2008-11-01 11:06:05

Schönborn: „Regensburger Rede, bleibende Herausforderung“


Die „Regensburger Rede“ des Papstes vom September 2006 ist eine „bleibende Herausforderung“. Das meinte Kardinal Christoph Schönborn am Freitag auf einer Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften im Vatikan. Es habe sich inzwischen „herumgesprochen, dass die Regensburger Vorlesung nicht primär dem Thema Islam galt, sondern der Frage, wie Religion und Vernunft sich zueinander verhalten“, so der Wiener Erzbischof. Für Benedikt XVI. „steht die Debatte um Evolutionstheorie und Evolutionismus ganz in diesem Horizont“. Die entscheidende Frage sei, „ob am Anfang der Logos oder die Un-Vernunft steht“. Der Papst fordere eine „Selbstkritik der modernen Vernunft“; vor allem die Naturwissenschaften müßten ihren Vernunftbegriff überdenken, so Schönborn. Und wörtlich: „Einen Dialog der Kulturen kann es ernsthaft nur geben, wenn die Vernunft jene Weite hat, durch die sie über die Grenzen hinausreicht, in denen wir alle unweigerlich leben und denken. Ein wesentliches Anliegen der Regensburger Vorlesung war es, die Bedingungen der Möglichkeit eines echten interkulturellen und interreligiösen Dialogs auszuloten. Ich habe den Eindruck, dass manche islamische Gelehrte diese Herausforderung deutlicher verstanden haben als westliche Kommentatoren.“
(rv 01.11.2008 sk)
Lesen Sie hier die Rede von Kardinal Schönborn in voller Länge. Quelle ist der Vatikan.
 
 
Papst Benedikt XVI. über „Schöpfung und Evolution“

Vortrag vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften im Vatikan,
31. Oktober 2008
Von Kardinal Dr. Christoph Schönborn

Verehrter Herr Präsident!
Eminenzen! Exzellenzen! Meine Damen und Herren!

Ich danke für die ehrenvolle Aufgabe, Ihnen ein wenig das Denken von Papst Benedikt XVI., von Professor Joseph Ratzinger über das Thema „Evolution und Schöpfung“ vorzustellen. Der große Theologe auf dem Stuhl Petri hat sich von früh an oft zu diesem Thema geäußert. In meiner Einführung in die Akten des Kolloquiums seines Schülerkreises, das im Herbst 2006 in Castel Gandolfo stattfand, habe ich bereits einige der wichtigsten Wortmeldungen des heutigen Papstes in chronologischer Folge zusammengestellt (Schöpfung und Evolution. Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo, Augsburg 2007, 7-22). Heute geht es darum, diese Aussagen ein wenig systematisch zu ordnen und thematisch zu gliedern. Dadurch soll ihre Tragweite deutlicher sichtbar werden, die weit über die Einzelfrage der Evolutionstheorie hinausgeht.

