2008-09-20 13:16:57

"Die vergessenen Millionen" - Wochenkommentar von Msgr. Joachim Schroedel


RealAudioMP3 Die vergangene Woche hat – wieder einmal mehr – Schreckensnachrichten über die Finanz- und Aktienwelt gebracht. Die Indizes der Märkte rutschen in Tiefen, die selbst den so genannten „Kleinanlegern“ graue Haare wachsen lassen.
Bankencrashes zeigen, wie sensibel es um die finanz- und schließlich auch Weltmärkte bestellt ist. Ich höre Zahlen, deren Größe ich mir gar nicht mehr vorzustellen vermag. Verluste und Geldvernichtung gehen einher mit der Vernichtung zehntausender von Arbeitsplätzen. All das macht vielen Menschen, nicht nur den Kapitalstarken, sondern eben auch dem so genannten Mittelstand, große Sorgen.
Doch dabei betreiben wir in den finanzstarken Ländern dieser Welt wieder einmal eine Nabelschau, die der gesamten Welt nicht gerecht wird.
Zu einer Pastoralreise bin ich seit über einer Woche in Äthiopien; ich besuche die deutschsprachige Gemeinde hier in Addis Abeba.
Wenngleich es auch in der Metropole Addis Abeba selbst zu dieser Jahreszeit noch regnet – sowohl der Süden als auch der Norden des Landes leiden unter Trockenheit, die für die kommenden Monate Ernteausfälle unvorstellbaren Ausmaßes voraussehen lässt. Und auch jetzt schon ist die Ernährung weiter Teile der Bevölkerung des gesamten „Horns von Afrika“ nicht mehr sicher gestellt. Nach einem jüngst vorgelegten Bericht von UNICEF sind über 14 Millionen Menschen, darunter 3 Millionen Kinder, so von der Hungerkatastrophe betroffen, dass man davon ausgehen muss: die meisten von Ihnen werden sterben. Dies ist aber nur die Spitze der schon laufenden Katastrophe. In Addis, so meint der Obere des Jesuitenkonvents, Pater Grum, haben 50 %, also 2 Millionen Menschen nicht genügend zu essen oder sind mangelhaft ernährt.
Heute befindet sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Bischof Huber, mit einer Delegation der EKD in Addis Abeba. Aus nächster Nähe wird er viele der „vergessenen Millionen“ sehen. Wenn auch kirchliche und staatliche Hilfe aus dem Ausland geleistet wird – der Blick der Menschen wird so häufig abgelenkt oder zurückgelenkt auf die eigene vermeintlich so dringende Problematik.

Die „weltweite Finanzkrise“ wird registriert – die immer größer werdende Menschheitskrise wird eher als „normal“ und „nicht zu ändern“ angesehen.
Aber würde allein Äthiopien seine Truppen aus Somalia abziehen, würden große und bedeutende Nationen ihr militärisches Engagement in für sie letztlich völlig fern liegenden Staaten beenden – dann könnte hungernden und frierenden, kranken und sterbenden Menschen ein menschenwürdiges Leben bereitet werden.

Die Bundesrepublik Deutschland wird für den Zeitraum 2009 – 2011 96 Millionen Euro an für Äthiopien zur Verfügung stellen; die Kirchen engagieren sich so sehr, dass etwa die evangelische Hilfsaktion „Brot für die Welt“ 40% des Spendenaufkommens für Notleidende in Afrika verwendet. Und wir dürfen dankbar sein, dass wir Deutsche bereit sind, zu spenden und zu geben.

Dennoch scheint mir im Bewusstsein unserer Bevölkerung echte Solidarität und Mitleid zu fehlen. Es ist fatal und zutiefst un-christlich, wenn man hören muss, dass Afrika ja doch selber Schuld sei. Unsere historische Verantwortung, die Verantwortung Europas allgemein an der Situation vieler Länder Afrikas ist weitgehend ausgeblendet.
Und von der aktuellen Situation einzelner Länder, etwa dem Krieg zwischen Äthiopien und Somalia oder den Hungerkatastrophen nimmt die Presse kaum mehr Notiz – es gibt ja so vieles, was aktueller und für den Moment erschreckender ... und daher – ironisch gesagt – „unterhaltsamer“ ist.

Es sind in der Tat schweigende Millionen, deren durchaus beredtes Schweigen wir wieder neu wahrnehmen müssen. Der Besuch der hochrangigen Delegation der Evangelischen Kirche Deutschlands aber das große Engagement katholischer Deutscher Hilfsorganisationen in Zusammenarbeit mit der katholischen Ortskirche, die mit 700.000 Gläubigen nur 1% der Bevölkerung ausmacht zeigt, dass diese Menschen eben nicht vergessen sind.

Es bleibt in mir das Unbehagen, dass wir in Europa geneigt sind, irgendwann aufzugeben. es bleibt allerdings auch die Gewissheit, dass wir Christen letztlich nachhaltig genug auch unser Bewusstsein von der Not Afrikas schärfen müssen.
JEDER CHRIST gefordert, seine Stimme gegen Menschenverachtung zu erheben.


In Pressebeiträgen der letzten Woche zum Thema „Globale Finanzkrise“ hörte man immer wieder, man müsse nun „Millionen abschreiben“.

Die Millionen Menschen Afrikas, hungernd und nach Gerechtigkeit rufend, bekommen von dieser „Globalen Krise“ nicht viel mit; aber sie sind selbst wie Millionen „Abgeschriebener“, von deren Elend wir vielleicht zu Weihnachten oder Ostern erfahren, uns aber dann schnell wieder unserer eigenen vermeintlich so wichtigen Problematik zuwenden. Dabei müssen wir uns immer wieder klar machen: Wir stehen in einer Schicksalsgemeinschaft, und jede Vernachlässigung eben dieser hungernden und sterbenden Menschen wird sich dereinst – und diese Zeit wird von jemand anderem bestimmt – bitter rächen.

Es geht also nicht nur darum, wieder einmal eine großzügige Spende zu machen – es geht um ein definitiv überlebens-wichtiges Umdenken auch in unserer Gesellschaft.

Noch stehen wir damit sehr am Anfang, mein Joachim Schroedel, derzeit auf Pastoralreise in Addis Abeba

(rv 20.09.2008 mc)








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