Papst Benedikt hat an diesem Montag einen Gottesdienst mit Kranken gefeiert. Auf dem
Vorplatz der Rosenkranzbasilika im Wallfahrtsbezirk von Lourdes erinnerte der Papst
an die Würde, „die auch ein Kranker niemals verliert“. Zehn Kranken spendete der Papst
während der Messfeier das Sakrament der Krankensalbung. Ohne kritisch von Euthanasie
oder Selbstmord zu sprechen und ohne zu verurteilen, mahnte der Papst: „Es gibt
Kämpfe, die der Mensch allein, ohne Hilfe der göttlichen Gnade, nicht bestehen kann.
... Ich möchte denen, die leiden, und denen, die zu kämpfen haben und versucht sind,
dem Leben den Rücken zu kehren, voll Demut sagen: Wendet euch Maria zu! Im Lächeln
der Jungfrau findet sich geheimnisvoll verborgen die Kraft, um den Kampf gegen die
Krankheit und für das Leben weiterzuführen. Bei ihr findet man ebenso die Gnade, ohne
Angst und Bitterkeit den Abschied von dieser Welt in der von Gott gewollten Stunde
anzunehmen.“
Die Predigt im Volltext:
Liebe Brüder im Bischofs-
und im Priesteramt, liebe Kranke, liebe Begleiter und Pfleger, liebe Brüder
und Schwestern!
Wir haben gestern das Kreuz Christi gefeiert, das Werkzeug
unseres Heils, das uns die Barmherzigkeit unseres Gottes in ihrer ganzen Fülle offenbart.
Das Kreuz ist in der Tat der Ort, wo das Mitleid Gottes mit unserer Welt auf vollkommene
Weise sichtbar wird. Wenn wir heute das Gedächtnis der Schmerzen Mariens feiern, betrachten
wir Maria, die das Mitleid ihres Sohnes für die Sünder teilt. Die Mutter Christi ist,
wie der heilige Bernhard deutlich macht, durch ihr Mitleid in das Leiden und Sterben
ihres Sohnes eingetreten (vgl. Homilie zum Sonntag in der Oktav von Mariä Himmelfahrt).
Zu Füßen des Kreuzes erfüllt sich die Prophezeiung Simeons: Ihr Mutterherz wird durchbohrt
(vgl. Lk 2,35) von den Qualen, die dem Unschuldigen, ihrem leiblichen Sohn,
zugefügt werden. Wie Jesus geweint hat (vgl. Joh 11,35), so hat gewiss auch
Maria vor dem gemarterten Körper ihres Sohnes geweint. Ihre Zurückhaltung erlaubt
uns jedoch nicht, ihren abgrundtiefen Schmerz auszuloten; diesen tiefen Kummer kann
das traditionelle Symbol der sieben Schwerter nur annähernd darstellen. Wie für ihren
Sohn Jesus kann man sagen, dass dieses Leiden auch sie zur Vollendung geführt hat
(vgl. Hebr 2,10), um sie zur Annahme der neuen geistlichen Sendung zu befähigen,
die der Sohn ihr unmittelbar, bevor er „seinen Geist aufgibt“, anvertraut (vgl. Joh
19,30): zur Mutter Christi in seinen Gliedern zu werden. In dieser Stunde stellt Jesus
durch die Gestalt des Lieblingsjüngers jeden seiner Jünger seiner Mutter mit den Worten
vor: „Siehe, dein Sohn“ (vgl. Joh 19,26-27).
Heute befindet sich Maria
in der Freude und Herrlichkeit der Auferstehung. Die Tränen, die sie am Fuß des Kreuzes
vergossen hat, haben sich zu einem Lächeln gewandelt, das durch nichts mehr ausgelöscht
werden kann, und dennoch bleibt ihr mütterliches Mitleid uns gegenüber unverändert
bestehen. Das hilfreiche Eingreifen der Jungfrau Maria im Laufe der Geschichte bestätigt
das und hört nicht auf, im Volk Gottes ein unerschütterliches Vertrauen zu ihr zu
wecken: Das Gebet Memorare („Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria“) bringt dieses
Gefühl sehr gut zum Ausdruck. Maria liebt jedes ihrer Kinder, wobei sie ihre Aufmerksamkeit
besonders auf diejenigen lenkt, die wie ihr Sohn in der Stunde seiner Passion vom
Leiden heimgesucht werden; sie liebt sie, einfach weil sie nach dem Willen Christi
am Kreuz ihre Kinder sind.