    Die Regensburger Vorlesung und ihre bleibende Herausforderung


Einen Tag nach „September Eleven“ des Jahres 2006 hielt Papst Benedikt in seiner ehemaligen akademischen Wirkungsstätte, an der Universität Regensburg, eine Vorlesung, einen Vortrag, der weitreichende Folgen hatte. Zuerst die heftigen Aufregungen in großen Teilen der islamischen Welt, mit Ausschreitungen bis hin zu Morden an Christen. Dann aber eine bis heute anhaltende positive Welle der Dialogbereitschaft in bestimmten Kreisen des Islam, besonders artikuliert in dem Brief der 138 islamischen Gelehrten an den Papst und die Oberhäupter der christlichen Kirchen über die gemeinsame Verantwortung von Christen und Muslimen für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.
Inzwischen hat es sich aber herumgesprochen, dass die Regensburger Vorlesung nicht primär dem Thema Islam galt, sondern der Frage, wie Religion und Vernunft sich zueinander verhalten. Das berühmt gewordene Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. besagt, es sei „vernunftwidrig“, es sei nicht „syn logô“, einen Andersgläubigen mit Gewalt zum eigenen Glauben zu nötigen. Durch Gewalt zu bekehren, sei gegen die Vernunft und daher dem Wesen Gottes zuwider.
Mit dieser Aussage des Kaisers sei die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Religion angesprochen. Um diese Frage ging es dem Papst in seiner Regensburger Vorlesung. Und damit ist auch das Thema meiner Darlegung genannt. Für Papst Benedikt steht die Debatte um Evolutionstheorie und Evolutionismus ganz in diesem Horizont. Wie wir sehen werden ist für ihn die entscheidende Frage, ob am Anfang der Logos oder die Un-Vernunft steht. Mit Berufung auf den Prolog des Johannesevangeliums sagt der Papst:
„Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser gebraucht: Gott handelt syn logô, mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft“ (Glaube und Vernunft. Die Regensburger Rede, Freiburg 2006, 18).
Teilt sich eine schöpferische Vernunft mit, als Vernunft? Und ist sie als Vernunft von unserer Vernunft erkennbar? Und das nicht nur im engen Rahmen einer bestimmten Kultur, etwa der westlich-abendländischen, sondern so, dass über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg ein Dialog möglich ist. Einen Dialog der Kulturen kann es ernsthaft nur geben, wenn die Vernunft jene Weite hat, durch die sie über die Grenzen hinausreicht, in denen wir alle unweigerlich leben und denken. Ein wesentliches Anliegen der Regensburger Vorlesung war es, die Bedingungen der Möglichkeit eines echten interkulturellen und interreligiösen Dialogs auszuloten. Ich habe den Eindruck, dass manche islamische Gelehrte diese Herausforderung deutlicher verstanden haben als westliche Kommentatoren.
Doch was hat das mit unserem Thema „Evolution und Schöpfung“ zu tun? Die Auseinandersetzung mit dem Vernunftbegriff führt Papst Benedikt auch zum Vernunftbegriff, wie er in den Naturwissenschaften gebraucht bzw. vorausgesetzt wird. In der Regensburger Rede geht es dem Papst um eine Art „Selbstkritik der modernen Vernunft“, nicht um „wieder hinter die Aufklärung zurück(zu)gehen“, sondern „um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und –gebrauchs geht es“ (a.a.O., S. 29).
