Das Christentum in Deutschland braucht neuen Schwung und Lebendigkeit. Das sagte Kardinal
Walter Kasper jetzt in einem Radiointerview zu seinem neuen Buch „Wo das Herz des
Glaubens schlägt“. Dazu sei ein geistliches und moralisches Umdenken nötig. Der frische
Wind der Weltkirche müsse an dieser Erneuerung mitwirken.
„Wir Deutschen
sind ein bisschen in der Gefahr, provinziell zu werden. Wir haben unsere Probleme.
Die sind ernst, die soll man ernst nehmen - aber man muss sie in den ganzen Kontext
der Weltkirche hineinstellen. Und da gibt’s so viel Freudiges zu erleben. Ich muss
sagen, das ist das Schöne, was man in Rom fast jeden Tag erleben kann: Weltkirche,
wo es sehr viel Glaubensenthusiasmus, sehr viel Glaubensfreude gibt. Und mich macht’s
ein bisschen traurig, dass manchmal etwas Glaubenstraurigkeit hier in Deutschland
vorherrscht. Da sollte man hinausschauen in die Weltkirche! Dann geht einem das Herz
des Glaubens selber mehr auf.“
Das Buch ist im Herder-Verlag
erschienen und kostet 19,95 Euro.
(erzbistum freiburg 17.11.2008 vp)
Hier
dokumentieren wir das Interview, das Dieter Waldraff mit Kardinal Kasper geführt hat,
in voller Länge:
Kardinal Kasper, wo
schlägt denn Ihr Herz des Glaubens ganz besonders heftig?
„Gut, mein Herz
des Glaubens schlägt nach wie vor darin, dass ich Pfarrer werden wollte. Und wenn
ich mit Menschen zu tun habe, mit Gemeinden Liturgie feiern kann, das ist für mich
eigentlich immer bis heute noch die Erfüllung. Und ich habe auch als Professor immer
noch gepredigt. Und als Bischof war meine Lieblingsarbeit, am Sonntag in Gemeinden
zu gehen, also mit Menschen zu tun zu haben, Menschen zu begleiten, Gottesdienst mit
Menschen zu feiern,. Das ist für mich nach wie vor der eigentliche Inbegriff dessen,
dass ich Pfarrer bin und Pfarrer werden wollte. Und das bin ich auch als Kardinal
geblieben. „
Geht Ihnen das heute ab, oder können Sie tatsächlich, finden
Sie die Zeit dafür immer noch?
„Es geht mir ab. Das war etwas vom Schmerzlichsten,
was ich hinter mir gelassen habe, als ich das Bischofsamt in Rottenburg-Stuttgart
aufgegeben habe und nach Rom gegangen bin. Natürlich habe ich es dort auch. Es gibt
eine Pfarrei, wo ich eigentlich immer hingehen könnte. Aber Sonntag ist dann auch
wieder der einzige Tag, wo ich für mich etwas arbeiten kann. Ich kann es nicht so
oft, und irgendwo ist man natürlich in Italien Ausländer; das ist klar. Aber es kommen
auch sehr viele aus Deutschland und wollen, dass man mit ihnen Gottesdienst hält.
So ist es in gewisser reduzierter Form heute noch gegeben. Aber ich ... hoffentlich
gewöhne ich mich nicht total daran, das muss ich zugeben.“
Wenn Sie da
auch viel Kontakt zu Pilgern haben - Sie sind viel auf Reisen - da werden Sie doch
sicherlich von den Menschen erkannt, angesprochen. Mit welchen Fragen, mit welchen
Sorgen kommen die zu Ihnen und sagen: Jetzt habe ich hier so einen wichtigen Vertreter
der Kirche vor mir. Jetzt will ich mal was loswerden?
