2009-03-27 12:19:17

D: Jutta Limbach wird 75


RealAudioMP3 Eine der profiliertesten Frauen im öffentlichen Leben Deutschlands feiert an diesem Freitag Geburtstag: Jutta Limbach wird 75. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts war bis Ende letzten Jahres auch Chefin des Goethe-Instituts; schon mehrfach wurde sie als mögliche erste Bundespräsidentin ins Gespräch gebracht. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Bonn.

Wir dokumentieren hier ein Gespräch unseres Redakteurs Aldo Parmeggiani mit Frau Limbach. Es wurde in unserer Reihe „Menschen in der Zeit“ am 15. März von Radio Vatikan ausgestrahlt.


Frau Professor Limbach: wir möchten Sie durch das folgende Gespräch beruflich und menschlich besser kennen lernen und möchten uns für Ihre freundliche Bereitschaft dazu herzlich bedanken. Das Traumziel eines jeden Juristen ist es, Richter am Bundesverfassungsgericht zu werden. Sie haben dieses Ziel erreicht.. Mehr noch: Sie waren von 1994-2002 die erste Frau an der Spitze des höchsten deutschen Gerichts. Ebenso sind Sie die erste deutsche Frau, die die Präsidentschaft der weltweiten Goethe-Institute ehrenamtlich angenommen und sechs Jahre lang von 2002-2008 bekleidet hat.
Auch waren Sie im Gespräch, erste Frau als Bundespräsidentin zu werden. Eine Laufbahn dieser Art sucht ihresgleichen. Wenn Sie Ihre Zeit als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Deutschland Revue passieren lassen - was hat Sie in dieser Periode am meisten bewegt?



*Am meisten haben mich zwei Entscheidungen bewegt. Die eine, die sich mit den Änderungen des Asylrechts im Grundgesetz auseinandersetzen mußte, und die zweite war das erste Verfahren, das ich überhaupt zu leiten hatte: das war der Einsatz der Bundeswehr innerhalb von Friedensmissionen der Vereinten Nationen.



Welche menschlichen Eigenschaften sind für die Ausübung so hoher Ämter, wie Sie sie bekleidet haben, besonders hilfreich oder vielleicht sogar Voraussetzung?



*Ich denke: Durchsetzungswillen, den muss man auf jeden Fall haben, auch als Frau.Dann kommt hinzu, Selbstdisziplin, und nicht zuletzt ein klarer Verstand.



Sie sind immer unmissverständlich in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechte eingetreten. In erster Linie für die Unantastbarkeit der Menschenwürde und für das Grundrecht, das den Schutz des Lebens zum Inhalt hat. Sie haben immer die Ethik, die Moral und die Religion als Säulen des modernen Staates bezeichnet. Mehr noch:Sie ziehen daraus den Schluss, dass ein säkularisierter Staat auf Voraussetzungen beruht, die die Verfassung allein nicht garantieren kann. Sie räumen also auch der Kirche eine große Verantwortung ein?



*Das stimmt. Weil die Kirche Vertreterin der christlichen Religionen ist.
Darum spielt sie als Institution auch eine große Rolle. Das sehen wir nicht zuletzt auch daran, dass sich diese Institution durch die Jahrhunderte hinweg erhalten hat.



Wie Sie wissen, ist die Kirche die große Verteidigerin des menschlichen Lebens und zwar in seiner ganzen Spannweite.Der Papst wird nicht müde, das Leben in jeder Phase und in jeder Konstitution zu verteidigen. Von der Zeugung bis zum natürlichen Tod. Wie beurteilen Sie die unantastbaren Prinzipien, an denen die Kirche - im Grenzbereich von Geburt und Tod - so festhält. Sagen wir einmal vom juristischen Standpunkt aus? Sind Euthanasie, Sterbehilfe, Abtreibung in jedem Fall mit der Menschenwürde unvereinbar?



*Da bin ich anderer Meinung als möglicherweise die Kirche, obwohl es auch da verschiedene Meinungen gibt, wie ich sehr wohl weiß. Die Kirche hat ihre Wahrheit, und dass die Gläubigen diese für verbindlich halten, ist selbstverstänndlich. Aber wenn man wie ich ein Amt hat, ein öffentliches Amt, dann muss man bedenken, dass es Menschen gibt, die religiös gebunden sind, in unterschiedlicher Art, dass es aber auch Menschen gibt, die nicht religiös gebunden sind und Kraft anderer Weltanschaung ihr Gewissen bilden.
Und da kann ich nicht unversehens die Voraussetzungen, die die Kirche macht, auf das weltliche Recht übertragen. Ich bin durchaus der Meinung, dass man sowohl im Schwangerschaftskonflikt, als auch im Konflikt am Ende des Lebens der Selbstbestimmung des Menschen einen größeren Raum einräumen muss.



