Pius XII. - Ein Papst in Bedrängnis. Gespräch mit K.-J. Hummel, Kommission für Zeitgeschichte
Die geplante Reise
des Papstes ins Heilige Land, die bevorstehende Seligsprechung Pius XII., aber auch
die jüngsten Ereignisse im Umfeld der Traditionalisten haben die Debatte um die Rolle
dieses Papstes während des Zweiten Weltkriegs neu angeheizt. Hätte der Papst die Greueltaten
Hitlers stoppen können, in dem er Krieg und Judenverfolgung öffentlich verurteilte?
Die Meinungen über diesen Pontifex, der in der schwierigsten Zeit des vergangenen
Jahrhunderts an der Spitze des Vatikans stand, gehen weit auseinander. Die einen sagen,
er hätte mehr gegen das himmelschreiende Unrecht protestieren sollen, die anderen
betonen, dass jede öffentliche Stellungsnahme noch mehr Unrecht nach sich gezogen
hätte. Überlegungen und Einschätzungen dazu jetzt mit Professor Dr. Karl-Joseph Hummel,
Direktor der Kommission für Zeitgeschichte/Bonn.
Eugenio Pacelli war 12 Jahre
lang Nuntius in Deutschland. Die Zeit in München und in Berlin war für den späteren
Papst der erste Auslandsposten und dieser Posten, begann sofort mit einer der wichtigsten
Aufgaben, die das damalige Kirchenoberhaupt zu vergeben hatte: mit der Friedensinitiative
Benedikt XV. Wie hat Pius XII. diese Erfahrungen in Deutschland genützt und später
in sein römisches Amt aufgenommen?
*Nach dem Scheitern dieser Friedensinitiative
wußte Pacelli, dass die Frage der päpstlichen Neutralität in weltpolitischen Angelegenheiten
eine ganz wichtige Voraussetzung ist und diese erste wichtige Erfahrung hat er mit
in die Zeit des 2. Weltkriegs genommen. Pacelli hat außerdem in München die kommunistische
Räterepublik erlebt und hat den Aufstieg des Nationalsozialismus - einschließlich
des Hitlerputsches - persönlich erfahren. Diese beiden Erfahrungen haben zusammen
mit der Verhandlungserfahrung, die er dann in Berlin mit den Sowjets gemacht hat in
den Geheimverhandlungen über päpstliche Hilfe in der Sowjetunion dazu veranlasst,
ein klares, antikommunistisches und antinationalsozialistisches Bild mit nach Rom
zu nehmen.
In den meisten Medien wird Pius XII. oft als Papst der Deutschen
bezeichnet. Und zwar als Hitler's Pope, wie es in einer englischen Veröffentlichung
von John Cornwell heißt. Daraus wird der Vorwurf abgeleitet, der Papst habe im antibolschewistischen
Einverständnis gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht. Professor Hummel:
*Eugenio
Pacelli hat mehrrfach auch in der Kriegszeit noch darüber gesprochen, dass seine Erfahrung,
seine Zeit in Deutschland vielleicht die schönste Zeit seines Lebens gewesen sei.
Trotzdem wußte Pacelli sehr genau zu diferenzieren: er war nicht der Papst der Deutschen,
sondern er wußte, dass die Deutschen und der deutsche Nationalsozialismus nicht identisch
sind. Sein Bild von Adolf Hitler stand sehr deutlich fest, als er 1929 aus Deutschland
zurückkam und es gab auch keinerlei persönlichen Kontakt zwischen Hitler und Pacelli.
Interessant ist, dass die Nationalsozialisten das ihrerseits genauso eingeschätzt
haben. Als Pacelli 1939 zum Papst Pius XII. gewählt wurde hat Goebbels in sein Tagebuch
notiert: das ist nicht unser Mann!
* Ja, Pacelli hat aus dieser persönlichen
Einschätzung des Nationalsozialismus für sich abgeleitet, dass es keinerlei Zusammenarbeit
mit diesem Nationalsozialismus geben konnte, auch nicht in diesem antikommunistischen
Einverständnis. Ähnlich differenziert ist Pacelli vorgegangen auch innerhalb der katholischen
Kirche selbst: wir wissen, dass seine Einstellung zu dem Vorsitzenden der Fuldaer
Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, sehr kritisch gewesen ist und wenn es um entscheidende
Fragen ging, hat Pacelli seine persönliche Freundschaft zu Kardinal Faulhaber in München
und dem Berliner Bischof von Preißing ausgenutzt und hat an allen offiziellen Kanälen
vorbei, sich dort Rat geholt, den er dann bei seinen Entscheidungen auch berücksichtigt
hat.
Pius XII. wird vorgeworfen, den Völkermord an den europäischen Juden nicht
deutlich genug, nicht laut genug kritisiert zu haben. Der Papst, der geschwiegen hat,
heißt es vielfach: ist dies eine Formel, die Pius XII. mit sich herumtragen muss?
