„Ich denke,
dass es jetzt für alle klar ist: Diese Vergötterung des Marktes hat sich selbst als
falsch offenbart.“ Das sagt Pater Miguel d’Escoto, Präsident der aktuellen UNO-Generalversammlung,
Priester und Berater des Präsidenten von Nicaragua. „Wir erleben die Konsequenzen
dieses Götzendienstes. Auf manchen Münzen lesen wir immer noch ,In God we trust’,
aber wir vertrauen nicht auf Gott, wir bauen auf den Markt, und der ist gescheitert.
Das ist eine Lektion für Menschen in der ganzen Welt, die diesem Götzen verfallen
sind.“
Eine moralische Erneuerung der Wirtschaft fordern unisono inzwischen
nicht mehr nur hochrangige Kirchenvertreter und Wirtschaftsethiker. Sie werden jetzt
von Politikern und Finanzexperten gehört; sie sind die - um im Bild zu Bleiben - Gewinner
der Börsengeschäfte, sie haben sich geistlich und intellektuell betrachtet nicht verspekuliert.
Die
Finanzkrise: ihre Ursachen, ihr Folgen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive.
Eine Sondersendung von Birgit Pottler.
(rv/pm/agenturen 20.11.2008 bp)
Der
gefallene Gott Die Finanzkrise aus ethischer Sicht von Birgit Pottler
„Ich
denke, dass es jetzt für alle klar ist: Diese Vergötterung des Marktes hat sich selbst
als falsch offenbart.“ Das sagt Pater Miguel d’Escoto, Präsident der aktuellen
UNO-Generalversammlung, (von seinem Amt suspendierter) Priester und Berater des Präsidenten
von Nicaragua. „Wir erleben die Konsequenzen dieses Götzendienstes. Auf manchen
Münzen lesen wir immer noch ,In God we trust’, aber wir vertrauen nicht auf Gott,
wir bauen auf den Markt, und der ist gescheitert. Das ist eine Lektion für Menschen
in der ganzen Welt, die diesem Götzen verfallen sind.“
Eine moralische
Erneuerung der Wirtschaft fordern unisono inzwischen nicht mehr nur hochrangige Kirchenvertreter
und Wirtschaftsethiker. Sie werden jetzt von Politikern und Finanzexperten gehört;
sie sind die - um im Bild zu Bleiben - Gewinner der Börsengeschäfte, sie haben sich
geistlich und intellektuell betrachtet nicht verspekuliert.
Ausgelacht Der
Münchner Erzbischof Reinhard Marx fordert eine Weltinnenpolitik und Strukturen, die
einer solchen Krise in Zukunft vorbauten. „Strukturen alleine können nicht helfen.
Sie sind notwendig, damit das schlimmste verhindert wird, aber es gehört auch wieder
dazu, dass die Akteure im wirtschaftlichen Bereich, auch die Anleger, auch die Politiker,
sich klaren ethischen Prinzipien verantwortlich wissen, sonst können Strukturen immer
wieder unterlaufen werden.“ Die Kirche müsse hier ihren Beitrag leisten, meint
der Sozialethiker. Sein Buch „Das Kapital“ ist jedoch eher zufällig gerade jetzt inmitten
des Finanzstrudels erschienen. Doch sein Plädoyer für ethische Prinzipien des Marktes
trifft ins Herz der Spekulanten. „Das ist ein langer Weg, hoffentlich hat der
Schock, den wir jetzt erlebt haben, wenigstens etwas dazu beigetragen, dass so etwas
wie Umkehr eintritt.“ In den 70er Jahren habe man gelacht, wenn die Kirche
von einer Weltwirtschaftsordnung sprach, so Marx. „Jetzt wird es notwendig. Wir
brauchen eine Weltwettbewerbsordnung, die den armen Völkern einen gerechten Zugang
zum Markt eröffnet. Marktwirtschaft, Freiheit und Deregulierung führen ja nicht automatisch
zum Guten.“ Weltweite Strukturen wie der Internationale Währungsfond und die Welthandelsorganisation
müssten erneuert werden, denn „sie haben nicht in der Weise funktioniert, wie man
es erwarten konnte“.
