2008-09-12 18:56:27

Papst zur Kultur: Gottesfrage ist nicht subjektiv


RealAudioMP3 Am Freitag Abend hielt Papst Benedikt XVI. eine weitere große Rede zum Thema Glaube und Vernunft. In der ehemaligen Zisterzensierschule „Collège des Bernardins“ warnte er davor, die Gottesfrage ins Subjektive abzudrängen – das wäre eine, so wörtlich, „Kapitulation der Vernunft“ und ein schwerwiegender „Absturz der Humanität“. Ausgangspunkt für die Überlegungen des Kirchenoberhaupts war das abendländische Mönchtum. An dem Treffen mit rund 700 Vertretern des Kulturwesens nahmen auch Delegierte der muslimischen Gemeinschaft Frankreichs Teil. Der verstorbene Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger hatte schon seit den 1990er Jahren den Plan verfolgt, an diesem Ort mittelalterlicher Theologie und Philosophie eine Stätte des Dialogs von Glauben und moderner Kultur einzurichten. Anfang September wurde das College neu eröffnet. Papst Benedikt schrieb hier eine weiteres Kapitel seiner lebenslangen Auseinandersetzung von Glaube und Vernunft.

Die Kernsätze seiner Ansprache und eine Zusammenfassung:

Heute Abend möchte ich zu Ihnen über die Ursprünge der abendländischen Theologie und die Wurzeln der europäischen Kultur sprechen. … Dies ist ein Ort, der mit der Kultur des Mönchtums zu tun hat. Geht uns das heute noch etwas an, oder begegnen wir dabei bloß einer vergangenen Welt? Um darauf antworten zu können, müssen wir uns einen Augenblick auf das Wesen des abendländischen Mönchtums selbst besinnen.

Ziel der Mönche war es nicht, Kultur zu schaffen, so der Papst.

Ihr Ziel hieß: quaerere Deum. In der Wirrnis der Zeiten, in der nichts standzuhalten schien, wollten sie das Wesentliche tun – sich bemühen, das immer Gültige und Bleibende, das Leben selber zu finden. Sie waren auf der Suche nach Gott. … Gott hatte selbst Wegzeichen ausgesteckt, ja, einen Weg gebahnt, den zu finden und zu gehen die Aufgabe war. Dieser Weg war sein Wort, das in den Büchern der heiligen Schriften vor den Menschen aufgeschlagen war. Die Suche nach Gott verlangt so von innen her eine Kultur des Wortes. … Weil im biblischen Wort Gott unterwegs ist zu uns und wir zu ihm, darum muss man lernen, in das Geheimnis der Sprache einzudringen, sie in ihrem Aufbau und in der Weise ihres Ausdrucks zu begreifen. So werden gerade durch die Gottsuche die profanen Wissenschaften wichtig, die uns den Weg zur Sprache zeigen.

 
Bibliothek und Schule gehören deshalb zum Kloster hinzu.

Das Kloster dient der eruditio, der Formung und Bildung des Menschen – Formung letztlich darauf hin, dass der Mensch Gott zu dienen lerne. Aber dies schließt gerade auch die Formung des Verstandes, die Bildung ein, durch die der Mensch in den Wörtern das eigentliche Wort wahrzunehmen lernt.

Das Wort mache wach für Gott füreinander, führe in eine Weggemeinschaft des Glaubens. Deshalb muss es laut Benedikt XVI. „bedacht“ und „recht gelesen werden“. Ein nächster Schritt:

Das Wort Gottes bringt uns selber ins Gespräch mit Gott. … Für das Beten vom Wort Gottes her reicht das Sprechen nicht aus, es verlangt Musik. … Aus diesem inneren Anspruch des Redens mit Gott und des Singens von Gott mit den von ihm selbst geschenkten Worten ist die große abendländische Musik entstanden. Es ging nicht um private „Kreativität“, in der das Individuum sich selbst ein Denkmal setzt und als Maßstab wesentlich die Darstellung des eigenen Ich nimmt. Es ging vielmehr darum, wachsam mit den „Ohren des Herzens“ die inneren Gesetze der Musik der Schöpfung selbst, die vom Schöpfer in seine Welt und in den Menschen gelegten Wesensformen der Musik zu erkennen und so die gotteswürdige Musik zu finden, die zugleich dann wahrhaft des Menschen würdig ist und seine Würde rein ertönen lässt.

In den Heiligen Schriften komme Gott „durch Menschenwort und Menschenwörter hindurch zu uns“. Gott, so Benedikts Schlussfolgerung, rede nur durch Menschen, „durch deren Worte und deren Geschichte zu uns“.

