Eine der profiliertesten
Frauen im öffentlichen Leben Deutschlands feiert an diesem Freitag Geburtstag: Jutta
Limbach wird 75. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts war bis Ende
letzten Jahres auch Chefin des Goethe-Instituts; schon mehrfach wurde sie als mögliche
erste Bundespräsidentin ins Gespräch gebracht. Heute lebt sie mit ihrer Familie in
Bonn.
Wir dokumentieren hier ein Gespräch unseres Redakteurs Aldo Parmeggiani
mit Frau Limbach. Es wurde in unserer Reihe „Menschen in der Zeit“ am 15. März von
Radio Vatikan ausgestrahlt.
Frau Professor Limbach: wir möchten Sie
durch das folgende Gespräch beruflich und menschlich besser kennen lernen und möchten
uns für Ihre freundliche Bereitschaft dazu herzlich bedanken. Das Traumziel eines
jeden Juristen ist es, Richter am Bundesverfassungsgericht zu werden. Sie haben dieses
Ziel erreicht.. Mehr noch: Sie waren von 1994-2002 die erste Frau an der Spitze des
höchsten deutschen Gerichts. Ebenso sind Sie die erste deutsche Frau, die die Präsidentschaft
der weltweiten Goethe-Institute ehrenamtlich angenommen und sechs Jahre lang von 2002-2008
bekleidet hat. Auch waren Sie im Gespräch, erste Frau als Bundespräsidentin zu
werden. Eine Laufbahn dieser Art sucht ihresgleichen. Wenn Sie Ihre Zeit als Präsidentin
des Bundesverfassungsgerichts Deutschland Revue passieren lassen - was hat Sie in
dieser Periode am meisten bewegt?
*Am meisten haben mich zwei Entscheidungen
bewegt. Die eine, die sich mit den Änderungen des Asylrechts im Grundgesetz auseinandersetzen
mußte, und die zweite war das erste Verfahren, das ich überhaupt zu leiten hatte:
das war der Einsatz der Bundeswehr innerhalb von Friedensmissionen der Vereinten Nationen.
Welche
menschlichen Eigenschaften sind für die Ausübung so hoher Ämter, wie Sie sie bekleidet
haben, besonders hilfreich oder vielleicht sogar Voraussetzung?
*Ich
denke: Durchsetzungswillen, den muss man auf jeden Fall haben, auch als Frau.Dann
kommt hinzu, Selbstdisziplin, und nicht zuletzt ein klarer Verstand.
Sie
sind immer unmissverständlich in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechte eingetreten.
In erster Linie für die Unantastbarkeit der Menschenwürde und für das Grundrecht,
das den Schutz des Lebens zum Inhalt hat. Sie haben immer die Ethik, die Moral und
die Religion als Säulen des modernen Staates bezeichnet. Mehr noch:Sie ziehen daraus
den Schluss, dass ein säkularisierter Staat auf Voraussetzungen beruht, die die Verfassung
allein nicht garantieren kann. Sie räumen also auch der Kirche eine große Verantwortung
ein?
*Das stimmt. Weil die Kirche Vertreterin der christlichen Religionen
ist. Darum spielt sie als Institution auch eine große Rolle. Das sehen wir nicht
zuletzt auch daran, dass sich diese Institution durch die Jahrhunderte hinweg erhalten
hat.
Wie Sie wissen, ist die Kirche die große Verteidigerin des menschlichen
Lebens und zwar in seiner ganzen Spannweite.Der Papst wird nicht müde, das Leben in
jeder Phase und in jeder Konstitution zu verteidigen. Von der Zeugung bis zum natürlichen
Tod. Wie beurteilen Sie die unantastbaren Prinzipien, an denen die Kirche - im Grenzbereich
von Geburt und Tod - so festhält. Sagen wir einmal vom juristischen Standpunkt aus?
Sind Euthanasie, Sterbehilfe, Abtreibung in jedem Fall mit der Menschenwürde unvereinbar?
*Da
bin ich anderer Meinung als möglicherweise die Kirche, obwohl es auch da verschiedene
Meinungen gibt, wie ich sehr wohl weiß. Die Kirche hat ihre Wahrheit, und dass die
Gläubigen diese für verbindlich halten, ist selbstverstänndlich. Aber wenn man wie
ich ein Amt hat, ein öffentliches Amt, dann muss man bedenken, dass es Menschen gibt,
die religiös gebunden sind, in unterschiedlicher Art, dass es aber auch Menschen gibt,
die nicht religiös gebunden sind und Kraft anderer Weltanschaung ihr Gewissen bilden. Und
da kann ich nicht unversehens die Voraussetzungen, die die Kirche macht, auf das weltliche
Recht übertragen. Ich bin durchaus der Meinung, dass man sowohl im Schwangerschaftskonflikt,
als auch im Konflikt am Ende des Lebens der Selbstbestimmung des Menschen einen größeren
Raum einräumen muss.
