Überwiegend positiv reagieren die Medien in Deutschland auf den Papstbrief. Ins Auge
fallen zwei Ausnahmen: die „Frankfurter Allgemeine“ auf der rechten, die Berliner
„tageszeitung“ auf der linken Seite. Generell wird die Berichterstattung über den
Papstbrief aber von Informationen über das Schulmassaker in Baden-Württemberg in den
Hintergrund gedrängt. „Spät, aber nicht zu spät“ kommt der Papstbrief nach dem
Urteil der „Rheinischen Post“: „Er zeichnet sich durch Selbstkritik, Versöhnungsbereitschaft
und christliche Barmherzigkeit aus“. Benedikts Schreiben „beschämt hoffentlich diejenigen
bis hinein ins Kanzleramt, die den Papst ins reaktionäre, antijüdische Zwielicht getaucht
haben.“ „In ungewöhnlicher Offenheit legt das Kirchenoberhaupt seine Beweggründe
dar und wirbt für seinen Kurs“, meint das ZDF. Das „Hamburger Abendblatt“
findet den Brief „so überraschend und ungewöhnlich wie die umstrittene Aufhebung der
Exkommunikation“ der vier Lefebvre-Bischöfe. Dem Blatt fällt vor allem auf, dass Benedikt
gleich zweimal das Wort "Panne" gebraucht“. Die Überlegung des Papstes, dass der Vatikan
künftig stärker aufs Internet achten müsse, habe sich schon am Mittwoch bewahrheitet,
als die FAZ das Schreiben unautorisiert auf ihre Homepage setzte. „Ein offenes
und starkes Wort“, urteilt die katholische „Tagespost“. „Am Ende geht es darum,
wer das letzte Wort hat.“ Benedikt habe „auf dem Höhepunkt der hysterischen Aufregung
in seiner Heimat die schwärzeste Woche seines Pontifikats durchlebt“. Die Offenheit
des Papstes gebe dem Brief „Stärke“: „Er geht direkt auf die immer wieder lautgewordene
Frage ein, ob es denn für den Vatikan nichts Wichtigeres gebe, als sich um eine schismatische
Gruppierung zu kümmern – und lässt auch ein wenig in das eigene Herz des obersten
Hirten der Kirche blicken“. Benedikt XVI. beschönige nichts, „macht jedoch unmissverständlich
klar, dass es zu den obersten Prioritäten des Petrusnachfolgers gehört, für die Einheit
unter den Gläubigen zu sorgen.“ Wo der Papst vom drohenden Glaubensverlust in vielen
Teilen der Welt spreche, werde der Brief „fast dramatisch“. Fazit der „Tagespost“:
„Es ist nicht der „rechte Rand“ der Kirche, den Papst Benedikt vorzugsweise beackert.
Es ist die ganze Welt und es ist die ganze Kirche“.
„Bislang galt ... ein unerschütterlicher
Grundsatz im Vatikan: Päpste machen keine Fehler.“ Das behauptet das Hamburger Magazin
„Der Spiegel“ auf seiner Internetseite. Diesen Grundsatz habe der Papst jetzt
„deutlich durchbrochen“. Kardinal Castrillón Hoyos, „der das Desaster mit den Piusbrüdern
Mitte Januar ausgelöst hatte“, sei durch den Brief „entmachtet“: „Da hat es ordentlich
gerumpelt“, zitiert der „Spiegel“ einen Prälaten. Der Kommentar lobt auch den Hinweis
des Papstes darauf, dass das Thema Pius-Brüder am Vatikan künftig kollegial behandelt
wird; das sei „für den Vatikan mit seiner versteinerten Hierarchie“ von „beträchtlicher
Sprengkraft“. Offenbar wolle Benedikt mit der Kardinalsversammlung am Mittwoch „eine
Art politisches Kabinett der Kardinäle installieren, dass es in der Form bisher nicht
gab“. Das sei „eine neue Ausrichtung in Richtung Kollegialität in Rom, gepaart mit
einem selbstkritischen Papst“. Fazit des „Spiegels“: „Ob allerdings der Kurs der Kirche
mit diesem Schreiben in einen neuen Frühling oder zurück in den alten Trott führt,
wird erst die Zeit zeigen.“ Die Tageszeitung „Die Welt“ betont, dass dieser
