2009-02-22 13:25:10

Pius XII. - Ein Papst in Bedrängnis. Gespräch mit K.-J. Hummel, Kommission für Zeitgeschichte


RealAudioMP3 Die geplante Reise des Papstes ins Heilige Land, die bevorstehende Seligsprechung Pius XII., aber auch die jüngsten Ereignisse im Umfeld der Traditionalisten haben die Debatte um die Rolle dieses Papstes während des Zweiten Weltkriegs neu angeheizt. Hätte der Papst die Greueltaten Hitlers stoppen können, in dem er Krieg und Judenverfolgung öffentlich verurteilte?  Die Meinungen über diesen Pontifex, der in der schwierigsten Zeit des vergangenen Jahrhunderts an der Spitze des Vatikans stand, gehen weit auseinander. Die einen sagen, er hätte mehr gegen das himmelschreiende Unrecht protestieren sollen, die anderen betonen, dass jede öffentliche Stellungsnahme noch mehr Unrecht nach sich gezogen hätte. Überlegungen und Einschätzungen dazu jetzt mit Professor Dr. Karl-Joseph Hummel, Direktor der Kommission für Zeitgeschichte/Bonn.

Eugenio Pacelli war 12 Jahre lang Nuntius in Deutschland.  Die Zeit in München und in Berlin war für den späteren Papst der erste Auslandsposten und dieser Posten, begann sofort mit einer der wichtigsten  Aufgaben, die das damalige Kirchenoberhaupt  zu vergeben hatte: mit der Friedensinitiative Benedikt XV. Wie hat Pius XII. diese Erfahrungen in Deutschland genützt und später in sein römisches Amt aufgenommen?

*Nach dem Scheitern dieser Friedensinitiative wußte Pacelli, dass die Frage der päpstlichen Neutralität in weltpolitischen Angelegenheiten eine ganz wichtige Voraussetzung ist und diese erste wichtige Erfahrung hat er mit in die Zeit des 2. Weltkriegs genommen. Pacelli hat außerdem in München die kommunistische Räterepublik erlebt und hat den Aufstieg des Nationalsozialismus - einschließlich des Hitlerputsches - persönlich erfahren. Diese beiden Erfahrungen haben zusammen mit der Verhandlungserfahrung, die er dann in Berlin mit den Sowjets gemacht hat in den Geheimverhandlungen über päpstliche Hilfe in der Sowjetunion dazu veranlasst, ein klares, antikommunistisches und antinationalsozialistisches Bild mit nach Rom zu nehmen.

In den meisten Medien wird Pius XII. oft als Papst der Deutschen bezeichnet. Und zwar als Hitler's Pope, wie es in einer englischen Veröffentlichung von John Cornwell heißt. Daraus wird der Vorwurf abgeleitet, der Papst habe im antibolschewistischen Einverständnis gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht. Professor Hummel:

*Eugenio Pacelli hat mehrrfach auch in der Kriegszeit noch darüber gesprochen, dass seine Erfahrung, seine Zeit in Deutschland vielleicht die schönste Zeit seines Lebens gewesen sei. Trotzdem wußte Pacelli sehr genau zu diferenzieren: er war nicht der Papst der Deutschen, sondern er wußte, dass die Deutschen und der deutsche Nationalsozialismus nicht identisch sind. Sein Bild von Adolf Hitler stand sehr deutlich fest, als er 1929 aus Deutschland zurückkam und es gab auch keinerlei persönlichen Kontakt zwischen Hitler und Pacelli.

Interessant ist, dass die Nationalsozialisten das ihrerseits genauso eingeschätzt haben. Als Pacelli 1939 zum Papst Pius XII. gewählt wurde hat Goebbels in sein Tagebuch notiert: das ist nicht unser Mann!

* Ja, Pacelli hat aus dieser persönlichen Einschätzung des Nationalsozialismus für sich abgeleitet, dass es keinerlei Zusammenarbeit mit diesem Nationalsozialismus geben konnte, auch nicht in diesem antikommunistischen Einverständnis. Ähnlich differenziert ist Pacelli vorgegangen auch innerhalb der katholischen Kirche selbst: wir wissen, dass seine Einstellung zu dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, sehr kritisch gewesen ist und wenn es um entscheidende Fragen ging, hat Pacelli seine persönliche Freundschaft zu Kardinal Faulhaber in München und dem Berliner Bischof von Preißing ausgenutzt und hat an allen offiziellen Kanälen vorbei, sich dort Rat geholt, den er dann bei seinen Entscheidungen auch berücksichtigt hat.

Pius XII. wird vorgeworfen, den Völkermord an den europäischen Juden nicht deutlich genug, nicht laut genug kritisiert zu haben. Der Papst, der geschwiegen hat, heißt es vielfach:  ist dies eine Formel, die Pius XII. mit sich herumtragen muss?

