Irak/D: Oehring, „Flüchtlinge können nicht zurück“
Die Lage für Christen
und andere Minderheiten im Irak habe sich nicht verbessert. Der Menschenrechtsbeauftragte
von Missio, Otmar Oehring, sprach am Dienstag in Hamburg von einer „ethnischen Säuberung“
in der Region. Es sei kaum zu erwarten, dass die Flüchtlinge aus dem Irak in ihre
Heimatgebiete zurückkehren würden. Zwar habe die Zahl von Gewaltakten abgenommen,
so der Nahostexperte, die Berichterstattung über „mehr oder weniger stabile politische
Rahmenbedingungen“ sei jedoch vor allem den sich häufenden Besuchen europäischer Politiker
in der Region geschuldet. „Man muss davon ausgehen, dass es im Irak tatsächlich
eine ethnische Säuberung gegeben hat. In Kurdistan leben inzwischen quasi nur noch
Kurden, die Araber, in diesem Fall sunnitische Araber, wurden fast ausnahmslos vertrieben.
Umgekehrt ist es so, dass im arabisch-sunnitisch dominierten Bagdad die Angehörigen
der Minderheiten, also Christen, Mandäer und auch Jesiden, keine Möglichkeit mehr
zum Überleben haben. Genauso werden aber auch Kurden verjagt, ganz nach dem Motto
,Wie Du mir, so ich Dir’. Im Grunde ist das ein Rückfall in voralttestamentarische
Zeiten. Für die Zukunft muss man das noch in einem verstärkten Maß berücksichtigen.“ Die
Menschen seien vor der täglichen existentiellen Bedrohung geflohen und hätten alles
verloren, so Oehring weiter. Selbst nach einer völligen Befriedung der Lage in ihren
Herkunftsgebieten würden sie bei einer Rückkehr dort nicht mehr leben können. Im
weiteren Gespräch mit Birgit Pottler äußerte sich Otmar Oehring über die Lage der
Flüchtlinge in der Region und die bevorstehende Aufnahme von 2.500 Flüchtlingen in
Deutschland.
Deutschland, Kirche und Politik bereitet sich in den nächsten
Monaten auf die Aufnahme von rund 2500 Irakflüchtlingen vor. Kirchenführer im Irak
haben immer wieder die schlechter werdende Situation von Christen beklagt, gleichzeitig
aber vor einem Exodus der Christen gewarnt. Wie erklären Sie jetzt den Kirchenführern
vor Ort, dass die Kirche in Deutschland keineswegs gegen sie arbeiten möchte?
Über
diese Frage waren wir mit den Kirchenführern im Irak in den letzten zwei Jahren beständig
im Austausch. Wir verstehen natürlich die Argumentation der irakischen Kirchenführer,
dass die Menschen im Irak bleiben sollen. Wir haben sie aber auch immer wieder damit
konfrontiert, dass sie selbst sagen, dass das Leben im Irak eigentlich nicht mehr
erträglich ist, für die Christen insbesondere, und für die anderen Minderheiten. Wir
haben ihnen gesagt, dass es uns ja auch nur darum ging, die Menschen aus den Nachbarländern
des Irak aufzunehmen und nicht die Menschen aus dem Irak. Da hat es Missverständnisse
gegeben, die auch auf Aussagen von Bundesinnenminister Schäubler zurückzuführen waren
und natürlich in der Region große Unruhe hervorgerufen haben. Ich denke, dass die
irakischen Kirchenführer, der kaldäische Patriarch eingeschlossen, verstanden haben,
worum es uns geht; dass wir uns aus christlichen Gefühlen und Beweggründen heraus
einfach um die Notleidenden kümmern wollen, diesen Notleidenden eine bessere Lebensgestaltung
ermöglichen wollen, die sie natürlich im Irak und vor allem in den Nachbarländern
jetzt momentan für sich nicht sicherstellen können. Deswegen wollen wir ihnen auch
die Möglichkeit der Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland schaffen. Nun
ist 2.500 zwar eine erfreuliche Zahl – die Innenminister der EU hatten sich auf 10.000
geeinigt. Es ist kar: diese Zahlen reichen bei weitem nicht aus. Allein in den Nachbarländern
lebt eine große Zahl von Flüchtlingen. 180.000 mindestens davon sind alleine Christen.
