Die geplante Reise des Papstes ins Heilige Land, die bevorstehende Seligsprechung
Pius XII., aber auch die jüngsten Ereignisse im Umfeld der Traditionalisten haben
die Debatte um die Rolle dieses Papstes während des Zweiten Weltkriegs neu angeheizt.
Hätte der Papst die Greueltaten Hitlers stoppen können, in dem er Krieg und Judenverfolgung
öffentlich verurteilte? Professor Karl-Joseph Hummel ist Direktor der Kommission
für Zeitgeschichte mit Sitz in Bonn. Aldo Parmeggiani fragte ihn, wie er das „Schweigen“
Pius XII. zum Holocaust beurteilt.
„Dazu muss man sagen, dass der Papst zunächst
die Möglichkeit gar nicht gehabt hat und es muss schon die Frage erlaubt sein, warum
die Nationalsozialisten gerade an diesem Punkt, der in ihrem Rassismus an erster Stelle
stand, auf den Papst in Rom hätten hören sollen, wenn sie in anderen Punkten nicht
auf ihn gehört haben und wir wissen ja, dass aus dem Streit um das Reichskonkordat
1933, dass die Nationalsozialisten auch da nicht bereit waren auch nur an einem einzigen
Punkt nachzugeben. Tatsächlich war das Schweigen für Pius XII. die Voraussetzung,
dass er handeln konnte, also die Nichtöffentlichkeit war die Voraussetzung dafür,
dass zum Beispiel über die Nuntiaturen, Roncalli in Ankara oder der Nuntius in Budapest,Pässe
ausgestellt worden sind, die die Ausreise nach Südamerika ermöglicht haben oder Taufen
vorgenommen worden sind, oder jüdische Kinder in katholische Familien oder in Klöster
vermittelt worden sind.“
Welche Leitlinien haben Ihres Erachtens Herr Hummel
Pius XII. zu seinem Verhalten veranlasst? Hätte es dazu überhaupt Alternativen gegeben?
„Pius XII. war Zeit seines Lebens ein abwägender, überlegender Diplomat, der
mit juristischer Bildung sehr bedacht reagiert hat und nicht vorschnelle Entscheidungen
getroffen hat. Diese eher abwartende diplomatische Haltung steht nun in Konkurrenz
zu einer moralischen Führungsrolle, die von ihm erwartet worden war, auch von vielen
Katholiken erwartet worden war. Natürlich ist es vorstellbar, dass ein anderer Papst
sich anders verhalten hätte, und sein persönlicher Sekretär, Pater Leiber, hat in
einem Interview einmal gesagt, er glaube, dass Pius XI. sich anders entschieden hätte
und in dem Protest gegen die Ermordung der europäichen Juden an die Öffentlichkeit
gegangen wäre. Aber er wollte sich nicht festlegen, welches Ergebnis das bessere gewesen
wäre. Für Pius XII. war es wichtig, ad maiora mala evitanda.“
Nach der Öffnung
der vatikanischen Archive wissen wir auch, dass es sehr viele alternative Überlegungen
gab, die dann aus ganz verschiedenen Gründen verworfen worden sind. Ein Beispiel?
„1937 hat der Vatikan überlegt, nach dem Scheitern der Enzyklika 'Mit brennender
Sorge', die in Deutschland nur dazu geführt hat, dass die Verfolgungsmaßnahmen zugenommen
haben, aber damit die Situation der Katholiken nicht verbessert worden war, nach diesem
Scheitern auf nationaler Ebene eine weltweite Offensive gegen den Nationalsozialismus
zu inszenieren, und diese weltweite Initiative ist dann unterbleiben, weil Kardinal
Faulhaber in München davon abgeraten hat, mit der Begründung, diese Offensive würde
dem Druck der Nationalsozialisten auf die katholische Kirche weiter erhöhen und würde
in Deutschland zu einer Kirchenspaltung führen, weil es die Katholiken zwingt, sich
zwischen Staat und Kirche zu entscheiden.“
Fünf Jahre nach dem Tod Pius XII.
- 1963 - wird in Berlin ein Drama eines jungen protestantischen Schriftstellers, Rolf
Hochhuth, aufgeführt, die das Geschichtsbild Pius XII. auf Jahrzehnte von weiß auf
schwarz veränderte. Kritiker behaupten, die Darstellung Pius XII beruhe auf völlig
unseriöse wissenschaftliche Recherchen, andere sprechen von einer gelungenen Dramaturgie?
„Die Öffnung der vatikanischen Archive bis 1939 erlaubt es nun schon in einer
ganzen Reihe von Punkten mit Dokumenten, die bisher nicht zur Verfügung waren, gegen
Hochhuth zu argumentieren, und wenn Rolf Hochhuth bereit wäre, sich auf diese Diskussion
einzulassen, wäre sein Theaterstück auch nicht mehr aufführbar. Die einzige Möglichkeit
für Hochhuth, seine Position zu halten, ist, dass er dem Gespräch mit der Wissenschaft
konsequent aus dem Weg geht und gegen die Erkenntnisse der zeitlichen erforschungen
moralische Positionen behauptet, die aber deshalb so schwach sind, weil die Personen
auf der Bühne und die Wirklichkeit nichts miteinander zu tun haben.“