2008-11-14 18:40:37

USA/D: „Neue Architektur des Finanzmarkts“


RealAudioMP3 Der Kommentar eines Wirtschaftsethikers zur internationalen Finanzkrise und dem Weltfinanzgipfel in Washington: Die Zeiten für internationale Abkommen sind gut; für einen freien Markt ohne jede Regulierung gibt es keinen Konsens mehr und die Entwicklungsländer müssen ihre Bedürfnisse einbringen.
Das sagt Bernhard Emunds von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Er leitet dort das Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Im Gespräch mit Birgit Pottler spricht Emunds über die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt, eine „umfassendere Sicht von Erfolg” und die Investitionen kirchlicher Einrichtungen: Die Beteiligung einzelner Bistümer oder Landeskirchen an den spekulativen Geschäften ändere nichts an den kirchlichen Richtlinien zu ethisch und sozial verträglichem Wirtschaftsgebaren.

(rv 14.11.2008 bp)


Hier dokumentieren wir das Gespräch mit Bernhard Emunds:

Herr Emunds, worin besteht für Sie angesichts der aktuellen Finanzkrise der dringendste Handlungsbedarf und wie könnte da eine Lösung aussehen?

Wir brauchen eine andere Architektur der Finanzmärkte. Es zeichnet sich da zumindest innereuropäisch der Konsens ab, dass man die eigentlich recht scharfe Regulierung im Bereich der Banken, man spricht auch von der prudentiellen Regulierung, also der Regulierung, die auf Risikovorsorge setzt, auf alle Finanzinstitute ausdehnt, weiter auf alle Geschäfte, die getätigt werden und auf alle Märkte. Das heißt auch, dass man die so genannten Offshore-Märkte mit einbezieht. Das wiederum heißt, man versucht die Lücken, die es bisher gegeben hat und die bei der Entstehung der Krise eine große Rolle gespielt haben, zu schließen. Da besteht sozusagen schon ein erster Konsens.
Wenn man mal zu einem Bild greifen will, dann kann man sagen, wir haben einen riesigen Dampfkessel. Der entsteht dadurch, dass sehr viele Finanzmittel in die internationalen Finanzmärkte gehen. Und dieser Dampfkessel bekommt ständig Nachschub dadurch, dass eben jene Finanzmittel da sind und ihm sozusagen Energie liefern. Dabei ist es schon einmal sehr wichtig, dass alle Dichtungen erneuert werden müssen. Das heißt, dass überall da, wo Risiken bei den Finanzinstituten anfallen, von den Finanzinstituten selbst Vorsorge betrieben werden muss. Allerdings geht man das Problem, dass bei einem Aufschwung ständig Finanzmittel nachkommen, dass dann ständig die Energiezufuhr erhöht wird, damit noch nicht an. Dafür braucht man noch ganz andere Maßnahmen, die im Moment kaum diskutiert werden.

Nun haben Kirchenvertreter und Ethiker immer wieder eine moralische Erneuerung des Marktes gefordert. Ich würde mal spitz formuliert sagen, Unterstützung der Banken ohne Kontrolle, ohne Umdenken wäre nur ein Unterstützen des bisherigen maroden Systems, das dann so weiter arbeiten würde. Wie kann es denn zu so einer moralischen Erneuerung kommen? Sehen Sie dafür eine Mehrheit? Sehen sie dafür Möglichkeiten?
 
Es ist schon so, dass die Linie, dass es keines staatlichen Eingreifens bedarf, völlig daniederliegt. Und es gibt immerhin einen Konsens, der besagt, dass wir umsteuern müssen. Wir bedürfen eines staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft. Wir bedürfen auch eines umfassenderen Verständnisses, was der Erfolg eines Unternehmensleiters, eines Unternehmensführers, eines Managers ist. Das ist nämlich mehr als nur die Steigerung des Quartalsgewinns anfällt.

Nun ist die aktuelle Krise eine globale Krise, die zumindest eine globale Lösungsmöglichkeit bräuchte. Glauben Sie denn, dass es die geben kann? Die Staats- und Regierungschefs haben es versucht. Glauben Sie, dass man sich einigen kann? Ich denke daran, wie umstritten die Abkommen zur Klimaveränderung, das Kyoto-Protokoll und andere waren. Kann man sich denn einigen, wenn es wirklich an den Geldbeutel geht?

Mit der Gefahr wächst das Rettende auch. Das gilt, denke ich, auch in der aktuellen Krise. Das heißt, wir haben im Moment eine positive Zeit für Global Government, für internationale Koordination der Politik. Nun haben wir noch das Problem, dass der neu gewählte Präsident der USA noch nicht handlungsfähig ist und Rücksicht auf seinen Vorgänger nimmt. Aber insgesamt zeichnet sich durchaus ab, dass man handlungsfähig ist. Und interessanterweise wird nicht nur versucht, im Kreis der großen Acht der Weltwirtschaft miteinander die richtigen Richtlinien zu finden, sondern man hat zumindest die wichtigsten Schwellenländer dazu genommen. Das heißt, jetzt ist die Zeit zu handeln, wobei die Weltfinanzkonferenz in Washington wirklich nur der Anfang sein kann, der den Startschuss gibt. Die letzte große Neuordnung des Finanzsystems, Bretton Woods 1944, hat drei Jahre Vorbereitungen bedurft. Auch jetzt werden wir durchaus einen langen Atem haben müssen. Allerdings sollten wir es auch nicht auf die lange Bank schieben, denn im Moment ist die Zeit günstig, einen internationalen Konsens zu finden.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat an die Entwicklungsländer erinnert. Hilfen für sie dürften keineswegs zurückgeschraubt werden. Im Gegenteil ginge es darum, diese Länder jetzt zu befähigen, am Markt Teil zu nehmen und sie nicht noch weiter an den Rand zu drängen. Glauben Sie, dass dieser Appell Ban Ki-moons Gehör finden wird auch über diesen Krisengipfel hinaus?