Diese Selbstkritik der modernen Vernunft enthält auch eine Kritik an einem positivistischen Vernunftverständnis, das weitgehend die westliche Welt beherrscht und auch oft als das spezifisch naturwissenschaftliche Vernunftverständnis gilt. Dem gegenüber versucht Papst Benedikt in den Voraussetzungen der naturwissenschaftlichen Rationalität gerade die Spuren des von ihm gesuchten weiteren Vernunftverständnisses zu orten.
Ich bin mir bewusst, dass diese Überlegungen nicht die des naturwissenschaftlichen Alltags sind, und dass es eine gewisse Abneigung gegen diese grundlegenden, gewissermaßen metaphysischen Fragen gibt, die hier zur Sprache kommen. Aber Papst Benedikt sagt, Sokrates zitierend, dass diese Fragen nicht zu stellen großen Schaden bringe. Wagen wir also, sie zu stellen. Es lohnt sich sicher!

2. Die Verengung des Vernunftbegriffes

Der Hauptteil der Regensburger Vorlesung ist dieser Frage gewidmet: Wie kam es zur Verengung des Vernunftbegriffs, die Papst Benedikt als Signatur der Neuzeit sieht?
Die erste Verengung sei durch den Nominalismus gekommen. Dieser rückt die Transzendenz Gottes in solch unnahbare Ferne, „dass auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter seinen tatsächlichen Entscheidungen für uns ewig unzugänglich und verborgen bleiben“ (a.a.O., S. 21). Gottes schöpferische Vernunft spricht nicht mehr aus seinen Werken. Diese sind willkürliche Setzungen, die nicht Gottes Weisheit und Vernunft widerspiegeln, sie sind unergründbar willkürliche Setzungen der göttlichen Allmacht.
In der Reformation werden dann konsequenterweise Glauben und Vernunft entkoppelt. Der Glaube stützt sich alleine auf die Schrift (sola scriptura), die Vernunft wird „säkularisiert“. Sie wird immer mehr auf das beschränkt, was als „streng wissenschaftlich“ gilt, was dem Kanon moderner Wissenschaftlichkeit entspricht. „Die eigentlich menschlichen Fragen, die nach unserem Woher und Wohin, die Fragen der Religion und des Ethos“ finden daher im Raum der „wissenschaftlichen“ Vernunft keinen Platz mehr „und müssen ins Subjektive verlegt werden“ (a.a.O., S. 27).
Papst Benedikt sieht in dieser Verengung eine echte Gefahr für beide Seiten; die Religion ist bedroht von irrationalen „Pathologien“ (a.a.O., S. 27); die Wissenschaft leidet Schaden, wenn „ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören“ (a.a.O., S. 28).
Die Antwort auf diese „Pathologien der Religion und der Vernunft“ (a.a.O., 27f) liegt nicht in der Rücknahme der Vernunft, sondern in der schon zitierten „Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und –gebrauchs“ (a.a.O., S. 29). Das erfordert die Überwindung der „selbstverfügte(n) Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare“ (a.a.O., S. 29f).
Den Weg zu dieser Öffnung der Vernunft auf „ihre ganze Weite“ hin sieht Papst Benedikt als eine Möglichkeit, die die moderne naturwissenschaftliche Vernunft in sich selber trägt (vgl. a.a.O., S. 30). Es geht um die Rückfrage nach den Voraussetzungen naturwissenschaftlichen Arbeitens. Dazu der Papst:
„Sie (i.e. die naturwissenschaftliche Vernunft) muss die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht. Aber die Frage, warum dies so ist, die besteht doch und muss von der Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie“ (a.a.O. S. 30f). Besonders die Theologie schöpft aus einer Erkenntnisquelle, „der sich zu verweigern eine unzulässige Verengung unseres Hörens und Antwortens wäre“ (a.a.O., S. 31).

