2009-03-19 10:36:41

Benedikt XVI. zu Aids, Verhütung und Afrika – ein Dossier


Aids

Papst Benedikt nennt Aids eine “Geißel”, eine „grausame Epidemie“: „Die Zahlen, die in diesem Zusammenhang vorliegen, sind alarmierend!“ Vor allem der Blick auf Afrika beunruhigt ihn; Bischöfe aus dem südlichen Afrika bat er einmal eindringlich, „dieses Virus zu bekämpfen, das nicht nur zum Tod führt, sondern auch die wirtschaftliche und soziale Stabilität des Kontinents ernsthaft in Gefahr bringt“. Und die politischen Verantwortlichen sollten „eine größere Verantwortlichkeit bei der Behandlung dieser Krankheit“ zeigen – eine Mahnung, die wohl auch vor allem in Richtung (südliches) Afrika zielt.

Er fordert Hilfe und Verständnis für Kranke und Infizierte und fordert, dass jegliche Diskriminierung von Aids-Kranken vermieden werden muss. Sehr prononciert weist er aber auch darauf hin, dass Treue und ein verantwortliches Sexualleben aus seiner Sicht der beste Schutz gegen Aids sind; Scheidung, Abtreibung, Prostitution, Menschenhandel und eine gewisse „Mentalität der Empfängnisverhütung“ tragen aus seiner Sicht dagegen zu einem „Scheitern in der Sexualmoral“ bei, das die Ausbreitung von Aids erleichtert. „Die traditionelle Lehre der Kirche hat sich als einzig sicherer Weg erwiesen, um die Verbreitung von HIV/Aids zu verhindern.“ Vor allem den Jugendlichen muss die Kirche ständig „das Gefühl, die Freude, das Glück und den Frieden, wie sie die christliche Ehe und die Treue erzeugen“, vor Augen stellen – und auch „die von der Keuschheit gewährte Sicherheit“.

Der Papst will in dieser Sache allerdings auch nicht zu penetrant den Zeigefinger heben; das „grundlegende Stichwort“ bei der Bekämpfung von Aids „heißt Erziehung, Edukation, Bildung“. Das „eigentliche Problem unserer historischen Situation“ ist doch das „Ungleichgewicht“ zwischen dem, „was wir technisch können, und unserem moralischen Vermögen“, das mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt gehalten hat. „Und deswegen ist die Bildung des Menschen das eigentliche Rezept, der Schlüssel von allem, und das ist auch unser Weg“ bei der Bekämpfung von Aids. „Wir haben in ganz Afrika ... ein großes Netz von Schulen aller Stufen“; dort versucht die Kirche nicht nur so genanntes Know-How weiterzugeben, „sondern auch die Menschen zu formen“. Die Schüler sollen begreifen, „Wir müssen aufbauen und nicht zerstören“, und sollen Maßstäbe für eine verantwortliche Lebensweise entwickeln. Außerdem gibt es ja in Afrika „ein Netz von Krankenhäusern und von Pflegestationen, die bis in die letzten Dörfer hineinreichen“. Darum kann man doch wirklich nicht sagen, so Benedikt, „dass wir nur mit lauter „Nein" um uns herumwerfen“. Der Papst ist stolz darauf, dass heute weltweit ungefähr ein Viertel aller Aidskranken in katholischen Einrichtungen betreut wird. Die Kirche steht sowohl bei der „Vorbeugung“ als auch bei der „Behandlung“ von Aids „stets in vorderster Linie“.
Angelus 26.11.06; Interview mit Radio Vatikan, 5.8.06; Generalaudienz 30.11.05; an südafrikanische Bischöfe, 10.6.05 
Empfängnisverhütung

Der Papst kann es durchaus verstehen, daß viele Menschen, auch viele Katholiken, mit der strengen Haltung der Kirche in dieser Frage so ihre Probleme haben. Aus seiner Sicht sollten sich die Kritiker aber weniger auf Einzelfälle stürzen und mehr versuchen zu verstehen, welche Ziele die Kirche mit ihrer Linie verfolgt.

