2008-10-24 12:41:07

D: „Irak-Flüchtlinge aufnehmen!“


RealAudioMP3 Die EU und Deutschland sollten nicht länger auf Zeit spielen, sondern Flüchtlinge aus dem Irak aufnehmen. Das fordert der Menschenrechtsbeauftragte des Hilfswerks „missio“, Otmar Oehring. Die Jagd auf Christen in Mossul zeige, dass Christen derzeit „eigentlich in keinem Ort im Irak wirklich sicher“ seien. Wenn die Bagdader Regierung angebe, dass sie jetzt an den Kirchen von Mossul für Sicherheit sorge, dann sei „vielleicht der Pfarrer beschützt“. Oehring wörtlich: „Aber die Frage ist, wie die Christen dort beschützt werden sollen – respektive: ob sie überhaupt beschützt werden können –, wo sie leben?“ Unter den nicht-muslimischen Flüchtlingen aus dem Irak seien schon ca. 70.000 vom UNHCR als „besonders verletzlich“ anerkannt, so der Experte; zumindest 30.000 von ihnen solle Deutschland aufnehmen.

Hier lesen Sie das Interview mit Otmar Oehring vom 24. Oktober 2008 in vollem Wortlaut.

„Das Problem ist, dass die Christen eigentlich in keinem Ort im Irak wirklich sicher sind. Am Anfang ging es los mit einer Jagd auf die Christen in Basra und Bagdad; in Basra leben inzwischen kaum noch Christen, während sich die Lage in Bagdad mittlerweile einigermaßen beruhigt hat, wie man durchaus anerkennen muss. Aber nun hat sich das schon seit ungefähr einem Jahr in den Norden des Irak verlagert – in den sunnitisch dominierten Teil des Iraks, und da insbesondere in die Stadt Mossul. Am vorletzten Wochenende hat es da eine richtige Treibjagd gegeben auf Christen, und im Zusammenhang mit diesem Ereignis sind ungefähr 3500 Familien aus der Stadt geflohen, wie Regierungsstellen sagen. Die Kirche hat immer von kleineren Zahlen gesprochen, aber die Regierungsstellen nennen diese hohen Zahlen.

Der chaldäische Patriarch (Emmanuel III. Delly) hat gestern (am Rand der Weltbischofssynode im Vatikan) erzählt, es seien inzwischen wieder Leute nach Mossul zurückgekehrt. Aber das hört sich fast unglaublich an. Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, wie Leute tatsächlich vor dem Hintergrund dessen, was im Irak passiert ist, und vor allem vor dem Hintergrund dessen, was man im Zusammenhang mit dem angeblichen Schutz durch die Sicherheitskräfte bislang gehört und erlebt hat, Vertrauen haben und wirklich in ihre angestammten Wohnorte zurückkehren sollten.“

Die Regierung sagt, mittlerweile sei in Mossul die Lage einigermaßen unter Kontrolle; die Sicherheit in der Stadt sei erhöht worden, und Polizisten schützten die Kirchen. Glaubwürdig?

„Das kann schon sein... Natürlich ist die Regierung auch gegenüber dem Ausland unter Druck; sie haben ungefähr tausend Polizisten nach Mossul verlegt, die die Christen schützen sollen. Das Problem ist nur: Wenn die Regierung selber sagt, sie beschütze die Kirchen, dann muss man sich natürlich fragen, was passiert denn mit den einzelnen Christen? Normalerweise wohnen die Christen ja nicht in den Kirchen! Da ist dann vielleicht der Pfarrer beschützt, und die Christen sind beschützt, wenn es einen Gottesdienst oder ähnliche Veranstaltungen gibt... Aber die Frage ist, wie die Christen dort beschützt werden sollen – respektive: ob sie überhaupt beschützt werden können –, wo sie leben?“

Das Vorgehen gegen Christen in Mossul trägt systematische Züge, die an frühere Jagden auf Christen z.B. in einem Bagdader Stadtteil erinnern. Wer steckt denn dahinter? Da gibt es ganz widersprüchliche Angaben: etwa Kurden, die die Machtbalance in der Stadt neu justieren wollen? Oder sunnitische, extremistische Gruppen? Oder al-Quaida?