Vertrauenskrise Wenn Italiens
Wirtschaftsminister jetzt meint, Papst Benedikt XVI: habe die aktuelle Finanzkrise
bereits 1985 vorhergesagt, dann beweist das nur Unkenntnis der katholischen Soziallehre.
Ein Niedergang der wirtschaftlichen Disziplin führe zum Kollaps der Marktgesetze und
eine religiös begründete ethische Disziplin sei die geschichtliche Voraussetzung für
die Ausbildung ökonomischer Systeme, hatte der damalige Kurienkardinal Ratzinger bei
einem römischen Symposium über Kirche und Wirtschaft gesagt.
Der Sekretär
des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Erzbischof Giampaolo Crepaldi,
zum Zusammenhang von Finanzen und Moral: „Die Soziallehre der Kirche weist darauf
hin, dass der Finanzmarkt Prämissen braucht, die er nicht selbst hervorbringen kann,
etwa das Vertrauen. Die jetzige Krise zeigt etwas, das uns auch unsere Soziallehre
vor Augen führt: Wenn ein wirtschaftliches oder finanzielles System in eine Krise
gerät, dann geschieht das nie aus wirtschaftlichen oder finanziellen Gründen, sondern,
weil sich eine Wunde am globalen Moralsystem auftut. Vertrauen - das ist zunächst
einmal eine ethische Haltung, kein wirtschaftlich-finanzielles Element. Wenn der Markt
diese ethische Haltung unterminiert, dann kann er selbst kein Vertrauen mehr aufbauen.“
47
Reformschritte Das Treffen der G20 sollte erste Lösungen für die weltweite
Finanzkrise erarbeiten. Zwar war der Weltfinanzgipfel keine Neuauflage der historischen
Konferenz in Bretton Woods im Jahr 1944, aber die 20 Staats- und Regierungschefs der
wirtschaftsstärksten Industrie- und Schwellenländer und die Europäische Union haben
sich dennoch auf nicht weniger als 47 Reformschritte geeinigt. Bis Ende März 2009
soll damit die Finanzwelt weltweit wieder beruhigt und erneuten Exzessen oder gar
einer Wiederholung der Krise Einhalt geboten werden. Man einigte sich auf eine Stärkung
der Regulierungsbehörden, sowie eine prominente Rolle des in Bretton Woods geschaffenen
Internationalen Währungsfonds und der Weltbank bei der nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung
in Schwellenländern. Außerdem solle weltweit die Konjunktur gefördert werden. In der
gemeinsamen Abschlusserklärung nannten die Gipfelteilnehmer eine größere Überwachung
der Ratingagenturen sowie eine stärkere Reglementierung der spekulativen Hedge-Fonds.
Die vereinbarten Grundsätze mahnen zudem mehr Verbraucherschutz durch bessere Information
an. Die versammelten Staats- und Regierungschef plädierten zwar für eine effektive
Regulierung der Finanzmärkte, erneuerten aber ihr Plädoyer für einen freien Markt
und offenen Handel. 2009 soll es eine Folgekonferenz geben, der Ort ist noch offen. Die
G20-Staaten repräsentieren rund 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Das
wichtigste Ergebnis ihrer Beratungen sei der Wille zu weltweiter Solidarität, betonte
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Bei den anstehenden Entwicklungs- und Klimakonferenzen
gelte es diese jedoch auch unter Beweis zu stellen.