Das ist zum einen das Ziel, zu einem positiven Kinderbild in der Gesellschaft beizutragen; die Menschen sollen wieder begreifen, „daß das Kind, der neue Mensch, ein Segen ist“. Zweitens sollte in unserer Welt der Technik und der Machbarkeit nicht vergessen werden, daß es von Natur aus einen „inneren Zusammenhang“ zwischen Sex und der Zeugung von Kindern gibt, den man nicht zerreißen darf; daß Kinder keine „Produkte“ sind, die unserer Planung unterworfen sind; und daß Mann und Frau in der Sexualität aufeinander bezogen sind. Und drittens glaubt Benedikt XVI., „daß man große moralische Probleme nicht einfach mit Techniken, mit Chemie lösen kann, sondern sie moralisch durch einen Lebensstil lösen muß“. Gerade der Pillenknick hat für Ratzinger den „unlöslichen inneren Zusammenhang zwischen Ehe und Familie“ gezeigt: In dem Moment, wo Familie „nicht mehr wünschbar erscheint“ und „das Sexuelle völlig losgetrennt wird von der Fruchtbarkeit“, wird Ehe nicht mehr attraktiv. Das Auftreten der Pille, „ein scheinbar eher pharmazeutisches... Ereignis“, steht also bei genauerem Hinsehen für eine „tiefgehende geistige und moralische Revolution“.

Als Papst hat Benedikt XVI. das Thema Empfängnisverhütung so gut wie nie behandelt. Stattdessen versucht er immer wieder, eine positive Gesamtschau der christlichen Lehre von Ehe, Familie, Sexualität und Zeugung von Kindern zu entwerfen: „Man muß ja erst wissen, was wir überhaupt wollen, nicht wahr … Man hat so viel gehört, was man nicht darf, daß man jetzt hingegen sagen muß: Wir haben aber eine positive Idee, daß Mann und Frau zueinander geschaffen sind, daß sozusagen es die Skala Sexualität, Eros, Agape, die Dimensionen der Liebe gibt“. Den Vorwurf, die Kirche trage durch ein Verbot von Kondomen zur Aids-Misere in Afrika bei, läßt Benedetto nicht auf sich sitzen: „Ich denke, das eigentliche Problem unserer historischen Situation ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden Anwachsen dessen, was wir technisch können, und unserm moralischen Vermögen, das nicht mitgewachsen ist.“ Darum ist auch in Afrika „die Bildung des Menschen das eigentliche Rezept“. Damit meint er aber nicht nur die Weitergabe von Know-How, denn wenn man „nur beibringt, wie man Maschinen macht und mit ihnen umgeht, und wie man Verhütungsmittel anwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, daß am Schluß Krieg herauskommt und AIDS-Epidemien“. Zur Bildung gehört vielmehr eine Art „Bildung des Herzens, … durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig gebrauchen lernt“. Im übrigen ist gerade in Afrika „die Kultur der Achtung vor dem Leben“ ein wichtiger Teil der Tradition – und sollte stärker respektiert werden.

An Diplomaten, 8.1.07; Interview mit Radio Vatikan, 5.8.06; Wer in der Liebe bleibt, 7; Salz der Erde, 215

Afrika

Benedikt XVI. zeigt auffallend großes Interesse, ja sogar Neugier für Afrika; er spricht von einem „Kontinent sehr großer Möglichkeiten und enormer Großherzigkeit seitens der Menschen“, einem Kontinent – und hier denkt der Theologe in ihm wohl auch an den heiligen Augustinus, der im heutigen Algerien als Bischof arbeitete, und an die vitale nordafrikanische Kirche zur Zeit der Kirchenväter – „mit einem beeindruckenden, lebendigen Glauben“. Allerdings hat Europa im Umgang mit Afrika große Schuld auf sich geladen, indem es „alle Laster des Alten Kontinents exportierte“, nämlich „die Haltung der Korruption“ und „die Gewalt, die Afrika jetzt verwüstet“, den Waffenhandel außerdem und die Ausplünderung der Ressourcen. Zu dieser Verantwortung muss Europa stehen; Afrika liegt heute ausgeraubt und verwundet am Wegrand wie der Fremde im Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Der Papst wendet seine Analyse an dieser Stelle aber etwas überraschend ins Positive und hält ein Plädoyer für die Mission: Die Christen müssen aus seiner Sicht dafür sorgen, „daß die Verbreitung des Glaubens, der auf die tiefsten Erwartungen jedes Menschen antwortet, stärker ist als die Ausfuhr der europäischen Laster.“ Je schlimmer also das Übel, das Europa Afrika angetan hat bzw. noch antut, umso mehr “müssen wir Christen alles tun, damit der Glaube Afrika erreicht und mit dem Glauben die Kraft, diesen Lastern zu widerstehen”.

