Wir dokumentieren die Predigt Papst Benedikts in einer nichtoffiziellen deutschen
Arbeitsübersetzung.
Liebe Brüder und Schwestern, geliebte Mitarbeiter im
Weinberg des Herrn!
Wie wir gehört haben, sagten die Söhne Israels zueinander:
„Lasst uns streben nach der Erkenntnis des Herrn“. Mit diesen Worten fassten
sie wieder neuen Mut, während sie sich mit Leiden überhäuft sahen. Diese Leiden sind
über sie hereingebrochen – so erklärt es der Prophet Hosea – weil sie in der Ignoranz,
in der Unwissenheit Gottes lebten; ihr Herz war arm an Liebe. Und die einzige Medizin,
die es vermögen konnte, es zu heilen, war der Herr. Ja, es war tatsächlich gerade
der Herr, der als der gute Arzt dazu fähig war, die Wunde zu öffnen, damit diese Verletzung
heilen konnte. Und das Volk traf seine Entscheidung: „Kommt, wir kehren zum Herrn
zurück! Denn er hat Wunden gerissen, er wird uns auch heilen“ (Hos 6,1). In diesem
Moment haben sich das menschliche Leid und die göttliche Barmherzigkeit überkreuzt,
die nichts anderes ersehnt als die Armen aufzunehmen. Das betrachten wir auch
im Evangelium, das uns verkündet wurde: „Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf,
um zu beten“; von dort „kehrte einer als Gerechter nach Hause zurück, der andere
nicht“ (Lk 18,10.14). Dieser Letzte hatte alle seine Verdienste Gott dargelegt,
gleichsam indem er Ihn zu seinem Schuldner machte. Im Innersten jedoch hatte er kein
Bedürfnis nach Gott, auch wenn er Ihm dafür dankte, dass er ihm so perfekt und „nicht
wie dieser Zöllner dort“ zu sein gewährte. Und doch wird es eben der Zöllner sein,
der als Gerechter nach Hause zurückkehren wird. Im Bewusstsein seiner Sünden, die
er mit gesenkten Haupt – aber in Wirklichkeit ganz zum Himmel ausgestreckt – bedenkt,
erwartet er alles vom Herrn: „Gott, sei mir armem Sünder gnädig“ (Lk 18,13).
Er klopft an die Pforte der Barmherzigkeit, die sich ihm öffnet und ihn gerecht macht,
„denn – so schließt Jesus in der Erzählung – wer sich selbst erhöht, wird
erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 18,14). Von
diesem Gott, reich an Erbarmen, spricht aus persönlicher Erfahrung der Heilige Paulus,
Patron der Stadt Luanda und Patron dieser wunderbaren Kirche, die vor knapp 50 Jahren
erbaut wurde. Mit dem laufenden Jubiläumsjahr wollte ich die Erinnerung an die Geburt
des Heiligen Paulus vor 2.000 Jahren wecken, mit dem Ziel, von ihm unterwiesen zu
werden, um Christus besser erkennen zu können. Das ist das Zeugnis, das er uns hinterlassen
hat: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus
ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste. Aber
ich habe Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als Erstem seine ganze Langmut
beweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige
Leben zu erlangen“ (1 Tim 1,15-16). Im Lauf der Jahrhunderte hat die Zahl derer,
die diese Gnade erreicht haben, unaufhörlich zugenommen. Du und ich gehören zu diesen.
Danken wir Gott, dass er uns gerufen hat, in diesen Wechsellauf der Zeiten einzutreten,
um uns der Zukunft anzunähern. Folgen auch wir denen, die Jesus gefolgt sind; und
mit ihnen zusammen folgen wir selbst Jesus nach, und so treten wir ein in das Licht.
