Aus unserem Abendprogramm: Illegale Einwanderung - gemeinsam gegen die Ursache
„Wir müssen vor Vorherrschafts-
und Überlegenheitsdenken fliehen.“ Das sagt der Präsident des Päpstlichen Rats für
die Migrantenpastoral diese Woche in Rom. Der Andere muss anerkannt werden – ohne
nur seinen Beitrag zur Wirtschaft des Landes zu messen, so Kardinal Renato Raffaele
Martino. In Italien trifft er den Nerv der Problematik. Mehr als 400 Bootsflüchtlinge
hat die italienische Marine allein diese Woche im Mittelmeer aufgegriffen. Der Großteil
der Menschen stammt aus Afrika. Die genaue Identität wird in einem Flüchtlingslager
auf der Insel Lampedusa ermittelt. Dort waren bereits am Samstag und Sonntag mehr
als 280 illegale Einwanderer, größtenteils Afrikaner, eingetroffen. „Der kirchliche
Begriff für Integration ist ,Kommunion’, ist Gemeinschaft“, meint der Leiter des
Einwandererbüros der italienischen Bischofskonferenz. Europa muss offen sein für
soziale Probleme und Menschen, die in Not sind. Meint der deutsche Vertreter bei der
Kommission der Bischofskonferenzen Europas, der Comece. Der Münchner Erzbischof Reinhard
Marx: „Wir haben immer als generelle Linie gehabt, Europa soll nicht eine feste
Burg sein, die sich einmauert, sondern ein Beitrag für eine bessere Welt, wie es Jean
Monet einmal formuliert hat, und daran müssen die Kirchen erinnern.“ Laut offiziellen
Angaben sind in den ersten sieben Monaten dieses Jahres mehr als 23.000 illegale Einwanderer
in Italien angekommen. Weitere Anlaufstationen der Flüchtlingsschiffe sind die Kanaren,
Spaniens Südgrenze, Malta, immer öfter, aber noch weitgehend ohne internationales
Aufsehen, auch Griechenland. Die Staaten an der EU-Außengrenze dürfen nicht allein
gelassen werden, sagt Marx. Der Spezialist in Sachen Christliche Gesellschaftslehre
fordert Ursachenforschung. Ein gesamteuropäisches Problem „ist es schon deswegen,
weil wir mithelfen müssen, dass die Gründe für diese Flucht möglichst abgearbeitet
werden. Grund für die Flucht ist die Armut in diesen Ländern, und da müssen wir helfen.
Generell, auch in der Bundesrepublik hat man gesagt, wir müssen helfen, wir müssen
investieren, dass die Gründe für die Flucht entfallen oder weniger werden. Das ist
ein wichtiger Punkt, und ich glaube, das kann man nur gesamteuropäisch. Da kann man
nicht sagen, da sollen die Italiener und die Spanier mal sehen…“ Der Schutz
der Grenze ist nationale Aufgabe, doch durch das Schengenabkommen seien die Länder
auch hier verbunden. Oberstes Prinzip für Marx: Die Menschenwürde ist unveräußerlich. „Wenn
jemand nach Europa flieht, dann hat er einen Anspruch auf menschenwürdige Behandlung.
Das gilt überall. Unabhängig aus welchen Gründen er gekommen ist, unabhängig, ob er
legal oder illegal gekommen ist. Die Menschenwürde verliert man nicht durch die Flucht.
Die Menschenwürde bleibt. Ob er dann bleiben und wie er bleiben kann, das ist eine
Frage der Gesetzgebung. Natürlich hat ein Staat und natürlich hat auch Europa das
Recht, den Zugang zu regeln und bestimmte Gesetze durchzusetzen, aber nicht unter
Verletzung der Menschenwürde. Das müssen wir gemeinsam tun, da sind Italien und Spanien
in einer besonderen Drucksituation, stärker noch als wir, und da müssen wir zusammenstehen.
Der wichtigste Gedanke ist, welche Initiativen ergreift Europa, um die Gründe für
die Flucht zu beseitigen.“ (rv 30.10.2008 bp)