Die Sixtinische Kapelle
mit den Fresken Michelangelos kennt jeder. Und die Paolinische Kapelle mit
den Fresken Michelangelos? Die kennt nur ein ausgewählter Kreis. Dabei liegt sie nur
wenige Schritte von der Sixtina, und sie wird, wie ihre große Schwester vor 15 Jahren,
soeben restauriert. Wir durften mit dem Chefrestaurator aufs Gerüst. Ein Hörstück
aus der Cappella Paolina von Gudrun Sailer.
Maurizio de Luca, seit vielen
Jahren Sachverständiger für Fresken in den Vatikanischen Museen, fühlt sich privilegiert.
„…weil ich die Möglichkeit hatte, Michelangelo in allen seinen Altersphasen
kennen zu lernen. Den jungen Michelangelo der Deckenfresken, den reifen Michelangelo
des Jüngsten Gerichts und den alten Michelangelo, der uns hier in diesen Fresken entgegentritt.“
Die Cappella Paolina liegt neben der berühmteren Sixtinischen Kapelle
im Apostolischen Palast, verbunden über die Aula Regia. Die Sixtina hatte ein widerstrebender
Michelangelo, der ja eigentlich Bildhauer war, mit den herrlichsten Fresken geschmückt.
Nun, viele Jahre später, übersiedelte Michelangelo 1534 endgültig von Florenz nach
Rom. Paul III. beauftragte ihn mit den Fresken in der drei Jahre zuvor entstandenen,
nach dem Papst benannten Cappella Paolina. Michelangelo arbeitete daran 1542 und 1550,
es ist ein Spätwerk. Er schuf zwei große Fresken, beide rund 40 Quadratmeter groß,
mit Themen aus der Apostelgeschichte. Die Bekehrung des Saulus und die Kreuzigung
des Petrus. In diesen Fresken zelebriert Michelangelo die Bekehrung und das Martyrium
als zentrale Ereignisse im Leben des Christen.
„Sicher ist, dass diese
Fresken das Leben in jenem Moment dieses großen Künstlers begleitet haben. Das fortschreitende
Alter. Der Verlust teurer Personen: In jener Zeit verliert Michelangelo Vittoria Colonna,
die viel später als seine spirituelle Geliebte bezeichnet werden wird. Er verliert
auch seinen langjährigen Diener, die Person, die ihn betreute, und auch Paul III.
stirbt, der ihn mit diesen Fresken beauftragt hatte.“
67 Jahre alt ist
Michelangelo, als er die Paolina beginnt. Ein ziemlich mürrischer, körperlich von
seinem Beruf gezeichneter Mann – ein Genie zugleich.
„In Wirklichkeit ist
die Technik des Freskos absolut keine Technik für alte Leute. Das ist anstrengend.
Als junger Mann, da konnte er leicht das Deckenfresko der Sixtina malen, mit dem Kopf
dauernd im Nacken, oder ausgestreckt auf dem Gerüst – er ist jung und kraftvoll. Er
malt die Lünetten in drei Tagen – eine Lünette, die so groß ist wie dieses Fresko
– in drei Tagen! Aber dieses Fresko hier, das malt Michelangelo
in ganz kleinen Tagessequenzen. Das ist verständlich! Denn ein großes Fresko fängt
man nicht an, wenn man weiß, dass man es nicht zu Ende bringen kann. Das macht man
nur dann, wenn man sich sicher ist, genug Zeit zu haben, um es fertig zu stellen.
Andernfalls muss man ein Detail nach dem anderen machen. So wie Michelangelo es hier
gemacht hat. Und das, glauben Sie mir - das sieht man.“
„Aber sehen Sie
mal die Besonderheit von diesem Künstler! Wie gut er den menschlichen Körper kannte!
Bei der Kreuzigung des Petrus ist die Längsachse des Kreuzes schräg dargestellt. Und
der Körper des Petrus scheint herabzugleiten wegen der Schwerkraft. Er hebt den Arm,
und der Körper ist ganz heruntergeglitten – Michelangelo lässt hier ein Zeugnis, eine
Studie, die nicht für ihn bestimmt ist, sondern für die anderen. Viele sagen, diese
Malerei ist zusammenhangslos. Das stimmt – aber Michelangelo hatte überhaupt keine
Absicht, einen Zusammenhang herzustellen. Er wollte, glaube ich, in dieser Szene,
nicht die Komposition feiern. Es hat vielmehr ein Testament hinterlassen. Stücke von
Malerei, so wie sie gemacht gehört. Konzeptuelle Kunst, wenn Sie so wollen.“
„Unter
uns: Michelangelo war nicht an der Natur interessiert, nur an der menschlichen Natur.
Sehen Sie diese fast naive Landschaft hier! Um zu sagen: na gut, mach ich halt einmal
eine Landschaft. Als Hintergrund. Aber auch diese Pferde, die aussehen wie Karussellpferde.
Unglaublich! Aber Michelangelos Genialität und eben auch Freiheit bestand auch darin,
diese Konventionen hinter sich zu lassen.“
„Vom malerischen Standpunkt
aus haben wir ein kontinuierliches Überdenken und Überarbeiten dessen, was der junge
und der reife Michelangelo waren. Der alte Michelangelo ist anders, das sieht
man sehr gut hier, an den Farben, die unter den anderen durchschimmern. Wenn beim
Fresko Farben unter anderen durchschimmern, erscheint ein Braun drunten. Und das kann
zweierlei bedeuten. Entweder man ist kein großer Freskenmaler, oder etwas ist während
der Malerei geschehen, weshalb er aufhören musste, und wieder von neuem beginnen.
Das Fresko ist ja keine Bild auf der Staffelei, das man ruhen lässt und dann wieder
aufnimmt. Also: er kommt und macht seinen Arbeitstag, muss weggehen, lässt die Grundfarbe
stehen, kommt zurück und setzt seiner Figur diese grüne Mütze auf. Etwas, was Michelangelo
in der Sixtina niemals gemacht hätte! Doch hier geschieht es dauernd! Sehen Sie hier.
Diese braune Grundfarbe ist hier und hier und hier. Ich muss das in den nächsten Monaten
noch sorgfältig studieren. Aber jedenfalls: DAS ist Michelangelo. Die echte Hand von
Michelangelo.“
Die Restaurierung der Cappella Paolina soll zum Ende des Paulusjahres,
am 29. Juni, abgeschlossen sein. (rv 07.01.2009 gs)