2009-01-05 17:01:36

Gaza: „Verschiedene Stimmen“ und „fließende Übergänge“. Unsere Korrespondentin im Interview


RealAudioMP3 „Krieg und Hass sind keine Lösungen.“ Den Christen im Heiligen Land spricht der Papst mit seinem Aufruf zu „Sofortmaßnahmen“ für ein Ende des Konflikts aus der Seele, bestätigt unsere Korrespondentin Gabi Fröhlich. Im Gespräch mit Stefan Kempis berichtet sie über die Sorgen der Menschen in Gaza, in Jeruselem und anderen Palästinensergebieten sowie über die Auswirkungen auf das Alltagsleben im Heiligen Land.

Über 5oo Tote, mehr als 2000 Verletzte – die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen hat ihren Preis. Man wird sie einmal daren messen, ob es ihr gelingt, dass künftig keine Hamasraketen mehr nach Israel hineinregnen. In allen christlichen Kirchen des Landes wurde am Sonntag intensiv für den Frieden gebetet. Ich sprach an diesem Montag mit unserer Korrespondentin in Jerusalem, Gabi Fröhlich.
Erste Frage: Teilen eigentlich alle Christen die Ansicht, dass jeder weitere Gewaltakt, dass jeder weitere Kriegstag eine Lösung noch schwerer macht?
„Die Kirchenführer sind sich einig, und die Christen, die ich bisher so gehört habe, sagen alle: Diese Gewalt führt zu gar nichts. Das militärische Vorgehen stärkt die Extremisten. Man weiß gar nicht, was jetzt ganz genau damit beabsichtigt ist. Geht es um Wahlkampf, geht es tatsächlich um das Stoppen der Raketen, können diese Raketen überhaupt mit einem militärischen Vorgehen gestoppt werden, denn das ist ja eine minimale Infrastruktur; die ist schnell zerschlagen und schnell wieder aufgebaut. Man stellt sich viele Fragen und ich wüsste noch von niemandem, der nicht sagt, dass der Weg an den Verhandlungstisch der einzige ist, der irgendwie Frieden in dieser Region sichern kann. Die christlichen Führer haben immer gesagt, man muss auch mit der Hamas sprechen, aber mit der wollte ja bisher niemand sprechen.“
Der Papst, der ja auch immer von der Rückkehr an den Verhandlungstisch, von der Aufnahme von Verhandlungen spricht, der hat auch an diesem Sonntag beim Angelusgebet einen Friedensappell lanciert. Wird so etwas überhaupt in der israelischen Öffentlichkeit wahrgenommen? Steht das in den Zeitungen, bringen das die Abendnachrichten oder ist jetzt in den Medien nur Gaza, Gaza, Gaza?


„Das, was ich gelesen habe, war Gaza, Gaza, Gaza. Ich verfolge die israelischen Medien nicht sehr intensiv, vom Papst hab ich da nichts gelesen. Ich vermute, dass es schon auch wahrgenommen wurde, aber wahrscheinlich sehr am Rande. Hingegen unter den Christen nimmt man sowas schon wahr. Die hören schon hin, was der Papst sagt, wenn sie davon irgendwie erfahren können und für sie ist das schon die Stimme in der Weltöffentlichkeit, von der sie hoffen, dass sie für sie spricht und in diesem Fall sind sie sehr froh darüber, dass er das gefordert hat.“

Nun liegt ja der Gazastreifen nicht direkt neben Jerusalem, sondern ein ganzes Stück entfernt. Merkt man in Jerusalem auch eine gewisse Nervosität, vielleicht unter den israelischen Arabern? Wie ist die Stimmung in Jerusalem, merkt man da überhaupt, dass in einem anderen Teil des Heiligen Landes Krieg stattfindet?


