Dokument: Predigt Papst Benedikts zur Chrisammesse
Wir dokumentieren die Predigt Papst Benedikt XVI. bei der Chrisammesse am Gründonnerstag
im Petersdom. Es handelt sich um die autorisierte deutsche Übersetzung.
Liebe
Brüder und Schwestern!
Am Abend vor seinem Leiden hat der Herr im Abendmahlsaal
für seine um ihn versammelten Jünger gebetet und dabei zugleich vorausgeschaut auf
die Jüngergemeinde aller Jahrhunderte, auf alle, „die durch ihr Wort an mich glauben“
(Joh 17, 20). Im Gebet für die Jünger aller Zeiten hat er auch uns gesehen
und für uns gebetet. Hören wir, worum er den Vater für die Zwölf, für uns hier bittet:
„Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt
hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit
auch sie in Wahrheit geheiligt sind“ (17, 17ff). Der Herr betet für uns um Heiligung,
um Heiligung in der Wahrheit. Und er sendet uns zur Fortführung seiner eigenen Sendung.
Aber da ist in diesem Gebet ein Wort, das uns aufhorchen läßt, uns unverständlich
scheint. Jesus sagt: „Ich heilige mich für sie.“ Was bedeutet das? Ist Jesus nicht
in sich „der Heilige Gottes“, als den ihn Petrus in der kritischen Stunde zu Karphanaum
bekannt hat (Joh 6, 69)? Wie kann er sich nun selbst heiligen?
Um dies
zu verstehen, müssen wir vor allem klären, was die Worte „heilig“ und „heiligen“ in
der Bibel aussagen. „Heilig“ – mit diesem Wort wird zunächst die Wesensart Gottes
selbst umschrieben, seine ganz eigene, göttliche Weise des Seins, die nur ihm eigen
ist. Er allein ist der wirklich und ursprünglich Heilige. Alle andere Heiligkeit leitet
sich von ihm ab, ist Teilhabe an seiner Weise des Seins. Er ist das reine Licht, die
Wahrheit und das Gute ohne Makel. Etwas oder jemanden heiligen bedeutet daher, die
Sache oder die Person Gott zueignen, sie aus dem Bereich des Unsrigen herausnehmen
und sie in seine Atmosphäre übertragen, so daß dieses nicht mehr zur Welt, zum Unsrigen
gehört, sondern ganz Gottes ist. So ist Heiligung Weggabe aus der Welt und Übergabe
an den lebendigen Gott. Die Sache oder die Person gehört nicht mehr uns, nicht mehr
sich selbst, sondern sie wird in Gott eingetaucht. Weggabe einer Sache an Gott nennen
wir aber auch Opfer: Dies soll nun nicht mehr mir gehören, sondern ihm. Weggabe einer
Person an Gott, Heiligung einer Person ist im Alten Testament identisch mit Priesterweihe,
und so wird zugleich definiert, worin Priestertum besteht: Übereignung aus der Welt
heraus und Zueignung zu Gott. Damit werden nun die zwei Richtungen deutlich, die zum
Geschehen der Heiligung gehören. Es ist Heraustreten aus den Zusammenhängen des weltlichen
Lebens – Aussonderung für Gott. Aber gerade so ist es nicht Absonderung. Übergabe
an Gott bedeutet vielmehr Stellvertretung für die anderen. Der Priester wird aus den
weltlichen Zusammenhängen weggegeben an Gott, und gerade so ist er für die anderen,
für alle von Gott her da. Wenn Jesus sagt: „Ich heilige mich“, so macht er sich damit
zum Priester und zum Opfer zugleich. Bultmann hat daher recht, wenn er das Wort „Ich
heilige mich“ übersetzt: „Ich opfere mich“. Verstehen wir nun, was geschieht, wenn
Jesus sagt: „Ich heilige mich für sie“? Dies ist der priesterliche Akt, in dem Jesus
– der mit dem Sohn Gottes geeinte Mensch Jesus – sich für uns dem Vater übergibt.
Es ist Ausdruck dafür, daß er Priester und Opfer zugleich ist. Ich heilige mich –
ich opfere mich: Dieses abgründige Wort, das uns zutiefst in das Herz Jesu Christi
hineinschauen läßt, sollten wir immer wieder bedenken. Darin liegt das ganze Geheimnis
unserer Erlösung. Und der Ursprung des Priestertums der Kirche liegt darin.