Liebe
Brüder und Schwestern, ich empfinde eine große Freude in mir, dass ich mich heute
in eurer Mitte befinde, inmitten meiner täglichen Gefährten im Weinberg des Herrn;
um diesen kümmert ihr euch in täglicher Fürsorge, wenn ihr den Wein der göttlichen
Barmherzigkeit bereitet und ihn vergießt auf den Wunden eures Volkes, das so sehr
leidet. Monsignore Gabriel Mbilingi hat eure Hoffnungen und Anstrengungen in seinen
freundlichen Worten zum Ausdruck gebracht, die er im Willkommensgruß an mich gerichtet
hat. Mit dankbarem und von Hoffnung erfülltem Herzen grüße ich alle – Frauen und Männer,
die sich ganz der Sache Jesu Christi hingeben – die ihr euch hier eingefunden habt
und so zahlreich vertreten seid: Bischöfe, Priester, Männer und Frauen des geweihten
Lebens, Seminaristen, Katecheten, die Leiter verschiedener Bewegungen und Vereinigungen
dieser geliebten Kirche Gottes. Ich möchte ferner erinnern an die kontemplativen Ordensleute,
die nicht sichtbar unter uns sind, aber doch so äußerst fruchtbar für unseren Weg
durch diese Zeit sind. Mir sei schließlich auch ein besonderer Gruß an die Salesianer
und an die Gläubigen dieser Pfarrei des Heiligen Paulus erlaubt, die uns in ihrer
Kirche aufgenommen und dabei nicht gezögert haben, ihren angestammten Platz zu überlassen,
der ihnen gewöhnlich in der liturgischen Versammlung zusteht. Ich weiß, dass sie sich
auf dem angrenzenden Platz eingefunden haben, und ich hoffe, dass ich sie am Ende
dieser Eucharistiefeier sehen und segnen kann. Aber schon jetzt sage ich ihnen: „Vielen
Dank! Gott bringt in eurer Mitte und durch euch viele Apostel hervor, die ganz in
den Fußspuren eures Patrons stehen“.
Fundamental im Leben des Paulus war seine
Begegnung mit Jesus, als er auf dem Weg nach Damaskus war: Christus erscheint ihm
als ein blendendes Licht, er spricht mit ihm, er ergreift ihn. Der Apostel hat den
auferstandenen Christus gesehen, oder besser gesagt: den Menschen in seiner vollkommenen
Gestalt. Daraufhin ereignet sich in ihm eine Umkehrung der Perspektive, und es kommt
ihm nun zu, jede Sache von dieser endgültigen Gestalt des Menschen in Jesus her zu
sehen: eben darum ist alles, was ihm vorher lebenswichtig und wesentlich erschien,
nun für ihn nichts mehr als nur „Unrat“; es ist nicht mehr Gewinn sondern Verlust,
denn jetzt zählt für Paulus nur noch das Leben in Christus (Vgl. Phil 3,7-8).
Es handelt sich dabei aber nicht um einen einfachen Reifeprozess des „Egos“ von Paulus,
sondern er stirbt sich selbst und erfährt das Auferstehen in Christus: Es stirbt in
ihm die eine Form der Existenz; eine neue Form des Lebens wird in ihm geboren durch
den auferstandenen Herrn.
Meine Brüder und Freunde, „lasst uns Streben nach
Erkenntnis“, nach der Erkenntnis des auferstandenen Herrn! Wir ihr wisst, ist
Jesus, der vollkommene Mensch, auch unser wahrer Gott. In Jesus wird Gott sichtbar
für unsere Augen, damit wir Anteil erhalten an seinem göttlichen Leben. Auf diese
Weise eröffnet sich in Ihm eine neue Dimension des Seins, des Lebens, in die auch
die Materie hineingenommen wird und durch die eine neue Welt sich erhebt. Aber wie
kann dieser Qualitätssprung der universalen Geschichte, den Jesus an unserer Stelle
und für uns vollendet hat, ganz konkret das menschliche Sein erreichen, sein Leben
durchdringen und es zum Höchsten hinziehen? Es erreicht einen jeden von uns durch
den Glauben und durch die Taufe. In der Tat, dieses Sakrament ist Tod und Auferstehung,
ist Umwandlung zu einem neuen Leben. An diesem Punkt kann der Getaufte mit Paulus
bekräftigen: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20).
Ich lebe, aber nicht mehr nur ich allein. In gewisser Weise wird mein Ich geteilt,
und es wird hineingenommen in ein viel größeres Ich; ich habe zwar noch mein Ich,
aber es ist nun umgewandelt und dadurch offen auf die anderen hin, da mein Ich eingefügt
ist in ein anderes: in Christus, womit mir ein neuer Lebensraum erworben ist. Was
ist nun aus uns geworden? Paulus antwortet uns: Ihr seid alle „einer“ in Christus
Jesus (Vgl. Gal 3,28).