3. Wege ins Weite der Vernunft
Zehn Tage vor der Regensburger Vorlesung traf sich in Castel Gandolfo der „Schülerkreis“ mit seinem Meister und Lehrer zum jährlichen Austausch. Papst Benedikt hatte sich selber das Thema „Schöpfung und Evolution“ gewünscht. Die Debatten, die mein „opinion editorial“ in der New York Times ausgelöst hatte, sah er als providentiell, um das Thema wieder verstärkt öffentlich zu machen (vgl. Schöpfung und Evolution, S. 149). Vier Referate wurden in seiner Anwesenheit gehalten: die Referenten waren Prof. Peter Schuster, Prof. P. Paul Erbrich, Prof. Robert Spaemann und ich selber. Die persönlichen Stellungnahmen von Papst Benedikt sind im Symposiumsband dokumentiert und geben uns einen lebhaften Einblick in sein Denken über unser Thema. Einige wichtige Punkte dieser Stellungnahme muss ich hier referieren.
Da ist zuerst die klare Abgrenzung gegen den sogenannten „Kreationismus“, „der sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt“ (a.a.O., S. 150). Es muss klar sein, dass für die katholische Sicht keine wissenschaftlichen Erkenntnisse ein Hindernis für den Glauben darstellen.
Papst Benedikt erinnert aber auch daran, dass die Evolutionstheorie ihre Lücken hat, die sie nicht überspielen darf, und dass sie sich nicht Fragen verschließen darf, die über ihre methodischen Möglichkeiten hinausgehen. Denn die Evolutionstheorie impliziert Fragen, „die der Philosophie zugeordnet werden müssen und von sich aus über den Innenbereich der Naturwissenschaften hinausführen“ (a.a.O., S. 150).
Ich erlaube mir, Ihnen hier ein längeres Zitat aus dem Diskussionsbeitrag von Papst Benedikt wiederzugeben. Wie wir es so oft mit ihm erlebt haben, sind seine frei gesprochenen Wortmeldungen immer wieder von faszinierender Klarheit, druckreif und sprachlich formvollendet. Ich zitiere:
„Die Naturwissenschaft hat große Dimensionen der Vernunft erschlossen, die bisher nicht geöffnet waren, und uns dadurch neue Erkenntnisse vermittelt. Aber in der Freude über die Größe ihrer Entdeckung tendiert sie dazu, uns Dimensionen der Vernunft wegzunehmen, die wir weiterhin brauchen. Ihre Ergebnisse führen zu Fragen, die über ihren methodischen Kanon hinausreichen, sich darin nicht beantworten lassen. Dennoch sind es Fragen, die die Vernunft stellen muss und die nicht einfach dem religiösen Gefühl überlassen werden dürfen. Man muss sie als vernünftige Fragen sehen und dafür auch vernünftige Weisen des Behandelns finden.  Es sind die großen Urfragen der Philosophie, die auf neue Weise vor uns stehen: die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen und der Welt. Dabei ist mir zweierlei neuerlich bewusst geworden, was auch die drei folgenden Referate verdeutlicht haben: Es gibt zum einen eine Rationalität der Materie selbst. Man kann sie lesen. Sie hat eine Mathematik in sich, sie ist selbst vernünftig, selbst wenn es auf dem langen Weg der Evolution Irrationales, Chaotisches und Zerstörerisches gibt. Aber als solche ist Materie lesbar. Zum anderen scheint mir, dass auch der Prozess als Ganzes eine Rationalität hat. Trotz seiner Irrungen und Wirrungen durch den schmalen Korridor hindurch, in der Auswahl der wenigen positiven Mutationen und in der Ausnutzung der geringen Wahrscheinlichkeit, ist der Prozess als solcher etwas Rationales. Diese doppelte Rationalität, die sich wiederum unserer menschlichen Vernunft korrespondierend erschließt, führt zwangsläufig zu einer Frage, die über die Wissenschaft hinausgeht, aber doch eine Vernunftfrage ist: Woher stammt diese Rationalität? Gibt es eine ursprunggebende Rationalität, die sich in diesen beiden Zonen und Dimensionen von Rationalität spiegelt. Die Naturwissenschaft kann und darf darauf nicht direkt antworten, aber wir müssen die Frage als eine vernünftige anerkennen und es wagen, der schöpferischen Vernunft zu glauben und uns ihr anzuvertrauen“ (Schöpfung und Evolution, S. 151f).
Ich denke, hier hat Papst Benedikt in wenigen Sätzen das Wesentliche zusammengefasst, was es zur Debatte, die uns beschäftigt, zu sagen gibt.
Wieso ist die Materie „lesbar“? Wieso hat der ganze Prozess der Evolution etwas Rationales? Woher stammt diese Rationalität? Diesen Fragen darf die Vernunft nicht ausweichen, will sie sich nicht selber aufgeben, wie ich, Papst Johannes Paul II. zitierend, in meinem New York Times-Artikel sagte. Es wäre aber ein Fehler, zu erwarten, dass die Naturwissenschaften mit ihrer Methode auf diese Fragen selber Antworten geben wollten. Das ist wohl der methodische Fehler der „Intelligent-Design-Schule“. Sie stellen die richtige Frage: Woher kommt das evidente design in der Natur? „Finding design in nature“ war der Titel meines umstrittenen „op-eds“. Nicht die naturwissenschaftlich arbeitende Forschung findet das design in der Natur. Wohl aber der über seine Forschung nachdenkende Mensch, der sich frägt, was es bedeutet, dass die Materie ihm „vernünftig“ auf seine Fragen antwortet, und der darüber nachsinnt, warum seine Vernunft diese Antworten vernehmen kann.

