Sie zählen zu den
bedeutendsten Kunstwerken der Welt – die Stanzen des Raffael im apostolischen Palast
im Vatikan, gleich neben der Sixtina. Die ersten Pinselstriche an der Decke der Stanzen,
zu Deutsch einfach „Räume“, setzte Raffael im September 1508. Sie feiern also in diesem
Monat ihren 500. Geburtstag – worüber wir uns mit Professor Arnold Nesselrath unterhielten,
Raffael-Forscher und Abteilungsleiter an den Vatikanischen Museen.
25 Jahre
alt war Raffael und frisch aus Florenz eingetroffen – und schon hatte er im Vatikan
einen höchst prestigereichen Auftrag in der Tasche. Julius II., der mächtige Renaissance-Papst,
wünschte seine Repräsentationsräume ausgemalt zu bekommen. Seit fünf Jahren im Amt,
wollte er nicht länger die Säle seines Vorgängers nutzen, sondern lieber eigene ausstaffieren.
Arndol Nesselrath:
„In diesem Raum der heutigen Stanza della Segnatura
in der die Privatbibliothek Papst Julius II. untergebracht war, waren ursprünglich
Raffael und Sodoma damit beauftragt worden, mit der Decke anzufangen. Nach irgendeiner
Form von Unterbrechung hat Raffael dann die Schule von Athen gemalt - vor der Disputa,
welche das Hauptfresko sein sollte. Diese Schule von Athen hat Papst Julius II. so
gut gefallen, dass er alle andere Maler auch in den Nachbarräumen entlassen hat und
Raffael den Auftrag gegeben hat, diese Räume vollständig auszumalen.“
Julius
rief Künstler im Dutzend an den Vatikan, die seine Vorstellungen von Kirche, Amt und
Welt bildlich wiedergeben sollten. Seit ein paar Monaten malte wenige Schritte weiter
Michelangelo hinter verschlossenen Türen in der Sixtina und ließ niemanden hinein.
Die Kunstsammlung der Päpste, die heutigen Vatikanischen Museen, nahm Gestalt an.
Bramante leitete seit zwei Jahren den Neubau des Petersdoms. Der Vatikan wuselte nur
so vor Künstlern und Handwerkern. Arnold Nesselrath hält die Stanza della Segnatura
für einen Höhepunkt der Renaissancekunst:
„Der Raum war eine Bibliothek,
an den Wänden waren die Bücher von vier verschiedenen Bibliotheken aufgestellt, und
jede Wand illustriert eine dieser Fakultäten - Theologie, Philosophie, Jurisprudenz
und – anstelle der Medizin – die Poesie. Das Hauptfresko ist die sog Disputa, also
die Darstellung der Theologie, ein Bild das in zwei Zonen geteilt ist, Himmel und
Erde. Die Disputa ist komponiert nach dem Schema einer Kirchenapsis. Da steht unten
der Altar und AUF dem Altar ist ausgestellt die Hostie mit dem Altarsakrament.“
Die
Hostie bildet nicht nur den geometrischen, sondern auch den geistigen Mittelpunkt
des Freskos. Gemäß den Auffassungen des Papstes stellte Raffael hier einen echten
„Triumph der Kirche“ dar - mit im Halbkreis angeordneten und auf Wolken sitzenden
Patriarchen, Propheten, Aposteln und Märtyrern. Alles in allem, inklusive Engel, gut
60 Leute.
„Und der einzige der aus dem Fresko herausschaut auf den Betrachter,
ist eben Christus persönlich, der die Verbindung zum Betrachter des Freskos und zum
Papst, der in diesem Raum sich befindet, herstellt.“
Die Disputa widmet
sich der Verherrlichung der geoffenbarten Wahrheit. Die Wahrheit der Vernunft
hingegen ist Thema auf der gegenüberliegenden Wand mit der Darstellung der Schule
von Athen. Lichtdurchflutet tritt uns die Philosophie entgegen, in vollkommener Perspektive
und idealer Architektur – viele halten dieses Fresko für Raffaels bedeutendstes.
„In der Mitte kommen die beiden großen Philosophen, Platon und Aristoteles,
auf den Betrachter zu, auch hier haben wir eine große Versammlung um diese beiden
Philosophenfürsten herum, von denen einige zu identifizieren sind, Raffael hat das
durch Attribute, durch Schriften klargemacht: Rechts ist Euklid, der auf einer Tafel
zeichnet, der sitzt auf den Stufen der Diogenes mit seiner Holzschale, da steht im
Hintergrund links Sokrates, der einem die Philosophie erklärt, ganz rechts haben wir
im Vordergrund den Ptoleämus. Und dahinter schaut dann auch noch Raffael als Selbstbildnis
herein, er hat sich selbst unter die Philosophen begeben.“
Die Architektur,
in der sich all die Philosophen tummeln, weist eine auffallende Parallele zum Petersdom
auf, dessen Neubau ja eben im Gang ist, während Raffael die Stanzen ausmalt. Eine
Eingemeindung der alten Denker in einen heutigen kirchlichen Raum – und eine Demonstration
des Könnens dieses 25jährigen Künstlers.
