Die Beziehung zwischen
dem Vatikan und den Juden „steht auf der soliden Grundlage des Zweiten Vatikanischen
Konzils, sie kann auch zwischenzeitliche Rückschläge verkraften. Wir können sogar
gestärkt daraus hervorgehen.“ Diese versöhnlichen Worte sprach an diesem Donnerstag
eine hochrangige jüdische Delegation vor Papst Benedikt XVI. im Vatikan aus. Das Kirchenoberhaupt
seinerseits wiederholte, dass die Kirche „zutiefst und unwiderruflich dazu verpflichtet
ist, allen Antisemitismus zurückzuweisen“. Auch zur Shoah selbst fand der Papst abermals
deutliche Worte: „Der Hass und die Menschenverachtung“, die ihr deutlich wurden, „waren
ein Verbrechen gegen Gott und gegen die Menschlichkeit.“ Es sei „über jeden Zweifel
erhaben, dass jede Leugnung oder Minimierung dieses furchtbaren Verbrechens nicht
tolerierbar und rundweg inakzeptabel ist. Dieses schreckliche Kapitel unserer Geschichte
darf nie vergessen werden!“ Beide Seiten sprachen auch von der bevorstehenden Visite
Papst Benedikts im Heiligen Land: „Das gelobte Land erwartet Ihre Ankunft“, so der
New Yorker Rabbiner Arthur Schneier.
„Shalom, Eure Heiligkeit!“ Das setzte
den Ton bei dieser Audienz, die man – nach dem Trubel der letzten Wochen – durchaus
als historisch werten kann. Wie schon nach der Aufregung über die Karfreitags-Fürbitte
war es wieder der New Yorker Rabbiner Arthur Schneier, ein gebürtiger Österreicher,
der dem Papst Gesprächsbereitschaft signalisierte – in einem „kritischen Moment für
katholisch-jüdische Beziehungen“, wie er selbst sagte.
„Für einen Holocaust-Überlebenden
waren das schmerzhafte und schwierige Tage“, so Schneier. „Wir waren siebzig Jahre
nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit einer Leugnung des Holocaust konfrontiert,
und das sogar aus dem Mund eines Bischofs der Piusbruderschaft.“ Der Rabbiner sprach
den Papst direkt an: „Wir haben doch beide das Toben dieses Krieges erlebt – Tod,
Leiden und Zerstörung. Die Shoah hat das Leben von sechs Millionen jüdischen Männern,
Frauen und Kindern gefordert, darunter meine eigene Familie in Auschwitz und Theresienstadt.“
Joseph Ratzinger war in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs minderjähriger Flakhelfer,
einmal nicht weit vom KZ Dachau im Einsatz; beim Reichsarbeitsdienst an der ungarischen
Grenze sah er einen Todesmarsch Budapester Juden vorbeiziehen. Schneier, ein paar
Jahre jünger, war vor Kriegsausbruch von Wien nach Budapest geflohen; er überlebte
und wanderte zwei Jahre nach Kriegsende in die USA aus.
„Eure Heiligkeit,
wir und so viele andere, die die Unmenschlichkeit gesehen haben, die Menschen einander
angetan haben – wie könnten wir nicht protestieren, wenn jemand den Holocaust leugnet?
Die Opfer des Holocaust haben uns nicht das Recht gegeben, den Tätern oder den Leugnern
des Holocaust zu vergeben. Danke, dass Sie unseren Schmerz und unsere Beklemmung verstehen.“
Deutliche
Worte im Vatikan. Schneier dankte dem Papst dafür, dass dieser am Mittwoch letzter
Woche seine Solidarität mit den Juden erklärt und jeder Holocaust-Leugnung eine Absage
erteilt hatte. Er dankte auch dafür, dass sich Benedikt wie sein Vorgänger Johannes
Paul zur Konzilserklärung „Nostra Aetate“ bekennt, die für eine „Versöhnung zwischen
der Kirche und dem jüdischen Volk“ stehe. Der Rabbiner warb dafür, die Erinnerung
an den Holocaust in den Schulen wachzuhalten: Das „Nie wieder“ müsse den nächsten
Generationen vermittelt werden.
