EU/D: Marx über das „größte Friedensprojekt der Weltgeschichte“
„Europa ist
ein wunderbares Projekt, vielleicht das größte Friedensprojekt der Weltgeschichte.
Da bin ich weiterhin ein europabegeisterter Mensch, und das muss man auch als Bischof
immer wieder betonen.“ Soweit der deutsche Europabischof Reinhard Marx, Vertreter
der Deutschen Bischofskonferenz bei der Comece in Brüssel und Erzbischof in München.
„Der Heilige Stuhl und schon Pius XII. haben das betont. Europa ist eine große
Aufgabe und nicht etwas Negatives oder Bedrohliches, sondern im Grunde die Aufgabe
des 21. Jahrhunderts.“ Die notwendige Politik zur Europäischen Einigung findet
auf Politikerseite nicht ganz so ungeteilte Begeisterung. Tschechiens Präsident Vaclav
Klaus etwa ist dezidierter Gegner des EU-Reformvertrags und nennt das Abkommen von
Lissabon eine „fatale Einschränkung der tschechischen Souveränität“. Pikant, da Tschechien
zum 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und dann auch mit Irland verhandeln
soll, wo der Reformvertrag, im Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet,
in einer Volksabstimmung abgelehnt worden war Marx: „Wir unterstützen den Lissabon-Vertrag,
ohne dass wir politische Partei sind. Das ist Sache der Politiker, die Kirche muss
nicht Gesetzesvorhaben gutheißen.“ Doch die Bischöfe haben ihre Positionen eingebracht
und wurden mehr oder weniger gehört. „Wir haben für den Gottesbezug in der Präambel
gekämpft. Das ist nicht ganz so erfolgreich gewesen, wie wir uns das gewünscht haben.“
Marx ist Realist: „Wir haben gekämpft dafür, dass die Kirchen einen besonderen
Status haben, nicht einfach eine Gruppe der Zivilgesellschaft sind. Das ist in den
Lissabon-Vertrag eingeflossen, ich glaube, dass wir im Augenblick nicht mehr erreichen.“
„Als
zweites wäre sehr wichtig, dass der im Vertragstext versprochene strukturierte Dialog
ernst genommen wird. Das gilt einmal für uns, wir müssen den Dialog mit den politischen
Gruppen und den politisch Verantwortlichen auch aufnehmen und umgekehrt muss er auch
von der politischen Seite aus gewollt sein. Man könnte ja auch jetzt schon versuchen,
das auszufüllen, obwohl der Vertrag noch nicht rechtsgültig ist. Man sollte jetzt
schon versuchen, diesen Dialog mit den politisch Verantwortlichen in Gang zu bringen.“ Die
Gremien der katholischen Kirche auf Europaebene versuchen das bereits. Es gibt Gespräche
mit einzelnen Politikern oder ganzen Kommissionen; auch haben bereits der Rats- Parlaments-
und Kommissionspräsident mit Vertretern verschiedener Religionen an einem Tisch Platz
genommen. Doch Marx will mehr als allgemeine Gespräche und die Bekundung von Wertschätzung. „Das
muss man fortführen, aber ein strukturierter Dialog sieht anders aus. Doch man spürt
Bewegung in dieser Sache. Wenn ich an den Besuch des Papstes in Frankreich denke:
Wir hätten uns früher ja nicht vorstellen können, dass ein französischer Präsident
über positive Laizität spricht, eine Wertschätzung der Religion gegenüber äußert.
In Brüssel war stets sehr stark ein gewisser Laizismus im Hintergrund. Ich habe den
Eindruck, dass sich das ändern kann, und dass wir an dieser Veränderung auch stärker
mitwirken können.“ Ein Vorstoß für eine europäische Verfassung war 2005 an
den Bürgern in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Damals und heute behaupten
Gegner, dass auch der neue Vertrag von Lissabon eine Art europäische Zentralregierung
vorsehe zulasten nationaler Rechte. Was er will: die erweiterte und wachsende Europäische
Union handlungsfähiger machen. „Die große Angst in manchen Ländern ist ja, das
Europa über alle Verschiedenheiten hinweg geht und die Identitäten der einzelnen Völker
nicht achtet, das wäre schlecht, und daran wollen wir auch arbeiten. Aber in der klassischen
Europäischen Kultur gibt es eine Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit, die wollen
wir in jedem Fall waren.“ Es spricht der Sozialethiker. Einendes sieht Marx
außerdem in den menschenrechtlichen Fragen. Die Kirche werde immer wieder auf die
mit dem Lissabon-Vertrag erarbeitete EU-Grundrechtscharta hinweisen. Das sei auch
bei Abstimmungen im Europarat und neuen Gesetzen wichtig, gerade bei bioethischen
Fragen. „Deswegen muss man sehr frühzeitig diskutieren und deutlich machen,
wie wir Menschenwürde verstehen. Nur im Dialog und ständigen Gespräch kann man erklären
was das, was in der Charta steht, in der Gesetzgebung konkret bedeutet.“ Der
deutsche Europabischof ruft dazu auf, Ängste bei Seite zu lassen und nicht nur das
Negative zu sehen, sondern auch die Chancen gemeinsamen Handelns. „Auch das
Große, was bisher geleistet worden ist, dass Länder unterschiedlicher Sprache und
Kultur friedlich zusammengehen, in einem größeren Ganzen auf Kompetenzen verzichten,
rein friedlich, ganz demokratisch, keiner gezwungen... Das ist etwas Großes. Das hat
es in der Weltgeschichte noch nie gegeben. Viele Länder in der Welt schauen deswegen
auf dieses Projekt, weil eine bessere Zusammenarbeit der Völker notwendig ist, doch
die wollen ihre Identität und Geschichte nicht verlieren.“ Subsidiärer Aufbau
Europas, ein neues Gemeinwesen, nicht einfach ein Staat, aber auch nicht nur ein loses
Bündnis… Was ist die leitende Idee? „Wir sagen weiterhin, wenn Europa auf seine
große christliche Tradition verzichtet, oder wie Johannes Paul II. es oft gesagt hat,
seine eigene Seele nicht wieder entdeckt, dann wird das eben nicht gelingen. Vorsichtiger
formuliert: Jedenfalls sollten die Politiker und die Länder mit großer Wertschätzung
auf das schauen, was vom christlichen Glauben in diesen Kontinent hineingelegt wurde,
denn ohne diese Orientierung fehlt es an wesentlichen Grundlagen für die Identität.
… Die Kirche sollte ein Motor sein für eine positive Entwicklung Europas, und nicht
am Wege stehen und kritisieren, was verkehrt läuft. Die Grundlagen liefern wir auch
noch mit, denn das ist ja das Evangelium, denn die Verkündigung des Evangeliums ist
ja die größte Aufklärung, die Europa je erlebt hat. Da können wir einiges tun, aber
wir sollten es mit dieser positiven Grundausrichtung tun, weil wir Europa tatsächlich
als großen Beitrag für eine friedvollere und bessere Welt sehen und nicht nur als
ein ökonomisches Zweckbündnis.“ (rv 26.11.2008 bp)