„Also, Jerusalem liegt nicht in Gaza, aber der Gazastreifen ist schon wahnsinnig nah, das sind noch nich einmal 80 Kilometer. Das ist ja wirklich keine Strecke, eigentlich. Und trotzdem ist das eine ganz andereW elt, das ist schon verrückt. Man bekommt hier direkt vom Krieg im Grunde nur mit, dass mehr Flieger unterwegs sind als sonst und das ist natürlich auch irgendwo bedrückend, zu wissen, dass diese Flieger dahin unterwegs sind und was für eine Ladung sie an Bord haben. Dann merkt man es daran, dass sehr viel mehr Polizei in der Stadt ist, auch zum Freitagsgebet hat es wieder große Beschränkungen gegeben für die Muslime, die zur Al-Aqsa-Moschee wollten. Nur Männer über 50 usw., das sind so Maßnehmen, die immer wieder getroffen werden, wenn man mit Ausschreitungen rechnet und das ist jetzt also auch hier sehr stark der Fall. Es ist alles abgeriegelt, eben sehr starke Polizeipräsenz in der Stadt. Die Geschäfte im Ostteil Jerusalems haben aus Protest gegen das israelische Vorgehen zum Teil zu. Es gibt auch immer wieder Demonstrationen, auch heute wieder. In den letzten Tagen haben wir Rauchsäulen gesehen, manchmal sind das angezündete Mülleimer, manchmal sind das auch Versuche, Demonstrationen auseinander zu treiben. Also, die Stimmung ist unruhig, traurig, bedrückt, gereizt, würde ich mal so sagen, und vor allem sehr besorgt. Gerade unter den Christen fragen sich viele: Wie geht es in der Zukunft weiter? Werden die Unruhen - im Moment hält es sich noch sehr in Grenzen – jetzt verstärkt wieder aufs Westjordanland überschwappen oder nach Jerusalem kommen? Wie wird sich das jetzt weiterentwickeln, auch von der Grundstimmung im Volk her? Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat sehr an Glaubwürdigkeit verloren, weil er überhaupt keinen Erfolg mit seiner Politik der Kompromissbereitschaft hat. Er ist kompromissbereit, wie jeder es sich nur wünschen kann, und trotzdem geht es den Menschen im Westjordanland nicht besser. Keine Checkpoints sind abgebaut, der Siedlungsbau geht weiter. Man fürchtet, dass sein Einfluss immer weiter sinkt, und wenn er sich jetzt auch von der Hamas distanziert hat und versucht, die Aufregung im Westjordanland zu kontrollieren, weiß man nicht, wie sehr ihm das gelingen wird, wenn ihm nicht jetzt nicht mit seiner Politik der Kompromissbereitschaft deutliche Erfolge gelingen.“

 
Nun gibt es ja im Gazastreifen, entgegen dem, was man glauben könnte, wenn man nur die Nachrichten sieht, nicht nur radikale Palästinenser, nicht nur Hamas-Anhänger, übrigens auch nicht nur Moslems, sondern ja auch Christen, oder? Aber doch nicht besonders viele?
 
„1, 5 Millionen Menschen leben im Gazastreifen, ungefähr 3000 sind Christen, davon sind ungefähr knapp mal 200 Katholiken des westlichen Ritus, die also unserer westlich-lateinischen Kirche angehören. Die kleine christliche Minderheit lebt mitten unter den Muslimen dort. Der lateinische Patriarch von Jerusalem hat gesagt, es gibt kein christliches Ghetto. Die Minderheit leidet mit der Mehrheit. Es ist auch so, dass es tatsächlich nicht nur Hamas-Aktivisten gibt, sondern die ganz große Mehrheit der Bevölkerung in Gaza sind Zivilisten, sind Frauen, Kinder. Der Gazastreifen hat mit eine der jüngsten Bevölkerungen überhaupt. Ich glaube, die Hälfte der Bevölkerung ist minderjährig, mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15. Das heißt ganz viele Kinder. Das sind natürlich alles keine Hamas-Aktivisten. Genauso die Frauen. Viele Zivilisten auch unter den Männern. Das heisst die Hamas-Aktivisten begherrschen die Bilder in der Welt, aber zahlenmäßig ganz sicher nicht den Gazastreifen.“

Sind die Christen im Gazastreifen jetzt so eine Art Geiseln der Hamas? Genauso wie die große Mehrheit auch der islamischen Palästinenser, die dort wohnen? Geiseln einer kleinen, radikalen Minderheit?