Und durch dieses unser Sein in Christus
- durch das Werk und die Gnade des Geistes Gottes - schreitet, im Lauf der Geschichte
sich allmählich weiterentwickelnd, die Bereitung des Leibes Christi voran. In diesem
Moment möchte ich gerne mit meinen Gedanken um 500 Jahre zurückgehen, genauer in das
Jahr 1506 und in die Folgejahre, als in diesen Ländern, damals von den Portugiesen
besucht, das erste christliche Reich unterhalb der Sahara gegründet wurde, dank des
Glaubens und des Beschlusses des Königs Dom Afonso I Mbemba-a-Nzinga, der vom bereits
erwähnten Jahr 1506 bis zum Jahr 1543, seinem Todesjahr, herrschte; das Reich blieb
offiziell katholisch vom 16. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert, mit einem eigenen
Botschafter in Rom. Ihr seht, wie zwei ganz verschiedene Ethnien – die der Banta
und die der Lusiade – versucht haben, in der christlichen Religion eine Basis
des Gemeinsamen zu finden, und sie haben sich dann auch diesem ganz gewidmet, da dieses
Einverständnis lange angedauert hat und die Verschiedenheiten – die es gab, und die
durchaus schwer wiegend waren – die beiden Reiche nicht getrennt haben! Tatsächlich,
die Taufe bewirkt doch, dass alle, die glauben, „eins“ in Christus sind.
Heute
fällt es euch zu, Brüder und Schwestern, auf den Pfaden dieser heldenhaften und heiligmäßigen
Boten Gottes den auferstandenen Christus euren Mitbürgern zu geben. Viele von diesen
leben in der Angst vor den Geistern, vor den unheilvollen Mächten, von denen sie sich
bedroht fühlen; orientierungslos gelangen sie an den Punkt die Straßenkinder zu verurteilen
und auch die Älteren, weil – so sagen sie – diese Medizinmänner sind. Wer kann sich
zu ihnen begeben und ihnen verkünden, dass Christus den Tod besiegt und ebenso alle
diese finsteren Mächte (Vgl. Eph 1,19-23; 6,10-12)? Irgendeiner wird einwenden:
„Warum lassen wir sie nicht in Frieden? Sie haben ihre Wahrheit, und wir haben unsere.
Versuchen wir friedlich miteinander zu leben, lassen wir jeden so, wie er ist, damit
sich auf bessere Weise die je eigene Authentizität wahr wird“. Aber wenn wir doch
überzeugt sind und wir die Erfahrung gemacht haben, dass ohne Christus das Leben unvollständig
ist, eine Wirklichkeit fehlt – ja sogar eine fundamentale Wirklichkeit –, dann müssen
wir tatsächlich auch überzeugt sein, dass wir an niemandem ein Unrecht begehen, wenn
wir ihm Christus zeigen und ihm die Möglichkeit geben, auf diese Weise zu seiner wahren
Authentizität zu finden, ja die Freude geben, das Leben gefunden zu haben. Im Gegenteil,
wir sollen es sogar tun, es ist unsere Pflicht, allen diese Möglichkeit anzubieten,
damit sie das ewige Leben erlangen.
Verehrte und geliebte Brüder und Schwestern,
sagen wir es ihnen so, wie das Volk der Israeliten gesprochen hat: „Kommt, wir
kehren zum Herrn zurück! Denn er hat Wunden gerissen, er wird uns auch heilen“.
Helfen wir der menschlichen Armut, dass sie der göttlichen Barmherzigkeit begegnet.
Der Herr macht uns zu seinen Freunden, Er vertraut sich uns an, schenkt uns seinen
Leib in der Eucharistie, Er vertraut uns seine Kirche an. Und jetzt sollen wir wirklich
seine Freunde sein, sollen ein mit Ihm Fühlen haben, um das zu wollen, was er will,
und das nicht zu wollen, was er nicht will. Jesus selbst hat gesagt: „Ihr seid
meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Joh 15,14). Das möge auch
unsere gemeinsame Verpflichtung sein: alle zusammen seinen Willen zu erfüllen: „Geht
hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16,15).
Umfassen wir seinen Willen, so wie es der Heilige Paulus getan hat: „Das Evangelium
zu verkünden […] ist eine Pflicht für mich; wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht
verkünde!“ (1 Kor 9,16).
Diese Arbeitsübersetzung für Radio Vatikan
erstellte Kaplan Sascha Jung. Die einzig offizielle Übersetzung der Papstpredigt finden
Sie wie immer in der deutschen Ausgabe der Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano”.
(rv 21.03.2009 gs)