2009-03-04 11:17:32

Irak/D: Oehring, „Flüchtlinge können nicht zurück“


RealAudioMP3 Die Lage für Christen und andere Minderheiten im Irak habe sich nicht verbessert. Der Menschenrechtsbeauftragte von Missio, Otmar Oehring, sprach am Dienstag in Hamburg von einer „ethnischen Säuberung“ in der Region. Es sei kaum zu erwarten, dass die Flüchtlinge aus dem Irak in ihre Heimatgebiete zurückkehren würden. Zwar habe die Zahl von Gewaltakten abgenommen, so der Nahostexperte, die Berichterstattung über „mehr oder weniger stabile politische Rahmenbedingungen“ sei jedoch vor allem den sich häufenden Besuchen europäischer Politiker in der Region geschuldet.
„Man muss davon ausgehen, dass es im Irak tatsächlich eine ethnische Säuberung gegeben hat. In Kurdistan leben inzwischen quasi nur noch Kurden, die Araber, in diesem Fall sunnitische Araber, wurden fast ausnahmslos vertrieben. Umgekehrt ist es so, dass im arabisch-sunnitisch dominierten Bagdad die Angehörigen der Minderheiten, also Christen, Mandäer und auch Jesiden, keine Möglichkeit mehr zum Überleben haben. Genauso werden aber auch Kurden verjagt, ganz nach dem Motto ,Wie Du mir, so ich Dir’. Im Grunde ist das ein Rückfall in voralttestamentarische Zeiten. Für die Zukunft muss man das noch in einem verstärkten Maß berücksichtigen.“ 
Die Menschen seien vor der täglichen existentiellen Bedrohung geflohen und hätten alles verloren, so Oehring weiter. Selbst nach einer völligen Befriedung der Lage in ihren Herkunftsgebieten würden sie bei einer Rückkehr dort nicht mehr leben können.
Im weiteren Gespräch mit Birgit Pottler äußerte sich Otmar Oehring über die Lage der Flüchtlinge in der Region und die bevorstehende Aufnahme von 2.500 Flüchtlingen in Deutschland.

Deutschland, Kirche und Politik bereitet sich in den nächsten Monaten auf die Aufnahme von rund 2500 Irakflüchtlingen vor. Kirchenführer im Irak haben immer wieder die schlechter werdende Situation von Christen beklagt, gleichzeitig aber vor einem Exodus der Christen gewarnt. Wie erklären Sie jetzt den Kirchenführern vor Ort, dass die Kirche in Deutschland keineswegs gegen sie arbeiten möchte?

Über diese Frage waren wir mit den Kirchenführern im Irak in den letzten zwei Jahren beständig im Austausch. Wir verstehen natürlich die Argumentation der irakischen Kirchenführer, dass die Menschen im Irak bleiben sollen. Wir haben sie aber auch immer wieder damit konfrontiert, dass sie selbst sagen, dass das Leben im Irak eigentlich nicht mehr erträglich ist, für die Christen insbesondere, und für die anderen Minderheiten. Wir haben ihnen gesagt, dass es uns ja auch nur darum ging, die Menschen aus den Nachbarländern des Irak aufzunehmen und nicht die Menschen aus dem Irak. Da hat es Missverständnisse gegeben, die auch auf Aussagen von Bundesinnenminister Schäubler zurückzuführen waren und natürlich in der Region große Unruhe hervorgerufen haben. Ich denke, dass die irakischen Kirchenführer, der kaldäische Patriarch eingeschlossen, verstanden haben, worum es uns geht; dass wir uns aus christlichen Gefühlen und Beweggründen heraus einfach um die Notleidenden kümmern wollen, diesen Notleidenden eine bessere Lebensgestaltung ermöglichen wollen, die sie natürlich im Irak und vor allem in den Nachbarländern jetzt momentan für sich nicht sicherstellen können. Deswegen wollen wir ihnen auch die Möglichkeit der Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland schaffen.
 