„Das ist ganz schwer zu sagen, Die Übergänge sind oft fließend. Es gibt sicher eine radikale Minderheit, die das Sagen hat und dann geht es fließend über bis zu denjenigen, die ganz friedensbereit sind. Und dazwischen gibt es diejenigen, die sagen: Nein, wir müssen Widerstand leisten und so weiter. Das ist ganz, ganz schwer auseinanderzudröseln. Es gibt unheimlich viele Fraktionen, Clans, Parteiungen usw. Es ist sehr schwer zu sagen, ob das wirklich Geiseln sind. Es ist so, dass die Hamas immerhin die letzten Wahlen gewonnen hat. Das darf man nicht vergessen. Und sie hat sie in der palästinensischen Bevölkerung deshalb gewonnen, weil die Menschen einfach furchtbar enttäuscht von der Fatah waren, die korrupt war und wie gesagt völlig erfolglos mit ihrer Politik. Wahrscheinlich haben die meisten Leut egedacht, sie müssten mal das Register wechseln. Dass das dann so extrem werden würde wie zum Teil jetzt im Gazastreifen, damit hat man wahrscheinlich nicht gerechnet. Aber die Übergänge sind wie gesagt sehr, sehr fließend und ich würde jetzt gar nicht sagen, daß sie alle Geiseln sind. Die Hamas hat die Macht im Gazastreifen übernommen. Der Gazastreifen gehört zu den am dichtest besiedelten Gebieten der Erde. Von der Dichte her sitzen da mehrere Menschen auf einem Quadratmeter. Das heißt es gibt kaum freies Feld. Die sitzen da unsd haben ihre Behörden, ihre Ministerien, auch die ganz normalen Stadtverwaltungen, die Polizei, da arbeiten auch zivile Beamte. Die sitzen mitten in der Stadt, wie das in einer normalen Stadt der Fall ist, und wenn es da Kämpfe gibt, dann sitzen die Zivilisten einfach mitten zwischen allen Fronten und sind de facto Geiseln des ganzen Krieges. Die Hamas kann natürlich auch Kapital daraus schlagen, dass die Zivilisten mitten drin sitzen, das will ich gar nicht bestreiten. Wahrscheinlich versuchen sie das auch gar nicht zu vermeiden. Bilder von blutigen Kindern, die um die Welt gehen, sind natürlich eine sehr schlechte Propaganda für Israel, das wird man bei der Hamas wissen und wahrscheinlich auch ausnutzen. Doch das ist nicht der eigentliche Grund. Der Grund ist, dass eine Bevölkerung von eineinhalb Millionen auf wenigen Quadratkilometern zusammengepfercht ist, rundherum verläuft ein Zaun, niemand kann hinaus, und alle sitzen zusammen in diesem Hexenkessel.“

 
Letzte Frage: Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Fouad Twal, hat für den Mai einen Besuch von Papst Benedikt XVI. im Heiligen Land angekündigt. Macht die Offensive in Gaza das zunichte oder kann man sagen: Die Offensive ist ja mutmaßlich in ein paar Wochen vorbei, der Papst kann kommen. Ist ein solcher Papstbesuch im Moment nicht nur denkbar, sondern auch wünschenswert?
 
„Da bin ich wahnsinnig gespannt, wie das im Vatikan entschieden wird. Natürlich wird man dort auch erst einmal die Entwickliung abwarten, denke ich. Also solange da so der Krieg tobt, wird Papst Benedikt wahrscheinlich eine Reise ins Heilige Land wohl kaum offiziell bekannt geben lassen. Das kann ich mir fast nicht vorstellen. Auf jeden Fall wäre es sehr, sehr spannend. Es gibt da verschiedene Stimmen: Die einen fürchten, dass ein Papstbesuch, nicht nur jetzt, unter den Vorzeichen des Krieges, sondern überhaupt in der ganzen angespannten Lage zwischen Israel und den Palästinensern – keine Fortschritte in Freidensverhandlungen, alles blockiert und im Endeffekt die arabischen Christen auch mitleidend unter den ganzen Sanktionen, unter denen das palästinensische Volk zu leiden hat - dass da eine Papstreise ein falsches Signal sein könnte. Man stellt sich vor, der Papst wird händeschüttelnd mit einer Regierung, die noch zu wählen ist und deren Couleur man noch nicht kennt, in Israel und in Jadwashem gezeigt, und dass diese Bilder in der arabischen Welt für Aufruhr sorgen könnten. Da befürchten die Christen ein wenig, dass das wieder auf sie zurückfallen könnte. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die sagen, dass eine Papstreise jetzt notwendiger sei denn je. Dazu gehört auch Patriarch Twal. Hier fragt man sich, welche Stimme gibt es denn überhaupt noch, die unparteiisch an sich ist, die versucht, beide Seiten zu hören und mit beiden Seiten zu reden und irgendwie zu vermitteln. Wer könnte das tun? Vielleicht, vielleicht Papst Benedikt XVI. Das sagen also auch manche. Ich bin wahnsinnig gespannt wie das Ganze entschieden wird und wenn der Papst kommen sollte, was er dann hier sagen wird.“

 

 

 

 
(rv 05.01.2009 km/sk)







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