„Wir können es auch einfacher ausdrücken: Die Schrift bedarf der Auslegung, und sie bedarf der Gemeinschaft, in der sie geworden ist und in der sie gelebt wird. In ihr hat sie ihre Einheit, und in ihr öffnet sich der das Ganze zusammenhaltende Sinn. … Durch das zunehmende Wahrnehmen der verschiedenen Sinndimensionen wird das Wort nicht entwertet, sondern erscheint erst in seiner ganzen Größe und Würde.“
Das Christentum sei also „nicht einfach eine Buchreligion im klassischen Sinn“.

„Immer nur in der dynamischen Einheit des Ganzen sind die vielen Bücher ein Buch, zeigt sich im Menschenwort und in der menschlichen Geschichte Gottes Wort und Gottes Handeln in der Welt.“

Jede Art von Fundamentalismus sei damit ausgeschlossen, so das Kirchenoberhaupt.

Die ganze Dramatik dieses Themas ist in den Schriften des heiligen Paulus ausgeleuchtet. … „Der Herr ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3, 17).

 
Diese Spannung von Bindung und Freiheit, die weit über das literarische Problem der Schriftauslegung hinausreicht, habe Denken und Wirken des Mönchtums bestimmt und die abendländische Kultur zutiefst geprägt.

Sie ist als Aufgabe auch unserer Generation gegenüber den Polen von subjektiver Willkür und fundamentalistischem Fanatismus neu gestellt.

 
Ausgehend von grundlegenden Prinzipien des abendländischen Mönchtums zog Benedikt XVI. drei wesentliche Schlussfolgerungen für die Gesellschaft von heute:

Es wäre ein Verhängnis, wenn die europäische Kultur von heute Freiheit nur noch als Bindungslosigkeit auffassen könnte und damit unvermeidlich dem Fanatismus und der Willkür in die Hand spielen würde. Bindungslosigkeit und Willkür sind nicht Freiheit, sondern deren Zerstörung.

Stichwort: Ora et labora. In der griechischen Welt galt die körperliche Arbeit als Sache der Unfreien; und auch das „Machen“ der Welt war dem Demiurgen, einer untergeordneten Gottheit vorbehalten.

Anders der christliche Gott: Er, der eine, der wirkliche und einzige Gott ist auch Schöpfer. Gott arbeitet; er arbeitet weiter in und an der Geschichte der Menschen. In Christus tritt er als Person in die mühselige Arbeit der Geschichte ein.

Der Mensch als Gottes Ebenbild darf und kann sich am weltschöpferischen Handeln Gottes beteiligen, so der Papst. Das gelte auch heute - in Maßen. Das Mönchtum hat eine Kultur der Arbeit entwickelt,

ohne die das Werden Europas, sein Ethos und seine Weltgestaltung nicht zu denken sind. Zu diesem Ethos müsste freilich gehören, dass Arbeit und Geschichtsgestaltung des Menschen Mit-Arbeiten mit dem Schöpfer sein will und von diesem Mit her ihr Maß nimmt. Wo dieses Maß fehlt und der Mensch sich selber zum gottartigen Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung werden.

Gott, Religion in der Gesellschaft von heute? In dieser Frage, die gerade in Frankreich nicht fehlen darf, gipfelte die lectio magistralis des früheren Theologieprofessors. Frankreichs Kirche hatte sich ermutigende Worte des Papstes erhofft. Für die ersten Christen sei Verkündigung, sei Mission, nie Propaganda gewesen, sondern „innere Notwendigkeit, die aus dem Wesen ihres Glaubens folgte“. Die Frohe Botschaft galt allen Menschen, Glaube war keine kulturelle Gewohnheit, sondern gehörte zur der Wahrheit, die alle gleichermaßen anging.

Die Neuheit der christlichen Verkündigung besteht in einem Faktum: Er hat sich gezeigt. Aber dies ist kein blindes Faktum, sondern ein Faktum, das selbst Logos – Gegenwart der ewigen Vernunft in unserem Fleisch ist. Verbum caro factum est (Joh 1, 14). Gerade so ist im Faktum nun Logos, ist Logos unter uns. Das Faktum ist vernünftig. Freilich bedarf es immer der Demut der Vernunft, um es annehmen zu können; der Demut des Menschen, die der Demut Gottes antwortet.

Die Welt von heute sei voll von Bildern vielfältiger Gottheiten, so der Papst.

Gott ist wirklich für viele der große Unbekannte geworden. Aber wie damals hinter den vielen Götterbildern die Frage nach dem unbekannten Gott verborgen und gegenwärtig war, so ist auch die gegenwärtige Abwesenheit Gottes im stillen von der Frage nach ihm bedrängt. Quaerere Deum – Gott suchen und sich von ihm finden lassen, das ist heute nicht weniger notwendig denn in vergangenen Zeiten. Eine bloß positivistische Kultur, die die Frage nach Gott als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde, wäre die Kapitulation der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeiten und damit ein Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten. Das, was die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm zuzuhören, bleibt auch heute Grundlage wahrer Kultur.

(rv 12.09.2008 bp)








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