„Das ist schwer zu sagen; die Informationen, die man momentan zu diesen Ereignissen bekommt, sind sehr widersprüchlich und natürlich auch interessengeleitet. Ich denke, dass alle diese drei Möglichkeiten denkbar und erwägenswert sind. Die Kirche selber hat sich dahin gehend geäußert, dass es durchaus auch im Interesse der Kurden sein könnte, hier zu einer Destabilisierung beizutragen – es ist ja bekannt, dass es Interesse der kurdischen Regionalregierung und der Kurden insgesamt gibt, ihren Einflussbereich über die Autonomie-Region Kurdistan auszuweiten, hin zu dem Gebiet, in dem sich die großen Erdölfelder befinden. Das heißt also: der Großraum Kirkuk und Mossul. Vor diesem Hintergrund wäre es natürlich durchaus denkbar, dass auch die Kurden da mitspielen oder Radelsführer in dieser ganzen Angelegenheit sind.“

Hunderttausende von christlichen Irakern sind in den letzten Jahren aus dem Irak geflüchtet; sie sitzen zum Teil in den Nachbarländern Syrien oder Jordanien fest. Die EU spielt offenbar auf Zeit, was eine mögliche Aufnahme zumindest eines Teils dieser Flüchtlinge betrifft. Wohin also mit diesen Flüchtlingen?

„Das ist das große Rätsel. Hier wird an allen Ecken und Enden gelogen und gebogen; es wird mit Zahlen gespielt; es wird behauptet, dass es insgesamt nur um 10.000 christliche und sonstige nicht-muslimische Flüchtlinge gehe, die man aufnehmen sollte. Das ist zumindest eine Aussage von Innenminister Schäuble. Aber natürlich ist das vollkommen jenseits der Realität und stimmt auch überhaupt nicht mit dem überein, was man vom UNHCR hört!

 
Es ist richtig, dass es bislang bei den zur Vermittlung vorgeschlagenen Flüchtlingen eine Gruppe von rund zehn- bis zwölftausend Personen gibt, für die man noch kein Aufnahmeland gefunden hat – daher rührt diese Zahl. Und der UNHCR geht auch davon aus, dass man von einer solchen Zahl für jeweils fünf aufeinander folgende Jahre ausgehen muß – also von 50.000 Leuten! Wobei das natürlich Personen sind, die natürlich nur jenen Ländern vorgeschlagen werden, die schon bisher Flüchtlinge aufgenommen haben! Also – wenn Herr Minister Schäuble sagt, Deutschland bzw. die EU müsse insgesamt nur zehntausend Menschen aufnehmen, dann ist das natürlich vollkommen jenseits jeder Realität und stimmt mit den Fakten überhaupt nicht überein.

 
Richtig ist, dass es eine sehr große Zahl von christlichen und nicht-muslimischen Flüchtlingen gibt, die beim UNHCR registriert sind als Personen, die zur Gruppe der „most vulnerable persons“, also der besonders Verletzlichen, gehören und die also mit allerhöchster Priorität tatsächlich auch in ein sicheres Aufnahmeland überführt werden müssen. Die Zahl dieser Menschen lag bereits im Sommer bei circa 60.- bis 70.000! Wir haben schon vor mehr als einem Jahr gefordert, dass die Bundesrepublik Deutschland 30.000 dieser Flüchtlinge aufnehmen sollte; die Comece, also der Verbund der europäischen Bischofskonferenzen, hat gefordert, dass auf EU-Ebene 60.000 Personen aufgenommen werden sollten. Das sind Zahlen, die eher dem entsprechen, was man diskutieren muss!“

(rv 24.10.2008 sk)








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