„Wie die Juden in der Wüste nicht nur die
zweiten Tafeln der Zehn Gebote mit sich trugen, sondern auch die ersten, zerbrochenen,
so tragen auch wir mit uns die Erinnerung an Jahrhunderte der Verfolgung, Unterdrückung
und Demütigung. Aber wir sind durch die Vergangenheit nicht gelähmt, sondern glauben
weiter an den Hüter Israels.“ Rabbi Schneier nannte den Staat Israel, der vom Vatikan
erst in den neunziger Jahren diplomatisch anerkannt wurde, als Erfüllung der Prophezeiung
des Ezechiel: „Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig, und ich
bringe euch wieder in euer Land.“ „Das Gelobte Land erwartet Ihre Ankunft.“
Dieser
kleine Satz war nichts anderes als die wieder aufgerissene Tür zu einer Papstreise
nach Israel. Schon länger war eine solche Visite für den Mai im Gespräch; jetzt deutet
alles darauf hin, als wolle Papst Benedikt angesichts des Williamson-Skandals erst
recht an dem Reiseplan festhalten. Rabbi Schneier endete mit einer optimistischen
Note: „Unsere Beziehung steht auf der soliden Grundlage des Zweiten Vatikanischen
Konzils; sie kann auch zwischenzeitliche Rückschläge verkraften. Wir können sogar
stärker daraus hervorkommen... Möge Er, der für Frieden im Himmel sorgte, uns helfen,
Friede auch auf Erden zu schaffen.“
Außer Rabbi Schneier hielt an diesem Donnerstag
auch Alan Solow eine kleine Rede – er kommt aus Chicago, gilt als enger Vertrauter
des neuen US-Präsidenten Barack Obama und steht erst seit wenigen Wochen an der Spitze
des Dachverbands der wichtigsten jüdischen US-Verbände. Auch Solow sprach von einem
„kritischen Moment“ und „gespannten Beziehungen zwischen der Kirche und der jüdischen
Gemeinschaft“: „Die Aufforderung des Heiligen Stuhls an Bischof Williamson, seine
furchtbare Leugnung des Holocaust zurückzunehmen, war ein willkommener Schritt. Es
muss immer wieder klargemacht werden, dass keine Art der Holocaust-Leugnung toleriert
werden darf.“
Solow appellierte an den Papst, sich deutlich gegen Antisemitismus
zu engagieren. „Die Geschichte lehrt uns, dass solche Intoleranz und solcher Hass
alle mit in den Abgrund zu reißen drohen, wenn man ihnen nicht entgegentritt. Auf
den alarmierenden Angriff auf eine Synagoge in Caracas folgte ein Überfall auf die
Nuntiatur des Vatikans. Auch wenn das nicht direkt in Zusammenhang steht, zeigt es,
dass wir alle solcher Aufwiegelei und solchem Extremismus zum Opfer fallen.“
Und
auch Solow fand klare Worte zu einer möglichen Papstreise ins Heilige Land: “Wir begrüßen
und unterstützen die geplante Reise Eurer Heiligkeit nach Israel. Die Menschen und
Führer in Israel sehen ihr wie wir erwartungsvoll entgegen... Die wachsenden Versuche,
den Staat Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren, sind sehr besorgniserregend.
Eure Heiligkeit kann mithelfen, die Stimmen von Extremisten zurückzudrängen, die im
Nahen Osten oder anderswo in der Welt zur Vernichtung Israels aufrufen oder die Terrorismus
gegen seine Bürger fördern.“ Der Papst selbst dankte dann in seiner Ansprache für
die deutlichen Worte von Rabbi Schneier und Herrn Solow. Es tue ihm immer gut, „etwas
Zeit mit meinen jüdischen Freunden zu verbringen“, so Benedikt. Er erinnerte an seinen
Besuch in der Synagoge von Köln kurz nach seinem Amtsantritt – und an seine Visite
auf dem Gelände des früheren Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Mai 2006. „Welche
Worte können eine so tief bewegende Erfahrung adäquat wiedergeben? Als ich diesen
Ort des Horrors betrat, diesen Schauplatz unermesslichen Leids, dachte ich an die
unzählige Schar von Gefangenen, darunter so vielen Juden, die auf diesem Weg in die
Gefangenschaft in Auschwitz und all den anderen Lagern geraten waren. Diese Kinder
Abrahams hatten, kummervoll und erniedrigt wie sie waren, wenig mehr als den Glauben
an den Gott ihrer Väter, um sie aufrecht zu halten – einen Glauben, den wir Christen
mit euch teilen, unseren Brüdern und Schwestern.“ „Wie können wir auch nur annähernd
das Monströse begreifen, was in diesen infamen Gefängnissen stattgefunden hat? Die
