2008-09-19 15:25:06

Vatikan: „Vielleicht wäre es weise, abzuwarten“


RealAudioMP3 Fünfzig Jahre nach seinem Tod ist Pius XII. weiter umstritten. Ein Kongreß im Vatikan präsentierte diese Woche Material, das die These vom Schweigen des Pacelli-Papstes zum Holocaust widerlegen sollte. Organisiert wurde der Kongreß von der amerikanisch-jüdischen Stiftung „Pave the way“. Auch Papst Benedikt empfing die Teilnehmer und riet in seiner Audienz am Donnerstag zu weiteren Studien über Pius, „um jedes bestehende Vorurteil zu überwinden“. „Nicht alle der Facetten seiner verschiedenen pastoralen Aktivitäten“ seien bislang „im rechten Licht betrachtet worden“, so Benedikt über seinen Vorgänger. Zum angeblichen Schweigen Pius XII.` meinte er: „Seine Interventionen waren geheim und still, weil es in der gegebenen Situation des schwierigen historischen Momentes nur so möglich war, das Schlimmste zu verhindern und die größtmögliche Zahl von Juden zu retten.“

Belastet der Streit über Pius XII. weiterhin das Gespräch des Vatikans mit dem Judentum? Das fragte Stefan Kempis den Vatikan-Verantwortlichen für diesen Dialog, Pater Norbert Hofmann.
„Die Figur Pius XII. war und ist eigentlich eine polemische Angelegenheit im jüdisch-katholischen Gespräch. Dieser Kongreß jetzt hat aber ans Tageslicht gefördert, was Pius XII. eigentlich wirklich für die Juden getan hat. Die Anklage lautet immer, dass er geschwiegen habe und nicht deutlich gemacht habe, dass die Kirche gegen den Holocaust ist und aufgrund der Menschenrechte alle Menschen schützen möchte. Die „Pave-the-Way“-Stiftung ist nur eine Stimme unter vielen jüdischen, und nach wie vor, denke ich, ist und bleibt Pius XII. eine polemische Angelegenheit im christlich-jüdischen Gespräch.“

Bekommen Sie das im christlich-jüdischen Gespräch auch immer wieder von jüdischen Gesprächspartnern zu hören, dass Pius aus ihrer Sicht eine kontroverse Figur ist?

„Es gab ja eine Historikerkommission, die vom Vatikan eingesetzt war, die aber dann aufhören mußte und nicht mehr weiterarbeiten konnte, aus welchen Gründen auch immer. Und dann lag in der Luft, dass der Vatikan die Archive öffnen sollte – das ist eine Forderung, die auch heute noch immer wieder von jüdischen Organisationen an uns herangetragen wird. Bekanntlich sind ja die Archive bis 1939 offen; also, das Pontifikat von Pius XI. ist zugänglich. Das Material zu Pius XII. bis 1958 wird hingegen voraussichtlich erst in den nächsten sechs bis zehn Jahren geöffnet werden. Insofern bleibt im Raum immer noch dieser Aufruf stehen, die vatikanischen Archive zu öffnen. Mit Blick auf die Figur Pius XII.`: Vielleicht wäre es auch weise, erstmal abzuwarten, was dieses Material noch an den Tag fördern würde.“

Zeitungen in Italien wie an diesem Freitag „Panorama“ oder die „Repubblica“ spekulieren darüber, dass dennoch Benedikt XVI. bald den Weg freigeben könnte für eine Seligsprechung von Pius XII. Erstens – halten Sie das für möglich oder wahrscheinlich? Und zweitens – würde eine solche Seligsprechung das Verhältnis des Vatikans zum Judentum belasten?

„Also, es steht im Raum, ob diese Seligsprechung ansteht. Nach meiner Erfahrung in den letzten Jahren hat man diese Angelegenheit immer sehr vorsichtig behandelt, und ob jetzt dieser Schritt getan wird, das hängt allein vom Papst ab. Ob dieser Schritt – eine mögliche Seligsprechung Pius XII.`- negative, absolut negative Konsequenzen für den Dialog mit dem Judentum haben würde, das müßte sich erweisen. Ich denke sicher, dass bei einer Seligsprechung da viele kritische Stimmen aus dem Judentum kommen würden. Ein seliger oder heiliger Pius XII. – das ist doch auch sofort oder in fünf oder in zehn oder in fünfzehn Jahren möglich! Er ist und bleibt der, der er war und ist.“

Hat aus Ihrer Sicht das Hin und Her um die so genannte Karfreitagsfürbitte im Alten Ritus ein Körnchen Mißtrauen in das Gespräch Vatikan-Judentum gebracht?

„Diese Karfreitagsfürbitte war Thema, sagen wir mal, von Februar bis Ende Mai oder Mitte Juni. Da gab es viele kritische Stimmen aus dem Judentum, aber auch andere Stimmen, die die eigene jüdische Gebetstradition reflektiert haben, z.B. der Rabbiner Jakob Neusner. Das hat schon etwas an Polemik bewirkt; es war aber nicht eine derartige Belastung, dass das Gespräch zum Stillstand gekommen wäre. Hinter den Kulissen ist das Gespräch eigentlich immer weitergegangen.“

Für Papst Pius XII. läuft seit 1965 ein Verfahren zur Seligsprechung. Die historischen Erhebungen, die so genannte Positio, umfasst 3.500 Seiten und liegt seit mehreren Jahren vor. Vom Vatikan beauftragte Historiker, Theologen sowie Bischöfe und Kardinäle der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen haben in den verschiedenen Instanzen des Verfahrens die Seligsprechung des Pacelli-Papstes befürwortet. Die letzte Unterschrift allerdings fehlt: Benedikt XVI. hat bisher davon abgesehen, grünes Licht für die Seligsprechung zu geben.
(rv 19.09.2008 sk)
 







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