Nun sind ja Nächstenliebe und Barmherzigkeit juristisch
und wohl auch gesellschaftspolitisch nicht messbar. Sollten diese beiden Begriffe
nicht dennoch mehr Berücksichtigung finden, auch auf diesem schwierigen Gebiet - in
Ausnahmefällen natürlich - meinten Sie das?
*Ganz gewiss. Das kann
man zwar juristisch nicht beurteilen. Aber wenn man beispielsweise das Selbstbestimmungsrecht
der Mutter gegen die Schutzwürdigkeit des werdenden Lebens abwiegt, dann sind das
Momente, die im menschlichen, alltäglichen Leben eine große Rolle spielen. Und die
in gewisser Weise auch der Richter berücksichtigen, jedenfalls respektieren muss.
Wir
kommen jetzt zu Johann Wolfgang von Goethe: er ist der Namensträger des von Ihnen
geleiteten internationalen Goethe-Instituts, das heute mit über 3.000 Mitarbeitern,
in 145 Niederlassungen in fast 80 Ländern rund um den Globus präsent ist. Auch Goethe
war Jurist, wie Sie.Für den Dichter bedeutete der Wechsel von der Juristerei zur Dichtung
den lebensbestimmenden Übergang von der Pflicht zur Kür. Wie
groß war für Sie,
Frau Professor Limbach, der Schritt von der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts
zur ehrenamtlich geführten Präsidentschaft des internationalen Goetheinstituts?
*Sie
müssen bedenken, meine Zeit der aktiven Brufstätigkeit war mit meinem 68. Lebensjahr
beendet und da bot mir diese Präsidentschaft im Goethe-Institut eine willkommene Möglichkeit
mich weiter auch im Sinne unserer Gesellschaft einzusetzen. Ich habe als ich jung
war, eigentlich Deutsch und Geschichtestudieren wollen. Aber da ich schon vor hatte,
mich dem schreibenden Gewerbe - also der Journalistik zuzuwenden - habe ich aus Zweckmäßigkeitsgründen
Jura studiert, weil ich dachte, das dies eine zwingende Voraussetzung für eine politissche
Redakteurin sei.
Nun ist die Sprache - wem sag ich das hier - vielleicht
das essentiellste Element der Kultur eines Volkes, einer Nation. Sie haben auf Goethes
Spuren deutsche Kultur in die ganze Welt getragen. Wie groß ist heute das Interesse
an deutscher Kultur im Ausland?
*Wir sind erfreut darüber, dass das
Interesse nach wie vor rießengroß ist. Wir könnten viel mehr Goethe-Institute haben,
als wir gegenwärtig in der Welt geöffnet haben. Durch die Zusammenarbeit auch mit
den anderen europäischen Kultur-Instituten - denken wir an Dante Alighieri, denken
wir an das Institut Cervantes oder British Council - ist die europäische Kulturarbeit
insgesamt innerhalb und außerhalb Europas sehr viel interessanter geworden und gerade
diese Art der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene bringt uns allen eine große Reputation
ein.
Ist der Traum von der Weltsprache für die deutsche Sprache endgültig
ausgeträumt?
* Der ist, denke ich, endgültig ausgeträumt. Es mag in
einigen Bereichen, wie beispielsweise in der Philosophie, nach wie vor vorzugsweise
deutsch gesprochen werden. Immer wieder hören Sie von Philosophen:ohne dass man die
deutsche Sprache erlernt, kann man sich der Philosophie nicht widmen wollen. Aber
in vielen Bereichen wodie deutsche Sprache die Weltsprache gewesen ist, im Anfang
des vorrigen Jahrhunderts beispielsweise, in den Naturwissenschaften, hat die englische
Sprache inzwischen ausden verschiedensten Gründen den Sieg davon getragen.
Kann
man daraus den Schluss ziehen, dass die deutsche Sprache durch die Globalisierung
an Bedeutung verloren hat?
*Alle Sprachen geraten durch die Globalisierung,
durch die weltweite Vernetzung unter Druck, weil nämlich dann der Druck in Richtung
eine gemeinsame Sprache zu sprechen, immer stärker wird. Dieser Druck wird gegenwärtig
zu Gunsten der englischen Sprache ausgetragen. Aber in Europa haben wir ja das Ziel
der Mehrsprachigkeit zu einer der grundlegenden Devisen der Kulturarbeit gemacht und
darum denken wir, eingeschlossen die britischen Kulturinstitute, stark darüber nach,
wie wir über das Englische hinausgehend Mehrsprachigkeit innerhalb Europas erreichen
können.