Brief „in der jüngeren Kirchengeschichte kein Vorbild hat“. „Nicht die Kritik der
deutschen Bundeskanzlerin, nicht der Protest deutscher Theologen oder gar die Erklärung
der Hirten“ habe den Papst zu dem Brief veranlaßt, sondern ein Galater-Text, der schon
Luther inspiriert habe. Benedikts Schreiben sei ein neuer „Brief an die Galater“;
darin erläutere er einen „komplizierten Vorgang“, „der nicht nur der Bundeskanzlerin
Frau Doktor Merkel, sondern auch vielen Bischöfen offensichtlich nicht mehr ganz klar
und geläufig war.“ „Zu sagen, der neue Brief komme 50 Tage zu spät, trifft die Lage
nicht ganz“, meint der Kommentator. „Dann nämlich hätte jener Konflikt ja unmöglich
mitbedacht werden können, der durch den Streit um die Pius-Bruderschaft inzwischen
wie Kontrastbrei viele Bruchlinien innerhalb der Kirche hat offenbar werden lassen.“
Man solle jetzt nicht erwarten, dass Benedikt künftig öfter mal im Internet surfe:
„Er wird weiter mit Bleistift schreiben, doch selten so wie diesmal“. „Beunruhigend“
werde der Papst, wo er ganz offen von „Hass“ auf ihn schreibe. „Hass auf den Papst?
Davon hat in diesen Tagen keiner offen gesprochen, obwohl er allenthalben mit den
Händen zu greifen war.“ „Ein Papst beschwert sich über den Lärm“ – das ist der
Titel des Kommentars in der „Frankfurter Allgemeinen“ – der Zeitung also, die
auch gegen jede Sperrfrist den Text öffentlich gemacht hatte. Benedikts Brief sei
„ein Dokument von unklarem Status“; er reagiere ganz offensichtlich auf öffentlichen
Druck. „Den Erläuterungen von vatikanischer Seite, die es seit der Publikation des
Dekrets vor sechs Wochen in stetigem Fluss gegeben hat, fügt der Brief nichts hinzu.“
Deutlich werde stattdessen ein „dramatischer Autoritätsverlust des Papstes“: „Er wiederholt
die bekannten Erläuterungen und schmückt sie mit pastoralen Floskeln.“ „Nichts Neues
aus Rom“, so kommentiert die Zeitung beißend. Es fehle eigentlich nur noch „die Ankündigung,
man werde auch den „Spiegel“ abonnieren“. Benedikt lasse „seine persönliche Empfindlichkeit“
erkennen, gebrauche mehrmals „ein schiefes, sogar kitschiges Bild“, vermehre „den
Lärm, den er verdammt“, und wirke „unsouverän“: „Eine seltsame Mischung aus Furcht
und Hochmut kommt hier zum Vorschein, die wenig zu tun hat mit der Liebe, die der
Verfasser ... beschwört. Man könnte glauben, der Papst hätte sich die Feder von einem
Feuilletonisten geliehen.“ Vom FAZ-Feuilleton indes hat sich Benedikt seine Feder
ganz offenbar nicht geliehen. „Der Papst denkt nur an die Kirche“, befindet wiederum
die linke „tageszeitung“. Der Briefe zeige „vor allem eines: Der Papst ist
weit entfernt von unserer Welt“ und zeige eine „für viele Europäer schwer nachvollziehbare
Weltfremdheit“. So würden etwa der Holocaust oder seine Leugnung durch Bischof Williamson
von Benedikts Brief nicht einmal erwähnt. „Dieser Papst begibt sich im Unterschied
zu seinem Vorgänger nicht auf die Ebene unseres historischen und politischen Denkens.
Der offene Dialog mit der Welt, den die katholische Kirche seit den sechziger Jahren
anstrebt, ist mit ihm schwierig geworden.“ Die „taz“ prophezeit: „Der nächste Zusammenstoß
zwischen Papst und Welt wird nicht lange auf sich warten lassen. Wer mehr weltlich
als kirchlich denkt und fühlt, den lässt der Brief ratlos zurück.“ Immerhin nehme
das Schreiben die Krise spürbar ernst und werde daher „zur Entspannung der Situation
beitragen“.