Der Psalmist, der aus der Ferne dieses mütterliche
Band zwischen der Mutter Christi und dem gläubigen Volk erkennt, prophezeit in Bezug
auf die Jungfrau Maria: „dein Lächeln suchen die Edlen des Volkes“ (vgl. Ps
45,13). So haben die Christen auf Anregung des inspirierten Wortes der Schrift seit
jeher das Lächeln Unserer Lieben Frau gesucht, jenes Lächeln, das die Künstler im
Mittelalter so wunderbar darzustellen und zur Geltung zu bringen wussten. Dieses Lächeln
Mariens gilt allen; es richtet sich jedoch ganz besonders an die Leidenden, damit
sie darin Trost und Linderung finden können. Das Lächeln Mariens zu suchen, ist keine
Frage eines frommen oder altmodischen Sentimentalismus; es ist vielmehr der zutreffende
Ausdruck der lebendigen und tief menschlichen Beziehung, die uns mit derjenigen verbindet,
die uns Christus zur Mutter gegeben hat.
Der Wunsch, dieses Lächeln der Jungfrau
zu betrachten, heißt nicht, sich von einer unkontrollierten Einbildung gängeln zu
lassen. Die Schrift selber enthüllt uns dieses Lächeln auf den Lippen Mariens, wenn
sie das Magnifikat singt: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein
Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Lk 1,46-47). Die Jungfrau Maria macht
uns zu ihren Zeugen, wenn sie dem Herrn dankt. Maria teilt gleichsam im voraus mit
ihren künftigen Kindern, also mit uns, die Freude, die ihrem Herzen innewohnt, damit
sie auch zu unserer Freude werde. Jedes Beten des Magnifikat macht uns zu Zeugen
ihres Lächelns. Hier in Lourdes wurde Bernadette während der Erscheinung vom Mittwoch,
dem 3. März 1858, dieses Lächelns Mariens auf ganz besondere Weise gewahr. Dieses
Lächeln war die erste Antwort, die die vornehme „Dame“ der jungen Seherin gab, als
diese wissen wollte, wer sie sei. Bevor sich Maria ihr einige Tage später als „die
Unbefleckte Empfängnis“ vorstellte, hat sie ihr zuerst ihr Lächeln zu erkennen gegeben,
als wäre das der geeignetste Zugang zur Enthüllung ihres Geheimnisses.
In
dem Lächeln des hervorragendsten aller Geschöpfe, das sich uns zugewandt hat, spiegelt
sich unsere Würde als Kinder Gottes wider, jene Würde, die auch ein Kranker niemals
verliert. Dieses Lächeln, ein wahrer Widerschein der Zärtlichkeit Gottes, ist die
Quelle einer unbesiegbaren Hoffnung. Wir wissen leider: Lang ertragenes Leiden zerbricht
auch das best gesicherte Gleichgewicht eines Lebens, erschüttert die festesten Grundlagen
des Vertrauens und lässt einen sogar manchmal am Sinn und Wert des Lebens zweifeln.
Es gibt Kämpfe, die der Mensch allein, ohne Hilfe der göttlichen Gnade, nicht bestehen
kann. Wenn das Reden nicht mehr die richtigen Worte zu finden vermag, zeigt sich die
Notwendigkeit einer liebenden Anwesenheit: Wir suchen dann nicht nur die Nähe derjenigen,
die mit uns verwandt oder uns durch Freundschaft verbunden sind, sondern auch die
Nähe jener, die uns durch das Band des Glaubens vertraut sind. Wer könnte uns näher
und vertrauter sein als Christus und seine heilige Mutter, die unbefleckt Empfangene?
Sie sind mehr als jeder andere dazu fähig, uns zu verstehen und die Härte des Kampfes
gegen das Übel und das Leiden zu begreifen. Der Hebräerbrief sagt von Christus, er
sei nicht einer,„der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche“, sondern
einer, „der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt
hat“ (Hebr 4,15). Ich möchte denen, die leiden, und denen, die zu kämpfen haben
und versucht sind, dem Leben den Rücken zu kehren, voll Demut sagen: Wendet euch Maria
zu! Im Lächeln der Jungfrau findet sich geheimnisvoll verborgen die Kraft, um den
Kampf gegen die Krankheit und für das Leben weiterzuführen. Bei ihr findet man ebenso
die Gnade, ohne Angst und Bitterkeit den Abschied von dieser Welt in der von Gott
gewollten Stunde anzunehmen.
