Was heißt "Wechselseitige Autonomie von Staat und Kirche"?
In einer monatlichen
Kolumne äußert sich der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Hans-Henning Horstmann,
zu aktuellen Fragen. Lesen Sie hier seinen Dezemberbeitrag. Sehr verehrte Hörerinnen,
sehr verehrte Hörer, Am 13. Dezember 2008 äußerte sich Papst Benedikt XVI. grundsätzlich
zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat.
Die Unterscheidung („La distinzione“)
zwischen Staat und Kirche ist für Benedikt XVI. Teil der grundsätzlichen Struktur
des Christentums. Sie ist dem Christentum also nicht von außen auferlegt. Der Papst
begrüßt die Unterscheidung als „großen Fortschritt der Menschheit“. Er sieht in ihr
auch eine „grundlegende Bedingung für ihre eigene Freiheit“ (die der Kirche) und für
die Erfüllung der „universalen Sendung“ der Kirche „bei allen Völkern“. Mit diesen
grundlegenden Worten verdeutlicht der Papst den Standort der katholischen Kirche im
modernen Gemeinwesen
Die päpstlichen Worte zum Thema Staat und Kirche sind
Ergebnis einer über Jahrhunderte andauernden Entwicklung, das er als „großen Fortschritt
der Menschheit“ würdigt. Aus Sicht der Kirche geht es dabei vor allem um die Freiheit
vom Staat. Insbesondere das 19. Jahrhundert verzeichnete nicht nur in Deutschland
zahlreiche Formen staatlichen Einflusses auf die Kirchen. Die Ausdehnung landesherrlicher
Oberhoheit über die kirchlichen Angelegenheiten war ein politisches Ziel gegenüber
den protestantischen Landeskirchen und der katholischen Kirche. Das Verhältnis zum
Staat stellte sich für die Kirche spätestens seit dieser Phase als ein Ringen um die
Freiheit vom Staat dar. Die Konkordate und Staatskirchenverträge setzten schließlich
die notwendige Unterscheidung durch und garantieren heute ebenso wie die Verfassungen
wechselseitige Autonomie.
Aus der Sicht des Staates ist die Unterscheidung
von Staat und Kirche eine grundlegende Voraussetzung für die Ausbildung pluraler Gesellschaften
und demokratisch organisierter Gemeinwesen. Die Laizität macht den modernen Staat
erst möglich. Sie eröffnet ihm die Chance, für unterschiedliche Traditionen, Religionen
und Kulturen einen geordneten Rahmen des Zusammenlebens gesetzlich zu regeln. Eine
Nachrichtenagentur stellte die Papstrede unter die Überschrift: „Laizismus ist Bedingung
für die Freiheit der Kirche“. Diese Interpretation geht fehl. Ebenso wenig wie der
Papst von der „Trennung“ von Staat und Kirche sprach, will er einen „Laizismus“ begründen.
Der Papst sagte "distinzione“, was nicht Trennung, sondern Unterscheidung meint. Er
weist auf die notwendigen ethischen Grundprinzipien hin, auf die der moderne Staat
angewiesen ist. Diese ethischen Voraussetzungen schöpft der Staat nicht aus sich selbst.
Darum bleiben bei aller notwendigen Unterscheidung Staat und Kirche aufeinander bezogen.
Laizität geht von der gegenseitigen Autonomie von Staat und Kirche aus, schließt
aber eine Bezogenheit im Blick auf ethische Grundlagen des Gemeinwesens ein. Zu Deutschland
sagte Bundesminister Schäuble: „Unser säkularer Staat ist angewiesen auf die sinnstiftende
Kraft der Religion. Deshalb wirkt er mit den Religionsgemeinschaften zusammen. Wo
immer Religionen Orientierung und Zugehörigkeit vermitteln, leisten sie einen Beitrag
zum gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Der Staat achtet also die spirituelle Autorität
der Religionen, behauptet aber zugleich seine Autorität zur Regelung des Zusammenlebens.
Die vom Staat garantierte Freiheit für Kirchen und Religionen entbindet deshalb auch
niemanden von der Treue zur Verfassung. Mit dieser Sicht des Verhältnisses von Staat
und Kirche achtet der Papst einerseits den modernen weltanschaulich neutralen Staat
als Fortschritt, folgert daraus aber zugleich den Auftrag, die Chance der Freiheit
für die Mission der Kirche in der modernen Gesellschaft zu nutzen. Benedikt XVI. zielt
auf ein Überdenken des Laizismus zugunsten einer gesunden Laizität.
Kirche
und Staat achten ihre wechselseitigen Grenzen. Das schließt jedoch nicht eine Abstinenz
der Kirchen in gesellschaftlichen Fragen ein. Staat und Kirche sind unterschieden,
mögen auch als getrennt angesehen werden, Kirche und Gesellschaft sind es jedoch nicht.
Darum richtet sich das Interesse der Kirche vor allem auf die Gesellschaft, deren
Mitglieder sie ansprechen, überzeugen und bilden will. Benedikt XVI. betont die Aufgabe
der Kirche, „die moralischen und spirituellen Kräfte in der Gesellschaft“ zu wecken
und vor allem zur Würde der Person und zum Gemeinwohl beizutragen.
Die Gesellschaft
wird deshalb mehr als der Staat zum Ort, an dem sich die Kirche meinungsbildend und
Orientierungen stiftend einbringt. Dies klärt eindrucksvoll das Verhältnis Staat,
Kirche und Gesellschaft und weist uns Verantwortung zu - vor allem für Bürgerinnen
undd Bürger, ohne deren Einsatz weder Gesellschaft, noch Staat, noch Kirche Wirklichkeit
werden. Es bleiben uns große Aufgaben gestellt. Weihnachten erinnert uns auch daran,
dass wir sie meistern können.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und
ein glückliches 2009.(rv 20.12.2008 mc)