Vatikan/Afrika: Papstreise aus Sicht eines afrikanischen Intellektuellen
Afrikas Intellektuelle sind hochzufrieden mit der Reise Papst Benedikts nach Kamerun
und Angola. Mit Worten und Gesten hat Joseph Ratzinger auf dem schwarzen Kontinent
bewiesen, dass er als Papst das zentrale Anliegen der afrikanischen Theologie teilt:
Gerechtigkeit, Versöhnung, Befreiung. Wir unterhielten uns für diese Sendung mit Filomeno
Lopez, einem Philosophen und Fundamentaltheologen aus Guinea Bissau.
„Es
war noch nie geschehen in der Kirchengeschichte, dass ein Papst persönlich das Instrumentum
Laboris für eine Synode verteilt. Und Benedikt bringt es bei seiner ersten
Reise nach Afrika. Und er sucht sich dafür ausgerechnet Kamerun aus. Das ist ein Zeichen
- nicht nur dafür, dass der die Sorgen der Afrikaner teilt, sondern es ist auch ein
Moment großer Versöhnung. Er wählte Kamerun. Dieser Papst wurde vor kurzem kritisiert
wegen seines Zugehens auf die Traditionalisten als jemand kritisiert, der sich ausschließlich
zu den Konservativen öffnet und wenig geneigt ist, sich den so genannten Progressiven
zu öffnen. Nun ist es so, dass in der Geschichte der afrikanischen Theologie die progressivsten
Denker sich gerade in Kamerun konzentrieren. Es sind Jean-Marc Ela, Fabien Eboussi
Boulaga, Engelbert Mveng. Engelberg Mveng, ein Jesuit, wurde 1995 auf bestialische
Weise ermordet, gekreuzigt auf seinem Bett, das Gehirn herausgeschnitten. Jean-Marc
Ela hingegen war dazu gezwungen, wegen seines Eintretens für die Gerechtigkeit und
Frieden im Exil zu leben. Der außergewöhnlichste Text des Papstes bei seiner Reise
war der vor den Bischöfen in Kamerun und vor der Kommission der zwölf, die also ganz
Afrika anging, denn hier sprach er vor dem ganzen Kontinent, nicht nur von Kamerun.
Der Papst geht soweit, in diesem Text Begriffe zu verwenden, etwa „laisser pour compte“,
die typisch für Jean-Marc Ela sind. Deshalb denke ich, Papst Benedikt hat für diese
Botschaft diesen Ort ausgesucht, wo er sich versöhnen wollte mit denen, die den Idealen
der Kirche dienen, also mit den afrikanischen Theologen und ihrem Wirken.“
Afrika,
führt Filomeno Lopez aus, ist die Wiege der Theologie der Befreiung. Diese hatte Joseph
Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in den 80er-Jahren ganz gut kennen
gelernt.
„Als Bewegung ist die Befreiungstheologie Ende der 60-er Jahre
in Afrika entstanden. Sie gründete sich auf die Lektüre des Wortes Gottes als Befreiungsschlag
gegen die Unterdrückung. Die Lateinamerikaner schufen dann eine systematische
Theologie der Befreiung. Aber die Theologie der Befreiung als Lebenserfahrung
begann in Afrika: Der Kampf gegen Apartheid in Südafrika etwa ist Teil dieser „schwarzen“
Theologie der Befreiung, die übrigens niemals marxistische Elemente aufnahm. Jean-Marc
Ela schilderte das Problem der Ungerechtigkeit als eine „Kultur des Anti-Bruders“.
Und Engelbert Mveng sagte: Wenn das Evangelium von Jesus Christus keine Botschaft
der Befreiung für uns ist, dann interessiert uns dieses Evangelium nicht, dann geht
es uns nichts an. Aber das Evangelium interessiert uns Afrikaner, weil Christus selbst
das Modell des unterdrückten Befreiers war“. Das sind Dinge, die der Papst heute aus
dem Abstand von Jahren vollständig anerkennt. Welche bessere Art von Versöhnung kann
es geben? Und welche Geste der Demut des Papstes, der anerkennt, dass die Kirche vielleicht
nicht rechtzeitig gehandelt hat, jetzt aber versucht, die Dinge wieder ins Lot zu
bringen!“
Die Afrika-Reise war auch eine Hinführung auf die zweite Afrika-Synode,
die im Oktober dieses Jahres in Rom stattfinden wird. Aus diesem Grund händigte der
Papst den Bischöfen das Arbeitsinstrument aus. Filomeno Lopez war 1994 Beobachter
der ersten Afrika-Synode im Vatikan.
