2008-12-20 12:17:47

Was heißt "Wechselseitige Autonomie von Staat und Kirche"?


RealAudioMP3 In einer monatlichen Kolumne äußert sich der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Hans-Henning Horstmann, zu aktuellen Fragen. Lesen Sie hier seinen Dezemberbeitrag.
Sehr verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer,
Am 13. Dezember 2008 äußerte sich Papst Benedikt XVI. grundsätzlich zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat.

Die Unterscheidung („La distinzione“) zwischen Staat und Kirche ist für Benedikt XVI. Teil der grundsätzlichen Struktur des Christentums. Sie ist dem Christentum also nicht von außen auferlegt. Der Papst begrüßt die Unterscheidung als „großen Fortschritt der Menschheit“. Er sieht in ihr auch eine „grundlegende Bedingung für ihre eigene Freiheit“ (die der Kirche) und für die Erfüllung der „universalen Sendung“ der Kirche „bei allen Völkern“. Mit diesen grundlegenden Worten verdeutlicht der Papst den Standort der katholischen Kirche im modernen Gemeinwesen

Die päpstlichen Worte zum Thema Staat und Kirche sind Ergebnis einer über Jahrhunderte andauernden Entwicklung, das er als „großen Fortschritt der Menschheit“ würdigt. Aus Sicht der Kirche geht es dabei vor allem um die Freiheit vom Staat. Insbesondere das 19. Jahrhundert verzeichnete nicht nur in Deutschland zahlreiche Formen staatlichen Einflusses auf die Kirchen. Die Ausdehnung landesherrlicher Oberhoheit über die kirchlichen Angelegenheiten war ein politisches Ziel gegenüber den protestantischen Landeskirchen und der katholischen Kirche. Das Verhältnis zum Staat stellte sich für die Kirche spätestens seit dieser Phase als ein Ringen um die Freiheit vom Staat dar. Die Konkordate und Staatskirchenverträge setzten schließlich die notwendige Unterscheidung durch und garantieren heute ebenso wie die Verfassungen wechselseitige Autonomie.

Aus der Sicht des Staates ist die Unterscheidung von Staat und Kirche eine grundlegende Voraussetzung für die Ausbildung pluraler Gesellschaften und demokratisch organisierter Gemeinwesen. Die Laizität macht den modernen Staat erst möglich. Sie eröffnet ihm die Chance, für unterschiedliche Traditionen, Religionen und Kulturen einen geordneten Rahmen des Zusammenlebens gesetzlich zu regeln. Eine Nachrichtenagentur stellte die Papstrede unter die Überschrift: „Laizismus ist Bedingung für die Freiheit der Kirche“. Diese Interpretation geht fehl. Ebenso wenig wie der Papst von der „Trennung“ von Staat und Kirche sprach, will er einen „Laizismus“ begründen. Der Papst sagte "distinzione“, was nicht Trennung, sondern Unterscheidung meint. Er weist auf die notwendigen ethischen Grundprinzipien hin, auf die der moderne Staat angewiesen ist. Diese ethischen Voraussetzungen schöpft der Staat nicht aus sich selbst. Darum bleiben bei aller notwendigen Unterscheidung Staat und Kirche aufeinander bezogen.

Laizität geht von der gegenseitigen Autonomie von Staat und Kirche aus, schließt aber eine Bezogenheit im Blick auf ethische Grundlagen des Gemeinwesens ein. Zu Deutschland sagte Bundesminister Schäuble: „Unser säkularer Staat ist angewiesen auf die sinnstiftende Kraft der Religion. Deshalb wirkt er mit den Religionsgemeinschaften zusammen. Wo immer Religionen Orientierung und Zugehörigkeit vermitteln, leisten sie einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Der Staat achtet also die spirituelle Autorität der Religionen, behauptet aber zugleich seine Autorität zur Regelung des Zusammenlebens. Die vom Staat garantierte Freiheit für Kirchen und Religionen entbindet deshalb auch niemanden von der Treue zur Verfassung. Mit dieser Sicht des Verhältnisses von Staat und Kirche achtet der Papst einerseits den modernen weltanschaulich neutralen Staat als Fortschritt, folgert daraus aber zugleich den Auftrag, die Chance der Freiheit für die Mission der Kirche in der modernen Gesellschaft zu nutzen. Benedikt XVI. zielt auf ein Überdenken des Laizismus zugunsten einer gesunden Laizität.

Kirche und Staat achten ihre wechselseitigen Grenzen. Das schließt jedoch nicht eine Abstinenz der Kirchen in gesellschaftlichen Fragen ein. Staat und Kirche sind unterschieden, mögen auch als getrennt angesehen werden, Kirche und Gesellschaft sind es jedoch nicht. Darum richtet sich das Interesse der Kirche vor allem auf die Gesellschaft, deren Mitglieder sie ansprechen, überzeugen und bilden will. Benedikt XVI. betont die Aufgabe der Kirche, „die moralischen und spirituellen Kräfte in der Gesellschaft“ zu wecken und vor allem zur Würde der Person und zum Gemeinwohl beizutragen.

Die Gesellschaft wird deshalb mehr als der Staat zum Ort, an dem sich die Kirche meinungsbildend und Orientierungen stiftend einbringt. Dies klärt eindrucksvoll das Verhältnis Staat, Kirche und Gesellschaft und weist uns Verantwortung zu - vor allem für Bürgerinnen undd Bürger, ohne deren Einsatz weder Gesellschaft, noch Staat, noch Kirche Wirklichkeit werden.
Es bleiben uns große Aufgaben gestellt. Weihnachten erinnert uns auch daran, dass wir sie meistern können.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches 2009.(rv 20.12.2008 mc)







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