein; stattdessen fragt er zurück; er will wissen, wie Pilatus auf diesen
Gedanken gekommen ist. Indirekt gibt Pilatus zu, dass diese Bezeichnung aus Judenkreisen
stammt. Auf die Frage Was hast du getan? stellt Jesus klar, dass sein Königtum
nicht von dieser Welt ist und dass er nichts von dem getan hat, was ein irdischer
König normalerweise getan hätte, nämlich mit Waffengewalt seine Auslieferung zu verhindern.
Ja, er sei ein König, sagt Jesus und setzt hinzu: Ich bin dazu geboren und in die
Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit
ist, hört auf meine Stimme. Für den Taktiker und Skeptiker Pilatus sind das hohle
Worte. Für Jesus sind sie ein Bekenntnis zur Treue Gottes. Pilatus erkennt, dass nichts
vorliegt, was nach römischem Recht die Todesstrafe verdient. Dieser König der Juden
plant keinen politischen Umsturz.
Pilatus versucht, Jesus freizubekommen. Er
bietet zuerst eine Amnestie an. Damit scheitert er. Dann lässt er den „König der Juden“
geißeln und verspotten. Aber auch damit scheitert er. Sprechchöre schallen ihm entgegen:
Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz mit ihm! Da reißt ihm der Geduldsfaden. Und wie
er sinngemäß sagt: „Dann macht’s doch selber! Ich finde keine Schuld an ihm“, da
bringen sie erneut das Gesetz ins Spiel: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem
Gesetz muss er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat.
Das
ist ein neuer Vorwurf. Damit hatte Pilatus nicht gerechnet. Wieder verhört er Jesus,
der als der bejammernswerte Spottkönig vor ihm steht. Doch der geschwächte Jesus erweist
sich als stark. Auf die Frage Woher stammst du? gibt er Pilatus keine Antwort.
Der starke Pilatus dagegen ist schwächer als er meint. Auch mit einer Drohung kann
er Jesus nicht zu einer Antwort bewegen. Der weist ihn stattdessen darauf hin, dass
die Macht, die er hat, nur eine von oben verliehene Macht ist. Vielleicht war es nun
Pilatus, der nichts mehr zu sagen wusste. Schließlich kommt es noch zu einem Rollentausch:
In einem Nachsatz billigt der angeklagte Jesus dem Richter Pilatus mildernde Umstände
zu. Der Satz lautet: Größere Schuld liegt bei dem, der mich dir ausgeliefert hat.
Pilatus ist noch immer entschlossen, Jesus freizulassen, und tritt mit dieser
Absicht vor die Menge. Aber jetzt scheitert er endgültig: Wenn du ihn freilässt,
bist du kein Freund des Kaisers mehr. Pilatus gibt sich geschlagen. Wenn diese
verhassten Juden es tatsächlich schaffen, dass ihm der Ehrentitel „Freund des Kaisers“
aberkannt wird, dann ist er erledigt.
In Wirklichkeit ist er jetzt schon erledigt,
und diejenigen, die die Hinrichtung Jesu betrieben haben, triumphieren. Sie sind überzeugt,
einen Gotteslästerer der verdienten Strafe zugeführt zu haben. Doch dieser vermeintliche
Gotteslästerer erweist sich als wirklicher König und Sohn Gottes, dessen Herrschaft
nicht von dieser Welt, aber für diese Welt ist.
Ich denke an Paulus,
der noch Saulus hieß, als all dieses geschah. Im Geiste trete ich, wie schon des Öfteren,
in ein Gespräch mit ihm ein. „Ja, den ich aus seinem Leben verdrängen wollte, der
wurde die Mitte meines Lebens. Auch ich musste, nach meiner Bekehrung, einen Leidensweg
gehen, für ihn, aber vor allem mit ihm. Die Leute meines Volkes haben mir ebenso nach
dem Leben getrachtet wie ihm. Eine Zeitlang konnte ich ihnen entkommen. Aber dann
wurde ich ihm ähnlich im Tod. Doch erhielt ich auch die Kraft meines Herrn, so dass
ich immer wusste und sagen konnte: Keiner der Machthaber dieser Welt hat die Weisheit
Gottes erkannt; denn hätten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit
nicht gekreuzigt. Nein, wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge
gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das
Große, das Gott denen bereitet, die ihn lieben (1Kor 2,8-9).
Ich suche
auch die Nähe der Mutter Jesu. Sie hat bei ihrem sterbenden Sohn ausgeharrt.
Der Schmerz verschloss ihr den Mund. Ihre mütterliche Seele folgte dem Sohn bis in
den Abgrund des Todes, wo das Böse triumphiert. Doch sie erschrak nicht. Sie wurde
gehalten durch das Wort ihres Sohnes: Es ist vollbracht. Ich wage, sie anzusprechen
und sage: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde
unseres Todes.“