4. Die Evolutionstheorie als „erste Philosophie“
Im Jahre 1999 hielt Kardinal Ratzinger eine vielbeachtete Vorlesung an der Sorbonne in Paris. Sie gehört zweifellos zu den großen Reden seiner langen Laufbahn. Ihr Thema hat auf den ersten Blick gar nichts mit unserem Thema zu tun. Der Kardinal wagte es, sozusagen im „Tempel der Aufklärung“, der Sorbonne, die Frage nach der Wahrheit des Christentums zu stellen: „Das Christentum – die wahre Religion?“ (in: Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg 2003, S. 131 – 147).
Als ein Beispiel für die Skepsis gegenüber dem Wahrheitsanspruch des Christentums nennt Kardinal Ratzinger die Evolutionstheorie, die, so scheint es, die Schöpfungslehre als überholt erscheinen läßt (S. 132). Der allgemeine Relativismus scheint für die christliche Glaubenslehre von einer geschaffenen, von Gott gedachten und gewollten Welt nur mehr symbolische Bedeutung übrigzulassen. Das Christentum hat sich nicht damit abgefunden, ein symbolischer Ausdruck neben anderen für den – nie erreichbaren – Sinn der Welt zu sein, sozusagen ein Mythos unter anderen, ohne besonderen Wahrheitsanspruch. Das Christentum verstand sich als vernünftig, und Kraft seiner Vernünftigkeit allen Menschen zugänglich.
„Rückschauend können wir sagen, dass die Kraft des Christentums, die es zur Weltreligion werden ließ, in seiner Synthese von Vernunft, Glaube und Leben bestand“, so fasst der Kardinal den Rückblick auf die weltweite Ausbreitung des Christentums zusammen, um dann zur kritischen Frage zu kommen: „Warum überzeugt diese Synthese heute nicht mehr? Warum gelten heute im Gegenteil Aufklärung und Christentum als einander widersprechend, ja, ausschließend?“ (a.a.O., S. 141).
Ich denke, dass die nun folgenden Ausführungen des Kardinals gerade im Blick auf das bevorstehende Darwin-Jubiläum (2009) von großer Bedeutung sind, da sie den großen geistesgeschichtlichen Rahmen abstecken, in dem die heutigen Debatten stattfinden. Kardinal Ratzinger sieht den jüdisch-christlichen Schöpfungsglauben als ein großes Potential der Aufklärung, als Emanzipation vom Mythos. Gott ist nicht die Natur, sondern der Schöpfer der Natur. Da sie geschaffen ist, spricht sie vom Schöpfer, spricht der Schöpfer durch sie. Durch die Schöpfung spricht er den Menschen, sein Geschöpf an, gibt er ihm Wegweisung, zeigt ihm, was er tun soll. In der Neuzeit verblasst der metaphysische Horizont der Welt. Joseph Ratzinger sieht die Evolutionstheorie als einen Teil jener geistesgeschichtlichen Bewegung, die „die durch das christliche Denken vollzogene Trennung von Physik und Metaphysik“ immer mehr zurücknehmen will. „Alles soll wieder ‚Physik‘ werden“.
„Immer mehr hat sich die Evolutionstheorie als der Weg herauskristallisiert, um Metaphysik endlich verschwinden, die ‚Hypothese Gott‘ (Laplace) überflüssig werden zu lassen und eine streng ‚wissenschaftliche‘ Erklärung der Welt zu formulieren“ (a.a.O., S. 143f).
Kardinal Ratzinger hatte bereits 1985, anlässlich des römischen Symposiums über „Evolutionismus und Christentum“ (Weinheim 1986) darauf hingewiesen, dass „Evolution“ heute, „über ihren naturwissenschaftlichen Gehalt hinaus zu einem Denkmodell erhoben worden ist, das mit dem Anspruch auf Erklärung des Ganzen der Wirklichkeit auftritt und so zu einer Art von ‚ersten Philosophie‘ geworden ist“ (a.a.O., S. VII). Alles, auch Erkenntnis, Ethos, Religion, sollen aus dem Generalschema Evolution abgeleitet werden. Im Grunde gehe es um „die Rückführung aller Realität auf Materie“ (a.a.O., S. VIII).
Im Rahmen dieses Totalitätsanspruchs des Erklärungsmodells „Evolution“ „muss der christliche Gottesgedanke als unwissenschaftlich gelten“(Sorbonne-Rede, a.a.O., S. 144).
Im Symposium von 1985 stellte Kardinal Ratzinger unmissverständlich fest: „Auf keinen Fall sollte der Anschein eines neuen Streits zwischen Naturwissenschaft und Glaube entstehen, um den es in der Tat in diesem Gespräch in keiner Weise geht“ (a.a.O., S. VIII). Es macht dem Glauben keine Schwierigkeit, „die naturwissenschaftliche Hypothese Evolution sich gemäß ihren eigenen Methoden ruhig entfalten zu lassen“ (ebd.).
Nicht die exakte wissenschaftliche Arbeit an der Evolutionstheorie ist das Problem, sondern deren „Umfunktionierung“ in ein philosophisches Erklärungsmodell mit Totalanspruch. Und der Kardinal fügt hinzu: „Die eigentliche Gesprächsebene ist die des philosophischen Denkens: Wo Naturwissenschaft zur Philosophie wird, ist es die Philosophie, die sich mit ihr auseinandersetzen muss. Nur so stehen die Gesprächsfronten richtig; nur so bleibt deutlich, worum es sich handelt: um einen rationalen philosophischen Disput, der auf die Sachlichkeit rationaler Erkenntnis abzielt, nicht um einen Einspruch von Glaube gegen Vernunft“ (a.a.O., S. VIII).
Ähnlich ist die Schlussfolgerung der Rede an der Sorbonne: „Jedenfalls führt an dem Disput über die Reichweite der Evolutionslehre als erster Philosophie und über die Ausschließlichkeit positiver Methode als einziger Weise von Wissenschaft und Rationalität kein Weg vorbei. Dieser Disput muss daher von beiden Seiten sachlich und hörbereit in Angriff genommen werden, was bisher nur in geringem Maß geschehen ist“ (a.a.O., S. 144).
Papst Benedikt bringt hier zum Ausdruck, was wohl in der öffentlichen Debatte meist übersehen wird: Die Alternative lautet doch nicht: entweder Kreationismus oder Evolutionismus! Sie heißt auch nicht: Entweder Glaube oder Wissenschaft! Es geht vielmehr um die philosophische Frage, was denn Reichweite und Grenzen der streng quantitativen Methode der Naturwissenschaften sei: Zwischen Glauben und Naturwissenschaften bedarf es als vermittelnder Instanz der Philosophie. Die Philosophie ist gefragt, um Grenzen der naturwissenschaftlichen Methoden und ihrer Reichweite zu formulieren, um Grenzüberschreitungen aufzudecken, um Verengungen des Vernunftbegriffs zu öffnen. Eine gute Philosophie der Natur kann helfen, die heute auf beiden Seiten drohenden Fundamentalismen zu vermeiden, den religiösen und den wissenschaftlichen.

