Papst bestätigt: „Sozialenzyklika
kommt bald!“ So titeln hier in Italien manche Zeitungen an diesem Freitag. Dahinter
steckt das Gespräch von Benedikt XVI., das er am Donnerstag mit Priestern und Klerikern
aus seinem Bistum Rom geführt hat. Wie es mittlerweile Usus ist im Vatikan, empfing
der römische Bischof seinen Klerus zum Beginn der Fastenzeit in der Benediktionsaula
von St. Peter.
Das tut gut: Beifall für Benedetto. Der Papst grüßt die Seelsorger
aus dem Großraum Rom, die sich im ersten Stock des Petersdoms, über der Eingangshalle,
um ihn drängen. Im Mittelgang stehen Schweizergardisten, durch die berühmte „Urbi
et Orbi“-Balkontür kommt Sonnenlicht herein. Kirchenlehrer Benedikt hat es sich zur
Gewohnheit gemacht, beim Treffen mit Priestern Rede und Antwort zu stehen – eine ihm
sehr eigene Form.
„Unser Dienst bringt auch viele Lasten und Schwierigkeiten
mit sich”, sagt in einer kurzen Begrüßung Kardinal Agostino Vallini, der neue Generalvikar
des Papstes fürs Bistum Rom. „Manchmal kommt uns unsere Arbeit nicht sehr fruchtbringend
vor. Darum wenden wir uns an Petrus, den Felsen.” Rom habe sich in den letzten Jahren
unglaublich verändert, und darum wolle er in den nächsten Monaten eine Art Bestandsaufnahme
machen, um zu sehen, wo sich die Seelsorge in der Hauptstadt noch besser an neue Gegebenheiten
anpassen sollte. Dann stellt der Pfarrer von „San Frumenzio“ aus der Gegend „Prati
Fiscali“ die erste Frage: Sie handelt nicht vom Fall Williamson oder von den Pius-Brüdern,
denn anders als in Deutschland ist die Aufregung über dieses Thema in Italien schon
sehr schnell wieder verraucht. Der Priester erzählt vielmehr: „Als ich junger Kaplan
in der Pfarrei war, fühlte ich mich durch meine Studien hinreichend gerüstet. Da hat
mir eine Frau aus der Pfarrei, als sie mich in Aktion sah, mit einem Kopfschütteln
gesagt: Don Giampiero, wann ziehst du dir endlich die langen Hosen an? Wann wirst
du zu einem Mann?“ Damit habe sie ihm signalisiert: Das Leben, die Menschen, die reale
Welt, Gott selbst sind „viel größer und überraschender als unsere ganzen Konzepte“.
Frage daher an Papst Benedikt: Wie können wir Priester denn die Menschen von heute
richtig erreichen?
„Es ist ja nicht so, dass ich ein Orakel wäre“, meint der
Papst zunächst dazu. „Ich will euch hier nicht einfach belehren, sondern auf eure
Erfahrungen hören. Mir ist das auch wichtig, etwas zu lernen über die Wirklichkeit,
von der man im Apostolischen Palast manchmal etwas zu weit entfernt ist.“ Benedikt
erzählt dann allerdings, was er im Vatikan alles so mitbekommt: Da seien zum Beispiel
vor kurzem Bischöfe aus Nigeria bei ihm gewesen und hätten ihm viel vom Leben dort
erzählt – durch solche Treffen habe er einen Blick für die Weltkirche und sehe: „Es
gibt nicht nur eine müde Kirche, wie wir sie oft in Europa finden, sondern auch eine
junge, die voll des Heiligen Geistes ist. Eine Kirche, wie wir sie in der Apostelgeschichte
beschrieben finden – mit der frischen Freude, Christus gefunden zu haben! Eine Kirche,
die jeden Tag wächst.“
Zur Stellungnahme von Don Giampiero sagte Benedikt
dann, er sei mit dessen Sicht einverstanden: Theologiestudium reicht nicht, um auf
die Menschen von heute als Seelsorger zuzugehen, sondern „man muss die eigene Erfahrung
personalisieren, um andere zu erreichen“. Es gehe um ein Zusammenspiel von Theologiestudium
und „konkreter Erfahrung“. Ein Freund habe ihm mal gesagt, er höre in Predigten immer
„anthropologische Analysen“ – „dabei wollte er doch einfach nur das Evangelium hören“.