Krise der Entwicklungsländer Doch
schon die Einigung an sich sei ein Erfolg, meint der Wirtschaftsethiker der Katholischen
Universität Eichstätt-Ingolstadt, Jörg Althammer. „Die erste positive Nachricht,
die man überhaupt festhalten kann, ist, dass die Politik sich verständigt hat, dass
die Finanzmärkte A zu regulieren sind und B auf internationaler Ebene reguliert werden
müssen; dass man weggekommen ist von der Einstellung, dass die Finanzmärkte sich selbst
und quasi automatisch regulieren würden. Das ist der erste wichtige Punkt und den
kann man gar nicht hoch genug einstufen.“ „Die Wirtschaftskrise setzt den
Frieden und den Kampf gegen die Armut aufs Spiel“, warnt der vatikanische Friedensminister,
Chef des Rats für Gerechtigkeit und Frieden. „Für die Politik zur Armutsbekämpfung
gibt es ernsthafte Schwierigkeiten. Die reichen Länder sehen sich kaum in der Lage
die 50 Milliarden Euro jährlich aufzubringen, die nötig sind, um bis zum Jahr 2015
die Armut weltweit zu verringern. Jetzt haben die USA und Europa zusammen in kürzester
Zeit mehr als tausend Milliarden Dollar bereitgestellt. Die Armen aus dem Süden der
Welt sind nun einmal nicht die Wähler der Regierungen des Nordens.“ Gleicher
Ansicht ist der Flüchtlingshochkommissar der UNO. Ohne ein Umdenken verschlechtere
sich die humanitäre Situation von Millionen Menschen weltweit, sagt Antonio Guterres:
„Wir dürfen nicht zu besessen auf die Finanzmärkte schauen, damit wir die Bedürfnisse
der Armen nicht vergessen. Wir waren Zeugen: In den vergangenen Wochen sind zig Milliarden
Dollar aufgebracht worden, um die Finanzsysteme zu retten. Das ist auch nötig, aber
es wird zu einem Desaster, wenn Staaten und Menschen weltweit nicht auch weiterhin
humanitäre Hilfen leisten. Das ist absolut entscheidend.“ „Die aktuelle
Krise ist in jedem Fall auch eine Krise für die Entwicklungsländer, die durch den
Nachfragerückgang aus den Industrieländern einen extremen Rückgang in ihren Exporten
haben“, erweitert der Wirtschaftsethiker aus St. Georgen / Frankfurt den Problemhorizont.
Bernhard Emunds: „Da wird sich auch manches Schuldenproblem wieder neu aufbauen.
Und es gibt eine ganze Anzahl an Schwellenländern, die bisher Finanzmittel angezogen
haben, die in der aktuellen Krise alle abgezogen worden sind. So haben wir massive
Folgen im Sinne einer Wirtschafts- und Finanzkrise und auch einer Währungskrise in
diesen Ländern.“ Die Entwicklungsländer selbst sollten ihre Positionen einbringen,
sich mit ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen zu Wort melden, rät Emunds. „Allerdings
bedeutet das auch, dass die gesellschaftlichen Kräfte, unter denen im Bereich der
Hilfsmittel die Kirche ja eine sehr große Rolle spielt, nicht nachlassen dürfen, den
Druck aufrecht zu erhalten. … Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Entwicklungsländer
durch die Beteiligung der Schwellenländer an den aktuellen Debatten ihre Position
mit einbringen, dass sie darauf drängen, dass die Industrieländer nicht zu schnell
wieder zur Haushaltskonsolidierung übergehen. Und dass sie darauf drängen, dass die
Nachfrage aus den Industrieländern erhalten bleibt.“
Von
Unheilspropheten und Wahrsagern „Die Krise zeigt deutlich: Der Kapitalismus
kann aus sich selbst heraus nicht die Tugenden und Werte hervorbringen, die er braucht,
um zu funktionieren.“ Kardinal Martino sprach dieser Tage bei einem internationalen
Friedenstreffen aus, was viele denken. Was der Papst 1985 sagte, klang ähnlich. Gleiches
steht im Kompendium der Soziallehre der katholischen Kirche. Eine Taschenbuchausgabe
davon hielt Martino zum Beweis in die Höhe; viel gelesen und bearbeitet - abgenutzt
wäre ob der Aktualität des Inhalts wohl das falsche Wort.
