„Die Schwelle der
Hoffnung überschreiten“ – so hieß vor ca. einem Jahrzehnt ein Gesprächsbuch mit Papst
Johannes Paul II. Mit welchen Gefühlen die Menschen im Vatikan die Schwelle zum neuen
Jahr überschreiten, mit welchem Blick zurück ins vergangene Jahr sie das tun – das
erklärte uns der Sprecher von Papst Benedikt, Federico Lombardi. Der norditalienische
Jesuit leitet nicht nur den Vatikanischen Pressesaal, sondern auch das Vatikanische
Fernsehzentrum sowie Radio Vatikan.
„Ich finde, dass das Pontifikat von
Benedikt XVI. mittlerweile seine Linie genau gefunden hat: als Verkündigung des christlichen
Glaubens, als Lehramt von außergewöhnlich hohem Niveau. Und auch als Bekräftigung
der Werte, die die Menschheit für heute und für morgen braucht. Es ist eine positive
Verkündigung, die sich ohne Angst an die Welt von heute wendet. Ich glaube, das haben
auch die großen Reisen des Papstes, vor allem im Jahr 2008, gezeigt.“
Das
Reisejahr 2008 – es sah Benedikt XVI. zunächst in New York und bei der UNO. Der Papst
feierte auch – beim Weltjugendtag von Australien – eine große Messe in Sydney, sprach
in der Innenstadt von Paris über Laizität und betete in der Grotte von Lourdes.
„Aus
all dem ragt sicher die Rede von Benedikt XVI. vor der Generalversammlung der Vereinten
Nationen heraus. Und dann sein Gebet am Ground Zero – das hat die Seele der Amerikaner
vielleicht am tiefsten angerührt. Was den Weltjugendtag betrifft, erinnern wir uns
an eine Art große Umarmung zwischen dem Heiligen Vater und einer ausgelassenen, feiernden
Schar von jungen Leuten. In Frankreich wiederum ist es dem Papst sicher geglückt,
seine Lehre auf eine positive Weise darzulegen. Dabei wurde er nicht nur von der Kirche
aufmerksam gehört, sondern auch von der Welt französischer Kultur; er hat also dieses
Ziel des Dialogs zwischen der Kirche und der Welt von heute erreicht, auf das wir
alle gehofft hatten.“
Auch, was die Ökumene oder das Gespräch mit den großen
Religionen betrifft, fällt die 2008-Bilanz im Vatikan sehr positiv aus. Pater Lombardi:
„Das Bild, das in ökumenischer Hinsicht am nachhaltigsten in Erinnerung
bleiben wird, ist wohl die Rede von Bartholomaios I. auf der Bischofssynode: der Ökumenische
Patriarch, der in sehr intensiver Weise die Liebe zum Wort Gottes in der orthodoxen
Welt proklamiert. Und was kann uns besser zusammenbringen als dieser gemeinsame Gang
zu den Wurzeln unseres Glaubens? Was den interreligiösen Dialog – und vor allem die
Beziehungen zum Islam - betrifft, da war das jüngste katholisch-islamische Forum der
wohl wichtigste Moment: Die Schlusserklärung hat klar gezeigt, dass die Punkte Menschenrechte
und Religionsfreiheit, die wesentlich sind für die Beziehung zum Islam, ehrlich und
deutlich angegangen worden sind.“
Was nicht mit der jetzigen Jahresschwelle
endet, das ist das Paulusjahr, das vom Papst Ende Juni 2008 feierlich eröffnet wurde
und noch bis Juni 2009 weitergeht. Benedikt XVI. hat es vor allem zum Anlass genommen,
um jeden Mittwoch während seiner Generalaudienz eingehende Katechesen über die Lehre
des Völkerapostels zu halten.
„Natürlich ist das Paulusjahr für die große
internationale Presse nicht besonders interessant, aber im Leben der Kirche ist es
doch sehr wichtig. Die Katechese des Papstes zum Paulusjahr macht im Moment einen
wichtigen Teil seines Dienstes aus: er macht damit die große Tiefe seiner theologischen
Kultur und seine große Spiritualität fruchtbar. Das könnte dem Christenvolk helfen,
mit Blick auf die leidenschaftliche Gestalt dieses Apostels Paulus zu einer neuen
missionarischen Haltung zu finden, zu einer Sehnsucht, dieses Geschenk des Glaubens,
das wir empfangen haben, auch an andere weiterzugeben. Das Paulusjahr ist auch in
ökumenischer Hinsicht wichtig: Vor allem die Orthodoxen haben daraus den Grundstein
ihrer Seelsorge in diesem Jahr gemacht.“
Im Herbst 2008 hat im Vatikan
eine große Bischofssynode stattgefunden, Thema: das Wort Gottes im Leben und in der
Sendung der Kirche. Im Lauf des Jahres 2009 wird Papst Benedikt wohl die Ergebnisse
der Beratungen vorstellen. Diese so genannte „Postsynodale Exhortation“ soll 2009
– so hofft man im Vatikan – zum Ausgangspunkt für eine Renaissance des Bibellesens
und –meditierens werden.
„Die Synode war eine besonders beglückende Erfahrung.
Das Klima war sehr entspannt, und das ist wichtig, denn über das Wort Gottes hat es
so viele Debatten gegeben (über Exegese, über die historisch-kritische Methode usw.).