*Das beginnt nicht erst in der Nachkriegszeit, etwa mit Hochhuth, sondern bereits 1933 gibt es den berühmten Brief, den Edith Stein an Pius XI. geschrieben hat mit dem Topos: der Papst darf nicht schweigen, wenn so viel Elend um ihn herum vor sich geht. Nun ist Schweigen nicht gemeint im Sinne, der Papst hätte nicht gesprochen. Es hat keinen Papst gegeben, der mehr Ansprachen gehalten hätte und Reden gehalten hätte als Pius XII. Zu seiner Zeit wurde ihm sogar vorgeworfen, dass er sich zu allem und zu jedem Thema geäußert hat.

Aber  - aus diesem Schweigen wird abgeleitet, dass der Papst auch nicht gehandelt hätte, und untätig zugesehen hätte, obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, die Vernichtung der europäischen Juden zu verhindern. Stimmt das?

*Dazu muss man sagen, dass der Papst zunächst die Möglichkeit gar nicht gehabt hat und es muss schon die Frage erlaubt sein, warum die Nationalsozialisten gerade an diesem Punkt, der in ihrem Rassismus an erster Stelle stand, auf den Papst in Rom hätten hören sollen, wenn sie in anderen Punkten nicht auf ihn gehört haben und wir wissen ja, dass aus dem Streit um das Reichskonkordat 1933, dass die Nationalsozialisten auch da nicht bereit waren auch nur an einem einzigen Punkt nachzugeben. Tatsächlich war das Schweigen für Pius XII. die Voraussetzung, dass er handeln konnte, also die Nichtöffentlichkeit war die Voraussetzung dafür, dass zum Beispiel über die Nuntiaturen, Roncalli in Ankara oder der Nuntius in Budapest,Pässe ausgestellt worden sind, die die Ausreise nach Südamerika ermöglicht haben oder Taufen vorgenommen worden sind, oder jüdische Kinder in katholische Familien oder in Klöster vermittelt worden sind.

Welche Leitlinien haben Ihres Erachtens Herr Hummel Pius XII. zu seinem Verhalten veranlasst? Hätte es dazu überhaupt Alternativen gegeben?

*Pius XII. war Zeit seines Lebens ein abwägender, überlegender Diplomat, der mit juristischer Bildung sehr bedacht reagiert hat und nicht vorschnelle Entscheidungen getroffen hat. Diese eher abwartende diplomatische Haltung steht nun in Konkurrenz zu einer moralischen Führungsrolle, die von ihm erwartet worden war, auch von vielen Katholiken erwartet worden war. Natürlich ist es vorstellbar, dass ein anderer Papst sich anders verhalten hätte und sein persönlicher Sekretär, Pater Leiber, hat in einem Interview einmal gesagt, er glaube, dass Pius XI. sich anders entschieden hätte und in dem Protest gegen die Ermordung der europäichen Juden an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Aber er wollte sich nicht festlegen, welches Ergebnis das bessere gewesen wäre. Für Pius XII. war es wichtig, ad maiora mala evitanda.

Nach der Öffnung der vatikanischen Archive wissen wir auch, dass es sehr viele alternative Überlegungen gab, die dann aus ganz verschiedenen Gründen verworfen worden sind. Ein Beispiel?

*1937 hat der Vatikan überlegt, nach dem Scheitern der Enzyklika 'Mit brennender Sorge', die in Deutschland nur dazu geführt hat, dass die Verfolgungsmaßnahmen zugenommen haben, aber damit die Situation der Katholiken nicht verbessert worden war, nach diesem Scheitern auf nationaler Ebene eine weltweite Offensive gegen den Nationalsozialismus zu inszenieren, und diese weltweite Initiative ist dann unterbleiben, weil Kardinal Faulhaber in München davon abgeraten hat, mit der Begründung, diese Offensive würde dem Druck der Nationalsozialisten auf die katholische Kirche weiter erhöhen und würde in Deutschland zu einer Kirchenspaltung führen, weil es die Katholiken zwingt, sich zwischen Staat und Kirche zu entscheiden.

Ein zweiter Haupt-Vorwurf gegen Pius XII. bezieht sich auf einen angeblichen Antisemitismus dieses Papstes. Was kann man dazu konkret sagen?

