2008-11-26 16:10:13

EU/D: Marx über das „größte Friedensprojekt der Weltgeschichte“


RealAudioMP3 „Europa ist ein wunderbares Projekt, vielleicht das größte Friedensprojekt der Weltgeschichte. Da bin ich weiterhin ein europabegeisterter Mensch, und das muss man auch als Bischof immer wieder betonen.“ Soweit der deutsche Europabischof Reinhard Marx, Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz bei der Comece in Brüssel und Erzbischof in München. „Der Heilige Stuhl und schon Pius XII. haben das betont. Europa ist eine große Aufgabe und nicht etwas Negatives oder Bedrohliches, sondern im Grunde die Aufgabe des 21. Jahrhunderts.“
Die notwendige Politik zur Europäischen Einigung findet auf Politikerseite nicht ganz so ungeteilte Begeisterung. Tschechiens Präsident Vaclav Klaus etwa ist dezidierter Gegner des EU-Reformvertrags und nennt das Abkommen von Lissabon eine „fatale Einschränkung der tschechischen Souveränität“. Pikant, da Tschechien zum 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und dann auch mit Irland verhandeln soll, wo der Reformvertrag, im Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet, in einer Volksabstimmung abgelehnt worden war
Marx: „Wir unterstützen den Lissabon-Vertrag, ohne dass wir politische Partei sind. Das ist Sache der Politiker, die Kirche muss nicht Gesetzesvorhaben gutheißen.“ Doch die Bischöfe haben ihre Positionen eingebracht und wurden mehr oder weniger gehört. „Wir haben für den Gottesbezug in der Präambel gekämpft. Das ist nicht ganz so erfolgreich gewesen, wie wir uns das gewünscht haben.“ Marx ist Realist: „Wir haben gekämpft dafür, dass die Kirchen einen besonderen Status haben, nicht einfach eine Gruppe der Zivilgesellschaft sind. Das ist in den Lissabon-Vertrag eingeflossen, ich glaube, dass wir im Augenblick nicht mehr erreichen.“

„Als zweites wäre sehr wichtig, dass der im Vertragstext versprochene strukturierte Dialog ernst genommen wird. Das gilt einmal für uns, wir müssen den Dialog mit den politischen Gruppen und den politisch Verantwortlichen auch aufnehmen und umgekehrt muss er auch von der politischen Seite aus gewollt sein. Man könnte ja auch jetzt schon versuchen, das auszufüllen, obwohl der Vertrag noch nicht rechtsgültig ist. Man sollte jetzt schon versuchen, diesen Dialog mit den politisch Verantwortlichen in Gang zu bringen.“
Die Gremien der katholischen Kirche auf Europaebene versuchen das bereits. Es gibt Gespräche mit einzelnen Politikern oder ganzen Kommissionen; auch haben bereits der Rats- Parlaments- und Kommissionspräsident mit Vertretern verschiedener Religionen an einem Tisch Platz genommen. Doch Marx will mehr als allgemeine Gespräche und die Bekundung von Wertschätzung.
„Das muss man fortführen, aber ein strukturierter Dialog sieht anders aus. Doch man spürt Bewegung in dieser Sache. Wenn ich an den Besuch des Papstes in Frankreich denke: Wir hätten uns früher ja nicht vorstellen können, dass ein französischer Präsident über positive Laizität spricht, eine Wertschätzung der Religion gegenüber äußert. In Brüssel war stets sehr stark ein gewisser Laizismus im Hintergrund. Ich habe den Eindruck, dass sich das ändern kann, und dass wir an dieser Veränderung auch stärker mitwirken können.“
Ein Vorstoß für eine europäische Verfassung war 2005 an den Bürgern in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Damals und heute behaupten Gegner, dass auch der neue Vertrag von Lissabon eine Art europäische Zentralregierung vorsehe zulasten nationaler Rechte. Was er will: die erweiterte und wachsende Europäische Union handlungsfähiger machen.
„Die große Angst in manchen Ländern ist ja, das Europa über alle Verschiedenheiten hinweg geht und die Identitäten der einzelnen Völker nicht achtet, das wäre schlecht, und daran wollen wir auch arbeiten. Aber in der klassischen Europäischen Kultur gibt es eine Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit, die wollen wir in jedem Fall waren.“
Es spricht der Sozialethiker. Einendes sieht Marx außerdem in den menschenrechtlichen Fragen. Die Kirche werde immer wieder auf die mit dem Lissabon-Vertrag erarbeitete EU-Grundrechtscharta hinweisen. Das sei auch bei Abstimmungen im Europarat und neuen Gesetzen wichtig, gerade bei bioethischen Fragen.
„Deswegen muss man sehr frühzeitig diskutieren und deutlich machen, wie wir Menschenwürde verstehen. Nur im Dialog und ständigen Gespräch kann man erklären was das, was in der Charta steht, in der Gesetzgebung konkret bedeutet.“
Der deutsche Europabischof ruft dazu auf, Ängste bei Seite zu lassen und nicht nur das Negative zu sehen, sondern auch die Chancen gemeinsamen Handelns.
„Auch das Große, was bisher geleistet worden ist, dass Länder unterschiedlicher Sprache und Kultur friedlich zusammengehen, in einem größeren Ganzen auf Kompetenzen verzichten, rein friedlich, ganz demokratisch, keiner gezwungen... Das ist etwas Großes. Das hat es in der Weltgeschichte noch nie gegeben. Viele Länder in der Welt schauen deswegen auf dieses Projekt, weil eine bessere Zusammenarbeit der Völker notwendig ist, doch die wollen ihre Identität und Geschichte nicht verlieren.“
Subsidiärer Aufbau Europas, ein neues Gemeinwesen, nicht einfach ein Staat, aber auch nicht nur ein loses Bündnis… Was ist die leitende Idee?
„Wir sagen weiterhin, wenn Europa auf seine große christliche Tradition verzichtet, oder wie Johannes Paul II. es oft gesagt hat, seine eigene Seele nicht wieder entdeckt, dann wird das eben nicht gelingen. Vorsichtiger formuliert: Jedenfalls sollten die Politiker und die Länder mit großer Wertschätzung auf das schauen, was vom christlichen Glauben in diesen Kontinent hineingelegt wurde, denn ohne diese Orientierung fehlt es an wesentlichen Grundlagen für die Identität. … Die Kirche sollte ein Motor sein für eine positive Entwicklung Europas, und nicht am Wege stehen und kritisieren, was verkehrt läuft. Die Grundlagen liefern wir auch noch mit, denn das ist ja das Evangelium, denn die Verkündigung des Evangeliums ist ja die größte Aufklärung, die Europa je erlebt hat. Da können wir einiges tun, aber wir sollten es mit dieser positiven Grundausrichtung tun, weil wir Europa tatsächlich als großen Beitrag für eine friedvollere und bessere Welt sehen und nicht nur als ein ökonomisches Zweckbündnis.“
(rv 26.11.2008 bp)








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