Wie richtig war die Intuition von Dom Jean-Baptiste
Chautard, einer schönen spirituellen Gestalt Frankreichs, der in seinem Werk Innerlichkeit.
Die Seele allen Apostolats dem eifrigen Christen vorschlug, häufig „dem Blick
der Jungfrau Maria zu begegnen“! Ja, das Lächeln der Jungfrau Maria zu suchen, ist
nicht ein frommer Kinderwunsch; es ist, sagt Psalm 45, das Verlangen der »Edlen
des Volkes« (45,13). „Die Edlen“, das sind im Bereich des Glaubens jene, die die
höchste geistliche Reife besitzen und daher in der Lage sind, ihre Schwachheit und
Armseligkeit vor Gott anzuerkennen. Im Lächeln, dieser ganz schlichten Äußerung von
Zuneigung, erfassen wir, dass unser einziger Reichtum die Liebe ist, die Gott zu uns
hat und die durch das Herz jener geht, die unsere Mutter geworden ist. Dieses Lächeln
zu suchen, bedeutet vor allem, das Ungeschuldetsein der Liebe auszukosten; es bedeutet
auch, dieses Lächeln durch unser Bemühen um ein Leben nach dem Wort ihres geliebten
Sohnes hervorzurufen, so wie das Kind das Lächeln der Mutter dadurch hervorzurufen
versucht, dass es tut, was ihr gefällt. Und wir wissen, was Maria gefällt, dank der
Worte, die sie in Kana an die Diener richtete: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh
2,5).
Das Lächeln Mariens ist eine Quelle lebendigen Wassers. „Wer an mich
glaubt“, sagt Jesus, „aus dessen Innerem werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“
(vgl. Joh 7,38). Maria ist jene, die geglaubt hat, und aus ihrem Inneren sind
Ströme von lebendigem Wasser geflossen, die die Geschichte der Menschen tränken sollen.
Die Quelle, die Maria hier in Lourdes Bernadette gezeigt hat, ist das bescheidene
Zeichen dieser geistlichen Wirklichkeit. Aus ihrem Herzen, dem Herzen einer Glaubenden
und einer Mutter, fließt ein lebendiges Wasser, das reinigt und heilt. Wie viele Menschen
haben beim Untertauchen im Wasser der Grotte von Lourdes die sanfte Mütterlichkeit
der Jungfrau Maria entdeckt und erfahren, während sie sich an ihr festhalten, um sich
besser am Herrn festhalten zu können! In der Sequenz der Liturgie dieses Festes der
Schmerzensmutter wird Maria unter dem Titel „Fons amoris“, „Born der Liebe“, verehrt.
Aus dem Herzen Mariens entspringt in der Tat eine ungeschuldete Liebe, die ihrerseits
eine kindliche Liebe entstehen lässt, die sich beständig weiter entfalten soll. Maria
ist wie jede Mutter und besser als jede Mutter Erzieherin zur Liebe. Deshalb kommen
so viele Kranke hierher nach Lourdes, um an dieser „Fons amoris“ ihren Durst zu stillen
und sich zu der einzigen Quelle des Heils, zu ihrem Sohn, Jesus, dem Heiland, führen
zu lassen.
Christus schenkt sein Heil durch die Sakramente und den Menschen,
die an Krankheiten oder unter einer Behinderung leiden, schenkt er es ganz besonders
durch die Gnade der Krankensalbung. Das Leiden ist für jeden immer etwas Fremdes.
Sein Vorhandensein lässt sich niemals bezähmen. Es fällt daher schwer, das Leiden
zu ertragen, und noch schwerer ist es, das Leiden – wie es manche große Zeugen der
Heiligkeit Christi getan haben – als Bestandteil unserer Berufung anzunehmen, so wie
Bernadette es ausdrückte: „alles schweigend leiden, um Jesus zu gefallen“. Um das
sagen zu können, muss man schon einen langen Weg gemeinsam mit Jesus zurückgelegt
haben. Dagegen ist es möglich, sich schon jetzt der Barmherzigkeit Gottes zu überlassen,
die in der Gnade des Krankensakraments sichtbar wird. Bernadette selbst hat im Laufe
eines Lebens, das oft von der Krankheit gezeichnet war, dieses Sakrament viermal empfangen.