Eindringlich warnt Benedikt vor „Mutlosigkeit und Resignation“: Es geht darum, das Evangelium „tief in das Innerste der Kulturen und der Traditionen“ Afrikas „eindringen zu lassen“. Mit Sorge sieht er, dass die Armut und die „verheerenden Auswirkungen von Aids“ auf dem Kontinent „den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächen“ und dadurch auch gesunde traditionelle Werte ins Wanken geraten; als Beispiele für diese gefährdeten Werte nennt er „die Familie, das Teilen, die aufmerksame Sorge für Kinder und Jugendliche, den Sinn dafür, daß alles ein Geschenk ist, den Respekt vor älteren Menschen“. Wenn die Kirche mit diesen althergebrachten afrikanischen Werten ein Bündnis eingeht und sie verchristlicht, kann sie auch auf die „Offensive“ der Sekten antworten, „die die Leichtgläubigkeit der Gläubigen ausnützen“.

Energisch widerspricht Benedikt XVI. der Meinung, man müsse in Afrika „die sozialen Projekte ... mit höchster Dringlichkeit voranbringen“, während „die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben ... doch eher partikulär und nicht so vordringlich“ seien. Die Erfahrung, die afrikanische Bischöfe ihm immer wieder mitteilten, sei eine genau entgegengesetzte, dass nämlich die Evangelisierung Vorrang haben sollte; „dass der Gott Jesu Christi bekannt, geglaubt, geliebt werden, die Herzen umkehren muß, damit auch die sozialen Dinge vorangehen“. Aids zum Beispiel kann nur so „wirklich von den tiefen Ursachen her bekämpft und die Kranken mit der nötigen Zuwendung und Liebe gepflegt werden“. Das Soziale und das Evangelium – sie sind einfach nicht zu trennen: „Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig“; ohne Maßstäbe, auf die doch alles ankommt, treten die „Techniken der Gewalt ganz schnell in den Vordergrund“, und die „Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten“ verdrängt alles andere. „Man geht so nur immer weiter fort von der Versöhnung, vom gemeinsamen Einsatz für die Gerechtigkeit und die Liebe.“ Die Afrikaner bewundern zwar die technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften der westlichen Welt, „aber sie erschrecken vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt“. Nicht der christliche Glaube bedroht ihre Identität, sondern die „Verachtung Gottes“ und der „Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht“. Dieser Zynismus, so der Papst scharf, „ist nicht die Art von Toleranz und von kultureller Offenheit, auf die die Völker warten“.
Was die politischen Malaisen Afrikas betrifft, hat Benedikt XVI. viele aufhorchen lassen, als er im Januar 2007 in seiner traditionellen Neujahrsrede vor Diplomaten zuallererst auf Afrika zu sprechen kam, während er etwa die USA noch nicht einmal erwähnte. „Wir dürfen den afrikanischen Kontinent nicht vergessen“, meinte der Papst eindringlich, um dann auf „das Drama von Darfur“ einzugehen, auf den Einsatz von Kindersoldaten in Uganda oder die instabile Lage am Horn von Afrika oder in der Region der Grossen Seen. „Ich wiederhole: Vergessen wir Afrika und seine zahlreichen Kriegs- und Spannungsherde nicht!“ In diesen Ländern lebten oft abseits allen Medieninteresses „Millionen von Menschen in einer Situation großer Verletzbarkeit“. Dennoch, und darauf legt er Wert, fehlen auch „positive Signale für Afrika“ nicht: Da lässt sich zum einen bei manchen Ländern der Wille ausmachen, „immer mehr Verantwortung für ihr eigenes Schicksal zu übernehmen“. Und dann sind da schließlich Millionen von Afrikanern, die sich Tag für Tag zäh um Entwicklung und die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage bemühen – mit einer „würdigen Haltung“, aus der sich lernen ließe.

