2008-12-19 09:54:43

Vatikan: Warum wir das Naturrecht brauchen


Die Internationale Theologenkommission berät in dieser Woche ein Dokument zum Thema Naturrecht. Der Entwurf trägt den Titel „Auf der Suche nach einer universalen Ethik. Ein neuer Blick auf das Naturrecht“. Mitglied der Theologenkommission ist auch Thomas Söding. Er ist Professor an der Ruhr-Uni Bochum. Mit ihm hat P. Max Cappabianca OP gesprochen.
Mit ganz einfachen Worten gesagt: Worum geht es in der Naturrechtslehre?
„Die Naturrechtslehre ist ein ganz wichtiges Instrument, um über die Grenzen der verschiedenen Kulturen, Temperamente und Sprachen hinweg einige elementare ethische und anthropologische Standards festzulegen. Das ist politisch von großer Bedeutung, aber das ist auch theologisch auch ein ganz wichtiges Thema.“
Wer legt eigentlich fest, was in der Natur des Menschen liegt? Denn daran scheint sich ja manchmal der Streit zu entzünden.
„Es gibt die Kritik, dass in der Naturrechtslehre zu viel Theologie hinein projiziert worden sei. Aber gut, dass kann man ja aufklären. Die Vorstellung, die hinter dem Naturrecht steht, ist, dass allein mit Hilfe der Vernunft es möglich ist, einige wesentliche Grundaussagen über den Menschen und über sein Gottesverhältnis zu treffen. Das ist eigentlich auch die große intellektuelle Koalition zwischen Theologie und Philosophie, die es immer wieder gegeben hat, die immer wieder neu erarbeitet werden muss, und die heute in der Welt der vielen Religionen auch noch vor neuen Herausforderungen steht.“
Glauben Sie denn, dass das Naturrecht ein Weg ist, um eine universale Ethik zu finden?
„Zunächst brauchen wir eine solche universale Ethik. Es kann nicht sein, dass die Idee der Menschenrechte nur als ein westlicher Import bezeichnet wird aus meistens durchsichtigen machtpolitischen Gründen, weil man Menschenrechtskritiker abwehren will. Aber es stellt sich natürlich schon die Frage, wie kann ich denn solche ethischen Standards begründen? Und da meine ich, dass der Rekurs der katholischen Theologie auf die Vernunft des Menschen ein Weg ist, der auch für andere Religionen und auch für die Philosophie interessant und hilfreich ist. Das sieht man ja auch: In Deutschland beispielsweise hat sich die intellektuelle Debatte sehr stark gewandelt, weil auch Leute, die von sich selber behaupten, dass sie religiös unmusikalisch seien, doch sagen, es sei ganz unvernünftig, dieses humanitäre Erbe, das die Religionen angesammelt haben, zu missachten. Wir haben eigentlich eine neue Chance, durch naturrechtliches Denken wieder ins Gespräch zu kommen.“
Trotzdem gibt es ja auch Theologen, die die Naturrechtslehre kritisieren. Warum?
„Wenn man sich mit der Geschichte des Naturrechts beschäftigt, dann muss man ehrlich und selbstkritisch sein, und man wird feststellen, dass es eine ganze Reihe von optischen Täuschungen im Laufe der Geschichte gegeben hat. Man war zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr sicher, was naturrechtlich begründet ist: Zum Beispiel die Überordnung des Mannes über der Frau in der Familie. Aus dem Abstand heraus zeigt sich doch: Das war doch zeitbedingt! Das waren kulturelle Einflüsse und individuelle Vorlieben, bestimmte Traditionen, die den Anschein des Naturrechtlichen erweckt haben. Bei dem Papier, das wir erarbeitet haben, und das hoffentlich auch veröffentlicht wird, da werden sich einige ganz wichtige Unterscheidungen an dieser Stelle finden. Auf der einen Seite die Differenzierung zwischen dem, was wirklich zum anthropologischen und ethischen Kern des Naturrechts gehört, Menschenwürde usw. und den konkreten Anwendungen, die nie den selben Grad an Verbindlichkeit beanspruchen sollten und können. Und es wird auch deutlich gemacht, dass es im Verständnis der Natur des Menschen auch eine Entwicklung gibt. Der Mensch ist Naturwesen, er ist Geschöpf Gottes; aber er lebt natürlich immer auch mit Haut und Haar in einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Geschichte. Und es hat mit Relativismus gar nichts zu tun, wenn man auch sagt, dass die Geschichtlichkeit zum Wesentlichen, zur Natur des Menschen dazugehört.“

(rv 04.12.2008 mc)







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