Der Kommentar eines
Wirtschaftsethikers zur internationalen Finanzkrise und dem Weltfinanzgipfel in Washington:
Die Zeiten für internationale Abkommen sind gut; für einen freien Markt ohne jede
Regulierung gibt es keinen Konsens mehr und die Entwicklungsländer müssen ihre Bedürfnisse
einbringen. Das sagt Bernhard Emunds von der Philosophisch-Theologischen Hochschule
Sankt Georgen in Frankfurt. Er leitet dort das Oswald von Nell-Breuning-Institut für
Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Im Gespräch mit Birgit Pottler spricht Emunds
über die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt, eine „umfassendere Sicht von Erfolg” und
die Investitionen kirchlicher Einrichtungen: Die Beteiligung einzelner Bistümer oder
Landeskirchen an den spekulativen Geschäften ändere nichts an den kirchlichen Richtlinien
zu ethisch und sozial verträglichem Wirtschaftsgebaren.
(rv 14.11.2008 bp)
Hier
dokumentieren wir das Gespräch mit Bernhard Emunds:
Herr Emunds, worin besteht
für Sie angesichts der aktuellen Finanzkrise der dringendste Handlungsbedarf und wie
könnte da eine Lösung aussehen?
Wir brauchen eine andere Architektur der
Finanzmärkte. Es zeichnet sich da zumindest innereuropäisch der Konsens ab, dass man
die eigentlich recht scharfe Regulierung im Bereich der Banken, man spricht auch von
der prudentiellen Regulierung, also der Regulierung, die auf Risikovorsorge setzt,
auf alle Finanzinstitute ausdehnt, weiter auf alle Geschäfte, die getätigt werden
und auf alle Märkte. Das heißt auch, dass man die so genannten Offshore-Märkte mit
einbezieht. Das wiederum heißt, man versucht die Lücken, die es bisher gegeben hat
und die bei der Entstehung der Krise eine große Rolle gespielt haben, zu schließen.
Da besteht sozusagen schon ein erster Konsens. Wenn man mal zu einem Bild
greifen will, dann kann man sagen, wir haben einen riesigen Dampfkessel. Der entsteht
dadurch, dass sehr viele Finanzmittel in die internationalen Finanzmärkte gehen. Und
dieser Dampfkessel bekommt ständig Nachschub dadurch, dass eben jene Finanzmittel
da sind und ihm sozusagen Energie liefern. Dabei ist es schon einmal sehr wichtig,
dass alle Dichtungen erneuert werden müssen. Das heißt, dass überall da, wo Risiken
bei den Finanzinstituten anfallen, von den Finanzinstituten selbst Vorsorge betrieben
werden muss. Allerdings geht man das Problem, dass bei einem Aufschwung ständig Finanzmittel
nachkommen, dass dann ständig die Energiezufuhr erhöht wird, damit noch nicht an.
Dafür braucht man noch ganz andere Maßnahmen, die im Moment kaum diskutiert werden.
Nun haben Kirchenvertreter und Ethiker immer wieder eine moralische Erneuerung
des Marktes gefordert. Ich würde mal spitz formuliert sagen, Unterstützung der Banken
ohne Kontrolle, ohne Umdenken wäre nur ein Unterstützen des bisherigen maroden Systems,
das dann so weiter arbeiten würde. Wie kann es denn zu so einer moralischen Erneuerung
kommen? Sehen Sie dafür eine Mehrheit? Sehen sie dafür Möglichkeiten? Es
ist schon so, dass die Linie, dass es keines staatlichen Eingreifens bedarf, völlig
daniederliegt. Und es gibt immerhin einen Konsens, der besagt, dass wir umsteuern
müssen. Wir bedürfen eines staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft. Wir bedürfen
auch eines umfassenderen Verständnisses, was der Erfolg eines Unternehmensleiters,
eines Unternehmensführers, eines Managers ist. Das ist nämlich mehr als nur die Steigerung
des Quartalsgewinns anfällt.
