Vatikan: Annäherungsversuche unter Wissenschaftlern
Vergangene Woche fand
an der Päpstlichen Universität Gregoriana ein vielbeachtetes Symposion statt zum Thema
„Die Tragweite der Wissenschaft heute – Glaube und Vernunft auf dem Prüfstand” (26.9.
und 27.9.2008). Ausgerichtet wurde es von der Carl Friedrich von Weizsäcker-Gesellschaft
und der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Unter den Gästen waren Philosophen
und Theologen, aber auch Geistes- und Naturwissenschaftler verschiedenster Disziplinen.
Das Symposium hatte das ehrgeizige Ziel, Wissenschaftler zusammenzubringen,
die sonst nicht miteinander kommunizieren, und gemeinsam zu erkunden, wo die Grenzen
liegen und wo es Anknüpfungspunkte gibt. Den Auftakt bildete ein Impulsreferat des
Rektors der Lateran-Universität, Kurienerzbischof Rino Fisichella.
Ausgehend
von der Enzyklika „Fides et Ratio“ unterstrich Fisichella den Zusammenhang von Glaube
und Vernunft, von Glauben und Wissenschaft. Gerade die vielfältigen Möglichkeiten
der Forschung forderten zu einer Reflexion auf, mit welchem Ziel Wissenschaft gebraucht
werde. Fisichella betonte, dass immer der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse. Allerdings
– und hier bezog sich der Erzbischof auch auf die jüngst im Collège des Bernardins
in Paris gehaltene Rede Papst Benedikts XVI. – die Frage nach dem Menschen impliziere
immer auch die Frage nach Gott, das „quaerere Deum“. Es sei nicht wahr, dass der Glaube
wissenschaftsfeindlich gewesen sei. Im Gegenteil: Gerade Katholiken hätten die Voraussetzungen
für ein im guten Sinne „laizistisches“ Denken geschaffen. Die Gewissheit des Glaubens
führe nicht zur Erstarrung, sondern erlaube eine Dynamik, die Kraft zur Entdeckung
neuer Wahrheiten gebe. Diese Erkenntnisse mündeten allerdings letztlich in die Unergründlichkeit
des der Wahrheit eigenen Mysteriums. Einem Problem wich allerdings auch Fisichella
aus: Der Problematik des sog. „nachmetaphysischen Denkens“. Dass die philosophischen
Grundlagen einer Verständigung über Wirklichkeit bleibend erschüttert sind, schien
auch Fisichella fraglos zu sein. Der Erzbischof forderte an dieser Stelle eine „interkulturelle
Auseinandersetzung“, um dem Relativismus und der „Schwäche“ des derzeitigen Denkens
zu entkommen. Der Mensch brauche Antworten, die nicht nur aus mathematischen Formeln
bestehen, sondern eine Sinnfülle vermittelten. Die Vernunft werde daher nach Einschätzung
Fisichellas von sich an den Glauben appellieren, damit dieser ein Wort der Hoffnung
schenken könne. Für manchen im Auditorium starker Tobak, denn längst
nicht alle Gäste des Symposiums teilten die Sichtweise eines harmonischen Zusammenhangs
von Glaube und Vernunft, wie er hier gezeichnet wurde. Im Gegenteil – es entspann
sich eine zuweilen recht kontroverse Debatte. Ausgehend von den Bereichen Ökonomie,
Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie konnte man beobachten, wie man sich aneinander
herantastete. Michael Drieschner ist Physiker und Philosoph und Mitglied der Carl
Friedrich von Weizsäcker-Gesellschaft. Für ihn war diese Verhältnisbestimmung von
Glaube und wissenschaftlicher Rationalität der Angelpunkt der Tagung.
„Es
hat sowohl die Naturwissenschaft, wie der Glaube und die Theologie ihren eigenen Bereich,
der den anderen sozusagen nichts „angeht“. Und dann kommt aber erst die andere Frage:
wie geht es zusammen und wie hängt es zusammen. Wo können die Brücken überhaupt sein?
