„Obdachlosigkeit darf kein Schicksal sein“ Wochenkommentar von Franz Küberl
Vor zweitausend Jahren
machte sich eine kleine Familie auf die Suche nach einem Dach über dem Kopf: Die Frau,
hochschwanger, der Mann, verzweifelt, weil ihnen die Türen der Herbergen verschlossen
blieben. Nur ein Stall- vielleicht auch nur eine Höhle - bot ihnen schließlich Schutz
vor der klirrenden Kälte: Der Sohn Gottes, der Erlöser der Menschen, wurde „Obdach-los“
geboren. Es muss hart zugegangen sein, damals in Bethlehem. So wie oft auf der
Welt. Wenn die Leute arm sind, wenn der Eindruck entsteht, dass man etwas hergeben
müsste, dann ist man lieber hart und lehnt ab. Aus der Geschichte weiß man, dass
die Geburt Jesu kein Sonderfall war. Es kam öfters vor, dass arme Kinder ihre erste
Liegestatt in einer Krippe hatten. Jesus war also von Geburt an ein an der Grenze
zum üblichen lebender Mensch. Er wollte uns vom ersten Moment seines Menschseins stark
zum Denken geben. Weihnachten ist damit vor allem auch eine Provokation, weil
es in besonderer Weise den Blick auf jene lenkt, deren Zuhause gefährdet ist: Auf
all jene, die in Armut leben müssen und deren Leben ein Drahtseilakt ist. Auf all
jene, die einsam sind. Die alleine mit den Widrigkeiten des Lebens fertig werden müssen.
Eine dieser hässlichen Widrigkeiten ist die Obdachlosigkeit. Obdachlosigkeit im
21. Jahrhundert hat viele Gesichter. Natürlich gibt es ihn nach wie vor, den Mann,
den das Leben aus der Bahn geworfen hat und der alkoholkrank auf der Parkbank nächtigt.
Es gibt aber auch die verborgene, die versteckte Obdachlosigkeit. Dann nämlich, wenn
Menschen, meist Frauen, aus Angst, andernfalls auf der Straße zu stehen, in einer
lieblosen Beziehung bleiben oder sogar Gewalt und Demütigung ertragen. Als Caritas
sind wir leider in jüngerer Zeit des Öfteren wieder mit einer besonderen Form von
Obdachlosigkeit konfrontiert. Besonders jene Asylwerberinnen und Asylwerber, die freiwillig
in ihre Heimat zurückkehren, etwa, weil ihre Chancen auf Asyl in Österreich gering
sind und sie das lange Warten auf einen Bescheid zermürbt werden nun wieder verstärkt
auf die Straße gestellt. Das ist staatlich geförderte Obdachlosigkeit. Ein schlechtes
Signal, aus humanitären und aus politischen Gründen. Weil man der Stammtischgerichtsbarkeit
nachgibt. Viele Menschen leiden freilich auch an emotionaler Obdachlosigkeit.
Jede zweite Ehe wird heutzutage geschieden. Das Eheversprechen „In guten wie in schlechten
Zeiten“ wird durch die Realität oft Lügengestraft. Besonders schlimm ist das dann,
wenn die Ehe der Belastung eines Kindes mit Behinderung nicht stand hält. Häufig sind
es in solchen Fällen die Männer, die diese Verantwortung nicht tragen wollen oder
können und daher auswandern. Und nicht wenige Menschen, mit denen wir als Caritas
zu tun haben, leiden neben materieller Armut an Kontakt-Armut. Die Einsamkeit macht
aber ebenso verzweifelt wie das Wissen, dass das Geld nicht für Miete und Essen reicht.
Was gilt es hier zu tun? Jede und jeder von uns ist hier gefordert, ein Kontaktnetz
zu knüpfen. Familiär, nachbarschaftlich, im Bekanntenkreis. Es muß gut geknüpft
sein, damit Einsame aufgefangen werden können. Natürlich hat hier auch der Staat besondere
Verantwortung. Familien – auch und besonders solche, mit nur einem Elternteil – den
Rücken zu stärken. Familien brauchen drei Voraussetzungen, damit sie gut funktionieren
können: Ausreichend Zeit zuhause und miteinander, familiengerechte Rahmenbedingungen
und die notwendigen finanziellen Mittel. (Es muss sich jede europäische Gesellschaft,
jeder Staat überlegen, wie diese drei Säulen tragfähig aufgebaut werden können. Für
die Zeit daheim braucht es: flexible, kindgerechte Arbeitszeiten und eine Wirtschaft,
die in der Arbeitswelt ein familienfreundliches Klima fördert. Passende Rahmenbedingungen
bedeuten flexible Kinderbetreuungsangebote, die nicht um neun Uhr auf- und zu Mittag
womöglich schon wieder zusperren. Weiters braucht es hier auch eine entsprechende
finanzielle Absicherung, wie immer die auch geregelt sein mag. Denn: Gerade Familien
mit mehreren Kindern haben ein enorm erhöhtes Risiko, in die Armut abzurutschen. Hier
ist es besonders wichtig, Familienleistungen laufend zu valorisieren und auch wachsende
innerfamiliäre Risiken, wie etwa die Pflege und Betreuung abzufedern.
Ich habe
Ihnen nun gleich eine ganze Reihe von Maßnahmen erzählt, die eine Gesellschaft setzen
kann, damit sie Armut hintanhalten kann.) Die vorausliegende Botschaft von Weihnachten
ist für uns Christen viel einfacher und klarer, als wir es vielleicht gerne hätten:
Sehen, spüren, erfahren, ertasten wir die ersten Momente göttlicher Anwesenheit im
Schicksal der Menschen? Erzählen wir es anderen? Haben wir die Kraft, auch in der
Finsternis gesellschaftlicher Ablehnung gegenüber Schwächeren deutlich zu sehen,
dass jeder Mensch einen Funken Göttlichkeit in sich trägt? Dass dieser Funke vielleicht
durch unser Suchen zum Leuchtfeuer für andere wird`?
In vielen hundert Jahren
haben wir Christen im Advent auch eine Menge an Lieblichkeitsstaub angehäuft. Dabei
ist die Botschaft Gottes klar. Er mag alle Menschen in derselben Weise. Der lange
Arbeitstag der Christen beginnt selbstverständlich am ersten Weihnachtstag. Die Geburt
Christi ist der Auftakt. Gut, dass wir gleich feiern. Das ist die neue Welt. Damit
die Geburt Christi für die Mitmenschen erfahrbar wird, müssen wir Christen die Ärmel
hochkrempeln und den anderen tatkräftig beistehen, zuhören, mitfühlen und helfen.
Der Mensch darf nicht mehr des Menschen Wolf sein. Daher müssen wir auch die Welt
umkrempeln, Sümpfe der Ungerechtigkeit austrocknen. Ihnen vor dem Radio wünsche
ich ein freudiges, erfülltes Weihnachtsfest mit vielen kleinen und großen Taten der
Nächstenliebe. Als Geschenk an den obdachlosen, einsamen, schwachen und zugleich so
zuversichtlichen Gott in der Krippe.