Nun ist die aktuelle Krise eine globale Krise,
die zumindest eine globale Lösungsmöglichkeit bräuchte. Glauben Sie denn, dass es
die geben kann? Die Staats- und Regierungschefs haben es versucht. Glauben Sie, dass
man sich einigen kann? Ich denke daran, wie umstritten die Abkommen zur Klimaveränderung,
das Kyoto-Protokoll und andere waren. Kann man sich denn einigen, wenn es wirklich
an den Geldbeutel geht?
Mit der Gefahr wächst das Rettende auch. Das gilt,
denke ich, auch in der aktuellen Krise. Das heißt, wir haben im Moment eine positive
Zeit für Global Government, für internationale Koordination der Politik. Nun haben
wir noch das Problem, dass der neu gewählte Präsident der USA noch nicht handlungsfähig
ist und Rücksicht auf seinen Vorgänger nimmt. Aber insgesamt zeichnet sich durchaus
ab, dass man handlungsfähig ist. Und interessanterweise wird nicht nur versucht, im
Kreis der großen Acht der Weltwirtschaft miteinander die richtigen Richtlinien zu
finden, sondern man hat zumindest die wichtigsten Schwellenländer dazu genommen. Das
heißt, jetzt ist die Zeit zu handeln, wobei die Weltfinanzkonferenz in Washington
wirklich nur der Anfang sein kann, der den Startschuss gibt. Die letzte große Neuordnung
des Finanzsystems, Bretton Woods 1944, hat drei Jahre Vorbereitungen bedurft. Auch
jetzt werden wir durchaus einen langen Atem haben müssen. Allerdings sollten wir es
auch nicht auf die lange Bank schieben, denn im Moment ist die Zeit günstig, einen
internationalen Konsens zu finden.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat
an die Entwicklungsländer erinnert. Hilfen für sie dürften keineswegs zurückgeschraubt
werden. Im Gegenteil ginge es darum, diese Länder jetzt zu befähigen, am Markt Teil
zu nehmen und sie nicht noch weiter an den Rand zu drängen. Glauben Sie, dass dieser
Appell Ban Ki-moons Gehör finden wird auch über diesen Krisengipfel hinaus?
Das
ist in der Tat ein großes Problem, dass vor allem bei den großen Rettungspaketen unheimlich
viel Geld in die Hand genommen wird und man sich fragen muss, ob und in welchen Bereichen
in Zukunft gespart wird. Nun wollen wir hoffen, dass wir mit einem oder zwei blauen
Augen aus dieser Krise heraus kommen, so dass dann, wenn Wirtschaft und Finanzmärkte
sich erholt haben, der Einsatz der öffentlichen Haushalte, die dafür viel Geld bereit
gestellt haben, fortgesetzt werden kann. Das heißt, dass das Zusammenschmelzen der
öffentlichen Hilfsmittel, der Hilfsmittel zur Entwicklungshilfe oder im Sozialbereich,
nicht die langfristige Folge sein muss. Allerdings bedeutet das auch, dass die gesellschaftlichen
Kräfte, unter denen im Bereich der Hilfsmittel die Kirche ja eine sehr große Rolle
spielt, nicht nachlassen dürfen, den Druck aufrecht zu erhalten. Die aktuelle Krise
ist in jedem Fall auch eine Krise für die Entwicklungsländer, die durch den Nachfragerückgang
aus den Industrieländern einen extremen Rückgang in ihren Exporten haben. Da wird
sich auch manches Schuldenproblem wieder neu aufbauen. Und es gibt eine ganze Anzahl
an Schwellenländern, die bisher Finanzmittel angezogen haben, die in der aktuellen
Krise alle abgezogen worden sind. So haben wir massive Folgen im Sinne einer Wirtschafts-
und Finanzkrise und auch einer Währungskrise in diesen Ländern.