Die diesem Sakrament eigene Gnade besteht darin, dass der Kranke Christus, den Arzt,
in sich aufnimmt. Christus ist jedoch nicht ein Arzt nach der Ordnung der Welt. Um
uns zu heilen, bleibt er nicht außerhalb des Leidens, das der Kranke erduldetet; er
lindert es, indem er in dem von der Krankheit heimgesuchten Menschen Wohnung nimmt,
um das Leid mit ihm zu tragen und zu leben. Die Gegenwart Christi durchbricht die
Isolierung, die der Schmerz hervorruft. Der Mensch trägt seine Prüfung nun nicht mehr
allein, sondern als leidendes Glied Christi wird er Christus ähnlich, der sich dem
Vater darbringt, und nimmt in ihm an der Entstehung der neuen Schöpfung teil.
Ohne
die Hilfe des Herrn ist das Joch der Krankheit und des Leidens schrecklich schwer.
Wenn wir das Sakrament der Krankensalbung empfangen, möchten wir kein anderes als
das Joch Christi tragen, denn wir bauen auf sein Versprechen uns gegenüber, dass sein
Joch nicht drückt und seine Last leicht ist (vgl. Mt 11,30). Ich lade die Personen,
die während dieser Messe die Krankensalbung empfangen werden, ein, sich auf eine solche
Hoffnung einzulassen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat Maria als die Gestalt
vorgestellt, in der das ganze Geheimnis der Kirche zusammengefasst ist (vgl. Lumen
gentium, Nr. 63-65). Ihre persönliche Geschichte nimmt den Weg der Kirche vorweg,
die eingeladen ist, genauso wie sie den leidenden Menschen beizustehen. Einen herzlichen
Gruß richte ich an die Mitglieder des Kranken- und Pflegedienstes sowie auch an alle,
die in verschiedenen Funktionen in den Spitälern und in anderen Einrichtungen fachkundig
und hochherzig zur Betreuung der Kranken beitragen. Ebenso möchte ich dem Aufnahme-
und Empfangspersonal, den Krankenträgern und den Begleitern, die aus allen Diözesen
Frankreichs und auch von noch weiter her kommen und das ganze Jahr über den kranken
Lourdes-Pilgern beistehen, sagen, wie wertvoll ihr Dienst ist. Sie sind die Arme der
dienenden Kirche. Schließlich will ich all jene ermutigen, die sich aufgrund ihres
Glaubens der Kranken annehmen und sie besuchen, besonders in der Krankenhausseelsorge,
in den Pfarreien oder wie hier in den Wallfahrtsorten. Möget ihr bei dieser wichtigen
und heiklen Mission stets die wirksame und brüderliche Unterstützung eurer Gemeinden
spüren!
Der Dienst der Nächstenliebe, den ihr leistet, ist ein marianischer
Dienst. Maria vertraut euch ihr Lächeln an, damit ihr in der Treue zu ihrem Sohn selber
zu Quellen lebendigen Wassers werdet. Was ihr macht, tut ihr im Namen der Kirche,
deren reinstes Bild Maria ist. Möget ihr allen ihr Lächeln bringen!
Abschließend
möchte ich mich dem Gebet der Pilger und der Kranken anschließen und zusammen mit
euch einen Ausschnitt aus dem Gebet an Maria aufgreifen, das für die Feier dieses
Jubiläums vorgeschlagen wurde:
„Weil du das Lächeln Gottes bist, der Abglanz
des Lichtes Christi, die Wohnung des Heiligen Geistes, weil du Bernadette in ihrer
Armseligkeit auserwählt hast, weil du der Morgenstern bist, die Pforte des Himmels
und das erste zu neuem Leben erweckte Geschöpf“, beten wir zu dir, Unsere Liebe
Frau von Lourdes, zusammen mit unseren Brüdern und Schwestern, die an Herz und Leib
Schmerzen leiden!