*Dieser Vorwurf des Antisemitismus wird abgeleitet aus einer einzigen Quelle: einem Nuntiaturbericht vom April 1919 aus München, in dem Pacelli berichtet über den Eindruck, den die jüdisch-kommunistische Räteregierung auf ihn gemacht hat. Dieser in italienischer Sprache verfaßte Nuntiaturbericht wurde dann von John Cornwell ins Englische übersetzt und aus dieser Übersetzung stammt der antisemitische Eindruck. Der Ursprungstext ist alles andere als antisemitisch und die antisemitischen Klischees sind erst durch die Übersetzung Cornwells entstanden und wurden dann korrekt aus dem Englischen ins Deutsche und andere Sprachen übertragen. Nachdem die meisten Leser aber inzwischen die englische Ausgabe lesen und nicht auf das italienische Original zurückgehen können, wird diese gefälschte, verfälschende Übersetzung jetzt als Beleg für einen Antisemitismus Pius XII. angenommen.

Fünf Jahre nach dem Tod Pius XII. - 1963 - wird in Berlin ein Drama eines jungen protestantischen Schriftstellers, Rolf Hochhuth, aufgeführt, die das Geschichtsbild Pius XII. auf Jahrzehnte von weiß auf schwarz veränderte. Kritiker behaupten, die Darstellung Pius XII beruhe auf völlig unseriöse wissenschaftliche Recherchen, andere sprechen von einer gelungenen Dramaturgie?

*Die Öffnung der vatikanischen Archive bis 1939 erlaubt es nun schon in einer ganzen Reihe von Punkten mit Dokumenten, die bisher nicht zur Verfügung waren, gegen Hochhuth zu argumentieren und wenn Rolf Hochhuth bereit wäre, sich auf diese  Diskussion einzulassen, wäre sein Theaterstück auch nicht mehr aufführbar. Die einzige Möglichkeit für Hochhuth seine Position zu halten, ist, dass er dem Gespräch mit der Wissenschaft konsequent aus dem Weg geht und gegen die Erkenntnisse der zeitlichen erforschungen moralische Positionen behauptet, die aber deshalb so schwach sind, weil die Personen auf der Bühne und die Wirklichkeit nichts miteinander zu tun haben.

Eien letzte Überlegung: Vielfach wird die Frage gestellt: Warum hat der Papst auch dann noch geschwiegen, als der Spuk des Nationalsozialismus und der Krieg vorüber waren. Pius XII. lebte ja noch bis 1958?  Die Bedenken, die Pius XII. vor 1945 dazu veranlasst haben, öffentlich zu schweigen, waren danach ja eigentlich weggefallen?

*Ich glaube, um hier eine abschließende Antwort zu finden, müssen wir warten, bis die Dokumente von 1939 - 1958 und auch zur Verfügung stehen. Und ich bin sicher, dass sich das Bild von Pius XII. mit diesen neuen Dokumenten dann weiter verändern wird, so wie es jetzt bereits für die 30ger Jahre sehr viel differenzierter ist, als wir das vor der Öffnung der Archive gekannt haben.

*Pius XII.soll vom damaligen Botschafter beim Hl. Stuhl, Ernst von Weizsäcker, die Warnung erhalten haben, er könne mit seinen Kritiken und Vorwürfen gegenüber den damaligen Machthabern in Deutschland nicht vorsichtig genug sein, er, Weizsächer, kenne seine Leute nur zu gut.und wisse, welche Folgen dies haben könne. Herr Professor Hummel:

*Ernst von Weizsächer hatte nach Berlin gemeldet, dass es ihm gelungen sei, ohne Aufsehen zu erreichen, den Papst von einem öffentlichen Protest abzuhalten. Die Darstellung aus den vatikanischen Quellen deutet eher darauf hin, dass der Kardinalstaatssekretär Maglione bei seinem Gespräch mit von Weizsächer damit gedroht hat, der Papst würde an die Öffentlichkeit gehen, wenn die Razzia gegen die Juden nicht sofort eingestellt würde. Das überzeugende Argument für die Einstellung der Razzia war aber glaube ich das Beispiel Neapel, weil man hier zeigen konnte, dass der Aufstand in Neapel dazu geführt hat, dass die Stadt in die Hand der Allierten gefallen war und dass eine ähnliche Möglichkeit auch in Rom bestünde, und dieses Risiko wollte man in Berlin nicht eingehen.

Was geschehen wäre, wenn sich der Papst zu einem deutlichen Protest durchgerungen hätte, kann man nur vermuten. Wie hätten die Westmächte darauf reagiert? Wie die Verbündeten der Deutschen? Wäre der Krieg dadurch tatsächlich früher beendet worden? Dies alles sind Fragen, über die man nur spekulieren kann. Eines aber haben wir heute deutlich gehört: geschwiegen hat dieser Papst nicht, er hat vielmehr protestiert und vielen geholfen, nicht lautstark und vehement, sondern still und hinter den Kulissen.

Ein Interview von Aldo Parmeggiani









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