Jetzt
erst können wir die Bitte ganz verstehen, die der Herr für die Jünger – für uns –
vor den Vater hingestellt hat. „Heilige sie in der Wahrheit“: Dies ist die Einsetzung
der Apostel ins Priestertum Jesu Christi, die Einsetzung seines neuen Priestertums
für die Gemeinschaft der Glaubenden aller Zeiten. „Heilige sie in der Wahrheit“: Das
ist das eigentliche Weihegebet für die Apostel. Der Herr bittet darum, daß Gott sie
selbst an sich zieht, in seine Heiligkeit hinein. Daß er sie aus dem Eigenen wegnimmt
und sie sich zueignet, damit sie von ihm her priesterlichen Dienst für die Welt tun
können. Diese Bitte Jesu erscheint zweimal in leicht abgewandelter Form. Wir müssen
beide Male genau zuhören, damit wir das Große wenigstens ahnungsweise zu verstehen
beginnen, das hier geschieht. „Heilige sie in der Wahrheit.“ Jesus fügt hinzu: „Dein
Wort ist Wahrheit.“ Die Jünger werden also in Gott hineingezogen, indem sie in das
Wort Gottes eingetaucht werden. Das Wort Gottes ist gleichsam das Bad, das sie reinigt,
die schöpferische Macht, die sie umformt in Gottes Sein hinein. Und wie ist es da
mit uns? Sind wir wirklich durchtränkt vom Wort Gottes? Ist es wirklich die Nahrung,
von der wir leben, mehr als vom Brot und von den Dingen dieser Welt? Kennen wir es
wirklich? Lieben wir es? Gehen wir innerlich damit um, so daß es wirklich unser Leben
prägt, unser Denken formt? Oder formt sich unser Denken nicht doch immer wieder aus
alledem, was man sagt, was man tut? Sind nicht doch oft genug die herrschenden Meinungen
der Maßstab, an dem wir uns messen? Bleiben wir nicht doch in der Oberflächlichkeit
all dessen, was sich dem Menschen von heute eben so aufdrängt? Lassen wir uns vom
Wort Gottes wirklich inwendig reinigen? Friedrich Nietzsche hat Demut und Gehorsam
als Knechtstugenden verhöhnt, mit denen man die Menschen niedergehalten habe. An deren
Stelle hat er den Stolz und die absolute Freiheit des Menschen gesetzt. Nun, es gibt
Zerrbilder falscher Demut und falscher Unterwürfigkeit, die wir nicht nachahmen wollen.
Aber es gibt auch den zerstörerischen Hochmut und die Selbstherrlichkeit, die jede
Gemeinschaft zersetzen und in der Gewalt enden. Lernen wir von Christus die rechte
Demut, die der Wahrheit unseres Seins entspricht, und jenen Gehorsam, der sich der
Wahrheit, dem Willen Gottes beugt? „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit“:
Dieses Wort der Einsetzung ins Priestertum leuchtet in unser Leben hinein und ruft
uns, immer neu Jünger der Wahrheit zu werden, die sich in Gottes Wort öffnet.
Ich
glaube, wir dürfen in der Auslegung dieses Satzes noch einen Schritt weitergehen.
Hat nicht Christus von sich selbst gesagt: „Ich bin die Wahrheit“ (vgl. Joh
14, 6)? Und ist er nicht selbst das lebendige Wort Gottes, auf das alle einzelnen
Wörter verweisen? Heilige sie in der Wahrheit – das heißt dann zutiefst: Einige sie
mit mir – Christus. Binde sie an mich. Ziehe sie hinein in mich. Und in der Tat: Es
gibt letztlich nur einen Priester des Neuen Bundes, Jesus Christus selbst.
Und das Priestertum der Jünger kann daher nur Teilhabe an Jesu Priestertum sein. Unser
Priestersein ist daher nichts anderes als eine neue Weise der Einigung mit Christus.
Seinsmäßig ist sie uns im Sakrament für immer geschenkt. Aber dieses neue Siegel des
Seins kann uns zum Gericht werden, wenn nicht unser Leben in die Wahrheit des Sakraments
hineinwächst. Das Weiheversprechen, das wir heute wiederholen, sagt dazu, daß unser
Wille darauf gerichtet sein muß, Domino Iesu arctius coniungi et conformari, vobismetipsis
abrenuntiantes. Das Einswerden mit Christus setzt Verzicht voraus. Es schließt
ein, daß wir nicht unseren Weg und unseren Willen durchsetzen wollen. Nicht dies oder
jenes werden möchten, sondern uns ihm überlassen, wo und wie er uns brauchen will.
„Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“, hat der heilige Paulus
dazu gesagt (vgl. Gal 2, 20). Im Ja der Priesterweihe haben wir diesen grundlegenden
Verzicht auf das Selber-sein-Wollen, auf das Sich-selbst-Verwirklichen vollzogen.
Aber dieses große Ja muß in vielen kleinen Ja und in kleinen Verzichten Tag um Tag
eingelöst werden. Ohne Bitterkeit und ohne Selbstbemitleidung kann dieses Ja kleiner
Schritte, die zusammen das große Ja ausmachen, nur möglich werden, wenn Jesus Christus
wirklich die Mitte unseres Lebens ist. Wenn wir wirklich mit ihm vertraut werden.
Denn dann erleben wir mitten in Verzichten, die zunächst schmerzen mögen, die wachsende
Freude der Freundschaft mit ihm, all die kleinen und manchmal auch großen Zeichen
seiner Liebe, die er uns fortwährend schenkt. „Wer sich verliert, findet sich.“ Wenn
wir es wagen, uns für den Herrn zu verlieren, erfahren wir, wie wahr sein Wort ist.
