Der Jesuitenpater Wendelin Köster begleitet im deutschsprachigen Programm von Radio
Vatikan durch die Fastenzeit 2009. Der 69-Jährige stammt aus dem Emsland, war zunächst
Jugendseelsorger, dann Leiter des Priesterseminars in Frankfurt/St. Georgen und anschließend
mehr als zehn Jahre lang deutschsprachiger Berater des Generaloberen der Jesuiten
in Rom. Zweimal pro Woche hören und lesen Sie hier seine Radioexerzitien. (rv)
Für
den 5. Fastensonntag (29.03.)
Liebe Hörerinnen und Hörer!
In der
heutigen Betrachtung der Radio-Exerzitien werden wir Zeugen einer tiefen Erschütterung
Jesu. So souverän er bei seiner Verklärung über allen Finsternissen zu stehen schien,
so hart wird er nun von der Angst gepackt, als er das Ende auf sich zukommen sieht.
Es gibt kein Entrinnen. Der Evangelist Johannes berichtet davon im Evangelium des
heutigen Sonntags (Jo 12,20-33).
Die Geschichte fängt harmlos an. Unter den
Paschafest-Pilgern in Jerusalem sind auch Griechen, also Heiden, die sich aber der
jüdischen Religion angeschlossen haben. Sie möchten Jesus sehen. Dazu nehmen sie Verbindung
auf mit Philippus aus Betsaida, einem Fischerstädtchen am See Genesaret in Galiläa.
Leute aus dieser Gegend konnten meist Griechisch. Bei den gesetzestreuen Juden in
der Hauptstadt standen sie aber in schlechtem Ruf. Sie galten als verseucht, nämlich
von der griechischen Kultur. Mit griechischer Sprache, griechischem Lebensstil und
griechischer Religiosität stand einem zwar die Welt offen, aber in den Augen der echten
Juden waren solche Leute – wir würden vielleicht sagen – vom Geist des Relativismus
befallen. Umso besser, wenn sich einige von ihnen zum jüdischen Glauben bekehrten!
Philippus geht zu seinem Bruder Andreas, und beide gehen zu Jesus, um die
Verbindung herzustellen. Jesus antwortet, aber wieder auf eine verblüffende Weise.
Er sagt nicht: Ja, gut, herzlich willkommen, es freut mich, die Bekanntschaft der
Griechen zu machen. Ich werde ihre Fragen beantworten. Nein, er stellt klar, wen sie
sehen werden: Es ist Jesus in der Stunde, die der Vater ihm bereitet hat. Diese
Stunde hat ein Doppelgesicht: das eine ist die Verherrlichung Jesu, das andere
ist sein Schicksal als Weizenkorn. Das unterstreicht Jesus durch eine feierliche
Bekräftigung: Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde
fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
Dann fährt er fort und sagt: Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein
Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. Er fügt
noch hinzu: Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach und wo ich bin, dort
wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren (Jo 12,24-26).
Das ist das Bild, das Jesus von sich zeigt; so will er gesehen werden. Das müssen
seine Jünger begreifen, darauf müssen sich alle einstellen, die Bekanntschaft mit
Jesus machen wollen. Sie müssen ihn in seine Stunde begleiten, um ihn wirklich
kennen zu lernen. Sie müssen diese Stunde mit ihm ausharren. Sonst wissen sie
nicht, wer er wirklich ist.
Dazu gehört, dass sie auch Zeugen seiner tiefen
Erschütterung sein müssen. Als Jesus sagt: Jetzt ist meine Seele erschüttert
und gleich hinzusetzt: Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde?
da erleben sie etwas wie ein Erdbeben. Jesus wankt. Die Sterbensangst schüttelt
ihn. Er droht zusammenzubrechen. Das Weizenkorn will nicht sterben. Doch Jesus fängt
sich wieder. Als ob er aus einem Albtraum erwachte, sagt er mit wiedergewonnener Kraft:
Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Der nächste Satz klingt dann
noch klarer und eindeutiger: Vater, verherrliche deinen Namen!
Im Moment
der Erschütterung und im Moment der Wiedergewinnung seiner Sicherheit ist er in Kontakt
mit dem Vater. Er weiß sich nicht allein. Die Beziehung steht. Sie hat der Belastung
standgehalten. Wie zur Bestätigung ertönt vom Himmel eine Stimme, die sagt: Ich
habe ihn schon verherrlicht, und ich werde ihn wieder verherrlichen. Diese Stimme
hat nicht geflüstert, sie war nicht eine Meinungsäußerung im kleinen Kreise, sie war
vielmehr ein Donnerwort, bestimmt für die Öffentlichkeit. Aber die Menge, die jetzt
dabeistand, hörte nur das Donnern, nicht das Wort. Wahrscheinlich erschraken die meisten
und fragten: „Was war denn das? Ein Donnerschlag mitten am hellen Tag?“ Einige waren
auf der richtigen Spur und sagten: Das war ein Engel. Der hat mit ihm geredet (vgl.
