Fünfzig Jahre nach
seinem Tod ist Pius XII. weiter umstritten. Ein Kongreß im Vatikan präsentierte diese
Woche Material, das die These vom Schweigen des Pacelli-Papstes zum Holocaust widerlegen
sollte. Organisiert wurde der Kongreß von der amerikanisch-jüdischen Stiftung „Pave
the way“. Auch Papst Benedikt empfing die Teilnehmer und riet in seiner Audienz am
Donnerstag zu weiteren Studien über Pius, „um jedes bestehende Vorurteil zu überwinden“.
„Nicht alle der Facetten seiner verschiedenen pastoralen Aktivitäten“ seien bislang
„im rechten Licht betrachtet worden“, so Benedikt über seinen Vorgänger. Zum angeblichen
Schweigen Pius XII.` meinte er: „Seine Interventionen waren geheim und still, weil
es in der gegebenen Situation des schwierigen historischen Momentes nur so möglich
war, das Schlimmste zu verhindern und die größtmögliche Zahl von Juden zu retten.“
Belastet
der Streit über Pius XII. weiterhin das Gespräch des Vatikans mit dem Judentum? Das
fragte Stefan Kempis den Vatikan-Verantwortlichen für diesen Dialog, Pater Norbert
Hofmann. „Die Figur Pius XII. war und ist eigentlich eine polemische Angelegenheit
im jüdisch-katholischen Gespräch. Dieser Kongreß jetzt hat aber ans Tageslicht gefördert,
was Pius XII. eigentlich wirklich für die Juden getan hat. Die Anklage lautet immer,
dass er geschwiegen habe und nicht deutlich gemacht habe, dass die Kirche gegen den
Holocaust ist und aufgrund der Menschenrechte alle Menschen schützen möchte. Die „Pave-the-Way“-Stiftung
ist nur eine Stimme unter vielen jüdischen, und nach wie vor, denke ich, ist und bleibt
Pius XII. eine polemische Angelegenheit im christlich-jüdischen Gespräch.“
Bekommen
Sie das im christlich-jüdischen Gespräch auch immer wieder von jüdischen Gesprächspartnern
zu hören, dass Pius aus ihrer Sicht eine kontroverse Figur ist?
„Es
gab ja eine Historikerkommission, die vom Vatikan eingesetzt war, die aber dann aufhören
mußte und nicht mehr weiterarbeiten konnte, aus welchen Gründen auch immer. Und dann
lag in der Luft, dass der Vatikan die Archive öffnen sollte – das ist eine Forderung,
die auch heute noch immer wieder von jüdischen Organisationen an uns herangetragen
wird. Bekanntlich sind ja die Archive bis 1939 offen; also, das Pontifikat von Pius
XI. ist zugänglich. Das Material zu Pius XII. bis 1958 wird hingegen voraussichtlich
erst in den nächsten sechs bis zehn Jahren geöffnet werden. Insofern bleibt im Raum
immer noch dieser Aufruf stehen, die vatikanischen Archive zu öffnen. Mit Blick auf
die Figur Pius XII.`: Vielleicht wäre es auch weise, erstmal abzuwarten, was dieses
Material noch an den Tag fördern würde.“
Zeitungen in Italien wie an
diesem Freitag „Panorama“ oder die „Repubblica“ spekulieren darüber, dass dennoch
Benedikt XVI. bald den Weg freigeben könnte für eine Seligsprechung von Pius XII.
Erstens – halten Sie das für möglich oder wahrscheinlich? Und zweitens – würde eine
solche Seligsprechung das Verhältnis des Vatikans zum Judentum belasten?
„Also,
es steht im Raum, ob diese Seligsprechung ansteht. Nach meiner Erfahrung in den letzten
Jahren hat man diese Angelegenheit immer sehr vorsichtig behandelt, und ob jetzt dieser
Schritt getan wird, das hängt allein vom Papst ab. Ob dieser Schritt – eine mögliche
Seligsprechung Pius XII.`- negative, absolut negative Konsequenzen für den Dialog
mit dem Judentum haben würde, das müßte sich erweisen. Ich denke sicher, dass bei
einer Seligsprechung da viele kritische Stimmen aus dem Judentum kommen würden. Ein
seliger oder heiliger Pius XII. – das ist doch auch sofort oder in fünf oder in zehn
oder in fünfzehn Jahren möglich! Er ist und bleibt der, der er war und ist.“
Hat
aus Ihrer Sicht das Hin und Her um die so genannte Karfreitagsfürbitte im Alten Ritus
ein Körnchen Mißtrauen in das Gespräch Vatikan-Judentum gebracht?
„Diese
Karfreitagsfürbitte war Thema, sagen wir mal, von Februar bis Ende Mai oder Mitte
Juni. Da gab es viele kritische Stimmen aus dem Judentum, aber auch andere Stimmen,
die die eigene jüdische Gebetstradition reflektiert haben, z.B. der Rabbiner Jakob
Neusner. Das hat schon etwas an Polemik bewirkt; es war aber nicht eine derartige
Belastung, dass das Gespräch zum Stillstand gekommen wäre. Hinter den Kulissen ist
das Gespräch eigentlich immer weitergegangen.“
Für Papst Pius XII. läuft
seit 1965 ein Verfahren zur Seligsprechung. Die historischen Erhebungen, die so genannte
Positio, umfasst 3.500 Seiten und liegt seit mehreren Jahren vor. Vom Vatikan beauftragte
Historiker, Theologen sowie Bischöfe und Kardinäle der Kongregation für die Selig-
und Heiligsprechungen haben in den verschiedenen Instanzen des Verfahrens die Seligsprechung
des Pacelli-Papstes befürwortet. Die letzte Unterschrift allerdings fehlt: Benedikt
XVI. hat bisher davon abgesehen, grünes Licht für die Seligsprechung zu geben. (rv
19.09.2008 sk)