„Diese erste Afrika-Synode stand an
einem höchst traurigen und dramatischen Moment der afrikanischen Geschichte und auch
der Kirchengeschichte. Ich spreche vom Völkermord von Ruanda mit seinen 800.000 Toten
in 100 Tagen. Bei der Vorbereitung der Synode gab es viele Texte, die besonders die
christlichen Gemeinden von Ruanda und Burundi als vorbildlich gepriesen hatten - als
Modelle für Afrika. Doch am ersten Tag der Synode kam Papst Johannes Paul in die Synodenaula
– ich kann mich noch an seinen Gesichtsausdruck erinnern. Er trat ans Mikrofon und
verkündete, dass die Bischöfe aus Ruanda und Burundi in ihre Länder zurückkehren mussten,
weil jene Feindseligkeiten begonnen hatten, die dann zum Völkermord führen sollten.
Ich denke, dass Johannes Paul in diesem Moment beschlossen hat, eine weitere Afrika-Synode
über Frieden und Versöhnung einzuberufen. Denn bei der ersten Synode ging es um Inkulturation.
Das Problem Gerechtigkeit und Frieden in Afrika trat in den Hintergrund. Gerechtigkeit
war aber für viele, vor allem Kameruner Theologen das grundlegende Problem Afrikas.“
Benedikt XVI. bestätige diese Synode bereits zu Beginn seines Pontifikates.
„Das bedeutet, dass er als Papst die Sorge der Afrikaner um Gerechtigkeit, Frieden
und Versöhnung voll angenommen hat“, unterstreicht Lopez. Auch vor diesem Hintergrund
ist es für einen afrikanischen Intellektuellen kaum nachvollziehbar, dass in den Analysen
westlicher Beobachter dieser Papstreise ausgerechnet das Kondom so breiten Raum einnimmt.
„Ich will hier fragen, ob der Norden jemals so eine Polemik vom Zaum brechen
würde rund um Malaria, TBC und Hunger. Das sind die drei Dinge, die WIRKLICH die afrikanische
Bevölkerung dezimieren. Aids ist ein Problem, aber es steht nicht an erster Stelle.
Wen haben Sie im Westen jemals über Malaria sprechen gehört? Über Hunger? Beides sind
politische Fragen, die der Westen gelöst hat. Aids ist ein Thema, weil es noch keinen
Impfstoff gibt. Aber sobald es einen Impfstoff gibt – wird sich dann Europa dann immer
noch als Verteidiger Afrikas gerieren? In Sachen Aids war für Afrikaner die interessanteste
Forderung des Papstes jene, dass die anti-retroviralen Aids-Medikamente weiterhin
gratis sein müssen. Das ist es, was die Afrikaner interessierte. Denn die einzige
moralische Autorität, die diese Forderung bisher erhoben hat, ist Mandela. Wir Afrikaner
wissen alle, dass die Pharmariesen nur darauf warten, dass Mandela abtritt. Nun hat
also der Papst in Afrika dieselbe Botschaft verbreitet. Das hat eine enorme Bedeutung
für die Afrikaner. Es bedeutet, ihr könnt auf uns zählen, wenn es darum geht, weiterhin
dieselbe Behandlung zu erhalten.“
Aus Sicht der afrikanischen Intellektuellen
besteht überhaupt kein Zweifel daran: Papst Benedikts Visite in Kamerun und Angola
war nicht nur ein Erfolg. Sie hat vielmehr bewiesen, dass dieser europäische Papst
fast ein wenig Afrikaner ist.
„Freunde haben mich gefragt: Gibt es eine
Möglichkeit, nächsten Sonntag auf den Petersplatz zum Angelus zu gehen und ein Transparent
für den Papst zu entrollen: Danke, lieber Papst, für die Dinge, die Du gesagt hast?
Denn wir Intellektuellen haben seit Jahren darauf gewartet, dass uns der Papst diese
Dinge sagt. Und dass sie uns gerade Papst Ratzinger gesagt hat, ruft bei den Intellektuellen
Afrikas wirklich Freude hervor.“