D: „Salz im Norden“ – Zollitsch zum Auftakt der Bischofskonferenz
Mit einer Messe im Mariendom von Hamburg hat am Montagabend die Frühjahrs-Vollversammlung
der Deutschen Bischofskonferenz begonnen. Die fast siebzig Bischöfe tagen erstmals
in der Hansestadt. „Wind und Stürme sind wir gewohnt“, meinte Erzbischof Robert Zollitsch
in seiner Predigt bei der ersten gemeinsamen Meßfeier. Wir dokumentieren hier den
Text der Predigt. Quelle ist das Pressebüro der Deutschen Bischofskonferenz. „Salz
im Norden“ - Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof
Robert Zollitsch, in der Eucharistiefeier zur Eröffnung der Frühjahrs-Vollversammlung
der Deutschen Bischofskonferenz am 2. März 2009 im Mariendom zu Hamburg Katholische
Bischöfe kommen, wie Sie sich leicht vorstellen können, nicht so häufig nach Hamburg
als in andere Städte Deutschlands, die stärker katholisch geprägt sind. Deshalb sind
wir sehr gerne der Einladung unseres Mitbruders Erzbischof Dr. Werner Thissen gefolgt,
nur wenige Jahre nach der Neugründung des Erzbistums Hamburg eine Vollversammlung
der Deutschen Bischofskonferenz hier im Norden abzuhalten. Wind und Stürme sind wir
– bis hinein in die vergangenen Wochen – gewohnt; warm anziehen müssen wir uns des
Öfteren. Hafenstädte und Häfen sind uns sympathisch; ohne sie und ihre Weltoffenheit
hätte die junge Kirche des hl. Paulus und der anderen Glaubenskünder niemals den Weg
nach Europa gefunden. Kurzum: Wir werden uns zu Hause fühlen bei der Kirche in Schleswig-Holstein,
Mecklenburg und Hamburg. „Salz im Norden“ wollen Sie, liebe Hamburger Katholiken,
sein, getreu dem Wort Jesu, dass die Seinen „das Salz der Erde“ (Mt 5,13) sind. An
diesem ersten Montag der Fastenzeit lehren uns die Lesungen der heiligen Messe, was
es bedeutet, im biblischen Sinn des Wortes „Salz“ zu sein. Das geschieht mit Hilfe
eines Spannungsbogens, auf dessen Eckpunkte ich Sie aufmerksam machen möchte.
„Seid
heilig, denn ich der Herr, euer Gott, bin heilig.“ So formuliert es die Lesung (Lev
19,1). Das erste Wort im Kontext des Glaubens ist und bleibt das Wort „heilig“. Wer
glaubt, bewegt sich im Raum des Heiligen. Dabei wissen wir: Es gibt sehr viele Menschen,
die mit uns Christen nach dem Heiligen suchen. Zwar wird über diese Stadt und die
umgebende Landschaft, vor allem auch Mecklenburg, immer wieder und in einem bestimmten
Sinn gewiss auch zutreffend gesagt, es herrsche hier eine liberale Geisteshaltung
vor, die allem Heiligen eher mit Desinteresse begegne und für die fast sprichwörtliche
„Stadt ohne Gott“ (Harvey Cox) sorge. In Wahrheit aber gibt es auch hier einen breiten
Strom von Menschen, die sich nicht mit dem Dunkel und der Weglosigkeit des Lebens,
aber auch nicht mit der Glitzerwelt wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sonstiger
Erfolge und mit überhaupt keinem richtungslosen Aktivismus abspeisen lassen wollen,
sondern mehr wollen und etwas Tieferes suchen, etwas Heiliges, das unsere Welt überschreitet.
Man darf ohne Übertreibung sagen: Einerseits ist in unserer Gesellschaft sehr viel
Bewährtes und Gutes bedroht oder bereits abhanden gekommen. Es sind viele Menschen
beschädigt und gedemütigt. Es gibt viel Missbrauch und bitteren Zynismus. Dies alles
schreit buchstäblich zum Himmel. Andererseits und in einer Art Gegenbewegung sind
zugleich in einem ganz generellen Sinn und oft ganz unausgesprochen die Hoffnung und
Sehnsucht nach dem Heiligen sehr lebendig – nach dem Heiligen, das sich den Verstrickungen
des Menschen entzieht, dem Menschen transzendent ist und ihn rettet.
Unsere
christliche Botschaft kündet von diesem Heiligen, von Gott. Nicht irgendetwas oder
irgendwer ist heilig, sondern Gott ist heilig. Er ist da. Er hat sich uns Menschen
geoffenbart. Mehr noch: Der Heilige, Gott, schenkt uns, dass wir ihm nahe sein und
sogar an seiner Heiligkeit teilhaben dürfen. Die Kirche ist vor allem der Ort des
Heiligen, aber auch Ort der Menschen, die heilig sind und dieser Heiligkeit entsprechend
leben wollen. Wenn man nicht mehr wahrnimmt, dass für uns Christen das Heiligtum der
erste Ort ist und wenn man die Kirche mit beliebigen Zweckorganisationen verwechseln
kann, dann müssen wir neu Gottes Ruf an uns heranlassen „Seid heilig“. Wir wollen
allen, bei der Suche nach dem Heiligen, Gott zeigen. Dann sind wir im biblischen Sinn
„Salz der Erde“, „Salz im Norden“.
