Der Jesuitenpater Wendelin Köster begleitet im deutschsprachigen Programm von Radio
Vatikan durch die Fastenzeit 2009. Der 69-Jährige stammt aus dem Emsland, war zunächst
Jugendseelsorger, dann Leiter des Priesterseminars in Frankfurt/St. Georgen und anschließend
mehr als zehn Jahre lang deutschsprachiger Berater des Generaloberen der Jesuiten
in Rom. Zweimal pro Woche hören und lesen Sie hier seine Radioexerzitien. (rv)
Für
den Palmsonntag (05.04.)
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Auf dem Weg
der Radio-Exerzitien haben wir nun den Palmsonntag erreicht. In diesem Jahr sind die
Lesungen der Liturgie aus dem Markus-Evangelium. Wie in den vorherigen Betrachtungen
versuchen wir wieder, uns in das Geschehen hineinzuversetzen. Wir stellen uns also
vor, wir seien in Jerusalem. Die Stadt ist voller Pilger, die dort das achttägige
Paschafest feiern wollen. Man hört die verschiedensten Sprachen und Dialekte. Nicht
alle Pilger finden in der Stadt ein Quartier. Auch die Räumlichkeiten für die nächtliche
Feier sind knapp. Sie mussten so groß sein, dass Gruppen von mindestens zehn Personen
in sie hineinpassten. Darum wurde die Stadtgrenzen ausgeweitet, damit alle sagen konnten:
Wir haben das Fest wirklich in Jerusalem gefeiert.
Das war jedes Jahr so. Normal
war auch, dass in diesen Tagen die Truppen der römische Besatzung in erhöhter Alarmbereitschaft
waren. Sogar der Statthalter des römischen Kaisers, Pontius Pilatus, wechselte von
seiner Residenz in der Kaiserstadt am Meer, dem schönen, aber heidnischen Caesarea
Maritima, nach Jerusalem in den Gouverneurspalast. Die Juden lauerten ständig auf
Gelegenheiten, den Römern ihre Grenzen zu zeigen und nach Möglichkeit das Joch der
Fremdbestimmung abzuwerfen. Das weiß Pilatus, und er tut alles, um jede Freiheitsregung
sofort im Keim zu ersticken. Sicher ist sicher!
Doch in diesem Jahr ist etwas
anders. In der Stadt läuft das Gerücht um: Jesus von Nazaret kommt. Seine Zahl seiner
Anhänger ist beachtlich groß geworden, und viele von ihnen sind zum Fest in der Stadt.
Doch am meisten alarmiert sind nicht die Römer, sondern die jüdischen Führer: die
Hohenpriester des Tempels, die Schriftgelehrten und die Ältesten des Volkes. Sie wissen,
dass eigentlich sie es sind, die dieser Propheten aus Nazaret im Visier hat. Er hatte
immer wieder ihre Autorität untergraben, indem er öffentlich erklärte, sie würden
das Volk nicht zu Gott führen, sondern in die Irre; sie hätten aus dem Gesetz des
Mose eine Wucherung von Vorschriften gemacht, die kaum jemand einhalten könne, vor
allem nicht das einfache Volk. Sie würden Sünden produzieren, wo in Wirklichkeit gar
keine seien. Außerdem kümmerten sie sich nicht um Tempel. Unter ihren Händen sei er
zu einer Markthalle verkommen, obwohl er ein Haus des Gebetes sei. Und schließlich
sei ihre Politik pure Heuchelei; denn auf der einen Seite täten sie immer so fromm
und gesetzestreu, auf der anderen Seite liebedienerten sie vor dem heidnischen Kaiser.
Ihrer Clique sei ein guter Draht nach Rom wichtiger als das Wohl des Volkes. Einer,
der sie öffentlich so kritisiert, ist persona non grata.
Und nun steht
er vor den Toren Jerusalems, Jesus von Nazaret, für die einen persona non grata,
für die anderen persona desiderata. Wird er sich als der angekündigte Messias
offenbaren und sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit errichten?
Jesus
hat seinen Einzug in die Stadt und den Tempel gut vorbereitet, und zwar so, wie es
gut 500 Jahre zuvor prophezeit worden war. Er nimmt einen jungen Esel, auf dem bislang
noch niemand geritten hat. Das Tier steht schon zum Abholen bereit. Es wird zwei Jüngern
ausgehändigt; sie müssen aber ein Losungswort vorweisen. Das lautet: Der Herr braucht
es. Es scheint, dass die Vorbereitungen des Einzugs sehr diskret waren, fast ein
bisschen konspirativ. Der Einzug sollte nicht schon im Keim erstickt werden können.
Der Esel ist im Orient ein hoch geachtetes Tier, aber er macht nicht soviel
Eindruck wie ein Streitross, auf dem der siegreiche Feldherr in die bezwungene Stadt
einreitet. Aber es ist das richtige Reittier für den Messias, den Friedensfürst. Der
Schmuck des Messias-Esels sind einfache Kleidungsstücke von den Jüngern.
