Sieben Jahre nach Nine Eleven - unser Wochenkommentar
Der Wochenkommentar
vom 13.9.2008 stammt von Msgr. Joachim Schroedel, dem Seelsorger der deutschsprachigen
katholischen Gemeinde in Kairo. Die vergangene Woche wurde – jedenfalls in
den deutschen Medien – durch die Erinnerung an jenen Tag in New York gekennzeichnet,
der schon vom Anfang an nur die Bezeichnung „September 11 / der 11. September“ erhielt.
Nicht der „Tag der Zerstörung der Twintowers – nein, so einschneidend in die amerikanische,
ja in die Weltgeschichte schien dieser Tag, dass man nur das Datum zu nennen brauchte.
Der 11 September wurde zu einer Art „Ur-Datum“.
Nichts wird mehr so sein,
wie es einmal war! Diese Formulierung hörte man damals oft. Ich selber sah den Einsturz
des zweiten Turmes an einem Fernsehgerät in Jerusalem; 3 Stunden davor war ich noch
auf dem Flug Frankfurt – Tel Aviv.
Es schien die große Attacke gegen die westliche
Welt schlechthin. „Amerika at War“ war dann auch die Titelzeile vieler amerikanischer
Zeitungen. Und was geschah danach? Die Kriege in Irak und Afghanistan allein kosteten
hunderttausende das Leben. Es starben mehr Soldaten im Einsatz als Menschen am 11.
September in New York umkamen. Der 11. September war nicht der beginn des Umdenkens,
sondern in der Tat der Beginn eines eigentlich offenen Krieges gegen DEN GROSSEN FEIND,
gegen die „Achse des Bösen“, wie es der scheidende Präsident Amerikas formulierte.
Gewalt
erzeugt wieder Gewalt. Auch sich selbst als christlich geprägt verstehende Staaten
ließen sich durch diese Spirale zu Reaktion bringen. Es wird nichts mehr so sein,
wie es einmal war? Ich meine, der 11. September hat uns gezeigt: Es wird immer so
sein, wie es immer schon war!
Die fürchterliche Gewalt gegen DAS Symbol westlicher
Übermacht – war es nicht vielleicht auch ein Aufschrei gegen Ungerechtigkeit und gegen
den so falsch und ungerecht verteilten Reichtum? Statt zumindest auch über die Grundfrage
der Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen gemeinsam nachzudenken wurde radikal der
böse Gegner gefunden und „ausgelöscht“.
Ich lebe in Ägypten, einem so genannten
Schwellenland – das eigentlich aber für 80 Prozent der Bevölkerung ein Entwicklungsland
ist. Auch hier steigt die verzweifelte Wut gegen die westliche Welt, deren Reichtum
sich auf Kosten der Armen Tag für Tag mehr. Der 11. September kann um Gottes Willen
nicht der Tag gewesen sein, an dem klar wurde, dass diese westliche Welt mit Ihren
Errungenschaften einfach von irgendwelchen bösen Muslimen zerstört werden sollte!
Es geht nicht eigentlich um Religionen, sondern um die Gerechtigkeit für alle Menschen,
um Chancengleichheit und Gleichbehandlung. Nichts ist mehr nach dem 11. September
so, wie vorher? Ich bin enttäuscht, wenn in feststellen muss: Die eigentliche Herausforderung
dieses schlimmen Tages hat kaum jemand ergriffen.
Statt wirklich nach den tiefer
liegenden Gründen für dieser schrecklich verzweifelte Tag zu suchen wurde DER schuldige
gefunden und vermeintlich entlarvt: der Islam sei eben die Religion des Hasses und
strebe die Weltherrschaft an. „Schurkenstaaten“ – eben zumeist auch islamisch – hätten
nur eine Absicht: Die „freie Welt“ mit Hilfe von Atombomben zu vernichten. Und
wieder dreht sich die Spirale der Gewalt. Das Resultat aller Angriffe der „ersten“
auf die „dritte“ Welt ist das hasserfüllte letzte Aufbäumen jener, die auch rein menschlich
oder entwicklungspolitisch gesehen die letzten Plätze dieser Welt einnehmen.
Die
Herausforderung des 11. September ist, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Wenn
es etwas gibt, das das Christentum eigentlich ent-scheidend macht, ist es die Gewaltlosigkeit.
Und freilich: die Suche nach Gerechtigkeit für alle Menschen. Denn auf die Länge gesehen
ist und bleibt sie es, die demütige Gewaltlosigkeit, die den Sieg davon trägt.
In
Ägypten, wo ich seit 13 Jahren lebe, sieht man den 11. September 2001 als Niederlage
des Westens – immer noch, trotz Irak und Afghanistan. Hätte man statt Bomben Entwicklungshilfe
gebracht ... dann wäre vielleicht wirklich „nichts mehr so, wie es vor dem 11. September
war“.
Aber diese Chance ist noch nicht vertan – meint Joachim Schroedel aus
Kairo, z.zt. auf Pastoralreise in Äthiopien.