Die deutsche Einheit
wird volljährig. Der Festakt 18 Jahre nach der offiziellen Wiedervereinung am 3. Oktober
1990 begann am Vormittag mit einem ökumenischen Gottesdienst im Hamburger „Michel“.
Ein Bürgerfest in Hamburg, das derzeit den Vorsitz im Bundesrat hat, schließt sich
an. Bis zum Sonntag präsentieren sich dabei in der historischen Speicherstadt und
in der Hafencity alle 16 Bundesländer.
Birgit Pottler hat zum Tag der Deutschen
Einheit mit einem der Einheits-Bischöfe gesprochen, dem Erfurter Joachim Wanke, seit
1981 Bischof in Thüringen. Sein Wunsch zum „Geburtstag“:
„Mein Wunsch ist,
dass die Freude über das Geschenk der Einheit uns erhalten bleibt und die gesamtdeutsche
Solidarität. Dass wir nicht nachlassen, Deutschland als gemeinsame Heimat anzusehen,
und da sollte uns gemeinsam interessieren, wie es im Osten weitergeht, wie umgekehrt
wir auch im Osten teilhaben an den Gesamtsorgen unseres Landes.“
Wie sehen
Sie dieses Land, ist es erwachsen? Oder steckt es noch in den Kinderschuhen oder den
Problemen der Pubertät?
„Ich erinnere mich mit Freuden an den dritten Oktober
vor 18 Jahren. Das war ein sonniger Tag, wir haben die Glocken läuten lassen und ein
festliches Dankamt im Erfurter Dom gehalten. Die Freude über das Geschenk der Einheit
ist bleibend und anhaltend, das kann man auch für die Breite der Bevölkerung sagen.
Keiner will die alten Verhältnisse zurück. Ob unser Land „erwachsen“ geworden ist,
ist eine schwierige Aussage, aber das Bewusstsein, dass wir gemeinsame Verantwortung
tragen für die Zukunft unseres gemeinsamen Vaterlandes ist gewachsen. Wir sind in
den neuen Bundesländern in einer schwierigen Situation, was die Anschlussbewegung
angeht, wir müssen wirtschaftlich aufholen. Es bedarf sicher auch noch einer größeren
Geduld. Für die heranwachsende Generation ist vieles selbstverständlicher, aber wenn
man lange in einem Gefängnis gewesen ist, gibt es auch Anpassungsschwierigkeiten.
Für manche Menschen ist auch die Einstellung auf eine offene, liberale Gesellschaft
mit ihren eigenen Problemen ein Lernprozess. Das ist mühselig und will politisch gestaltet
werden.“
Vor 18 Jahren freute man sich auf „blühende Landschaften“. Heute
unken viele, die östlichen Bundesländer würden bald zum Naturschutzgebiet, weil immer
mehr Menschen abwandern…
„Aber solche Strukturprobleme haben wir auch in
der Alt-Bundesrepublik. Wir müssen einfach sehen, dass wir durch die moderne Industrie
eine große Umstellung haben. Die Bevölkerung muss in dem Raum gehalten werden, wo
sie dann auch leben kann und wo vor allem junge Menschen eine Zukunft haben. Ich denke,
die Heimatverbundenheit vieler Menschen wird dazu beitragen, dass die Menschen auch
bereit sein, in den Osten zu kommen, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einigermaßen
stimmen. Ein Phänomen möchte ich noch nennen: Es gibt ältere Menschen, die gerne ihren
Lebensabend in ostdeutschen Städten verbringe. Diese haben ein gutes Image und dort
ist auch kulturell etwas los. Sie werden auch auf diese Weise attraktiv und ziehen
die Menschen an.
Negativschlagzeilen macht die rechtsradikale Szene in
vielen Kreisen. Wie reagiert die Kirche auf Ausländerfeindlichkeit und Naziparolen?
Wo liegt für Sie der Grund des Problems?
„Wir müssen das nicht nur aufmerksam
beobachten, sondern aktiv, so gut es geht, etwas dagegen tun. Hier haben Sie das Problem
eines politischen Nachholbedarfs. Es gibt ein Vakuum. Wer lange geführt worden ist,
muss auch lernen, dass er politisch wach und aktiv sein muss. Daher ist für mich das
bedrohlichere Phänomen, dass junge Menschen sich unpolitisch verhalten. Ich sage immer
gerne: Wenn ihr euch nicht einbringt in das Ganze der Gesellschaft, dann wird mit
euch gemacht, was andere wollen, nicht das, was ihr wollt. Von daher ist jeder Extremismus,
ob rechts oder links, ein Problem, und wir müssen helfen, dass in der Mitte der Gesellschaft
die Kräfte gestärkt werden und dass der Nährboden für diese Extremismen – weithin
ist das Frustriertheit, aber auch ein guter Schuss Dummheit – ausgetrocknet wird.“
Zu
DDR-Zeiten galt die Kirche oft als Fluchtburg und bot ein klares Profil. Wie hat sich
die Rolle der Kirche in der demokratischeren, vielfältigeren Gesellschaft verändert?
„Die
Kirche war nicht nur ein Kontrapunkt, das halten Sie auf Dauer nicht durch. Das Gottesverhältnis
speist sich aus anderen Quellen. Auch in der offenen freien Gesellschaft braucht
es geistliche Quellen, um Christ zu sein. In der Tat ist es so, dass Christen mit
zu denen gehörten, die auch immer den Raum der individuellen Freiheit versuchten aufrechtzuerhalten,
sich aber auch einsetzten für möglichst große Freiräume im gesellschaftlichen Bereich.
Insgesamt bleibt der Grundauftrag von Kirche, aber die Windrichtung hat sich geändert.
Eine Hoffnungsgemeinschaft klagt nicht, wenn der Wind sich ändert, sondern sie setzt
die Segel neu.“
Würde ein Papstbesuch zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls
im nächsten Herbst denn der Kirche neuen Wind in die Segel blasen?
„Für
uns gehört die Verbundenheit mit dem Papst zu den Grundelementen unseres Christseins.
Das war damals in der DDR-Zeit eine große Stütze und Hilfe: Das Bewusstsein, wir gehören
zu einer großen Weltkirche und sind nicht nur eine Landeskirche, die dann auch manchmal
viel stärker Repressionen ausgeliefert ist. Zum anderen ist der Heilige Vater immer
willkommen. Wenn er uns besuchen würde, würden wir uns sehr freuen. Eine Einladung
von politischer Seite steht; man wird abwarten müssen, wie der Heilige Vater seine
vielen Aufgaben vereinbaren kann mit einem möglichen weiteren Deutschlandbesuch.