Von Veronika Prueller-Jagenteufel Immer wieder beeindruckt mich diese Szene des
Engels bei der jungen Maria, der Jungfrau, wohl fast noch ein Kind. Mit dieser Szene
beginnt eigentlich Weihnachten. Es beginnt nicht erst auf dem Weg nach Bethlehem,
nicht erst im Stall in der Krippe, sondern hier. Es beginnt in dem Moment, in dem
Maria hört und geschehen lässt, dass in ihr wachsen und dass sie gebären soll den
Messias, den Sohn Gottes. Damit beginnt Weihenachten. Denn bevor noch irgendwer auf
dem Weg nach Bethlehem ist, ja überhaupt sein kann, begibt sich Gott auf den Weg der
Menschwerdung. Bei Gott liegt der Ursprung und die Initiative. Alle Wege zur Krippe
damals und heute, auch alle unsere Bemühungen, das Weihnachtsfest schön und würdig
zu feiern, entstehen aus diesem Ursprung. Sie sind Antwort auf Gottes Handeln.Um antworten
zu können, muss ich zuerst hören – hinhören auf das, was mir gesagt wird. Genau dafür
ist diese Szene der Verkündigung das klassische Vorbild. Maria ist das Urbild für
den hörenden Menschen. Gerade damit ist sie ein Modell, in unserer Tradition ja DAS
Modell, wie Menschensein aus der Hoffnung auf Gott gelingt, wie das also geht: leben
im Zeichen der Ankunft Gottes. Wir können bei Maria in die Schule gehen, können
lernen von dem Mädchen aus Nazareth, von der das Evangelium erzählt: jung, verlobt,
aber noch nicht verheiratet; doch schon könnte ein Fehltritt nicht nur ihre Eheschließung,
sondern auch sie selbst gefährden: Würde sie sich mit einem anderen als ihrem Verlobten
einlassen, könnte das schwere Strafen nach sich ziehen, unter Umständen sogar die
Todesstrafe. Der Evangelist Lukas überliefert, dass zu dieser Maria ein Engel kommt.
Der Gruß des Engels gleicht den Begrüßungen, mit denen Engel schon anderen aus dem
Volk Israel: Propheten und Heerführern, Botschaften von großen Aufträgen und Berufungen
überbracht haben. Vielleicht erschrickt Maria deshalb über seinen Gruß, weil sie die
heiligen Schriften kennt und beim Hören schon weiß, dass es nun um Großes und Bedeutendes
geht. Aber von Maria wird keine Leistung erwartet, sie bekommt keinen Auftrag im Sinne
eines: geh und verkünde meinem Volk – oder: geh und befreie mein Volk. Maria wird
statt dessen gesagt, dass etwas an ihr und mit ihr geschehen wird, etwas, das weit
über sie hinausweist. Marias Nachfrage, wie das denn genau passieren soll, gibt dem
Boten Gottes Gelegenheit zu verkünden, dass Gott das Wunder aller Wunder tut: nämlich
den Messias zu schicken, selbst Mensch zu werden – und das beginnt damit, dass in
einem Menschen, in Maria, die Kraft Gottes neues Leben schafft. Denn: Es gibt kein
Geschehen, das nicht von Gottes Kraft gewirkt werden kann. Diesem Geschehen gibt sich
Maria hin, indem sie einwilligt: Mir geschehe nach Deinem Wort. Im griechischen
Text wird hier mit einem Wort gespielt, in dem noch die hebräische Sprachwelt durchklingt.
Im Hebräischen nämlich meint das Wort Gottes zugleich Gottes Schöpferkraft – in Gottes
Wort liegt die Kraft, die hervorbringt, Wort und Tat sind bei Gott eins. Das zeigt
sich ganz deutlich im Schöpfungsbericht der Genesis, in dem es heißt: Gott sprach
und es wurde ... Maria hört also nicht nur auf Gottes Wort, sie ist bereit, dieses
Wort an sich geschehen zu lassen. – Und das, obwohl es nicht ungefährlich für sie
war, ohne ihren Verlobten schwanger zu werden. Maria hört und ihre Antwort ist
weder Aktivität noch Gegenrede, sondern sie stimmt zu und lässt an sich geschehen.
Hören und geschehen lassen – das sind zwei üblicherweise als passiv charakterisierte
Haltungen. Sie liegen damit quer zu dem Zug unserer Zeit, der Aktivität fordert, zugreifen
und selbst gestalten. Wer das eigene Schicksal nicht in die Hand nimmt, kommt schnell
unter die Räder. Wer sich nicht laut meldet, wird leer ausgehen. Hören und Geschehen-lassen
mag in heutigen Ohren da fast wie eine Aufforderung klingen, das Leben fade an sich
vorbeiziehen zu lassen. Hören und Geschehen-lassen sind aber nicht nur für Macher
und ständig Betriebsame eine schwierige Herausforderung, sondern auch für Faule und
allzu Bequeme: Denn diese Haltungen sind zwar in gewisser Weise passiv, verlangen
aber doch innere Gespanntheit und Aufmerksamkeit – eigentlich höchste Aktivität, nur
eben anderer Art. Darin liegt eine andere Neugier auf das Leben: eine, die es nicht
in den Griff kriegen will, sondern bereit ist, sich einer Kraft und Macht zu öffnen,
die über unser Leben weit hinausgeht. Die Impulse dieser Macht wahrzunehmen und mit
ihnen mitzugehen, bedeutet eben nicht Passivität, sondern erfordert mein Mittun, Mitdenken,
Mitfühlen – fordert mich. Mich Gottes Macht zu überlassen, mich in ihren Strom zu
begeben und tragen zu lassen, ist nichts Bequemes, sondern eine zuweilen höchst spannende
Bewegung. Es bedeutet Hingabe und kann viel Mut brauchen und die Entscheidung zum
Vertrauen. Die Schöpferkraft Gottes geschehen lassen, auf Gottes wirksames Wort
zu hören, bringt vielleicht keinen schnellen Geschäftserfolg, und es ist auch keine
Garantie für ein unbehelligtes Dasein: Auf die Kraft des Zuspruchs Gottes zu vertrauen,
braucht klare Wachsamkeit und risikobereite Hingabe. Hören und geschehen lassen sind
dabei eins: entsprechend der Einheit von Wort und Tat bei Gott: Wer wirklich auf Gottes
Wort hinhört, öffnet sich dem Handeln Gottes. Es lohnt sich, sich in der Stille darin
einzuüben, auch auf die leisen Töne hinhorchen zu lernen, auf die sanften Bewegungen
in mir. Die großen Schulen der Kontemplation beginnen zumeist damit, einfach den eigenen
Körper aufmerksam wahrzunehmen. Meditation und Gebet beruhen auf dem Vertrauen: Wer
ins Hören kommt, der und dem geschieht Heil. Dabei ist natürlich nicht jede Stimme,
die sich vernehmen lässt, schon identisch mit Gottes Wort. Eine wichtige Unterscheidungshilfe
der Geister ist die Frage, ob das, was ich höre und was ich daraufhin tue, dem guten
Leben aller dient. Hören und geschehen lassen sind Haltungen eines gelingenden
adventlichen Menschseins, eines Lebens im Zeichen der Zukunft Gottes. Sie sind die
Antwort, die uns einschwenken lässt auf Gottes Weg der Menschwerdung. Rechtzeitig,
um mit Weihnachten zu beginnen.