„Ja gut, ich meine,
die wissen im Allgemeinen schon, dass ich für die Ökumene zuständig bin. Und da bringen
sie ihre Sorgen, ihre Erwartungen zur Ökumene, wollen wissen, wie steht’s mit der
Ökumene? Wie geht’s mit der Ostkirche weiter? Was tut ihr da in Rom? Das sind die
meisten Fragen, die an mich gerichtet werden. Manche haben auch, wenn sie nach Rom
kommen, zunächst gewisse Vorurteile gegenüber der Kurie. Und da muss man, kann man
ja auch manches ein bisschen erklären. Die Kurie ist ja kein seelenloser Apparat.
Das sind Menschen, die dort arbeiten. Das heißt, es geht dort menschlich zu im positiven
und auch im negativen Sinn. Das sind so die Dinge, mit denen sie heutzutage auf mich
zukommen. Aber sehr viele kommen auch: Ja, wie geht’s denn eigentlich mit der Kirche
weiter? Wir haben keinen Pfarrer mehr in unserem Dorf. Was kann man da machen und
so weiter. Also solche Fragen der Sorge um die Kirche, dahinter steht doch auch ein
Herz, das für den Glauben schlägt.“
Was sagen Sie denn den Menschen, die
sich Sorgen machen um die Kirche? Wie können Sie da die Sorge
ein Stück weit aufgreifen? Gibt’s da überhaupt eine Lösung für diese Sorge?
„Also,
ich muss zunächst immer sagen, ich habe auch keine Patentantwort. Eine Patentantwort
zu haben, das kann nur oberflächlich sein. Nein, ich kann ein bisschen erzählen, wie
ich selber den Glauben erlebt habe, was da schon für Wandlungen passiert sind und
dass die Kirche immer wieder auch aus Schwierigkeiten gereift und bereichert hervorgegangen
ist. Und zum andern habe ich so meine Vorstellung, wie eine missionarische Gemeinde,
eine missionarische Kirche aussieht. Wenn ich Zeit habe, kann ich das auch immer ein
bisschen erläutern, was ich über Mittelpunktpfarrei... und so weiter denke. Es gibt
schon Ansätze und, und man kann auch immer wieder auf Beispiele verweisen. Ich war
ja sehr viel schon in der dritten Welt mehrfach auf allen Kontinenten. Da weiß man,
dass die Kirche auch sehr als kleine Kirche oder als arme Kirche sehr vital und lebendig
sein kann und es oft auch ist, dass man einfach nicht davon ausgehen kann, dass das
immer so bleibt, wie wir das aus Deutschland so gewöhnt sind. Da stehen uns Wandlungen
ins Haus, die müssen wir mit Glaubenszuversicht angehen, aber auch mutig angehen,
nicht immer meinen, das muss immer alles so sein, wie es schon immer bei uns hier
war. Es kann auch anders kommen und kann dadurch auch wachsen und reifen.“
Müssen
wir uns da vielleicht auch stärker auf das Gebet verlassen, auf die Zusicherung Gottes,
dass wir es gar nicht alleine alles machen können?
„Das ist ein ganz wichtiger
Gesichtspunkt. Man kann die Kirche nicht machen. Man kann sie nicht planen, nicht
organisieren. Die Kirche lebt aus der Eucharistie, aus dem Wort Gottes und lebt vor
allem aus dem Gebet. Und deshalb ist das Allerwichtigste in der gegenwärtigen Situation
die geistliche Erneuerung der Kirche. Das ist auch das eigentliche Programm des gegenwärtigen
Papstes. Der setzt gar nicht so auf Aktionen und alle möglichen Strukturreformen,
sondern auf den persönlichen Glauben und das persönliche Gebet. Und ich denke, die
Beter sind die eigentlichen Zukunftsarbeiter in der Kirche.“
Kardinal
Kasper, kommen wir noch zum Thema Ökumene: Wie viel Gemeinsamkeit der Christen muss
denn sein, und wie viel Verschiedenheit darf in Zukunft sein?