Doch - war diese
Krise nun absehbar? Marx: „Sie hatte einen Vorlauf über viele Jahre. Jetzt sagen
viele, wir haben es geahnt… Ich will mich hier nicht wichtig machen, aber in Interviews
der letzten Jahre habe ich sicher auch schon manches entdeckt. Die Wucht der Ereignisse
hätte ich aber nicht voraussagen können.“ Emunds: „In dieser Form war sie
nicht abzusehen. Was seit der Asienkrise abzusehen war, ist, dass diese Form der Finanzwirtschaft,
in der Kapitalmärkte, also Aktienmärkte und Rentenmärkte, teils auch Immobilienmärkte,
eine so große Rolle spielen, sehr krisenanfällig ist. Aber was wir uns vorgestellt
haben und was man bis in die letzten Monaten hinein sehen konnte, sind kleine Krisen;
also einen kleinen Boom in bestimmten Bereichen, in Ländern wie den Schwellenländern
Asiens, der dann in einer Krise wie der Asienkrise abbricht. Oder einen Boom im Bereich
der Aktien der New Economy, der dann auch wieder abbricht. Und jetzt hatten wir eben
einen Boom im Bereich der so genannten Subprime-Kredite in den USA. Aber dass sich
das zu einer globalen Krise ausweiten würde, das hat keiner vorher gesehen.“ Dass
das System anfällig ist, habe man gewusst, sagt der Untergeneralsekretär für Wirtschaftliche
Entwicklung der Vereinten Nationen, Jomo Kwame Sundaram. Das Fass zum Überlaufen gebracht
hätten die zu Anleihen umgewandelten Hypothekenkredite. „Vor zwei Jahren haben
wir in den Wirtschaftsprognosen bereits auf die besondere Anfälligkeit des Subprime-Markts
hingewiesen. Nicht nur wir haben gewarnt. Das internationale Finanzsystem ist an vielen
Stellen anfällig.“ Der Erklärung der G20 enthält auch eine kurze Passage zu
den Ursachen der Finanzkrise. Darin heißt es: „Politiker und Überwachungsinstanzen
in einigen entwickelten Ländern haben die Risiken nicht richtig eingeschätzt, die
in den Finanzmärkten entstanden sind.“ UNO-Wirtschaftsfachmann Sundaram: „Die
Wall Street zum Beispiel ist auf Klienten angewiesen, die Vertrauen in die Prognosen
haben. Auf das, was die Vereinten Nationen sagen, schaut man deswegen eher sehr argwöhnisch.
In den vergangenen Jahren wurde außerdem geradezu Marktfundamentalismus betrieben.
Man wehrte sich gegen jede Regulierung und hat die großen Gefahren nicht sehen wollen,
die eine stetige Liberalisierung des Marktes mit sich brachten. Wir von den Vereinten
Nationen wurden als Propheten des Bösen betrachtet oder als Spielverderber.“
Opel
ja, GM nein Doch die Leidtragenden sind nicht die Urheber der Krise. Am
Stärksten betroffen sind die Entwicklungsländer, sind die Anleger und die Arbeitnehmer
in den Betrieben, die in den Strudel von Finanzkrise und Konjunkturflaute geraten
sind. Althammer von der KU Eichstätt-Ingolstadt: „Inwieweit diese Entwicklung
abwendbar ist, wird sich erst dann herausstellen, wenn klar ist, inwieweit die Finanzpolitik
in der Lage ist, ein allzu weit gehendes Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft
abzuwenden. Das können wir jetzt noch gar nicht beurteilen und sehr schwer prognostizieren.“ Langfristig
eine Regulierung des Marktes, mindestens mittelfristig Hilfen für die Entwicklungsländer
und kurzfristig bzw. sofort Mittel für die Konjunktur. Das ist zusammengefasst der
Lösungsansatz der Experten. Vom dritten Problemfeld der Realwirtschaft ist jeder Einzelne
am Unmittelbarsten betroffen. Und nach dem gerade erst mit gemeinsamer Erklärung abgeschlossenen