Wir kommen jetzt zu einer sehr persönlichen Frage: Niemand
anders als Goethe selbst erinnert in seinem Hauptwerk "Faust" an eine grundsätzliche Lebensfrage:
"Nun sag! Wie hast Du!s mit der Religion? Darf ich diese Kernfrage, die Margarethe
an Dr.Faust stellt, so salopp an Sie weitergeben?
*Ich hoffe ich enttäusche
Sie nicht, wenn ich zunächst einmal antworte: Ich bin eine Agnostikerin. Mein Vater
hat, wie es damals offenbar unter Sozialdemokraten Mode war, uns nicht taufen lassen,
sondern hat uns Kindern gesagt, ab 14 Jahren möget ihr entscheiden, ob ihr einer Kirche
beitretet oder nicht. Mein Schwester hat sich dafür entschieden, ich bin nicht Mitglied
einer Kirche geworden. Gleichwohl würde ich mich für eine Christin halten, denn meine
Eltern haben dafür gesorgt, dass ich nicht nur einen christlichen Kindergarten besucht,
sondern immer auch am Religionsunterricht teilgenommen habe. Aber lassen Sie mich
eines hinzusetzen: ich habe im Nachhinein die Entscheidung meiner Eltern nicht für
gut empfunden, und habe es hinsichtlich meiner Kinder mit meinem Mann anders gehalten.
Nicht nur habe ich krichlich mit päpstlicher Dispens geheiratet, sondern wir haben
alle Kinder taufen lassen, die offenbar der Kirche alle treu geblieben sind, denn
auch unsere fünf Enkelkinder sind getaufte Kinder!
Europa war einmal
vom Christentum geprägt. Wenn seine Werte morgen nicht mehr bekannt sein sollten,
vergessen sein sollten, wer wird dann die Gesellschaft zusammenhalten, wer die christlichen
Traditionen, Sitten und Moral glaubhaft vertreten und weitertragen?
*Ich
habe schon mit Ihrer Unterstellung Schwierigkeiten weil ich mir eine Welt ohne Christentum
nicht vorstellen kann. Und wenn es das nicht mehr gäbe - man müßte es glatt wieder
erfinden. Und was ist dann im Grunde genommen der richtige Weg? Diese christliche
Tradition, die schon über Jahrtausende währt, weiter zu bewahren und ich denke, dass
das bei allen Mißerfolgen in der Moderne den Kirchen auch gelingen wird.
Frau
Professor Limbach, Sie haben eine beispielloseLaufbahn hinter sich gebracht und sind
für viele Menschen zu einem Vorbild geworden. Nicht nur für Rechtsgelehrte, Sprachwissenschaftler
und hohe Kulturvertreter, sondern auch für ganz normale einfache Menschen. Wie haben
Sie das geschafft, mit einer Familie mit drei Kindern einen so trefflichen, beispiellosen
Erfolg zu erzielen?
*Ich denke ich habe dies sowohl meiner Herkunftsfamilie
zu verdanken, als auch der Familie, die ich selbst mitgegründet habe.Meine Eltern
haben mich schon so erzogen, dass ein Mensch, auch ein weibliches Wesen - schon meine
Großmutter war politisch aktiv - beides können muss:eine Familie haben und auch einen
Beruf oder eine politische Tätigkeit ausüben muss. Und dann habe ich einfach auch
meiner Familie zu danken, meinem Mann, der sich mich nur als Hausfrau überhaupt nicht
vorstellen konnte, und meinen Kindern, die sehr selbstständig dieses Familienleben,
diese Arbeitsteilung mitgetragen haben. Und dann muss ich eines zugeben: wir Limbachs
waren schon auf Grund unserer Ausbildung und der Position, die wir jeweils innehatten,
finanziell auch so privilegiert, dass wir uns immer ein Kindermädchen leisten konnten.
Unsere Kinder also immer betreut waren. Und vielleicht sollte ich doch hinzusetzen,
dass es in solch einem Leben - so elegant manches klingt - doch immer auch schwierige
Situationen gibt, in denen man darauf angewiesen ist, dass die Familienmitglieder
einen unterstützen- dass aber auch Institutionen wie die Kirche und die Schule - mit
dazu beitragen, dass Kinder einen Hort finden,und dass Kinder ab einem gewissen Alter
sich Richtlinien setzen, - auf gut deutsch - ihr Gewissen ausbilden können.