„Gut, wir
müssen vor allem Gemeinsamkeit haben im einen Glauben. Und das haben wir leider noch
nicht in allem. Es gibt noch Glaubensunterschiede zwischen den Kirchen, die kann man
nicht wegdisputieren. Also die Einheit im Glauben, vor allem im Kirchenverständnis,
sind noch große Unterschiede da. Und auch zum Teil im Eucharistieverständnis, im Verständnis
der Gottesmutter Maria, darüber müsste man noch reden oder das müssen wir noch überwinden.
Das Zweite, die Gemeinsamkeit in den Sakramenten: Normalerweise reden evangelische
Christen von zwei Sakramenten, Taufe und Abendmahl bzw. Eucharistie. Also die Gemeinsamkeit
in den Sakramenten ist notwendig. Und schließlich die Einheit im einen apostolischen
Amt, das ist der eigentliche schwierige Punkt im Augenblick. In der Ausgestaltung,
da kann es dann Unterschiede geben. Aber sie müssen so sein, das ich im Glauben des
andern meinen eigenen Glauben wieder erkennen kann. Das haben wir leider noch nicht
voll erreicht. Und da sind wir noch auf dem Weg. Ich denke, dass wir aber schon vieles
erreicht haben. Wenn ich zurückdenke an meine eigene Kinderzeit. Ich wäre ja nie in
eine evangelische Kirche hineingegangen. Ich habe gedacht, da musst du Beichten hinterdrein.
Heute feiere ich mit evangelischen Bischöfen dort einen Wortgottesdienst. Da ist doch
so vieles jetzt schon gewachsen, Gott sei Dank gewachsen an Gemeinsamkeit, dass wir
heute mit Recht sagen, das, was uns eint, ist viel mehr und viel größer als das, was
uns leider noch trennt.“
Ist das jetzt auch eine Herausforderung für die
wissenschaftliche Theologie? Die Gläubigen sind ja in vielen Bereichen vielleicht
schon weiter, vielleicht aus Unwissenheit weiter, aber sie fühlen sich schon weiter
und fühlen sich vielleicht von ihren Kirchenleitungen ein bisschen im Stich gelassen.
„Das wird sehr oft gesagt. Nun kann man also die Einheit der Kirche nicht auf die
Unwissenheit im Glauben bauen und auch nicht auf einen Halbglauben bauen. Also die
Unterschiede sind schon da. Und man muss schon auch erwarten, dass natürlich eben
Glauben bildet und informiert. Und wenn man das tut, merkt man, dass diese Unterschiede
nicht bloß bei den Theologen noch da sind, sondern die schon real da sind im Leben.
Stellen Sie sich mal vor: Ein katholischer Pfarrer würde den Tabernakel aus der Kirche
hinausstellen. Da möchte ich sehen, was da los ist in der Gemeinde. Oder stellen Sie
sich einen evangelischen Pfarrer vor, der einen Tabernakel aufstellt in der Kirche.
Der würde es auch Protest geben. An so ganz schlichten Sachen merkt man, da sind noch
Unterschiede da in einem zentralen Punkt, nämlich des Eucharistieverständnisses. Ich
denke, wir müssen darüber reden. Wir haben jetzt eine Synode gehabt in Rom über das
Wort Gottes. Und ich denke, wir müssen wieder zu den Anfängen der ökumenischen Bewegung
zurück. Es hat angefangen mit gemeinsamer... Bibellesen, gemeinsamer Bibelarbeit.
Über der Bibel haben wir uns getrennt. Über der Bibel müssen wir uns auch wieder finden.“
Da kommen sie auch hier auf einen Vertreter aus Südbaden
zu sprechen. Einer Ihrer Vorgänger, Kardinal Bea, der genau auf diesem Weg in die
Ökumene ‚rein gekommen ist: Wie groß oder wie stark ist das Vorbild von Kardinal Bea
für Sie ganz persönlich?