Jo 12,29c). Doch damit lagen sie nur halbrichtig. Denn Jesus verbesserte: Nicht
mir galt diese Stimme, sondern euch.
In dem, was Jesus dann anfügte, verließ
er den Rahmen der persönlichen Betroffenheit und trat vor die Welt: Jetzt wird
Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen
werden. Und wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen. Der
Evangelist setzt hinzu: Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben
werde (Jo 12,31-33).
Damit endet das Evangelium dieses Sonntags, doch
die Auseinandersetzung Jesu mit den Leuten geht weiter, wird heftiger und für Jesus
immer aussichtloser. Er kann sagen und machen, was er will, seine Niederlage ist sicher.
Und wer könnte jetzt schon behaupten, dass diese Niederlage ein Sieg ist, der die
Welt verändert?
Ich lade Sie wieder ein, auch diesen Abschnitt aus der Heiligen
Schrift selbst zu lesen, ihn nicht nur mit den Augen überfliegend, sondern auch den
Worten zuhörend. Dann öffnen sich Verstand und Gemüt leichter für das Miterleben,
und abends erinnern wir uns schneller an das, was uns berührt hat. Zugleich ist dieses
anteilnehmende Lesen eine gute Hilfe für das persönliche Beten.
Am Ende dieser
Betrachtung versuche ich wieder, in ein Zwiegespräch einzutreten, und zwar zuerst
mit dem heiligen Paulus. In seinen Überlegungen über Sterben und Auferstehen
kommt das Weizenkorn vor. Paulus lässt mich auch jetzt zuerst etwas lesen,
was er schon geschrieben hat. So lese ich im ersten Brief an die Korinther gegen Ende:
Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden
sie haben? Was für eine törichte Frage! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig,
wenn es nicht stirbt. Und was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird;
es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott
gibt ihm die Gestalt, die er vorgesehen hat (1 Kor 15,35-38a).
Als ich
eine Pause mache und erwartungsvoll zu Paulus hinschaue, ermuntert er mich, noch ein
paar Sätze weiterzulesen. Ich lese: Gesät wird einer irdischer Leib, auferweckt
ein überirdischer Leib (Vers 44). Da bemerke ich, dass Paulus die Stirn runzelt.
Ihm gefällt die Übersetzung nicht. Er hält sich näher am Original und sagt: Gesät
wird ein psychischer Leib, auferweckt ein pneumatischer Leib. Ich schaue
ihn fragend an. „Ja“, sagt er, „was auf Griechisch Psyche heißt, ist in der Sprache
meines Volkes die Gurgel. Durch die Gurgel tritt die Atemluft in dich ein, aber auch
Speise und Trank. Solange sie funktioniert, lebst du. Deshalb benutzt man dieses Wort
für die Lebenskraft des irdische Leibes. Sie kann aber das Sterben nicht aufhalten,
und wenn einer tot ist, kann sie ihn auch nicht wieder lebendig machen. Pneuma ist
dagegen das, was Gott dem Adam, als er noch leblos dalag, in die Nase blies. Es ist
die göttliche Atemgabe, die ihn erst lebendig machte. Die Auferweckung von den Toten
geschieht so, dass Gott uns noch einmal seine Atemgabe schenkt. Dadurch wird unser
Leibe ein pneumatischer Leib.“ Soweit Paulus, wie er hätte sprechen können. Ich danke
ihm für diese Belehrung und nehme mir vor, mich gründlicher weiterzubilden.
Ich
wende mich nun doch noch an Jesus. Ich erinnere mich nämlich an seine Erschütterung,
als sein Freund Lazarus gestorben war und schon vier Tage lang im Grabe lag. Der
Verlust dieses geliebten Menschen war unwiderruflich. Die Verwesung hatte schon begonnen.
„Herr, ich danke dir, dass du uns gezeigt hast, wie tief dich das Sterbenmüssen erschüttert.
Die Liebe kann den Tod nicht aufhalten. Das ist unsere Erfahrung. Aber du hast ein
Zeichen gesetzt: Was die menschliche Liebe nicht kann, das kann die göttliche Liebe,
deine Liebe, die in deinem himmlischen Vater verankert ist. Verankere auch uns in
dieser Liebe.“ (P. Wendelin Köster SJ)