Krisengipfel warten die nächsten Baustellen: General Motors, Ford und Chrysler in
den USA, Opel in Deutschland. Doch Politiker wie Unternehmer müssten genau unterscheiden,
mahnt Althammer, „zwischen Problemen in der Realwirtschaft, die auf die Finanzkrise
zurückzuführen sind, und Problemen in der Realwirtschaft, die eben damit nichts zu
tun haben, die sich aus den Unternehmen selbst ergeben haben. Nehmen wir das Beispiel
General Motors. Es wäre nach meinem Dafürhalten völlig falsch, für General Motors
hier ein ähnliches Programm aufzulegen, wie wir das für Opel tun. Denn General Motors
hat in der Vergangenheit schlichtweg eine falsche Produktpolitik betrieben. Das heißt,
hier sind die Probleme im Unternehmen selbst zu verorten. Und so problematisch und
schwierig das auch für die einzelnen Arbeitnehmer sein mag, die davon betroffen sind,
aber hier muss auch der Markt entsprechend reagieren können.“ Bei Opel sei
die Lage „etwas anders“: „Opel hat eigentlich eine sehr gute Produktpolitik betrieben,
ist auch auf den Märkten sehr gut aufgestellt, hat aber über die Verflechtung zu General
Motors hin Probleme bekommen. Und insofern ist es durchaus nachvollziehbar und auch
richtig, wenn man Opel teilweise und befristet unterstützt. Wobei auch da sicher gestellt
werden muss, dass die Finanzmittel, die dafür eingesetzt werden, für Opel zur Verfügung
stehen und nicht an den Mutterkonzern fließen, also nicht zu General Motors abgeführt
werden.“ Große Betriebe retten, Kleine sich selbst überlassen? Der Mittelstand
betrachtet Staatshilfen für die Großindustrie skeptisch. Althammer: „Das ist ein
grundsätzliches politisches Problem und auch ein Vermittlungsproblem. Im Wesentlichen
ist es natürlich so, dass Großunternehmen, wenn sie in Schwierigkeiten kommen, eine
wesentlich größere und breitere Störung verursachen, als das bei kleineren Unternehmen
der Fall ist. Was die Politik nicht tun kann, ist, dass sie auf die besonderen Spezifika
kleinerer Unternehmen eingeht. Den kleineren Unternehmen und mittelständischen Betrieben
wäre viel mehr geholfen, wenn entsprechende Rahmenbedingungen gesetzt würden. Ich
denke beispielsweise daran, die Steuerbelastung für diesen Unternehmenssektor zu reduzieren
oder auch an entsprechende Entlastungen bei den Sozialabgaben. Denn das scheint mir
der zielführendere Weg zu sein, als einzelnen Unternehmen durch bestimmte wirtschaftspolitische
Eingriffe über den Berg helfen zu wollen.“
Ethisch anlegen „Wirtschaft
ohne Ethik kann es nicht geben, sie ist ein humanes Feld und muss also dem Naturgesetz
und der Ethik unterworfen sein.“ So lautet das finanzmarkttechnische Credo von
Kurienkardinal Martino. Hinter der Krise der Märkte stehe auch eine moralische; es
gehe um unsere Einstellung zu materiellen Gütern und dem Lebensstil: „Sich über
die Möglichkeiten hinaus zu verschulden ist eine Art Doping, ist hohes Risiko. Die
Katholische Soziallehre verneint nicht, dass innerhalb bestimmter Grenzen die Aufnahme
eines Bankkredits durch Familien auch gut für die Wirtschaft und das Gemeinwohl sein
kann. Aber noch wichtiger ist: Eine Bank, die, nicht kreditfähigen Personen zu viel
leiht, agiert keinesfalls sittlicher als eine, die aufrichtigen Personen zu wenig
gibt.“ Umso mehr solle die Krise jetzt Unternehmen anspornen, soziale Verantwortung
zu übernehmen, so Martino. Natürlich gilt auch der Umkehrschluss: Geld muss ethisch