Dann
setzt sich der Zug in Bewegung: Jesus auf dem Esel in der Mitte, und vor ihm und hinter
ihm seine Anhänger. Die Zwölf formen - das stelle ich mir jedenfalls so vor – eine
Art Leibwache, die neben dem Esel hergeht. Denn für den Fall, dass es Gedränge gibt,
muss Jesus beschützt werden. Einer von ihnen führt den Esel am Halfter. Die Leute,
die am Wegrand stehen, breiten ihre Kleider und Zweige über dem staubigen Weg aus.
So ehren sie den Messias-König, der nach weltlichen Maßstäben einen roten Teppich
verdient hätte.
Langsam bewegt sich der Zug den Ölberg hinunter und nähert
sich dem östlichen Stadttor. Die Anhänger Jesu skandieren einen Ruf, der in die Stadt
hinüberschallt: Ho-shjan-na, ho-shjan-na, und immer wieder ho-shjan-na.
Es ist ein Hochruf auf den, der Rettung und Heil bringt. Viele in der Stadt horchen
auf, werden neugierig und streben in die Richtung, woher die Rufe kommen. Manche stimmen
in die Hosanna-Rufe ein. Ehe Stadtpolizei und Tempelwache den Überblick haben, ist
der Messias schon in seiner Stadt und im Hause seines Vaters eingetroffen.
Der Tempel ist das eigentlichen Ziel. Er ist der Ort, wo das Herz des Gottesvolkes
schlägt, wo der heilige Bund lebt und sich erneuert, den Gott mit seinem Volk geschlossen
hat. So sollte es wenigstens sein. Von dem, was Jesus im Tempel tut, berichtet Markus
nur mit wenigen Worten. Er schreibt: Nachdem er sich alles angesehen hatte, ging
er spät am Abend mit den Zwölfen nach Betanien hinaus. „Nachdem er sich alles
angesehen hatte“: Es scheint, dass Jesus eine gründliche Inspektion macht. Bei diesem
Rundgang durch die verschiedenen Höfe und Säulenhallen muss ihm klargeworden sein,
dass der Tempel verweltlicht ist. Er ist nicht mehr das Haus des Gebetes. Er
muss gereinigt werden. Wie Jesus dann zur Aktion schreitet, wissen wir. Er wird aber
in den kommenden Tagen verstärkt versuchen, die verdorbene Frömmigkeit der Hohenpriester,
Schriftgelehrten und Ältesten des Volkes zu entlarven. Eigentlich ist es diese Verderbnis,
die aus dem Tempel verschwinden müsste. Aber sie sitzt zu fest. Letztendlich ist es
der Tempel selbst, der verschwindet.
Versuchen wir nun wieder, unsere Gedanken
in Beten zu verwandeln. Ich für meine Person suche im Kolloquium zunächst den Kontakt
mit dem Propheten, der den Erlöser in Gestalt eines Gottesknechtes vorausgesehen hat.
Es ist Jesaja. In einer Lesung hören wir heute davon (Jes 50,4-7). Dieser Gottesknecht
muss leiden. Aber er hält stand. „Warum, Jesaja, dieses Leiden? Gibt es keine andere
Weise, das Gute zum Sieg zu bringen, uns Menschen vom Bösen und der Sünde zu erlösen?“
Er antwortet etwa so: „Ich selbst habe mich mit dieser Frage an Gott gewandt. Er warb
um mein Verständnis für seinen Weg, indem er sagte: ‚Es ist meine Liebe, die mich
hindert, zur Gewalt zu greifen. Und dafür bin ich bereit zu leiden. Ich ziehe das
Böse auf mich. Es tobt sich an mir aus. Doch wird es mich nicht bezwingen. Ich selbst
bin anwesend in meinem leidenden Knecht.’
Die andere Lesung von heute führt
mich wieder zum Apostel Paulus. Ich weiß, dass er mit dem leidenden Knecht
Gottes vertraut ist. „Aber“, so sagt er, „dass dieser Knecht Jesus von Nazaret sein
sollte, dass habe ich lange Zeit nicht wahrhaben wollen. Für mich war dieser Knecht
mein eigenes Volk, das für Gott unendlich viel gelitten hat. Nie kam ich auf den Gedanken,
dass dieser leidende Knecht der Herr selbst ist. Da musste mich erst ein Blitz vom
Himmel treffen, um mir die Augen des Glaubens zu öffnen. Dann erkannte ich: Der wahre
Tempel ist Christus, vor dem alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre
Knie beugen: er, der Gott gleich war, aber sich entäußerte und Mensch wurde,
sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod, zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,6-11).
Während der ganzen Zeit des Kolloquiums war Christus der Herr, über
den wir sprachen, sehr präsent, nicht sichtbar, aber spürbar, nicht aufdringlich,
aber aufmerksam, ganz der Mann auf dem kleinen Esel, mitten im Jubel still, in seinem
Inneren ganz bei seinem göttlichen Vater. (P. Wendelin Köster SJ)