Was ist zu tun, ihrer Ansicht nach? Sie kennen die Region.
Also ich würde
sagen, dass man sich jetzt erstmal auf die 2.500, die kommen werden, und die sicher
nach Deutschland kommen werden, konzentrieren soll. Und ich habe natürlich gleichzeitig
die Hoffnung, dass wenn diese 2.500 hierher gekommen sind und die Politik erkennt,
dass diese Menschen sich auch gut integrieren - das hoffen und wünschen wir uns natürlich
alle –, dass es dann möglicherweise tatsächlich zu einer neuen Entscheidung über die
Aufnahme eines weiteren Kontingents kommen könnte. Es hat Signale aus der Politik
bereits gegeben. Der nordrhein-westfällische Integrationsminister Armin Laschet war
in der Region zusammen mit dem Innenpolitiker der CDU/CSU-Fraktion Wolfgang Bosbach
und hat nach seiner Rückkehr aus Damaskus gesagt, wenn das gut ginge, dann könne man
ja über die Aufnahme eines weiteren Kontingents nachdenken. Ich denke, man sollte
ihn beizeiten daran erinnern. Wie ist den die Situation der Füchtlinge?
Wie ist die zu beschreiben? Die haben mehr als alles verloren?
Ich denke,
die Flüchtlinge haben wirklich alles verloren. Die sind tatsächlich bedroht worden,
aus ihren Häusern verjagt worden, aus ihren Wohnungen verjagt worden. Frauen, Kinder
auch Männer sind umgebracht worden, sind entführt worden, sind nach Lösegeldzahlungen
wieder zurück gekommen. In vielen Fällen aber auch nicht. Viele Menschen sind gefoltert
worden. Frauen sind in großer Zahl vergewaltigt worden. Es ist einfach ein, wie soll
man sagen, eine Situation des Terrors gegen Minderheitenangehörige - vor allem, aber
nicht nur gegen die - entstanden und es hat natürlich ganz allgemein zu psychotischen
Verhältnissen unter diesen Menschen geführt. Selbst derjenige, der nicht persönlich
bedroht war, hat sich bedroht gefühlt und auch durchaus bedroht fühlen müssen. Und
vor dem Hintergrund ist natürlich klar, dass diese Leute abgehauen sind, im wahrsten
Sinn des Wortes. Diejenigen, die in den frühen Jahren, nach der Invasion, fliehen
konnten haben noch teilweise die Möglichkeit gehabt, eine Teil ihres Hab und Guts
zu verkaufen, mit dem Geld zu fliehen und dann auch von dem Geld zu leben. Diejenigen,
die in den letzten ein bis zwei Jahren gekommen sind, haben diese Möglichkeit nicht
mehr gehabt und haben wirklich nur noch das mitnehmen können, was sie auf dem Leib
hatten. Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie denn für die Menschen
in der Region? Losgelöst von der politischen Großwetterlage kann man die ja wohl nicht
sehen. Ich denke, dass natürlich die Situation und die
Zukunftsperspektiven der Menschen in der Region von der Großwetterlage abhängen. Wenn
man sich jetzt konzentriert auf die Situation der Minderheiten, der nicht muslimischen
Minderheiten, dann muss man ganz klar sagen, dass wenn es nach den jüngsten Regionalwahlen
– die ja positiv ausgegangen sind und demokratisch erscheinen – und vor dem Hintergrund
des Abzugs der amerikanischen Truppen wieder zu Unruhen kommen sollte zwischen den
ethnisch-religiösen Gruppen im Irak, dann ist am Ende eine Aufspaltung des Iraks in
drei separate Staaten zu befürchten: einen schiitischen im Süden, einen sunnitschen
im Zentrum und einen kurdisch-sunnitischen im Norden. Dann ist natürlich für die Minderheitenangehörigen
kein Platz mehr. Und dann gibt es natürlich auch keine Hoffnung, dass sie dort weiterhin
leben können. (rv 04.03.2009 bp)