Die Internationale Theologenkommission berät in dieser Woche ein Dokument zum Thema
Naturrecht. Der Entwurf trägt den Titel „Auf der Suche nach einer universalen Ethik.
Ein neuer Blick auf das Naturrecht“. Mitglied der Theologenkommission ist auch Thomas
Söding. Er ist Professor an der Ruhr-Uni Bochum. Mit ihm hat P. Max Cappabianca OP
gesprochen. Mit ganz einfachen Worten gesagt: Worum geht es in der Naturrechtslehre? „Die
Naturrechtslehre ist ein ganz wichtiges Instrument, um über die Grenzen der verschiedenen
Kulturen, Temperamente und Sprachen hinweg einige elementare ethische und anthropologische
Standards festzulegen. Das ist politisch von großer Bedeutung, aber das ist auch theologisch
auch ein ganz wichtiges Thema.“ Wer legt eigentlich fest, was in der Natur
des Menschen liegt? Denn daran scheint sich ja manchmal der Streit zu entzünden. „Es
gibt die Kritik, dass in der Naturrechtslehre zu viel Theologie hinein projiziert
worden sei. Aber gut, dass kann man ja aufklären. Die Vorstellung, die hinter dem
Naturrecht steht, ist, dass allein mit Hilfe der Vernunft es möglich ist, einige wesentliche
Grundaussagen über den Menschen und über sein Gottesverhältnis zu treffen. Das ist
eigentlich auch die große intellektuelle Koalition zwischen Theologie und Philosophie,
die es immer wieder gegeben hat, die immer wieder neu erarbeitet werden muss, und
die heute in der Welt der vielen Religionen auch noch vor neuen Herausforderungen
steht.“ Glauben Sie denn, dass das Naturrecht ein Weg ist, um eine universale
Ethik zu finden? „Zunächst brauchen wir eine solche universale Ethik. Es kann
nicht sein, dass die Idee der Menschenrechte nur als ein westlicher Import bezeichnet
wird aus meistens durchsichtigen machtpolitischen Gründen, weil man Menschenrechtskritiker
abwehren will. Aber es stellt sich natürlich schon die Frage, wie kann ich denn solche
ethischen Standards begründen? Und da meine ich, dass der Rekurs der katholischen
Theologie auf die Vernunft des Menschen ein Weg ist, der auch für andere Religionen
und auch für die Philosophie interessant und hilfreich ist. Das sieht man ja auch:
In Deutschland beispielsweise hat sich die intellektuelle Debatte sehr stark gewandelt,
weil auch Leute, die von sich selber behaupten, dass sie religiös unmusikalisch seien,
doch sagen, es sei ganz unvernünftig, dieses humanitäre Erbe, das die Religionen angesammelt
haben, zu missachten. Wir haben eigentlich eine neue Chance, durch naturrechtliches
Denken wieder ins Gespräch zu kommen.“ Trotzdem gibt es ja auch Theologen,
die die Naturrechtslehre kritisieren. Warum? „Wenn man sich mit der Geschichte
des Naturrechts beschäftigt, dann muss man ehrlich und selbstkritisch sein, und man
wird feststellen, dass es eine ganze Reihe von optischen Täuschungen im Laufe der
Geschichte gegeben hat. Man war zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr sicher, was naturrechtlich
begründet ist: Zum Beispiel die Überordnung des Mannes über der Frau in der Familie.
Aus dem Abstand heraus zeigt sich doch: Das war doch zeitbedingt! Das waren kulturelle
Einflüsse und individuelle Vorlieben, bestimmte Traditionen, die den Anschein des
Naturrechtlichen erweckt haben. Bei dem Papier, das wir erarbeitet haben, und das
hoffentlich auch veröffentlicht wird, da werden sich einige ganz wichtige Unterscheidungen
an dieser Stelle finden. Auf der einen Seite die Differenzierung zwischen dem, was
wirklich zum anthropologischen und ethischen Kern des Naturrechts gehört, Menschenwürde
usw. und den konkreten Anwendungen, die nie den selben Grad an Verbindlichkeit beanspruchen
sollten und können. Und es wird auch deutlich gemacht, dass es im Verständnis der
Natur des Menschen auch eine Entwicklung gibt. Der Mensch ist Naturwesen, er ist Geschöpf
Gottes; aber er lebt natürlich immer auch mit Haut und Haar in einer bestimmten Zeit
und in einer bestimmten Geschichte. Und es hat mit Relativismus gar nichts zu tun,
wenn man auch sagt, dass die Geschichtlichkeit zum Wesentlichen, zur Natur des Menschen
dazugehört.“