„Raffael war seinerseits ja Architekt,
er hat zwar erst Jahre später mit eigenen Projekten begonnen, aber er war eng befreundet
mit Bramante, dem Architekten von Sankt Peters, sodass diese ganze Kultur, die man
braucht um so ein großartiges Fresko zu entwerfen, etwas war, dem er angehörte schon
von seiner Herkunft aus Urbino her, wo Bramante auch herkam, also in diesen Fresken
wird auch die ganze Kultur dieses Malers deutlich.“
Theologie und Philosophie
als die beiden Lungenflügel der Vernunft erhalten ihre Vervollständigung durch Dichtkunst
und Jurisprudenz. In anderen Worten: Thema dieses Raumes sind das Wahre, das Schöne
und das Gute.
Die Künstler der Renaissance konnten im Übrigen nicht damit
rechnen, dass ihre Werke der Nachwelt erhalten bleiben würden. Nicht nur im Vatikan
war es gang und gäbe, Fresken nach einigen Jahren, spätestens Jahrzehnten, übermalen
zu lassen; neuer Papst, neue Kunst, gewissermaßen. Deshalb haben viele Renaissance-Fresken
eine betont gegenwartsbezogene Komponente – sie zeigen beispielsweise Päpste, Kardinäle,
Künstler einträchtig neben antiken Philosophen oder Heiligen aus der frühesten Zeit
des Christentums. Auch dafür sind die Raffael-Stanzen ein gutes Beispiel. Etwa die
Darstellung des Dichterhügels Parnass.
„Über dem Fenster, das hochblickt
zum Mons Vaticanus, ist der Parnass gemalt. Hier sieht man auf dem Hügel sitzend den
Apoll, der über seine Musik den Homer inspiriert, Homer singt vom Untergang Trojas
aber gleichzeitig von der Gründung Roms. Dann Vergil, den man rechts hinter ihm sieht,
auf sein Werk fußt wiederum Dante, der sich von Vergil in der Göttlichen Komödie führen
lässt - den sieht man links von Homer, der dann eben diese ganze Gattung des Epos
letzten Endes bis zu den Päpsten hin trägt, sodass diese ganze Kontinuität dieser
Kultur zum Tragen kommt, die Julius mit dem Laokoon, dem Apoll vom Belvedere und den
antiken Statuen versucht hat auszudrücken. Hier werden also zeitgenössische und antike
Dichter miteinander vermischt, wir haben eine Reihe von zeitgenössischen Dichtern,
die zeigen, wie Julius zwischen der Antike und seiner eigenen Zeit nicht mehr unterscheidet,
sondern versucht, eine Verschränkung dieser Epochen zu erzielen und dieses goldene
Zeitalter des Augustus wieder erstehen zu lassen.“
Papst Julius II., dem
man wie vielen Päpsten der frühen Neuzeit großes Selbstbewusstsein attestieren darf,
ist unter all seinen Vorgängern und Nachfolgern auf Fresken und Bildern derjenige,
den man am leichtesten wieder erkennt. Julius trägt als einziger Bart. Einen langen
weißen charakteristischen Bart. Und das hat seinen Grund. Arnold Nesselrath – selbst
Bartträger - holt ein wenig aus:
„Julius II. hatte 1507 Italien geordnet
und vor allem den Kirchenstaat mit seiner zweiten Hauptstadt Bologna. 1511 gab es
dann eine Erhebung in Bologna, und der französische König, der große Teile Italiens
besetzt hielt, hat die Bolognesen unterstützt. Der Papst hat Bologna verloren und
dann einen Schwur getan, dass er sich nicht rasieren werde, bevor nicht die Franzosen
aus Italien vertrieben sind und Bologna zurückerobert ist. Er ist dann im Juni 1511
bärtig in Rom erschienen, und dieses Fresko hält den Papst mit dem Bart fest. Der
Bart gehört zu Julius ganz persönlichen Zeichen für die göttliche Unterstützung, die
er auf das Papsttum herunter ruft – er ist ein zeitliches Zeichen für das Ringen des
Papstes in den politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit.“ (rv 25.09.2008
gs)