Nun ist 2.500 zwar eine erfreuliche Zahl – die Innenminister der EU hatten sich auf 10.000 geeinigt. Es ist kar: diese Zahlen reichen bei weitem nicht aus. Allein in den Nachbarländern lebt eine große Zahl von Flüchtlingen. 180.000 mindestens davon sind alleine Christen. Was ist zu tun, ihrer Ansicht nach? Sie kennen die Region.

Also ich würde sagen, dass man sich jetzt erstmal auf die 2.500, die kommen werden, und die sicher nach Deutschland kommen werden, konzentrieren soll. Und ich habe natürlich gleichzeitig die Hoffnung, dass wenn diese 2.500 hierher gekommen sind und die Politik erkennt, dass diese Menschen sich auch gut integrieren - das hoffen und wünschen wir uns natürlich alle –, dass es dann möglicherweise tatsächlich zu einer neuen Entscheidung über die Aufnahme eines weiteren Kontingents kommen könnte. Es hat Signale aus der Politik bereits gegeben. Der nordrhein-westfällische Integrationsminister Armin Laschet war in der Region zusammen mit dem Innenpolitiker der CDU/CSU-Fraktion Wolfgang Bosbach und hat nach seiner Rückkehr aus Damaskus gesagt, wenn das gut ginge, dann könne man ja über die Aufnahme eines weiteren Kontingents nachdenken. Ich denke, man sollte ihn beizeiten daran erinnern.
 
Wie ist den die Situation der Füchtlinge? Wie ist die zu beschreiben? Die haben mehr als alles verloren?

Ich denke, die Flüchtlinge haben wirklich alles verloren. Die sind tatsächlich bedroht worden, aus ihren Häusern verjagt worden, aus ihren Wohnungen verjagt worden. Frauen, Kinder auch Männer sind umgebracht worden, sind entführt worden, sind nach Lösegeldzahlungen wieder zurück gekommen. In vielen Fällen aber auch nicht. Viele Menschen sind gefoltert worden. Frauen sind in großer Zahl vergewaltigt worden. Es ist einfach ein, wie soll man sagen, eine Situation des Terrors gegen Minderheitenangehörige - vor allem, aber nicht nur gegen die - entstanden und es hat natürlich ganz allgemein zu psychotischen Verhältnissen unter diesen Menschen geführt. Selbst derjenige, der nicht persönlich bedroht war, hat sich bedroht gefühlt und auch durchaus bedroht fühlen müssen. Und vor dem Hintergrund ist natürlich klar, dass diese Leute abgehauen sind, im wahrsten Sinn des Wortes. Diejenigen, die in den frühen Jahren, nach der Invasion, fliehen konnten haben noch teilweise die Möglichkeit gehabt, eine Teil ihres Hab und Guts zu verkaufen, mit dem Geld zu fliehen und dann auch von dem Geld zu leben. Diejenigen, die in den letzten ein bis zwei Jahren gekommen sind, haben diese Möglichkeit nicht mehr gehabt und haben wirklich nur noch das mitnehmen können, was sie auf dem Leib hatten.
 
Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie denn für die Menschen in der Region? Losgelöst von der politischen Großwetterlage kann man die ja wohl nicht sehen.
 
Ich denke, dass natürlich die Situation und die Zukunftsperspektiven der Menschen in der Region von der Großwetterlage abhängen. Wenn man sich jetzt konzentriert auf die Situation der Minderheiten, der nicht muslimischen Minderheiten, dann muss man ganz klar sagen, dass wenn es nach den jüngsten Regionalwahlen – die ja positiv ausgegangen sind und demokratisch erscheinen – und vor dem Hintergrund des Abzugs der amerikanischen Truppen wieder zu Unruhen kommen sollte zwischen den ethnisch-religiösen Gruppen im Irak, dann ist am Ende eine Aufspaltung des Iraks in drei separate Staaten zu befürchten: einen schiitischen im Süden, einen sunnitschen im Zentrum und einen kurdisch-sunnitischen im Norden. Dann ist natürlich für die Minderheitenangehörigen kein Platz mehr. Und dann gibt es natürlich auch keine Hoffnung, dass sie dort weiterhin leben können.  
(rv 04.03.2009 bp)







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