*Das beginnt nicht erst in der Nachkriegszeit, etwa mit Hochhuth, sondern
bereits 1933 gibt es den berühmten Brief, den Edith Stein an Pius XI. geschrieben
hat mit dem Topos: der Papst darf nicht schweigen, wenn so viel Elend um ihn herum
vor sich geht. Nun ist Schweigen nicht gemeint im Sinne, der Papst hätte nicht gesprochen.
Es hat keinen Papst gegeben, der mehr Ansprachen gehalten hätte und Reden gehalten
hätte als Pius XII. Zu seiner Zeit wurde ihm sogar vorgeworfen, dass er sich zu allem
und zu jedem Thema geäußert hat.
Aber - aus diesem Schweigen wird abgeleitet,
dass der Papst auch nicht gehandelt hätte, und untätig zugesehen hätte, obwohl er
die Möglichkeit gehabt hätte, die Vernichtung der europäischen Juden zu verhindern.
Stimmt das?
*Dazu muss man sagen, dass der Papst zunächst die Möglichkeit gar
nicht gehabt hat und es muss schon die Frage erlaubt sein, warum die Nationalsozialisten
gerade an diesem Punkt, der in ihrem Rassismus an erster Stelle stand, auf den Papst
in Rom hätten hören sollen, wenn sie in anderen Punkten nicht auf ihn gehört haben
und wir wissen ja, dass aus dem Streit um das Reichskonkordat 1933, dass die Nationalsozialisten
auch da nicht bereit waren auch nur an einem einzigen Punkt nachzugeben. Tatsächlich
war das Schweigen für Pius XII. die Voraussetzung, dass er handeln konnte, also die
Nichtöffentlichkeit war die Voraussetzung dafür, dass zum Beispiel über die Nuntiaturen,
Roncalli in Ankara oder der Nuntius in Budapest,Pässe ausgestellt worden sind, die
die Ausreise nach Südamerika ermöglicht haben oder Taufen vorgenommen worden sind,
oder jüdische Kinder in katholische Familien oder in Klöster vermittelt worden sind.
Welche Leitlinien haben Ihres Erachtens Herr Hummel Pius XII. zu seinem Verhalten
veranlasst? Hätte es dazu überhaupt Alternativen gegeben?
*Pius XII. war Zeit
seines Lebens ein abwägender, überlegender Diplomat, der mit juristischer Bildung
sehr bedacht reagiert hat und nicht vorschnelle Entscheidungen getroffen hat. Diese
eher abwartende diplomatische Haltung steht nun in Konkurrenz zu einer moralischen
Führungsrolle, die von ihm erwartet worden war, auch von vielen Katholiken erwartet
worden war. Natürlich ist es vorstellbar, dass ein anderer Papst sich anders verhalten
hätte und sein persönlicher Sekretär, Pater Leiber, hat in einem Interview einmal
gesagt, er glaube, dass Pius XI. sich anders entschieden hätte und in dem Protest
gegen die Ermordung der europäichen Juden an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Aber
er wollte sich nicht festlegen, welches Ergebnis das bessere gewesen wäre. Für Pius
XII. war es wichtig, ad maiora mala evitanda.
Nach der Öffnung der vatikanischen
Archive wissen wir auch, dass es sehr viele alternative Überlegungen gab, die dann
aus ganz verschiedenen Gründen verworfen worden sind. Ein Beispiel?
*1937
hat der Vatikan überlegt, nach dem Scheitern der Enzyklika 'Mit brennender Sorge',
die in Deutschland nur dazu geführt hat, dass die Verfolgungsmaßnahmen zugenommen
haben, aber damit die Situation der Katholiken nicht verbessert worden war, nach diesem
Scheitern auf nationaler Ebene eine weltweite Offensive gegen den Nationalsozialismus
zu inszenieren, und diese weltweite Initiative ist dann unterbleiben, weil Kardinal
Faulhaber in München davon abgeraten hat, mit der Begründung, diese Offensive würde
dem Druck der Nationalsozialisten auf die katholische Kirche weiter erhöhen und würde
in Deutschland zu einer Kirchenspaltung führen, weil es die Katholiken zwingt, sich
zwischen Staat und Kirche zu entscheiden.
Ein zweiter Haupt-Vorwurf gegen Pius
XII. bezieht sich auf einen angeblichen Antisemitismus dieses Papstes. Was kann man
dazu konkret sagen?