ganze menschliche Rasse fühlt tiefe Scham angesichts der wüsten Brutalität, die sich
damals an Eurem Volk gütlich hielt. Erlaubt mir, zu wiederholen, was ich bei dieser
düsteren Gelegenheit sagte: Die Führer des Dritten Reichs wollten das ganze jüdische
Volk vernichten, um es aus den Reihen der Völker dieser Erde auszulöschen.“ Auch
Benedikt kam dann auf eine mögliche Reise nach Jerusalem zu sprechen. „Ich bereite
eine Reise nach Israel vor, ein Land, das Christen wie Juden heilig ist, weil man
dort die Wurzeln unseres Glaubens findet. Ja wirklich, die Kirche nährt sich aus der
Wurzel dieses guten Olivenbaums, der das Volk Israel ist – und auf den die wilden
Ölbaum-Äste der Heiden aufgepfropft wurden.“ Das war – genauso wie die vom Papst letztes
Jahr neuformulierte Karfreitagsfürbitte – ein Zitat aus dem Römerbrief des Apostels
Paulus. „Seit den frühesten Tagen des Christentums ist unsere Identität und jeder
Aspekt unseres Lebens und unseres Gottesdienstes eng an die alte Religion unserer
Väter im Glauben rückgebunden.“ Mit der Formulierung „Väter im Glauben“ variierte
der Papst die berühmte Formel, die sein Vorgänger Johannes Paul beim Besuch der römischen
Synagoge gefunden hatte. Der polnische Papst hatte dabei die Juden als die „älteren
Brüder“ der Christen bezeichnet. „Die zweitausendjährige Geschichte der Beziehungen
zwischen Judentum und Kirche hat viele verschiedene Phasen erlebt, darunter einige
schmerzvolle. Jetzt, wo wir uns in einem Geist der Versöhnung treffen können, sollten
wir früheren Schwierigkeiten nicht erlauben, uns davon abzuhalten, dass wir einander
die Hand der Freundschaft reichen. Und wo gäbe es denn auch eine Familie, in der es
nicht zu irgendwelchen Spannungen kommt?“
Der Papst nannte die Konzils-Erklärung
„Nostra Aetate“ einen „Meilenstein auf unserem Weg zur Versöhnung“. „Die Kirche ist
zutiefst und unwiderrufbar darauf verpflichtet, allen Antisemitismus zurückzuweisen
und weiter gute, dauerhafte Beziehungen zwischen unseren zwei Gemeinschaften aufzubauen.
Wenn es ein Bild gibt, das diese Verpflichtung ausdrückt, dann ist es Johannes Paul
II. an der Klagemauer in Jerusalem, der Gott um Vergebung bittet für alle Ungerechtigkeit,
die das jüdische Volk erlebt hat.“
„Ich mache mir sein Gebet zu eigen: Gott
unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen erwählt, um deinen Namen zu allen
Nationen zu tragen. Wir sind tief betrübt über das Verhalten derer, die im Lauf der
Geschichte diesen deinen Kindern Leid zugefügt haben. Wir bitten dich um Vergebung,
und wir verpflichten uns selbst zu wahrer Brüderlichkeit mit dem Volk des Bundes.“
Noch
einmal fand der Papst klare Worte zum Holocaust: „Der Hass und die Menschenverachtung,
die in der Shoah deutlich wurden, waren ein Verbrechen gegen Gott und gegen die Menschlichkeit.
Das sollte jedem klar sein – vor allem jenen, die in der Tradition der Heiligen Schrift
stehen... Es ist über jeden Zweifel erhaben, dass jede Leugnung oder Minimierung dieses
furchtbaren Verbrechens nicht tolerierbar und rundweg inakzeptabel ist. Die Shoah
muss eine Warnung an alle sein, nicht zu vergessen, nicht zu verneinen und nicht zu
verkleinern... Dieses schreckliche Kapitel unserer Geschichte darf nie vergessen werden!“
Zu
Recht sei Erinnern auch „memoria futuri“, also ein Warnzeichen für die Zukunft, so
Papst Benedikt. Die Menschheit müsse alles tun, um eine ähnliche Katastrophe in Zukunft
zu verhindern. Er bete darum, dass die Erinnerung an den Holocaust „unsere Entschlossenheit
stärkt, die Wunden zu heilen, die zu lange die Beziehungen zwischen Christen und Juden
schmerzvoll gemacht haben.“
Es war eine große Rede des Papstes, eine Audienz
der deutlichen Worte – und ein klares Signal, dass der Vatikan aus dem Fall Williamson
seine Lehren gezogen hat. Auch die Türen zu einer Papstreise nach Israel sind an diesem
Donnerstag für alle sichtbar aufgesprungen. Rabbi Schneier berichtete nach der Audienz
vor Journalisten, er habe dem Papst auch noch etwas auf deutsch gesagt: „Ich habe
die Sonne gebracht.“ Damit meinte er nicht nur das Wetter. (rv 12.02.2009 sk)