Man dürfe, so Benedikt, „die Einfachheit des Wortes Gottes nicht wie mit Gewichten
ins Schwere ziehen“. „Die zwölf Apostel waren Fischer und Handwerker, und trotzdem
sind sie in alle Teile des Römischen Imperiums gezogen (bis nach Indien), um das Evangelium
in seiner Einfachheit zu verkünden. Wir dürfen die Einfachheit der Wahrheit nicht
verlorengehen lassen!“
„Wir leben nicht auf dem Mond – wir sind Menschen unserer
Zeit. Wenn ich in der heutigen Kultur mit ihren Massenmedien und ihrer Wirtschaft
meinen Glauben ehrlich lebe, dann bin ich auch auf dem richtigen Weg, mich den anderen
verständlich zu machen.“
Ein Pfarrer aus der Gegend der alten Konsularstraße
Ardeatina, die zu den Albaner Bergen hinausführt, will etwas zur Neuevangelisierung
wissen: Wie kann man eine solche Neuevangelisierung denn konkret anstellen? Er habe
da „keine fertigen Rezepte“, meint der Papst, aber einen Vorschlag hat er dann doch:
„Helft den Gläubigen dabei, dass sie sehen, dass ihr Glaube nicht einfach eine Sache
der Vergangenheit ist, sondern dass das heute wahr ist und auch morgen! Sie brauchen
dazu in ihrem Pfarrer wirklich einen Hirten, der sie liebt und der ihnen hilft, das
Wort Gottes heute zu hören. Das ist ein Wort an sie – nicht nur an Personen der Vergangenheit.“
Und noch ein Vorschlag, ganz in benediktinischem Geist: „Schafft Orte der Gastfreundschaft
für den Glauben. Die Pfarrei muss sich öffnen und Räume für die schaffen, die von
draußen kommen.“
Ein zweiter Don Giampiero berichtet von seinen oft frustrierenden
Erfahrungen in einer häßlichen Trabanten-Vorstadt, Tor Bella Monaca. „Wir sind eine
vergessene Gegend, und wir spüren im Moment noch stärker als andere die Auswirkungen
der Wirtschaftskrise auf die konkreten Lebensbedingungen der Menschen und vieler Familien.
Die Kirche müßte mal wirklich laut ihre Stimme gegen ein ungerechtes Wirtschafts-
und Finanzsystem erheben. Wir brauchen da ein Wort mit Autorität und Freiheit!“
„Diese
Frage rührt an den Nerv der Probleme unserer Zeit“, so Benedikt. „Was die Makro-Ökonomie
betrifft, da spürt noch der letzte Bürger die Folgen einer schlechten Struktur, und
hier ist es eine Pflicht der Kirche, dagegen anzureden. Wie ihr wißt, bereiten wir
schon seit langer Zeit eine Enzyklika darüber vor, und auf diesem langen Weg habe
ich gesehen, dass es nicht leicht ist, mit Kompetenz darüber zu sprechen, damit unser
Wort glaubwürdig ist. Auf der anderen Seite geht es darum, mit großem ethischen Bewußtsein
darüber zu sprechen. – Also, auf der einen Seite müssen wir die grundlegenden Irrtümer
anklagen, die sich jetzt beim Zusammenbruch der großen US-Banken gezeigt haben. Habgier
ist Sünde oder sogar, wie der Paulusbrief an die Kolosser schreibt, Idolatrie: eine
Verehrung, die dem wahren Gott entgegensteht, eine Fälschung des Gottesbildes durch
einen anderen Gott, nämlich den Mammon. Das müssen wir mutig anklagen, aber auch konkret!
Denn das große Moralisieren hilft nichts, wenn es nicht die Realität kennt und hilft,
zu verstehen, was man denn konkret tun kann, um die Lage allmählich zu verändern.“
Wissen
brauche es also und guten Willen. Und da komme er jetzt zu einem heiklen Punkt, so
Benedikt: „Gibt es die Erbsünde wirklich? Wenn nicht, dann können wir ja einfach an
die Vernunft appellieren und so die Menschheit reformieren. Aber so ist es ja nicht!