In
die Wahrheit, in Christus eingetaucht werden, dazu gehört das Beten, in dem wir Freundschaft
mit ihm einüben, in dem wir ihn kennenlernen – seine Weise des Seins, des Denkens,
des Tuns. Beten ist persönliche Weggemeinschaft mit Christus, in dem wir unseren Alltag,
unser Gelingen und unser Scheitern, unsere Mühsale und Freuden vor ihm ausbreiten
– ganz einfach uns selbst vor ihn hinstellen. Aber damit daraus nicht Selbstbespiegelung
wird, ist es wichtig, daß wir immer wieder beten lernen im Mitbeten mit der Kirche.
Eucharistie feiern heißt beten. Wir feiern die Eucharistie recht, wenn wir mit unserem
Denken und Sein in die Worte eintreten, die uns die Kirche vorgibt. In ihnen ist das
Beten aller Generationen anwesend. Sie alle nehmen uns mit auf den Weg zum Herrn.
Und als Priester sind wir in der Eucharistie die Vor-beter der Gläubigen von heute.
Wenn wir mit diesen Gebetsworten inwendig eins sind, wenn wir uns von ihnen führen
und umformen lassen, dann finden auch die Gläubigen in diese Worte hinein. Dann werden
wir alle wirklich „ein Leib und ein Geist“ mit Christus.
In die Wahrheit eingetaucht
werden und so in die Heiligkeit Gottes – das bedeutet auch, daß wir den Ernst der
Wahrheit annehmen. Daß wir uns im Großen und Kleinen der Lüge entgegenstellen, die
auf so vielfältige Weise in der Welt anwesend ist. Daß wir die Mühsal der Wahrheit
annehmen, weil ihre tiefere Freude in uns gegenwärtig ist. Wenn wir vom Geheiligtwerden
in der Wahrheit sprechen, dann vergessen wir auch nicht, daß in Jesus Christus Wahrheit
und Liebe eins sind. Eingetauchtwerden in ihn ist Eingetauchtwerden in seine Güte,
in die wahre Liebe. Die wahre Liebe ist nicht billig, sie kann auch streng sein. Sie
leistet dem Bösen Widerstand, um dem Menschen das wirklich Gute zu bringen. Wenn wir
mit Christus eins werden, dann lernen wir, ihn gerade in den Leidenden, in den Armen,
in den Kleinen dieser Welt zu erkennen; dann werden wir Dienende, die seine Brüder
und Schwestern erkennen und in ihnen ihm selbst begegnen.
„Heilige sie in der
Wahrheit“ – das ist das eine Wort Jesu. Aber dann sagt er noch: „Ich heilige mich,
damit sie in Wahrheit – wirklich – geheiligt sind.“ Ich denke, dieses zweite Wort
habe seine eigene Bedeutung. Es gibt ja in den Religionen der Welt vielfältige rituelle
Weisen der Heiligung, der Weihung eines Menschen. Aber all diese Riten können bloße
Form bleiben. Christus bittet für die Jünger um die wirkliche Heiligung, die ihr Sein,
sie selbst verwandelt, die nicht rituelle Form bleibt, sondern wirkliche Übereignung
an den heiligen Gott wird. Wir könnten auch sagen: Christus hat uns das Sakrament
erbetet, das uns in der Tiefe unseres Seins trifft. Aber er hat auch darum gebetet,
daß diese Verwandlung in uns täglich Leben wird. Daß wir wirklich in unserem Alltag,
in unseren täglichen Lebensvollzügen von Gottes Licht durchdrungen werden.
Am
Vorabend meiner Priesterweihe vor 58 Jahren habe ich die Heilige Schrift aufgeschlagen,
weil ich noch ein Wort des Herrn für diesen Tag und für meinen kommenden Weg als Priester
empfangen wollte. Mein Blick fiel auf diese Stelle: „Heilige sie in der Wahrheit;
dein Wort ist Wahrheit.“ Da wußte ich: Der Herr spricht von mir, und er spricht zu
mir. Genau dies wird morgen an mir geschehen. Wir werden letztlich nicht durch Riten
geweiht, auch wenn es des Ritus bedarf. Das Bad, in das uns der Herr eintaucht, ist
er selbst – die Wahrheit in Person. Priesterweihe heißt: Eingetauchtwerden in ihn,
in die Wahrheit. Ich gehöre auf neue Weise ihm und so den anderen, „damit sein Reich
komme“. Liebe Freunde, bitten wir in dieser Stunde der Weiheerneuerung den Herrn,
daß er uns zu Menschen der Wahrheit macht, zu Menschen der Liebe, zu Gottesmenschen.
Bitten wir ihn, daß er uns immer mehr in sich hineinzieht, damit wir wahrhaft Priester
des Neuen Bundes werden. Amen.(rv 09.04.2009 gs)