*Dieser Vorwurf des Antisemitismus wird abgeleitet aus
einer einzigen Quelle: einem Nuntiaturbericht vom April 1919 aus München, in dem Pacelli
berichtet über den Eindruck, den die jüdisch-kommunistische Räteregierung auf ihn
gemacht hat. Dieser in italienischer Sprache verfaßte Nuntiaturbericht wurde dann
von John Cornwell ins Englische übersetzt und aus dieser Übersetzung stammt der antisemitische
Eindruck. Der Ursprungstext ist alles andere als antisemitisch und die antisemitischen
Klischees sind erst durch die Übersetzung Cornwells entstanden und wurden dann korrekt
aus dem Englischen ins Deutsche und andere Sprachen übertragen. Nachdem die meisten
Leser aber inzwischen die englische Ausgabe lesen und nicht auf das italienische Original
zurückgehen können, wird diese gefälschte, verfälschende Übersetzung jetzt als Beleg
für einen Antisemitismus Pius XII. angenommen.
Fünf Jahre nach dem Tod Pius
XII. - 1963 - wird in Berlin ein Drama eines jungen protestantischen Schriftstellers,
Rolf Hochhuth, aufgeführt, die das Geschichtsbild Pius XII. auf Jahrzehnte von weiß
auf schwarz veränderte. Kritiker behaupten, die Darstellung Pius XII beruhe auf völlig
unseriöse wissenschaftliche Recherchen, andere sprechen von einer gelungenen Dramaturgie?
*Die Öffnung der vatikanischen Archive bis 1939 erlaubt es nun schon in einer
ganzen Reihe von Punkten mit Dokumenten, die bisher nicht zur Verfügung waren, gegen
Hochhuth zu argumentieren und wenn Rolf Hochhuth bereit wäre, sich auf diese Diskussion
einzulassen, wäre sein Theaterstück auch nicht mehr aufführbar. Die einzige Möglichkeit
für Hochhuth seine Position zu halten, ist, dass er dem Gespräch mit der Wissenschaft
konsequent aus dem Weg geht und gegen die Erkenntnisse der zeitlichen erforschungen
moralische Positionen behauptet, die aber deshalb so schwach sind, weil die Personen
auf der Bühne und die Wirklichkeit nichts miteinander zu tun haben.
Eien letzte
Überlegung: Vielfach wird die Frage gestellt: Warum hat der Papst auch dann noch geschwiegen,
als der Spuk des Nationalsozialismus und der Krieg vorüber waren. Pius XII. lebte
ja noch bis 1958? Die Bedenken, die Pius XII. vor 1945 dazu veranlasst haben, öffentlich
zu schweigen, waren danach ja eigentlich weggefallen?
*Ich glaube, um hier
eine abschließende Antwort zu finden, müssen wir warten, bis die Dokumente von 1939
- 1958 und auch zur Verfügung stehen. Und ich bin sicher, dass sich das Bild von Pius
XII. mit diesen neuen Dokumenten dann weiter verändern wird, so wie es jetzt bereits
für die 30ger Jahre sehr viel differenzierter ist, als wir das vor der Öffnung der
Archive gekannt haben.
*Pius XII.soll vom damaligen Botschafter beim Hl. Stuhl,
Ernst von Weizsäcker, die Warnung erhalten haben, er könne mit seinen Kritiken und
Vorwürfen gegenüber den damaligen Machthabern in Deutschland nicht vorsichtig genug
sein, er, Weizsächer, kenne seine Leute nur zu gut.und wisse, welche Folgen dies haben
könne. Herr Professor Hummel:
*Ernst von Weizsächer hatte nach Berlin gemeldet,
dass es ihm gelungen sei, ohne Aufsehen zu erreichen, den Papst von einem öffentlichen
Protest abzuhalten. Die Darstellung aus den vatikanischen Quellen deutet eher darauf
hin, dass der Kardinalstaatssekretär Maglione bei seinem Gespräch mit von Weizsächer
damit gedroht hat, der Papst würde an die Öffentlichkeit gehen, wenn die Razzia gegen
die Juden nicht sofort eingestellt würde. Das überzeugende Argument für die Einstellung
der Razzia war aber glaube ich das Beispiel Neapel, weil man hier zeigen konnte, dass
der Aufstand in Neapel dazu geführt hat, dass die Stadt in die Hand der Allierten
gefallen war und dass eine ähnliche Möglichkeit auch in Rom bestünde, und dieses Risiko
wollte man in Berlin nicht eingehen.
Was geschehen wäre, wenn sich der Papst
zu einem deutlichen Protest durchgerungen hätte, kann man nur vermuten. Wie hätten
die Westmächte darauf reagiert? Wie die Verbündeten der Deutschen? Wäre der Krieg
dadurch tatsächlich früher beendet worden? Dies alles sind Fragen, über die man nur
spekulieren kann. Eines aber haben wir heute deutlich gehört: geschwiegen hat dieser
Papst nicht, er hat vielmehr protestiert und vielen geholfen, nicht lautstark und
vehement, sondern still und hinter den Kulissen.