Nun sind ja Nächstenliebe und Barmherzigkeit juristisch und wohl auch gesellschaftspolitisch nicht messbar. Sollten diese beiden Begriffe nicht dennoch mehr Berücksichtigung finden, auch auf diesem schwierigen Gebiet - in Ausnahmefällen natürlich - meinten Sie das?



*Ganz gewiss. Das kann man zwar juristisch nicht beurteilen. Aber wenn man beispielsweise das Selbstbestimmungsrecht der Mutter gegen die Schutzwürdigkeit des werdenden Lebens abwiegt, dann sind das Momente, die im menschlichen, alltäglichen Leben eine große Rolle spielen. Und die in gewisser Weise auch der Richter berücksichtigen, jedenfalls respektieren muss.



Wir kommen jetzt zu Johann Wolfgang von Goethe: er ist der Namensträger des von Ihnen geleiteten internationalen Goethe-Instituts, das heute mit über 3.000 Mitarbeitern, in 145 Niederlassungen in fast 80 Ländern rund um den Globus präsent ist. Auch Goethe war Jurist, wie Sie.Für den Dichter bedeutete der Wechsel von der Juristerei zur Dichtung den lebensbestimmenden Übergang von der Pflicht zur Kür. Wie

groß war für Sie, Frau Professor Limbach, der Schritt von der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts zur ehrenamtlich geführten Präsidentschaft des internationalen Goetheinstituts?



*Sie müssen bedenken, meine Zeit der aktiven Brufstätigkeit war mit meinem 68. Lebensjahr beendet und da bot mir diese Präsidentschaft im Goethe-Institut eine willkommene Möglichkeit mich weiter auch im Sinne unserer Gesellschaft einzusetzen. Ich habe als ich jung war, eigentlich Deutsch und Geschichtestudieren wollen. Aber da ich schon vor hatte, mich dem schreibenden Gewerbe - also der Journalistik zuzuwenden - habe ich aus Zweckmäßigkeitsgründen Jura studiert, weil ich dachte, das dies eine zwingende Voraussetzung für eine politissche Redakteurin sei.



Nun ist die Sprache - wem sag ich das hier - vielleicht das essentiellste Element der Kultur eines Volkes, einer Nation. Sie haben auf Goethes Spuren deutsche Kultur in die ganze Welt getragen. Wie groß ist heute das Interesse an deutscher Kultur im Ausland?



*Wir sind erfreut darüber, dass das Interesse nach wie vor rießengroß ist.
Wir könnten viel mehr Goethe-Institute haben, als wir gegenwärtig in der Welt geöffnet haben. Durch die Zusammenarbeit auch mit den anderen europäischen Kultur-Instituten - denken wir an Dante Alighieri, denken wir an das Institut Cervantes oder British Council - ist die europäische Kulturarbeit insgesamt innerhalb und außerhalb Europas sehr viel interessanter geworden und gerade diese Art der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene bringt uns allen eine große Reputation ein.



Ist der Traum von der Weltsprache für die deutsche Sprache endgültig ausgeträumt?



* Der ist, denke ich, endgültig ausgeträumt. Es mag in einigen Bereichen, wie beispielsweise in der Philosophie, nach wie vor vorzugsweise deutsch gesprochen werden. Immer wieder hören Sie von Philosophen:ohne dass man die deutsche Sprache erlernt, kann man sich der Philosophie nicht widmen wollen.
Aber in vielen Bereichen wodie deutsche Sprache die Weltsprache gewesen ist, im Anfang des vorrigen Jahrhunderts beispielsweise, in den Naturwissenschaften, hat die englische Sprache inzwischen ausden verschiedensten Gründen den Sieg davon getragen.



Kann man daraus den Schluss ziehen, dass die deutsche Sprache durch die Globalisierung an Bedeutung verloren hat?



*Alle Sprachen geraten durch die Globalisierung, durch die weltweite Vernetzung unter Druck, weil nämlich dann der Druck in Richtung eine gemeinsame Sprache zu sprechen, immer stärker wird. Dieser Druck wird gegenwärtig zu Gunsten der englischen Sprache ausgetragen. Aber in Europa haben wir ja das Ziel der Mehrsprachigkeit zu einer der grundlegenden Devisen der Kulturarbeit gemacht und darum denken wir, eingeschlossen die britischen Kulturinstitute, stark darüber nach, wie wir über das Englische hinausgehend Mehrsprachigkeit innerhalb Europas erreichen können.



