Die Innenminister
der Europäischen Union geben grünes Licht für eine Aufnahme von Irak-Flüchtlingen
in den EU-Mitgliedsländern. An die 10.000 Flüchtlinge insgesamt könnten aufgenommen
werden, beschlossen die Minister in Brüssel einstimmig. Ein Viertel davon, also 2.500
Menschen, will Deutschland aufnehmen. Im September war noch die Zahl von 5.000 im
Gespräch gewesen. Hilfe sollen besonders schutzbedürftige Menschen erhalten, die keine
Chance auf eine Rückkehr in den Irak haben. Dazu gehören religiöse Minderheiten, Folteropfer
oder sexuell missbrauchte Frauen. In Deutschland sollte der Schwerpunkt auf verfolgten
Christen liegen. Allerdings unterliegt die Aufnahme der Flüchtlinge laut dem deutschen
Innenminister Wolfgang Schäuble dem „Prinzip der Freiwilligkeit“.
Schäuble
erinnerte daran, dass das Land Niedersachsen angeboten habe, Flüchtlinge aus dem Irak
zunächst im ehemaligen Durchgangslager Friedland unterzubringen. Dort sollen sie mehrwöchige
Kurse zum Leben in Deutschland und zur deutschen Sprache durchlaufen. Nach Schätzungen
des UNHCR sind rund 13 Prozent der etwa 2 Millionen irakischen Flüchtlinge in Syrien
und Jordanien Christen und somit in ihrer Heimat besonders gefährdet. Schäuble betonte,
verfolgte religiöse Minderheiten und damit Christen stellten voraussichtlich auch
die große Mehrheit der von Deutschland aufzunehmenden Flüchtlinge.
Konkrete
Angaben, welche anderen EU-Staaten ebenfalls Flüchtlinge aufnehmen werden, konnte
Schäuble nicht machen. Durch den Beschluss der EU-Innenminister werde der Druck auf
andere EU-Staaten aber doch relativ groß sein, so der CDU-Politiker. Gemeinsam mit
dem UNHCR sollten die Neuansiedler für Deutschland jetzt in den Flüchtlingslagern
und Syrien und Jordanien ausgewählt werden.
Die Unions-Bundestagsfraktion
begrüßte den Beschluss der EU-Innenminister als hervorragende Botschaft. Die Fraktionssprecherin
für Menschenrechte, Erika Steinbach (CDU), forderte in Berlin, die Aufnahme vor allem
der am schlimmsten verfolgten Christen in Deutschland müsse „jetzt zügig anlaufen“.
Die Lage der Christen sei besonders dramatisch. Als religiöse Minderheit seien sie
bevorzugtes Ziel von Extremisten.
Die katholische Kirche in Deutschland begrüßt
die Nachricht aus Brüssel. Allerdings könne die von den Ministern vereinbarte Zahl
von 10.000 Flüchtlingen „nur einen ersten Schritt markieren“, sagte der Leiter des
Katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten, der Katholischen Nachrichten-Agentur in Berlin.
Die Innenminister von Bund und Ländern sollten den europäischen Beschluss nun zügig
umsetzen. Jüsten verwies auf den Bericht der EU-Beobachtermission, wonach einschließlich
palästinensischer Flüchtlinge aus dem Irak rund 75.000 Personen darauf angewiesen
seien, in Drittstaaten weiterwandern zu können. Die Lage der Betroffenen vor Ort werde
immer schwieriger. Die katholische Kirche in Deutschland sei bereit, mit ihren seelsorgerlichen
und karitativen Möglichkeiten bei der Integration der Flüchtlinge in Deutschland zu
helfen. Nun müssten die Innenminister der Bundesländer ein tragfähiges Konzept für
die Aufnahme der Iraker vereinbaren. Dabei hoffe er auf einen „großzügigen Schritt“.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat den Beschluss der EU- Innenminister
hingegen als „Tropfen auf den heißen Stein“ bezeichnet. Es sei zwar begrüßenswert,
dass den Not leidenden Flüchtlingen endlich eine helfende Hand entgegen gestreckt
werd. Doch es sei beschämend für ganz Europa, dass damit für einzelne Staaten keine
Verpflichtung zur Aufnahme einer verbindlichen Anzahl von Flüchtlingen verbunden sei.
Der Verband verweist darauf, dass gerade unter den christlichen Flüchtlingen aus dem
Irak „eine große Zahl gut ausgebildeter, integrationsfreudiger Menschen“ seien, die
sich schnell integrieren würden. Wenn der deutschen Bevölkerung das ganze Ausmaß der
Christenverfolgung im Irak vor Augen geführt würde, „wäre die Bereitschaft zur Aufnahme
von sehr viel mehr Vertriebenen mit Sicherheit genauso groß wie während des Bosnienkrieges“.
Damals fanden rund 320.000 muslimischen Bosniaken Zuflucht in Deutschland. Kritik
an dem EU-Beschluss kommt auch von „Pro Asyl“.
Das Kolpingwerk nennt es „ein
gutes Zeichen, dass der lautstarke Protest der Kirchen, des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken und vieler Verbände ... offenbar geholfen hat, das Leid der Flüchtlinge
zu lindern“. Für eine Aufnahme von Irak-Flüchtlingen in der EU setzt sich eine breite
kirchliche Koalition ein, darunter auch das Päpstliche Missionswerk „missio“.
(rv/afp/kna/pm
28.11.2008 sk)
Im Audiofile hören Sie ein Kollegengespräch zur Lage der Irakflüchtlinge.