Es hat sich bei der Synode herausgestellt, dass die Gemeinschaft der Kirche jetzt
reif für eine Bibellektüre ist, die alle kulturellen und kritischen Dimensionen berücksichtigt,
die bei der Lektüre der Heiligen Schrift wichtig sind – das alles aber in einem Geist
des Glaubens an Gottes Wort als Nahrung und Fundament des christlichen Lebens. Ich
würde sagen, der Papst selbst hat mit seinem Jesusbuch einen Beitrag dazu geleistet
– es zeigt, wie man die Schrift geistlich-theologisch lesen und das dann auch anderen
weitervermitteln kann.“
Für die große Welt da draußen war 2008 vor allem
das Jahr der Finanzkrise – düster wie selten zuvor sind denn auch die Prognosen für
das neue Jahr. Benedikt XVI. wird 2009 in einer seit langem erwarteten Sozialenzyklika
wohl auch zu dieser Krise Stellung nehmen. Lombardi meint:
„Mir scheint
es interessant, dass alle, ob gläubig oder nicht, sehr schnell begriffen haben, dass
an der Wurzel dieser Wirtschaftskrise ethische Komponenten stehen. Es hat da eine
Suche nach Reichtum über eine Finanzdynamik gegeben, die von der Produktion und der
wirklichen Arbeitsleistung abgekoppelt war: Dafür wird nun die Rechnung präsentiert.
Der Papst kommt häufig auf dieses Argument zurück; das zeigt nicht nur seine Anteilnahme
an den Leiden und Schwierigkeiten, die so viele Menschen jetzt wegen dieser Krise
durchmachen, sondern weist auch auf die Tatsache hin, dass die Wirtschaft umgebaut
werden muss, um menschenwürdiger und solider zu werden, um also mehr Rücksicht auf
die Bedürfnisse des Menschen und seiner Würde zu nehmen. Und darum braucht die Wirtschaft
– so betont der Papst – grundlegende Werte: für eine gleiche, solidarische, gerechte
Entwicklung für alle.“
2008 – das war für die Christen in vielen Teilen
der Welt auch ein Jahr der Bedrohung, der Verfolgungen. In einigen indischen Bundesstaaten
machten Hindu-Extremisten Jagd auf sie, im Irak werden sie mit Terror zur Flucht gezwungen,
in vielen islamisch dominierten Staaten müssen sie sich ducken und dürfen nicht auffallen.
Für den Vatikan wird das auch im Jahr 2009 Grund sein zu großer Sorge.
„Die
Lage in Indien und gewissermaßen auch im Nahen Osten hängt damit zusammen, dass in
der Welt von heute leider die Fundamentalismen enorm wachsen. Das führt dazu, dass
der Respekt für den Glauben der anderen schwindet, dass Andersgläubige an den Rand
gedrängt, dass sie von Gewalt bedroht werden. Ein sehr großes Problem. Im Nahen Osten
geht das sehr weit: Wo Christen zur Emigration gezwungen und in sehr schwierige Lebensumstände
gedrängt werden, da wird ein Gleichgewicht der Zivilisationen und des Zusammenlebens,
das grosso modo seit Jahrhunderten Bestand hatte, in Frage gestellt. Für uns als religiöse
Menschen ist das eine der dramatischsten Tatsachen unserer Zeit: dass der Name Gottes,
dass auch die Religion als Grund für Spannung und Gewalt herhalten müssen, statt der
Harmonie, der Liebe, dem friedlichen Aufbau der Menschheit zu dienen. Das müssen wir
sehr genau beobachten, davon dürfen wir uns absolut nicht ablenken lassen.“
Im
Jahr 2009 wollte Papst Benedikt eigentlich ins Heilige Land reisen; die Medien spekulierten
in letzter Zeit schon über ein Datum, im Gespräch war der Mai. Die Bomben von Gaza
in den Tagen nach Weihnachten zeigen aber, wie prekär solche Planungen sind. Pater
Lombardi:
„Es ist offensichtlich, dass da verschiedene Punkte, bei denen
Erwartungen geweckt werden, im Moment noch problematisch sind; man sollte eher etwas
vorsichtig sein, wenn man auf dieses beginnende Jahr blickt.“
Sicher ist
hingegen, dass der Vatikan im Jahr 2009 aufmerksam nach Afrika blicken wird. Nicht
nur wegen der wichtigen Wahlen in Südafrika, sondern auch, weil Benedikt im März nach
Kamerun und Angola reisen will und im Herbst dann eine bischöfliche Sondersynode für
Afrika in Rom zusammentritt. „Die Leiden so vieler Völker Afrikas
sind groß: Erschreckende Massaker an Armen oder Hungersnöte wie im Moment in Simbabwe...
Was können wir tun, um solche dramatischen Situationen künftig zu verhindern? Es geht
darum, dass ein Kontinent mit großem Potential und großem Reichtum an Ressourcen –
nicht nur materiellen, sondern vor allem menschlichen Ressourcen – endlich seinen
Beitrag leisten kann für die Menschheit und die Kirche von heute und morgen. Das Engagement
des Papstes gibt uns ein Beispiel: Wir alle sollten 2009 auf diesen Kontinent schauen!“