„Was ihr für einen meiner geringsten
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,46) So formuliert es der Weltenrichter,
von dem das große Gemälde der Wiederkunft Christi spricht. Im christlichen Sinn ist
Heiliges nicht nur transzendent. Das kennzeichnet jenen Spannungsbogen, den die Lesungen
umschreiben und der das unterscheidend Christliche zur Geltung bringt. Der heilige
Gott und die von ihm Geheiligten sind nicht Wesen, die der Welt den Rücken zukehren.
Wer eine Heiligkeit der Weltflucht sucht, kommt bei uns nicht unter. Ein gottgemäßes
und geheiligtes Leben führt nur der, der sich hingeben und das Eigene für andere einsetzen
und mit ihnen teilen kann. Anschaulich ist von Hunger und Durst die Rede, von Fremdheit
und Obdachlosigkeit, von Nacktheit und Krankheit und von Wegsperrung ins Gefängnis.
Dagegen geht an, wer Gott zum Anfang und Ziel hat.
In diesen Wochen
haben solche sogenannten leiblichen Werke der Barmherzigkeit auf neue Weise eine besondere
Aktualität. Uns stehen wirtschaftliche Schwierigkeiten und soziale Herausforderungen
bevor. Die Bankenwelt ist global in eine Krise geraten, deren extreme Dimensionen
wir vermutlich noch gar nicht erfassen können. Der Ruf nach neuen Normen und Lösungsstrategien
sowie nach Hilfspakten ungekannter Ausmaße prägt das Handeln der Politik. Wir deutschen
Bischöfe werden diese zugespitzte Lage hier in Hamburg ausführlich zu analysieren
und aus der ethischen Tradition der katholischen Soziallehre zu bewerten suchen. Wir
tun dies nicht mit dem Anspruch, fachlich besser zu sein als andere. Wir tun es im
Bewusstsein, dass es bei uns einen Schatz von Überzeugungen und Erkenntnissen gibt,
der für die Gegenwart von großem Nutzen ist. Freiheit der Wirtschaft und Wirtschaftsordnung,
die Ethik des Einzelnen und die Ethik der Institutionen: das sind Themen unserer Tage.
Nach christlicher Sicht ist die Freiheit des Wirtschaftens grundsätzlich gut und Gewinn
nichts Verdächtiges. So zeigt es z. B. schon die biblische Geschichte von den Geldtalenten,
mit denen die, denen sie gegeben wurden, Handel treiben, ja wuchern sollen. Zugleich
verspricht die Geschichte von den Tagelöhnern, die alle denselben Lohn bekommen, fast
egalitäre Züge der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit. Käme der Weltenrichter
heute zu uns, würde er uns fragen, wie wir die einfachen Bilder des Überwindens von
Hunger und Durst, Nacktheit und Fremdheit in den Realitäten unserer Tage wahrgenommen
und wie wir sie – persönlich und in der öffentlichen Meinungs- und Entscheidungsbildung
– zum Maßstab genommen haben.
Die deutschen Bischöfe sind gerne zu Gast im
Erzbistum Hamburg. Wir wollen trotz einer engen Tagesordnung dieses Bistum und diese
Stadt und ihren menschlichen und religiösen Reichtum wahrnehmen. Wir begegnen dabei
einer engen Verbundenheit der katholischen Gläubigen mit den Schwestern und Brüdern
anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, für die wir sehr dankbar sind. Wir
fühlen uns auch den Angehörigen der nichtchristlichen Religionsgemeinschaften in der
Suche nach dem Heiligen verbunden.
Wir stellen uns den Herausforderungen in
Kirche und Gesellschaft mit dem nötigen Realismus. Es geht uns um das Heilige in dieser
Welt, um Gott und Menschen. Es geht um die Sichtbarkeit des Herrn selbst. Denn natürlich
ist im biblischen Bild Er selbst Maßstab allen selbstlosen Handelns derer, die der
Richter zu sich ruft. Er selbst, Jesus Christus, hat als Erster nicht nur etwas, sondern
alles und sich selbst hingegeben. Er ist der Heilige, Gott, transzendent und zugleich
eingefügt in die Grenzen unserer Welt und Geschichte. Ihm empfehlen wir in diesen
Tagen Sie und alle Schwestern und Brüder im Glauben und, ohne ihre Freiheit im Geringsten
verletzen zu wollen, die Gläubigen anderer religiöser Gemeinschaften und alle Gottsucher
dieser Stadt und des Nordens. Auf dass die Kirche von Hamburg „Salz im Norden“ sei
und bleibe. Amen.