Nun ist
gerade der Bereich der Wirtschaftswissenschaft auch ein Bereich der Planspiele. Nehmen
wir mal an, die aktuelle globale Finanzkrise ist so ein Planspiel. Welche Möglichkeiten
gäbe es für die Entwicklungsländer, was wäre gewinnbringend?
Ich glaube,
dass es ganz wichtig ist, dass die Entwicklungsländer durch die Beteiligung der Schwellenländer
an den aktuellen Debatten ihre Position mit einbringen, dass sie darauf drängen, dass
die Industrieländer nicht zu schnell wieder zur Haushaltskonsolidierung übergehen.
Und dass sie darauf drängen, dass die Nachfrage aus den Industrieländern erhalten
bleibt. Der zweite Punkt, der meiner Meinung nach sehr wichtig ist, ist der, dass
man international noch mal darüber nachdenkt, wie man die Finanzströme in Schwellen-
und Transformationsländern begrenzt, damit das schnelle Ein- und Ausfließen des Finanzkapitals
solche Länder nicht ständig in Bedrängnis bringt.
Hat sie als Sozialethiker
manchmal in den letzten Wochen das Gefühl beschlichen, zu sagen: Ich hab es doch immer
gewusst? War diese Krise abzusehen?
In dieser Form war sie nicht abzusehen.
Was seit der Asienkrise abzusehen war, ist, dass diese Form der Finanzwirtschaft,
in der Kapitalmärkte, also Aktienmärkte und Rentenmärkte, teils auch Immobilienmärkte,
eine so große Rolle spielen, sehr krisenanfällig ist. Aber was wir uns vorgestellt
haben und was man bis in die letzten Monate hinein sehen konnte sind kleine Krisen.
Also einen kleinen Boom in bestimmten Bereichen, in Ländern wie den Schwellenländern
Asiens, der dann in einer Krise wie der Asienkrise abbricht. Oder einen Boom im Bereich
der Aktien der New Economy, der dann auch wieder abbricht. Und jetzt hatten wir eben
einen Boom im Bereich der so genannten Suprime-Kredite in den USA, der dann auch wieder
in einer Krise endete. Aber dass sich das zu einer globalen Krise ausweiten würde,
das hat keiner vorher gesehen.
Nun gibt es ja Bistümer und Institutionen,
auch der evangelischen Kirche, die unter anderem bei den Lehman-Brothers investiert
haben. Macht sich die Kirche nicht unglaubwürdig durch solche Investitionen? Schwächt
das ihre Position jetzt bei den ethischen Fragen?
Die Kirche ist gut beraten,
wenn sie bei den Finanzmärkten State of the Art anlegt, das heißt, wirklich die Ratschläge
der Finanzexperten berücksichtigt. Das bedeutet, sie sollte auch nicht einfach auf
eine Rendite verzichten, die man erreichen kann. Aber zugleich kann man natürlich
sagen, und da kommt der Ethiker schon mehr heraus, dass es eine Verpflichtung gibt,
mit den kirchlichen Geldern vorsichtig umzugehen. Vorsichtig umgehen heißt auch, dass
man eben nicht die allerhöchste Rendite erzielt. Denn höhere Renditen sind auch immer
mit höheren Risiken verbunden. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass es kirchliche
Einrichtungen gibt, die mehr oder minder mitspekuliert haben, führt natürlich dazu,
dass die Leute sagen, ihr habt das ja im Grunde auch nicht viel besser gemacht. Trotzdem
bleibt es so, dass kirchliche Richtlinien zum Umgang mit Geld, die darauf drängen,
dass man sich langfristig engagiert und sein Geld für Unternehmen bereitstellt, die
eher sozial und ökologisch verträglich wirtschaften, weiterhin für ein richtiges Ziel
stehen. Diese Richtlinien gibt es gerade auch bei den evangelischen Landeskirchen.
Die Glaubwürdigkeit allerdings hat etwas gelitten.