„Nun, Kardinal Bea war der Gründervater der römischen
Institution, der ich heute vorstehe. Und je mehr ich da über ihn lese und was er geleistet
hat beim Konzil, kann man nur staunen, nur bewundern, was er da erarbeitet hat. Er
ist mir ein Vorbild in seinem persönlichen Einsatz, aber auch in seiner biblischen
Grundlage und der ganzen Schlichtheit seiner Frömmigkeit. Er war ja auch ein sehr
sehr frommer Mensch. Und ich denke, Ökumene lebt auch wie die Kirche allgemein von
den Betern.“
Gucken wir mal noch ein bisschen in die Zukunft: Ihr Buch
hat ja auch durchaus visionäre Ansätze. Was glauben Sie, wird in den nächsten fünf
Jahren das wichtigste Ziel in der Ökumene sein, das wir erreichen können?
„Das wichtigste Ziel ist, dass man aus ... zurückkommt von gewissen Polemiken, die
in den letzten Jahren entstanden sind und wieder wirklich brüderlich miteinander redet.
Hier im süddeutschen Südwesten geschieht das ja auch. Und was hier in der Erzdiözese
Freiburg geschieht, gilt ja auch allgemein als sehr vorbildlich. Aber wir müssen reden:
Was heißt eigentlich Kirche? Die Frage, wie die Einheit der Kirche aussehen soll hängt
davon ab, was Kirche ist und was man unter Kirche versteht und was das Amt in der
Kirche bedeutet. Und da sind noch erhebliche Unterschiede da. Man soll sich also darüber
verständigen, darüber diskutieren: Was wollen wir überhaupt, wenn wir die eine Kirche
wollen? Wie sieht unser Einheitsmodell aus. Das scheint mir etwas vom aller Grundlegendsten
der Diskussion zu sein, die wir jetzt führen müssen.“
Kardinal Kasper,
wo das Herz des Glaubens schlägt - was kann ich in Ihrem Buch Neues erfahren? Was
kann ich über den Glauben da noch lernen?
„Gut, ich meine, sicher kriegen
Sie manche Informationen mit, ... die für Sie sonst nicht zugänglich sind. Nein, ich
denke, dass wir weltweit denken müssen. Das war für mich die große Entdeckung. Schon
als Bischof bin ich ja viel in der dritten Welt gewesen, jetzt wieder in der ökumenischen
Aufgabe, dass wir wirklich weltweit denken sollen. Wir Deutschen sind ein bisschen
in der Gefahr, provinziell zu werden. Wir haben unsere Probleme. Die sind ernst, die
soll man ernst nehmen. Aber man muss sie in den ganzen Kontext der Weltkirche hineinstellen.
Und da gibt’s so viel Freudiges zu erleben. Und ich muss sagen, das ist das Schöne,
was man in Rom fast jeden Tag erleben kann, Weltkirche, wo es sehr viel Glaubensenthusiasmus,
sehr viel Glaubensfreude gibt. Und mich macht’s ein bisschen traurig, dass da manchmal
etwas Glaubenstraurigkeit hier in Deutschland vorherrscht. Da soll man hinausschauen
in die Weltkirche. Und dann geht einem das Herz des Glaubens selber mehr auf.“
Das
heißt, Sie laden auch ein zu einer Pilgerreise nach Rom, um wirklich die Weltkirche
hautnah erleben zu können?
„Ganz sicher, Rom ist immer eine Reise wert.
Und ... in Rom begegnet man ja auf Schritt und Tritt auch der Kirche, der Kirche der
Märtyrer, der Kirche vieler Heiliger, natürlich der Kirche auch der Sünder. Da ist
auch schon viel Schlimmes vorgekommen. Und man lernt da schon lebendige Kirche heute
kennen und merkt, diese Kirche wächst, diese Kirche lebt. Die Kirche ist froh und
jung und freudig. Und das kann uns dann wieder ein bisschen mehr anstecken auch hier
in Deutschland.“