Kinder sind ein Geschenk - von Veronika Prueller-Jagenteufel
Am Sonntag nach Weihnachten feiert die katholische Kirche das Fest der Heiligen Familie.
Die Bibelstellen von Lesung und Evangelium erzählen daher auch vom Wunsch nach Kindern,
vom Familienleben, vom rechten Umgang miteinander, vom Staunen über das Kind Jesus
und vom Alltagsleben in Nazareth. Bunt und vielfältig und reichhaltig, wie das Leben
vieler Familien sind die Bibelstellen dieses Sonntags, voll mit Aussagen und Aspekten,
die es sich lohnt, genauer anzusehen. Ich kann nur ein paar wenige herausgreifen.Die
Lesungen führen uns zu Abraham und Sara hin. Heute würde man sie vielleicht „späte
Eltern“ nennen und sie wären in unserer Zeit in guter Gesellschaft, denn viele bekommen
heute, wenn überhaupt, erst spät Kinder. Manche nach langen Mühen und schwerem Warten;
manche trotz all dem dennoch nicht. Wir leben ja in einer seltsamen Zeit, in der die
einen Ärzte aufsuchen, um Kinder abtreiben zu lassen, und die anderen in die Kliniken
gehen, um mit medizinischer Hilfe doch noch ein Kind zu bekommen. Vielleicht brauchen
wir neu die Fähigkeit, uns vom Leben und von Gottes Zumutungen überraschen zu lassen,
auch wenn sie anders erscheinen, als wir es uns zunächst gewünscht haben. Das Leben
mit einem Kind – oder noch einem Kind mehr – ist für die einen so bedrohlich, dass
sie davor zurückschrecken, während die anderen in all ihrem drängenden Verlangen manchmal
übersehen, dass das Leben mit Kindern über weite Strecken ganz normales Alltagsleben
bedeutet und keineswegs immer nur schön und leicht ist. Und doch ist es voller Chancen
und Reichtum. Vielleicht ist die Gefahr ja für beide wie für unsere Gesellschaft insgesamt,
dass wir uns nicht mehr genug bewusst sind, dass Kinder ein Geschenk Gottes sind.
Ja, auch eine Aufgabe und manchmal eine Belastung, aber zuerst ein Geschenk, an die
Eltern, aber nicht nur an sie, sondern an die ganze Menschheit, denn jeder neue Mensch
ist eine Zusage und Verheißung Gottes, ist eine neue Chance auf Menschlichkeit und
trägt in sich den ganzen Reichtum der Liebe Gottes, aus der er oder sie stammt. Dieses
Geschenk können wir doch nicht ablehnen und der ganzen Welt vorenthalten. Genauso
ist es aber auch nicht an uns, nach diesem Geschenk wie nach einem Besitz zu greifen,
der uns zustünde und den wir uns holen. Die Grenze zwischen der hoffenden Offenheit
und der berechtigten Bitte an Gott um ein Kind einerseits und dem verkrampften Bestemm,
der unbedingt durchsetzen will, was sich als Wunsch vielleicht schon verselbständigt
hat, andererseits ist fließend und geht durch eine breite Grauzone. Jedes Paar, das
vor den Entscheidungen steht, welche Schritte sie mit den Ärzten in der Kinderwunschklinik
mitgehen werden, weiß wie schwer es ist, den richtigen Weg zu ertasten. Schauen
wir hier auf das heutige Evangelium. Dort ist davon die Rede, dass Maria und Josef
ihr Kind nach Jerusalem bringen, um es Gott zu weihen. Maria wurde mit der Schwangerschaft
überrascht, auch sie hat sich womöglich zu dem einmal dazu gebebenen Ja immer wieder
neu durchringen müssen. Und nun vertrauen sie und Josef sich und ihr Kind Gott an,
gemäß der Vorschrift: „Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein“ und
mit den vorgeschriebenen Opfergaben. Der alte Ritus mag uns archaisch vorkommen.
Was soll das heißen, die Erstgeburt ist Gott geweiht? Gehört das Kind Gott? Muss es
Gott erst abgekauft werden durch das Opfer? Emotional wird wohl auch damals im Vordergrund
gestanden haben, dass Gott gedankt wird und die dargebrachten Gaben ein Zeichen dieses
Dankes sind. Und dennoch hat diese Idee, das Kind im Heiligtum sozusagen zurückzugeben,
eine wichtige Wahrheit in sich. Eben diese Einsicht, dass – wie alles im Leben
– auch Kinder im Grunde eine Art Leihgabe sind und kein eigener Besitz. Sie sind den
Eltern als Geschenk gegeben, aber eben nicht in ihren Besitz; sie sind ein Geschenk
für die ganze Welt. Kein Mensch gehört einem anderen. Nur Gott kann von uns sagen:
„Sie ist mein.“ Oder: „Er ist mein.“ Zur Elternschaft gehört ja die Kunst, ganz
für die Kinder da zu sein und sie zugleich immer mehr loszulassen, sie für ihr eigenes
Leben freizugeben – im Vertrauen, dass Gott mit ihnen ihren ganz eigenen unverwechselbaren
Weg geht. Jeder Mensch muss für sein eigenes Leben freigegeben werden, seinen
eigenen Weg gehen dürfen. So realisiert sich seine Würde. Und das gilt nun gewiss
nicht nur in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, sondern auch in der zwischen
Partnern und auch in dem heiklen Bereich der Pflege von Kranken und Alten. Immer ist
es wichtig, dem anderen Menschen Freiraum zu lassen, er oder sie selbst zu sein und
zu bleiben und noch mehr zu werden. Davon sprechen im Grunde auch die – bei manchen
Kirchgängerinnen berühmt-berüchtigten – Mahnungen aus dem Kolosserbrief, die zum Fest
der Hl. Familie ebenfalls als Lesung gelesen werden können und in denen noch davon
die Rede ist, Frauen sollten sich ihren Männern und Sklaven ihren Herren unterordnen.
Wir würden das, was da gesagt werden will, heute wohl anders formulieren; denn die
Rede von Unterordnung der Frauen unter die Männer gehört ja GottseiDank endgültig
der Vergangenheit an. Im Rahmen der damaligen Gesellschaftsordnung sprechen die Mahnungen
für die christlichen Familien aber von gegenseitigem Respekt. Und sie sind eine klare
Absage an jegliche häusliche Gewalt. Sie fordern – in ihrer Zeit und auf die damalige
Weise – Achtung und Würde aller ein, der Frauen, der Männer, der Kinder. Heute wissen
wir deutlicher, dass jede gute Beziehung von Eheleuten und von Familien von dieser
Gegenseitigkeit lebt, von Respekt und Liebe auf gleicher Augenhöhe. Auf dieser
Basis lässt sich dann auch Alltag miteinander leben, mitsamt seinen unvermeidbaren
Reibereien. Auch Maria und Josef gehen mit ihrem Kind zurück nach Hause. Nach all
dem Wunderbaren, das über dieses Kind gesagt wurde – von den Engeln und Hirten, von
Simeon und Hanna, von den Weisen – geht es in den ganz normalen Alltag einer Familie.
Wir dürfen uns vorstellen, dass Maria und Josef diesen Alltag im Vertrauen gelebt
haben auf die gehörten Verheißungen. Jede Familie, jede Frau, jeder Mann, die Kinder
aufziehen, dürfen – inmitten aller Mühen, die das Leben mit Kindern auch macht – voll
Vertrauen leben: dem Vertrauen, dass jedes Kind Träger oder Trägerin der großen Liebe
Gottes für uns Menschen ist. Welch ein Geschenk!