Jesus von Nazareth, 238; Ansprache an das Dipl. Corps, 8.1.07; Messe in München, 10.11.06; Begegnung mit Klerikern, 13.5.05  
Dritte Welt / Entwicklungshilfe

Die so genannte Dritte Welt – Benedikt XVI. verwendet diesen Begriff fast gar nicht – darf nicht zum Verlierer des Globalisierungsprozesses werden. Der Papst betont, dass Christen „eine besondere Verantwortung gegenüber Afrika, Lateinamerika und Asien haben“. Sein spezielles Interesse gilt Afrika, das er von Korruption, Gewalt, Aids, Ausbeutung der Ressourcen und Waffenhandel „verwüstet“ sieht. „Wir müssen unsere Verantwortung anerkennen, indem wir sicherstellen, dass die Verbreitung des Glaubens, der auf die tiefsten Erwartungen jedes Menschen antwortet, stärker ist als die Ausfuhr der europäischen Laster.“ Dem Papst schwebt ein „christliches Afrika“ vor, „ein glückliches Afrika, ein großer Kontinent des neuen Humanismus“. Mit Blick auf Asien bemerkt Benedikt, dass dort das Christentum „mit Ausnahme der Philippinen“ in allen Staaten nur „eine sehr kleine Minderheit“ ist, „auch wenn es in Indien wächst und sich als eine Kraft der Zukunft darstellt“. In Lateinamerika bereitet dem Papst, der sich intensiv und kritisch mit der Befreiungstheologie auseinandergesetzt hat, der Zustrom zu Sekten Kopfzerbrechen.

An der westlichen Entwicklungshilfe stört den Papst, dass sie glaubt, „von ethischen Problemen völlig absehen“ und moderne Wirtschaften „an bestehenden ethischen und sozialen Systemen vorbei“ aufbauen zu können. Auch die Kirchen hätten zu oft geglaubt, „man müsse zuerst die Segnungen des Wohlstands ausbreiten, und dann könne man hernach auch einmal von Gott reden“. Mit dieser Einstellung lasse sich nicht eine Gesellschaft konstruieren, „in der Freiheit und Recht sinnvoll miteinander vermittelt sind“. Von daher rührt seiner Ansicht nach auch der „Zorn, der sich heute in der Dritten Welt zunehmend gegen Europa und Amerika ausbreitet“: Menschen in diesen Teilen der Welt hätten das Gefühl, „dass einem die eigene Seele zertrampelt worden ist“. Die „Besserwisserei“ der westlichen Entwicklungshilfe, „die Gott nicht nur ausgelassen, sondern die Menschen von Gott abgedrängt hat..., hat erst die Dritte Welt zur Dritten Welt im heutigen Sinn gemacht“. Welche Hybris, zu glauben, man könne mit einer „technizistischen Mentalität“, die die örtlichen Traditionen leugnet, „Steine in Brot verwandeln“! Die kirchliche Lehre von der „universalen Bestimmung der Güter der Schöpfung“ trägt der Papst mit – aber er merkt an, das „ist nicht nur eine schöne Idee, sie muss auch funktionieren.“

In einem Brief an die deutsche Kanzlerin Merkel hat der Papst Ende 2006 seine konkreten, wirtschaftspolitischen Vorstellungen in Sachen Entwicklungshilfe einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Günstige Handelsbedingungen“ für die armen Länder, einschließlich einem „breiten und vorbehaltlosen Zugang zu den Märkten“ der reichen Staaten. Ein völliger „Erlaß der Auslandsschulden der stark verschuldeten armen Länder und der am wenigsten entwickelten Länder“. Erfüllung der so genannten „Millenniumsziele“ zur Erhöhung westlicher Entwicklungshilfe und Reduzierung des Hungers. „Investitionen“ in die Entwicklung von billigen Medikamenten gegen Aids und Malaria. Eindämmung des Handels mit Waffen und Rohstoffen. Und schließlich Kampf gegen Korruption bzw. „Kapitalflucht aus armen Ländern“.
Jesus von Nazareth, 62; Brief an Bundeskanzlerin Merkel, 16.12.06; an römischen Klerus, 13.5.05; Wendezeit für Europa, 117; Gott und die Welt, 153 
(Quelle: Stefan v. Kempis, „Benedikt XVI. – das Lexikon. Von Ablass bis Zölibat“. Benno-Verlag. Leipzig, 2007)







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