Das ist hier doch immer wieder herausgekommen: Über die Praxis beispielsweise oder
auch die Frage nach einem Gesamtweltbild: Das ja nie „nur“ wissenschaftlich oder „nur“
vom Glauben bestimmt sein kann. Es muss ja beides irgendwie vorkommen – in jedem einzelnen
mindestens.“
Es sei – an den zum Teil sehr scharfen Äußerungen – deutlich
geworden, so Drieschner, dass es Verständigungsschwierigkeiten gebe.
„Dieses
schöne Beispiel Zufall: Was heißt „zufällig“? Der Naturwissenschaftler versteht darunter
etwas völlig anderes als ein Theologe: das merkt aber niemand! Ich denke, Konflikte
beruhen vor allem auf solchen Situationen, dass man aus der eigenen Welt Dinge für
selbstverständlich hält, die anders sind als die Selbstverständlichkeiten der anderen
Welt.“
Kardinal Walter Kasper forderte in seinem Statement am Freitagnachmittag
den Ausbau des Dialogs von Naturwissenschaft und Theologie. Zugleich wandte er sich
gegen die Thesen der sogenannten Kreationisten zu Schöpfung und Evolution. Die Theologie
könne zwar sagen, dass Gott die Welt erschaffen habe, aber sie könne nicht wissen,
wie sich dies im Einzelnen zugetragen habe. Dies gehöre zu den Grenzen der Theologie,
die sie im Dialog mit der Naturwissenschaft erkennen könne. Mit anderen Worten brachte
es der Physiker Henry Blome auf den Punkt - unter Berufung auf den Jesuiten und Naturwissenschaftler
Georges Lemaitre, als dieser die sixtinische Kapelle besucht und die Michelangelo-Fresken
bewundert: „Ich glaube an Gott, aber nicht an den Finger“.
Inwieweit eine Annäherung
der Sichtweisen auf der Tagung möglich wurde, ist schwer zu beantworten. Kirchenvertreter
warben jedenfalls immer wieder für eine ganzheitliche Sicht, so u.a. der Kanzler der
Päpstlichen Akademie der Wissenschaft, Bischof Marcelo Sánchez Sorondo.
„Es
ist eine ganzheitliche Sichtweise möglich, die verschiedene Wissensarten integriert.
Und es gibt heute mehr denn je eine Such nach einer solchen Sichtweise. Man kann nicht
seine persönliche Synthese ziehen ohne jeden Bezugspunkt. Ich sehe keinerlei Widerspruch,
im Gegenteil: Ich glaube, wir haben heute die Möglichkeit, neue Brücken zu bauen –
und zwar ausgehend von einer christlichen Anthropologie, die den Menschen als Teil
der Natur ansieht, der zugleich aber auch über sie hinausgeht.“
Drieschner
sieht das Verdienst der Tagung darin, so unterschiedliche Leute überhaupt zusammengebracht
zu haben, die dann doch friedlich miteinander sprechen konnten. Aber es bleibe auch
eine Aufgabe über den Kreis der Wissenschaftler hinaus, so der Philosophieprofessor. „Es
gibt eben doch – vielleicht mehr noch in der Öffentlichkeit als im akademischen Bereich
– Defizite der Verständigung, die man angehen muss, scheint mir. Nehmen Sie dieses
berühmt gewordene Buch von Dawkins, das von einer unglaublichen Beschränktheit dieses
Naturwissenschaftlers zeugt. Er bringt Fragen des 19. Jahrhunderts wieder auf und
präsentiert seine Meinung leidenschaftlich, aber leider sehr beschränkt. Da muss man
offensichtlich sowohl intern zur Klärung als auch auf die Öffentlichkeit hin versuchen,
nicht gleich Brücken zu bauen, aber zumindest den Grund zu klären, auf den man Pfeiler
überhaupt aufstellen kann!“