5. Im Anfang war das Wort
Aber auch Philosophien haben ihre Grenzen, gerade wenn es um die letzten Fragen geht. Papst Benedikt hat das oft angesprochen. In der Sorbonne-Rede sagt er: „Letzten Endes geht es um eine Alternative, die sich bloß naturwissenschaftlich und im Grunde auch philosophisch nicht mehr auflösen lässt. Es geht um die Frage, ob die Vernunft bzw. das Vernünftige am Anfang aller Dinge und auf ihrem Grunde steht oder nicht. Es geht um die Frage, ob das Wirkliche aufgrund von Zufall und Notwendigkeit (….), also aus dem Vernunftlosen entstanden ist, ob also die Vernunft ein zufälliges Nebenprodukt des Unvernünftigen und im Ozean des Unvernünftigen letztlich auch bedeutungslos ist, oder ob wahr bleibt, was die Grundüberzeugung des christlichen Glaubens und seiner Philosophie bildet: In principio erat Verbum – am Anfang aller Dinge steht die schöpferische Kraft der Vernunft. Der christliche Glaube ist heute wie damals die Option für die Priorität der Vernunft und des Vernünftigen. Diese Letztfrage kann nicht mehr, wie schon gesagt, durch naturwissenschaftliche Argumente entschieden werden, und auch das philosophische Denken stößt hier an seine Grenzen. In diesem Sinn gibt es eine letzte Beweisbarkeit der christlichen Grundoption nicht. Aber kann eigentlich die Vernunft auf die Priorität des Vernünftigen vor dem Unvernünftigen, auf die Uranfänglichkeit des Logos verzichten, ohne sich selber aufzugeben?“ (a.a.O., S. 146).
Damit ist wohl die entscheidende Frage gestellt. Joseph Ratzinger hat sie bei vielen Anlässen immer neu formuliert. Seine Äußerungen zu unserem Thema sind zahlreich, und wir konnten hier nur eine kleine Auswahl bieten. Zu Joseph Ratzinger gehört neben der großen begrifflichen Klarheit immer auch ein sehr lebensnaher, existentieller Zugang zu den Fragen, die er behandelt. Diese enge Verbindung von hoher Intellektualität, tiefer Frömmigkeit und großer Lebensnähe macht wohl auch den anhaltenden Erfolg seiner Vorlesungen, Vorträge und Predigten aus.
So kann es nicht fehlen, dass ich abschließen auf das hinweise, was Joseph Ratzingers‘, Papst Benedikts‘ Äußerungen zum Thema „Evolution und Schöpfung“ im tiefsten bestimmt: der Logos, der im Anfang war und der alles trägt und vernünftig macht, ist untrennbar von der Liebe: „Der Logos erschien nicht nur als mathematische Vernunft auf dem Grund aller Dinge, sondern als schöpferische Liebe bis zu dem Punkt hin, dass er Mit-Leiden mit seinem Geschöpf wird“. Dieser Logos ist Mensch geworden und hat in seiner Auferstehung von den Toten „die größte Mutation“ in der langen Geschichte der Evolution des Lebens vollzogen, wie Papst Benedikt in seiner ersten Osterpredigt sagte (15.4.2006); dieser Logos ist selber Liebe, und wenn dieser Logos am Anfang von allem steht und auch am Ende aller Dinge, dann ist die Liebe der tiefste Grund von allem. Oder, mit den Worten von Papst Benedikt: „Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen“ (a.a.O., S 147).







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