Der Zweite Weltkrieg
hat das 20. Jahrhundert in Mittel- und Osteuropa nachhaltig geprägt. Neue Staaten
sind entstanden, neue Grenzen wurden gezogen. Auch die katholische Kirche hat die
Auseinandersetzungen in jenen Gebieten aus erster Hand miterlebt. Besonders schwierig
war es für die Gläubigen an der deutsch-polnischen Grenze. Mario Galgano weiß mehr
darüber.
Die deutsch-polnische Grenze hat eine bewegende Geschichte hinter
sich. Gebiete wie Schlesien wechselten ihre Zugehörigkeit im Laufe von wenigen Jahren.
Für die einen sind die Schlesier Deutsche, für andere sind sie Polen. Nach dem Zweiten
Weltkrieg hat sich deshalb die Kirche als Brückenbauerin verstanden, die an dieser
Grenze zwischen den Völkern eine brüderliche Versöhnung anstrebt. Das erklärt der
Paderborner Theologe Hubertus Drobner. Er ist auch Dekan des Priesterrates des Visitators
für die schlesischen Katholiken im Erzbistum Breslau. Ein Apostolischer Visitator
ist ein Beauftragter des Papstes, der mit besonderen und umfassenden Befugnissen ausgestattet
ist. In diesem Fall geht es also um die deutschsprachigen Katholiken im polnischen
Bistum Breslau. Nun war Dobner als Mitarbeiter des Visitators für die katholischen
Schlesier beim Papst – zu einer Art Ad-Limina-Besuch…
„und im Gespräch mit
uns war Benedikt XVI. positiv über diese Versöhnungsarbeit zwischen Deutschen und
Polen eingestellt. Wir betreiben dies seit Jahrzehnten. Es ist eine wichtig Arbeit,
die zukunftsweisend und fruchtbar ist“, sagt Hubertus Dobner.
Die Schlesier
waren schon immer konfessionell aufgeteilt: Im nördlichen Schlesien leben mehrheitlich
Lutheraner. Im südlichen – heute polnischen Teil – leben vor allem Katholiken. Deshalb
spielt Ökumene eine wichtige Rolle in der Versöhnung. Drobner:
„Es ist ja
so, dass die katholische Kirche in Polen wie auch in Deutschland ein Teil dieser Kultur
ist. Durch den Zweiten Weltkrieg muss aber noch einiges aufgearbeitet werden. Das
geschieht bereits. Ich will ganz offen sein: In Deutschland meinen manche, dass die
Vertriebenenprobleme längst erledigt seien. Man glaubt, dass die letzten Vertriebenen
sowieso bald aussterben werden. Daher brauche man ihrer Meinung nach keine Seelsorger
mehr. Doch allein aus dem Erzbistum Breslau gibt es noch 500.000 Gläubige, die nach
Polen vertrieben wurden. Wenn wir jeweils eine Veranstaltung durchführen, dann kommen
5.000 und mehr Leute. Das müssen andere Gruppen erst mal nachmachen.“
Ein
großes Problem war für die Schlesier die Zeit des Kommunismus. Das Gebiet war nicht
nur in zwei Staaten sondern auch in zwei verschiedene soziale Systeme aufgeteilt.
„Die
Kontakte zwischen den Menschen waren natürlich schwierig solange Polen kommunistisch
war. Inzwischen ist aber so, dass sich in Schlesien selbst ein schlesisches Bewusstsein
entwickelt. Und zwar auf polnischer Seite. Die sagen, sie seien durchaus Polen aber
gleichzeitig fühlen sie sich Bürger eines Landes, das eine tausendjährige Geschichte
hat. Dazu gehört auch die deutsche Geschichte. Die wurde in der sowjetischen Zeit
verdrängt. Das macht es für uns nun einfacher, dort präsent zu sein. Das führt zu
wechselseitigen Besuchen. Es finden Bildungsveranstaltungen statt. Und es gibt auch
die Gesellschaft für die deutsch-polnische Verständigung, die eine aktive Jugendarbeit
betreibt. Es gibt eine Vielzahl an Aktivitäten, die wir unternehmen auf beiden Seiten.“
Nach
dem Fall des Kommunismus steht die Funktion der Kirche als Brückenbauerin stärker
denn je im Vordergrund, sagt Hubertus Drobner.
„Aber darum geht es nicht
allein. Das ist kurzsichtig. In einem großen europäischen Kontext geht es um die Verständigung
und die Vereinigung der Völker. Wenn die Kirche in dieser Hinsicht keine Rolle spielt,
vergeben wir eine riesige Chance. Das haben wir bereits gesehen, mit dem europäischen
Verfassungsentwurf. Da will man Gott nicht mehr erwähnen. Da genügt es eben nicht,
dass ein solches Vorhaben auf der obersten Ebene wie Kardinäle und Bischöfe protestieren.
Das Volk – also von unten aus – muss diese Gemeinsamkeit und Kirchlichkeit pflegen.“
Durch
die deutsche Wiedervereinigung hat Schlesien auch ein neues Selbstbewusstsein gefunden,
fügt Hubertus Drobner an.
„Denn das hat neue Impulse gebracht. Denn damit
hat Deutschland wieder sein Bewusstsein für ihre Einheit gepflegt. Deutschland hat
somit selber gespürt – kirchlich wie politisch – was es bedeutet, Einheit mit anderen
Völkern zu pflegen. Denn, wenn das eigene Volk geteilt ist – und ich habe das persönlich
erlebt – dann gibt es eine Chance, Freiheit und Einheit neu zu gestalten.“