Wocheninterview: Kardinal Vlk, „EU braucht Identität“
Der Sturz der tschechischen
Regierung verursacht einiges Unbehagen in der Europäischen Union. Denn Tschechiens
Premier Mirek Topolanek ist der derzeitige Ratsvorsitzende der EU. Angesichts dessen
droht die Krisenstimmung nun auch nach Brüssel überzuspringen. Deshalb sei es gerade
jetzt unbedingt notwendig, dass die EU ihre Identität stärke. Das betont der Prager
Erzbischof, Kardinal Miloslav Vlk, im Wocheninterview mit Radio Vatikan. Mario Galgano
hat den Prager Kardinal gefragt, was die Europäische Union heute konkret benötige: „Ohne
wichtige Prinzipien und Normen für die zwischenmenschlichen Beziehungen hat die EU
keine Zukunft. Man sollte eine Verfassung oder Normen finden. Das ist aber im Augenblick
sehr schwierig, obwohl es meiner Ansicht nach der wichtigste Ausgangspunkt für die
weitere Arbeit ist.“ Herr Kardinal, ein Misstrauensvotum hat die
tschechische Regierung mitten in ihrer EU-Ratspräsidentschaft gestürzt. Welche Rolle
soll Ihrer Meinung nach die Tschechische Republik in Europa überhaupt haben?
„Ich
bin überzeugt davon, dass die EU-Ratspräsidentschaft bis jetzt gut gearbeitet hat.
Und das, obwohl es von Anfang an so viele Probleme gab. Man denke an die Gaskrise,
die weltweite Wirtschaftskrise, usw. Die Tschechische Republik hat ja eine wichtige
historische Erfahrung mit einem Regime gehabt, das sehr viel von Einheit sprach, aber
keine Rechte und Grundwerte der zwischenmenschlichen Beziehungen bot. Diese Erfahrung
mit dem sowjetischen Regime können wir als Tschechen in Europa einbringen.“ Die
Tschechische Republik ist historisch und geographisch ein Brückenland zwischen West-
und Osteuropa. Wie sehen Sie diese Funktion, auch aus Sicht der Tschechischen Republik
und der benachbarten Staaten?
„Historisch gesehen sind
wir wirklich ein Brückenland zwischen West- und Osteuropa. Schon am Anfang unserer
Geschichte gab es eine große Begegnung der Geistlichkeit der Ostkirche mit dem lateinischen
Christentum. Zwei verschiedene Kulturen also. Es ist wahr, dass Prag ein Treffpunkt
kultureller Einflüsse im Herzen Europas ist. Aber eine starke geistliche Mitgift,
die wir in Europa einbringen könnten – auch wegen der gesellschaftlichen und politischen
Situation nach der kommunistischen Vergangenheit – gibt es heute eigentlich nicht.“ Welche
Rolle spielt die katholische Kirche in Europa heute? Und welche Rolle sollte sie in
Europa in der Zukunft haben?
„Es ist wahr, dass der Glaube
in Europa heute geschwächt ist. Man denke dabei an die fehlenden Werte innerhalb vieler
zwischenmenschlichen Beziehungen. Das behindert den Weg zur Einheit. Ich bin überzeugt
davon, dass Einheit und Leben in der Einheit nur auf der Basis geistlicher Werte möglich
sind. Diese Tatsache kann man den Menschen nur mit Hilfe des Zeugnisses des richtigen
Lebens beibringen. Die Kirche als Ganzes ist in dieser Hinsicht nicht genug vorbereitet.
Aber es gibt hier viele geistliche oder kirchliche Bewegungen, die ihre Erfahrung
in Europa einbringen können.“
Eminenz, ist die politische
Krise in der tschechischen Republik auch Anzeichen für eine Krise in Europa - auch
wenn diese vielleicht politisch nicht unmittelbar sichtbar ist?
„Die
Werte, die das europäische Logo darstellt – nämlich zwölf Mariensterne – zeigen uns
wirklich geistliche Grundwerte an. Wir müssen also gemeinsam zu den christlichen Wurzeln
Europas zurückkehren. Das ist meine Meinung. Nur so kann man den schönen Plan der
Väter der Europäischen Union realisieren.“ (rv 27.03.2009 mg)