angelegt werden. Der Benediktiner und viel gelesene Autor Pater Anselm Grün versteht
darunter, „nicht maßlos, nicht gierig wirtschaften“, in Fonds investieren, die auf
nachhaltige Energien setzen, Firmen nach ethischen Gesichtspunkten auswählen. Die
Politiker sollten Gesetze schaffen, die das Börsenwesen so strukturieren, dass es
den Menschen dient, und nicht Tür und Tor öffnet für einige, die meinen, sie könnten
mit ihren Tricks die ganze Welt beherrschen. Doch auch Grün, der erst in diesem
Jahr ein Buch zum Thema herausgegeben hat und wirtschaftlicher Leiter der Benediktinerabtei
Münsterschwarzach mit angeschlossenen Werkstätten, Buchverlag und vielem mehr ist,
hat sich verspekuliert. Die evangelische Landeskirche Oldenburg und das Bistum Aachen
haben bei Lehman Brothers investiert. Macht sich die Kirche damit unglaubwürdig? Die
Frage geht an den Wirtschaftsethiker der Jesuiten-Hochschule St. Georgen, Bernhard
Emunds. „Die Kirche ist gut beraten, wenn sie bei den Finanzmärkten ,State of the
Art’ anlegt, das heißt, wirklich die Ratschläge der Finanzexperten berücksichtigt.
Das bedeutet, sie sollte auch nicht einfach auf eine Rendite verzichten, die man erreichen
kann. Aber zugleich kann man natürlich sagen, dass es eine Verpflichtung gibt, mit
den kirchlichen Geldern vorsichtig umzugehen. Vorsichtig umgehen heißt auch, dass
man eben nicht die allerhöchste Rendite erzielt, denn höhere Renditen sind auch immer
mit höheren Risiken verbunden. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass es kirchliche
Einrichtungen gibt, die mehr oder minder mitspekuliert haben, führt natürlich dazu,
dass die Leute sagen, ihr habt das ja auch nicht viel besser gemacht. Trotzdem bleibt
es so, dass kirchliche Richtlinien zum Umgang mit Geld, die darauf drängen, dass man
sich langfristig engagiert und sein Geld für Unternehmen bereitstellt, die eher sozial
und ökologisch verträglich wirtschaften, weiterhin für ein richtiges Ziel stehen.
Diese Richtlinien gibt es gerade auch aus dem Bereich der evangelischen Landeskirchen.
Die Glaubwürdigkeit allerdings hat etwas gelitten.“
Pecunia olet? Stinkt
Geld nun doch? Die Meinungen auf der Straße dazu gehen auseinander. Mit Geld lebt
es sich nun einmal einfacher, sagen die einen. Es ist ein notwendiges Gut sagen die
anderen. Doch: Es darf nicht verschleudert werden. Da herrscht Einigkeit. „Die
ökonomische Sphäre lässt sich nicht von der ethischen Sphäre trennen. Ökonomie und
Ethik hängen sehr eng miteinander zusammen.“ Das ist die Basis wirtschaftlichen
Handelns. Jörg Althammer von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt auf
die Frage Pecunia olet?: „Wichtig, wenn es um die Frage der individuellen moralischen
Bewertung geht, ist, wie das einzelne Individuum mit dem ihm anvertrauten Geld, den
ihm anvertrauten Gütern, in der Bibel steht mit den Talenten, umgeht, ob der Mensch
sittlich und ethisch verantwortlich damit umgeht oder sie zu reinen Spekulationszwecken
einsetzt. Grundsätzlich kann man nicht davon ausgehen, dass ökonomisches oder wirtschaftliches
Handeln in sich verwerflich wäre.“ Das Schlusswort hat der Kurienkardinal.
Die Krise, so Friedensminister Martino, ist anthropologischer Natur, nicht nur finanzieller
oder gar nur westlicher. Er fordert eine soziale und ethische Globalisierung. „Denn
diese Krise strahlt aus auf den Frieden und die weltweite Situation.“