Wir kommen jetzt zu einer sehr persönlichen Frage: Niemand anders als Goethe selbst erinnert in seinem Hauptwerk "Faust" an eine grundsätzliche
Lebensfrage: "Nun sag! Wie hast Du!s mit der Religion? Darf ich diese Kernfrage, die Margarethe an Dr.Faust stellt, so salopp an Sie weitergeben?



*Ich hoffe ich enttäusche Sie nicht, wenn ich zunächst einmal antworte: Ich bin eine Agnostikerin. Mein Vater hat, wie es damals offenbar unter Sozialdemokraten Mode war, uns nicht taufen lassen, sondern hat uns Kindern gesagt, ab 14 Jahren möget ihr entscheiden, ob ihr einer Kirche beitretet oder nicht. Mein Schwester hat sich dafür entschieden, ich bin nicht Mitglied einer Kirche geworden. Gleichwohl würde ich mich für eine Christin halten, denn meine Eltern haben dafür gesorgt, dass ich nicht nur einen christlichen Kindergarten besucht, sondern immer auch am Religionsunterricht teilgenommen habe. Aber lassen Sie mich eines hinzusetzen: ich habe im Nachhinein die Entscheidung meiner Eltern nicht für gut empfunden, und habe es hinsichtlich meiner Kinder mit meinem Mann anders gehalten. Nicht nur habe ich krichlich mit päpstlicher Dispens geheiratet, sondern wir haben alle Kinder taufen lassen, die offenbar der Kirche alle treu geblieben sind, denn auch unsere fünf Enkelkinder sind getaufte Kinder!



Europa war einmal vom Christentum geprägt. Wenn seine Werte morgen nicht mehr bekannt sein sollten, vergessen sein sollten, wer wird dann die Gesellschaft zusammenhalten, wer die christlichen Traditionen, Sitten und Moral glaubhaft vertreten und weitertragen?



*Ich habe schon mit Ihrer Unterstellung Schwierigkeiten weil ich mir eine Welt ohne Christentum nicht vorstellen kann. Und wenn es das nicht mehr gäbe - man müßte es glatt wieder erfinden. Und was ist dann im Grunde genommen der richtige Weg? Diese christliche Tradition, die schon über Jahrtausende währt, weiter zu bewahren und ich denke, dass das bei allen Mißerfolgen in der Moderne den Kirchen auch gelingen wird.



Frau Professor Limbach, Sie haben eine beispielloseLaufbahn hinter sich gebracht und sind für viele Menschen zu einem Vorbild geworden. Nicht nur für Rechtsgelehrte, Sprachwissenschaftler und hohe Kulturvertreter, sondern auch für ganz normale einfache Menschen. Wie haben Sie das geschafft, mit einer Familie mit drei Kindern einen so trefflichen, beispiellosen Erfolg zu erzielen?



*Ich denke ich habe dies sowohl meiner Herkunftsfamilie zu verdanken, als auch der Familie, die ich selbst mitgegründet habe.Meine Eltern haben mich schon so erzogen, dass ein Mensch, auch ein weibliches Wesen - schon meine Großmutter war politisch aktiv - beides können muss:eine Familie haben und auch einen Beruf oder eine politische Tätigkeit ausüben muss. Und dann habe ich einfach auch meiner Familie zu danken, meinem Mann, der sich mich nur als Hausfrau überhaupt nicht vorstellen konnte, und meinen Kindern, die sehr selbstständig dieses Familienleben, diese Arbeitsteilung mitgetragen haben.
Und dann muss ich eines zugeben: wir Limbachs waren schon auf Grund unserer Ausbildung und der Position, die wir jeweils innehatten, finanziell auch so privilegiert, dass wir uns immer ein Kindermädchen leisten konnten. Unsere Kinder also immer betreut waren. Und vielleicht sollte ich doch hinzusetzen, dass es in solch einem Leben - so elegant manches klingt - doch immer auch schwierige Situationen gibt, in denen man darauf angewiesen ist, dass die Familienmitglieder einen unterstützen- dass aber auch Institutionen wie die Kirche und die Schule - mit dazu beitragen, dass Kinder einen Hort finden,und dass Kinder ab einem gewissen Alter sich Richtlinien setzen, - auf gut deutsch - ihr Gewissen ausbilden können.

Aldo Parmeggiani







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