Das ist in der Tat ein großes Problem, dass vor allem bei den großen Rettungspaketen unheimlich viel Geld in die Hand genommen wird und man sich fragen muss, ob und in welchen Bereichen in Zukunft gespart wird. Nun wollen wir hoffen, dass wir mit einem oder zwei blauen Augen aus dieser Krise heraus kommen, so dass dann, wenn Wirtschaft und Finanzmärkte sich erholt haben, der Einsatz der öffentlichen Haushalte, die dafür viel Geld bereit gestellt haben, fortgesetzt werden kann. Das heißt, dass das Zusammenschmelzen der öffentlichen Hilfsmittel, der Hilfsmittel zur Entwicklungshilfe oder im Sozialbereich, nicht die langfristige Folge sein muss. Allerdings bedeutet das auch, dass die gesellschaftlichen Kräfte, unter denen im Bereich der Hilfsmittel die Kirche ja eine sehr große Rolle spielt, nicht nachlassen dürfen, den Druck aufrecht zu erhalten. Die aktuelle Krise ist in jedem Fall auch eine Krise für die Entwicklungsländer, die durch den Nachfragerückgang aus den Industrieländern einen extremen Rückgang in ihren Exporten haben. Da wird sich auch manches Schuldenproblem wieder neu aufbauen. Und es gibt eine ganze Anzahl an Schwellenländern, die bisher Finanzmittel angezogen haben, die in der aktuellen Krise alle abgezogen worden sind. So haben wir massive Folgen im Sinne einer Wirtschafts- und Finanzkrise und auch einer Währungskrise in diesen Ländern.

Nun ist gerade der Bereich der Wirtschaftswissenschaft auch ein Bereich der Planspiele. Nehmen wir mal an, die aktuelle globale Finanzkrise ist so ein Planspiel. Welche Möglichkeiten gäbe es für die Entwicklungsländer, was wäre gewinnbringend?

Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Entwicklungsländer durch die Beteiligung der Schwellenländer an den aktuellen Debatten ihre Position mit einbringen, dass sie darauf drängen, dass die Industrieländer nicht zu schnell wieder zur Haushaltskonsolidierung übergehen. Und dass sie darauf drängen, dass die Nachfrage aus den Industrieländern erhalten bleibt. Der zweite Punkt, der meiner Meinung nach sehr wichtig ist, ist der, dass man international noch mal darüber nachdenkt, wie man die Finanzströme in Schwellen- und Transformationsländern begrenzt, damit das schnelle Ein- und Ausfließen des Finanzkapitals solche Länder nicht ständig in Bedrängnis bringt.

Hat sie als Sozialethiker manchmal in den letzten Wochen das Gefühl beschlichen, zu sagen: Ich hab es doch immer gewusst? War diese Krise abzusehen?

In dieser Form war sie nicht abzusehen. Was seit der Asienkrise abzusehen war, ist, dass diese Form der Finanzwirtschaft, in der Kapitalmärkte, also Aktienmärkte und Rentenmärkte, teils auch Immobilienmärkte, eine so große Rolle spielen, sehr krisenanfällig ist. Aber was wir uns vorgestellt haben und was man bis in die letzten Monate hinein sehen konnte sind kleine Krisen. Also einen kleinen Boom in bestimmten Bereichen, in Ländern wie den Schwellenländern Asiens, der dann in einer Krise wie der Asienkrise abbricht. Oder einen Boom im Bereich der Aktien der New Economy, der dann auch wieder abbricht. Und jetzt hatten wir eben einen Boom im Bereich der so genannten Suprime-Kredite in den USA, der dann auch wieder in einer Krise endete. Aber dass sich das zu einer globalen Krise ausweiten würde, das hat keiner vorher gesehen.

Nun gibt es ja Bistümer und Institutionen, auch der evangelischen Kirche, die unter anderem bei den Lehman-Brothers investiert haben. Macht sich die Kirche nicht unglaubwürdig durch solche Investitionen? Schwächt das ihre Position jetzt bei den ethischen Fragen?

Die Kirche ist gut beraten, wenn sie bei den Finanzmärkten State of the Art anlegt, das heißt, wirklich die Ratschläge der Finanzexperten berücksichtigt. Das bedeutet, sie sollte auch nicht einfach auf eine Rendite verzichten, die man erreichen kann. Aber zugleich kann man natürlich sagen, und da kommt der Ethiker schon mehr heraus, dass es eine Verpflichtung gibt, mit den kirchlichen Geldern vorsichtig umzugehen. Vorsichtig umgehen heißt auch, dass man eben nicht die allerhöchste Rendite erzielt. Denn höhere Renditen sind auch immer mit höheren Risiken verbunden. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass es kirchliche Einrichtungen gibt, die mehr oder minder mitspekuliert haben, führt natürlich dazu, dass die Leute sagen, ihr habt das ja im Grunde auch nicht viel besser gemacht. Trotzdem bleibt es so, dass kirchliche Richtlinien zum Umgang mit Geld, die darauf drängen, dass man sich langfristig engagiert und sein Geld für Unternehmen bereitstellt, die eher sozial und ökologisch verträglich wirtschaften, weiterhin für ein richtiges Ziel stehen. Diese Richtlinien gibt es gerade auch bei den evangelischen Landeskirchen. Die Glaubwürdigkeit allerdings hat etwas gelitten.
 







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