Der Verstand ist verdunkelt; die Wurzel der Habgier ist der Egoismus, der den Verstand
benebelt. Und auch der Wille ist nicht einfach dazu bereit, das Gute zu tun... Die
Kirche muss also die Welt der Wirtschaft durch den Glauben erleuchten, damit der Egoismus
der Erbsünde überwunden werden kann. Sie muss das auf nationaler und internationaler
Ebene tun, und es ist keine leichte Aufgabe, weil sehr viele Gruppeninteressen dagegenstehen.“
Mit hoher Stimme erzählt der Pfarrer der Innenstadt-Kirche St. Ambrosius aus
seiner Studienzeit: Ihm sei damals gar nicht so klargewesen, wie wichtig die Liturgie
sei. „Sie kam mir eher wie eine Technik vor.“ Der Pfarrer bombardiert den Papst, der
sich ja bekanntermaßen sehr für Liturgie interessiert, so sehr mit Konzilszitaten,
dass Benedikt am Schluß gar nicht mehr weiß, was jetzt eigentlich die Frage war. Doch
dann betont der Papst, wie wichtig es ist, dass „Sakramente und Eucharistie nicht
irgendwie neben den ganzen anderen Aktivitäten stehen. Das Sakrament darf nicht von
einem pragmatischeren Umfeld abgespalten wirken, denn die göttlichen Geheimnisse sind
nichts Exotisches – sie sind unsere Mitte und unsere Kraftquelle.“
Sehr inspiriert:
der Pfarrer von Santa Maria Regina Mundi aus der Gegend der Via Casilina. Er spielt
auf die Zeit des reiselustigen Johannes Paul II. an: „Früher sagte man: Pfarrer in
urbe, Bischof in orbe – ich weiß nicht, ob das noch gilt.“ Durch die Blume heißt das:
Kümmern Sie sich bitte auch um Ihr Bistum Rom und nicht nur um die große Weltkirche
da draußen! Zur Bekräftigung rezitiert der Geistliche ein Sonett in römischem Dialekt,
das er auf den bevorstehenden Papstbesuch beim römischen Bürgermeister auf dem Kapitol
gedichtet hat. „Danke!“, sagt der Papst, „du bist ein echter Römer!“ – „Wir haben
da das Herz Roms sprechen hören, voller Poesie...“ Er erklärt dann noch etwas über
das Petrusamt: Wie wichtig es sei, dass die Weltkirche ohne Druck durch irgendwelche
„Nationalismen“ gelenkt werde.
Doch dann, ganz zum Schluß, weht doch noch
mal ein Hauch der Debatte aus den letzten Wochen durch die vatikanische Benediktionsaula:
ein Salesianerpater kommt auf das Zweite Vatikanische Konzil zu sprechen, auf den
gefühlten Unterschied zwischen dem Konzil und dem so genannten „Geist des Konzils“;
Benedikt versteht die Frage zunächst nicht ganz und läßt sie sich zur Sicherheit nochmal
schriftlich geben. Kardinal Vallini erklärt ihm: Es geht vor allem um so genannte
vorkonziliare Praktiken und Riten, auch um das Thema Ablass – was der Papst davon
halte?
„Jetzt habe ich endlich verstanden – entschuldigen Sie bitte! Das Konzil
setzt eine lebendige Praxis in der Kirche voraus, auch wenn es nicht konkret darauf
eingeht. Paul VI. hat das Ablaßwesen neu geordnet. Im Kern geht es dabei ganz einfach
um einen Austausch von Gaben; was es in der Kirche an Gaben gibt, ist für alle da.
Mit diesem Schlüssel des Ablasses können wir in die Gemeinschaft der Güter der Kirche
eintreten. Die Protestanten halten dagegen, dass doch Christus der einzige Schatz
ist. Aber für mich ist der Überfluß, das Übermaß der Liebe das Wunderbare - dass Christus
uns nicht einfach nur zu Subjekten seines Erbarmens macht, sondern dass wir selbst
dazu beitragen können. Auch andere Dinge aus der Zeit vor dem Konzil, etwa die Herz-Jesu-Verehrung,
sind wunderbare Möglichkeiten, die die Kirche anbietet. Keiner sollte diesen Schatz
geringschätzen, der im Lauf der Jahrhunderte gewachsen ist!“
Ein gemeinsames
Angelus-Gebet und vereinzelte „Viva il Papa“-Rufe – das Treffen Benedikts mit seinem
Klerus hat fast zwei Stunden gedauert. Und es hat auch dieses Jahr ein paar schöne
und spontane Szenen geboten, wie man sie im Vatikan nicht jeden Tag erlebt.